Andacht zu Beginn der Sitzung des
Bezirkskirchenrates am 9. Mai 2000

09.05.2000

Eine Art Nachruf auf dasDeutsche Allgemeine Sonntagsblatt



Liebe "Mitratende" im Bezirkskirchenrat,

das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt wird demnächst aus dem Angebot der Wochenzei-tungen verschwinden. Auch wenn das DS unter neuen Vorzeichen als Monatsmagazin wei-termacht: Ich finde das Ende des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes ausgesprochen schade. Denn immer wieder hat das DS genau jene Themen angesprochen, die derzeit dran sind in der Kirche. Oder die eben nicht dran sind, aber dringend dran- und wahrgenommen werden sollten.

Ein Beispiel dafür war die vorletzte Ausgabe. Gleich zwei Schwerpunktbeiträge besezten kontrovers und spannend Themen, um die es geht oder doch gehen sollte.

Da war zum einen ein Beitrag von Walter Hollenweger zur Entwicklung der Pfingstkirchen. In diesem Beitrag weist Hollenweger darauf hin, dass die Kirche noch lange nicht am Ende sei. Ja, sie wachse sogar schneller als die Weltbevölkerung. Allerdings nicht in den uns be-kannten und vertrauten Formen. So würden die Pfingstkirchen in 25 Jahren 44 Prozent der Christen auf dem Globus stellen. Der ungewohnte Glaube dieser Kirchen müsste die behäbi-gen Volkskirchen ausfrütteln, meint Hollenweger.

Ich könnte einiges aus diesem durchaus streitbaren Artikel hier vorlesen. Einige von ihnen werden ihn womöglich auch gelesen haben. Ich will mich auf eine ganz kurze Passage be-schränken, die in gewisser Weise auch mit dem Thema zu tun hat, um das es gleich - und dann morgen früh - wieder gehen wird, nämlich um‚s Geld - aber wieder so ganz anders als es uns womöglich lieb ist.

Es sei die Spitze erlaubt: Im Leben der Kirche werden wir nicht aus lauter Gnade gerechtfertigt, sondern durch das Geld. Wer hätte schon einmal erlebt, dass zum Beispiel in einer Synode bei der Beratung eines Jugendthemas, wenn es ums Geld geht, die Frage auftaucht: Könnten wir nicht Gott vertrauen statt dem Geld? So, wie es die Pioniere kirchlicher Einrichtungen im letzten Jahrhundert oft getan haben? Wo wird heute unser Gottvertrauen konkret? Wo kann man Menschen sehen, die nicht auf ihre eigene Rechtfertigung, auf ihre Verdienste vertrauen, sondern auf Gottes Rechtfertigung? Vielleicht handeln sie weniger bürokratisch, vielleicht toleranter, vielleicht auch fröhlicher, vielleicht mutiger, indem sie nicht jeden Vorstoß mit dem Argument ab-schießen: Das rechnet sich nicht.

Und er schließt seine Überlegungen mit der Frage ab:

Muss sich die Kirche rechnen?

Der zweite Beitrag stammt aus der Feder des Kontroversen liebenden Generalsuperinten-denten Rolf Wischnath aus Cottbus. Er beschäftigt sich mit den Aussagen der Theologie zur Auferstehung. An den entscheidenden Stellen seines Beitrages zitiert er andere. Zum einen die ersten Sätze aus dem Roman "Das Gottesprogramm" von John Updike:

Ich bin immer glücklich gewesen an der theo-logischen Fakultät. Der Stundenplan ist erträglich, die Umgebung angenehm, meine Kolle-gen sind harmlos und witzig, geübte Kostgänger in der Welt der Schatten. Ein paar tote Sprachen zu beherrschen, eine Parade von Augenblicken aus der störrisch rätselhaften Frühgeschichte der Christenheit vor Hörsälen voller Hoffender, Irregeleiteter und Fügsa-mer vorbeiziehen zu lassen - es gibt gewiss unehrlichere Wege, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Als zweiten Kronzeugen führt er den Tübinger Neutestamenler Peter Stuhlmacher ins Feld:

"In den evangelischen Großkirchen klaffen Lehre, Leben und biblische Vorgaben extrem weit auseinander, und in der Auslegung der Bibel herrscht Anarchie."

Beide Zitate sehen nach Theologenschelte und Nestbeschmutzung aus. Umso erfreulicher, was er am Ende dann selber folgert. Er bringt seine Hoffnung zum Ausdruck,

dass es auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts möglich und sehr wohl begründbar ist, ein Verständnis von Jesus Christus zu vertreten, das sich einer zeitgemäßen, kommunikablen Textinterpretation verpflichtet weiß. Ein Verständ-nis, das sowohl der historischen Wissenschaft als auch dem christlichen Glauben wieder Genüge tut. Ein Verständnis, das sich der Herausforderung stellt, das Osterevangelium ei-ner ahnungs- und kenntnislosen Zeitgenossenschaft elementar verständlich zu machen. Immer mehr dämmert dabei die Einsicht, dass ein bestimmtes, typisch deutsches Modell der Theologie an ihr Ende gekommen ist und sich totgelaufen hat.

Beide Beiträge zusammen ergeben folgende Botschaft. A) Wir sind als Kirche keineswegs am Ende wie uns manche Menschen und Medien weis machen wollen. Aber es gilt auch B): Wir müssen uns nicht nur auf Veränderungen einstellen, indem wir sie beklagen. Wir müs-sen sie auch als Chance zum Neuanfang begreifen. Als Gelegenheit, das Gottesthema ganz neu in dieser Welt ins Gespräch zu bringen.

Siegfried Sunnus, der Schriftleiter des Deutschen Pfarrerblatts soll zunächst das letzte Wort haben. In der neuesten Ausgabe 4/2000, schließt er seinen Eröffnungsbeitrag mit dem Satz:

"Von Gott zu reden und nicht vom Geld - vielleicht sollte man sagen nicht nur vom Geld - das stünde den aus der Reformation entstandenen Evangelischen gut an."
Dies erfordert Ehrlichkeit, Transparenz, wirtschaftlichen Sachverstand und - vor allem: Gottvertrauen. Da sind die Tage und Wochen nach Ostern gerade die rechte Zeit. Auch für die Zeit nach dem überaus bedauerlichen Verschwinden des Deutschen Allgemeinen Sonn-tagsblattes gilt: Nicht Grabesstimung ist angesagt, sondern frohes österliches Hoffen. Aufer-stehung war beileibe nicht nur damals. Sie geschieht tagtäglich. Also weg mit dem Stein. Es gibt Grund genug zu hoffen, zu glauben und zu lieben. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.