Predigt über 1. Korinther 2,12-16
gehalten am Sonntag, den 11. Juni 2000 (Pfingsten)
in der Christuskirche in Freiburg

11.06.2000

Es ist höchste Zeit, wieder Pfingsten zu feiern, liebe Gemeinde! Nicht als einen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer großen kirchlichen Tradition. Nicht in der routinierten Abwicklungsmentalität, mit der wir den Feste des Kirchenjahres zusehends begegnen. Nicht einfach mit dem klammheimlichen Eingeständnis, dass das Pfingstfest in seiner Bedeutung längst ferngerückt ist.

Es ist wirklich höchste Zeit, Pfingsten überhaupt feiern zu lernen. Dieses Fest herauszuholen aus der Rolle des ewigen Dritten im Kanon der kirchlichen Hauptfeste.

Bis heute werden Weihnachten, Ostern und Pfingsten über den eigentlichen Festtag hinaus mit einem zusätzlichen Feiertag gewürdigt. Die Zukunft des Pfingsfestes hängt dabei am dünnsten Faden. Vor wenigen Jahren schien das Schicksal des Pfingstmontages schon besiegelt. Entgegen dem bundesweiten Trend wollte Baden-Württemberg den Pfingstmontag drangeben, um die Pflegeversicherung zu finanzieren. Am Ende hat aber auch bei uns im Ländle der Buß- und Bettag dran glauben müssen.

Gerettet hat den Pfingstmontag -nein! Nicht die Kirche. Gerettet haben ihn die Sportvereine, das Schaustellergewerbe und die Zusammenschlüsse der Selbständigen. Die günstige Kombinationsmöglichkeit mehrerer freier Tage in der schon warmen Jahreszeit - die wollte man nicht drangeben. Rettungsprojekt Pfingsten - Fehlanzeige.
Das Fest der Weihnacht hat es - scheinbar - leichter. Die Geschichte von der Geburt eines Kindes im armseligen Unterschlupf rührt die Gemüter. Setzt auch bei den Hartnäckigsten den Willen zur Hilfsbereitschaft frei. Und kurbelt dabei noch auf ungeahnte, aber gerne gelittene Weise den Konsum mit an.

Weihnachten - gefeiert am Tag der römischen Feier des unbesiegbaren Sonnengottes - dieses Fest ist längst ein Geschenk der Kirche an die Menschheit. Den Engeln, die den Frieden auf Erden verkündigen, können sich auch die Verächter der Religion nicht so leicht entziehen. Lichter - in der dunkelsten Zeit des Jahres - sie tun gut, auch wenn sie zunehmend weniger von christlichem Öl am Brennen gehalten werden.

Weihnachten macht eben Ernst mit der Inkarnation. Gott wird Mensch. Und die göttlichen Geschichten leben im säkularen Gewand weiter. Verwandeln sich. Und entfernen sich nicht selten auch von ihren Ursprüngen.

Der Blick auf das Osterfest bringt eher schon Schillerndes zu Tage. Österlicher Schmuck ziert ab dem Aschermittwoch Fenster und Sträucher. Österliche Produkte füllen schon lange zuvor die Regale der Geschäfte. Ostern ist das Fest des aufbrechenden Lebens. Das laue Band des Frühlings flattert munter durch die Lüfte. Die Menschen warten erst gar nicht mehr, bis der Frühling Strom und Bäche vom Eise befreit hat. Ostern verbringt man skifahrend ab Tausend Meter aufwärts. Und Fastenzeit feiert mit "sieben-Wochen-ohne" überraschende Urständ.

Doch das Osterfest ist radikaler säkularisiert als Weihnachten. Das Christkind kommt im Umfeld von Weihnachten immer noch irgendwie vor. In den Liedern und in den Prospekten. Für das leere österliche Grab ist das Interesse schon geringer. Bestenfalls sorgen noch Theologen für ein kurzes Aufmerken, die nichts anderes sagen, wie viele andere auch. Tot ist tot. Und wer einmal im Grab war, lässt es eben nicht leer zurück.

Weihnachten ist das Geschenk der Kirche an die Welt. Ostern ist schlicht deren Raub zum Opfer gefallen. Man hatte nichts Gleichwertiges, um das Frühlingserwachen zu begehen.

Und Pfingsten. Das Fest fünfzig Tage nach Ostern. Pfingsten raubt uns keiner mehr. Pfingsten will - so scheint es - gar keiner haben. Nicht einmal mehr die Christinnen und Christen. Zumindest nicht die der sogenannten großen Kirchen.

Nur beinahe erkaltete Pfingst-Asche erinnert noch an das einst lodernde Feuer. Bisweilen sogar säuerlicher Most lässt von der einstigen pfingstlichen Geist-Trunkenheit kaum mehr etwas erahnen. Es ist wirklich höchste Zeit, wieder Pfingsten zu feiern.

Das war nicht immer so. Das erste Pfingsten - damals in Jersualem - es wurde nicht gefeiert. Es hat die Menschen einfach überwältigt. Der Geist weht eben wo er will. Und wer von diesem Geist ergriffen ist, hat Mühe, etwas dagegen zu setzen. Noch ehe die Menschen das Fest der Weihnacht gefeiert haben, war Pfingsten. Geschah ein neuer Anfang in einem neuen Geist. Noch ehe Theologen die Osterereignisse reflektiert und nach dem Grab gesucht haben, war Pfingsten. Neues Leben noch mitten im Alten.

Auch der Pfingsttermin ist keine christliche Erfindung. Schawuoth, das Fest der Gabe der Tora, feiern Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Tradition bis heute an diesem Termin. Und auch sie haben dabei schon ein älteres Fest in Besitz genommen. Noch vor der Feier der Gabe des Gesetzes wurde zu diesem Termin das Fest der Gabe der Frühernte gefeiert.

Pfingsten, das ist das ist die Konsequenz aus Weihnachten und aus Ostern. Die Weltzugewandtheit Gottes und die Hoffnung auf Leben jenseits der Grenze des Todes - sie haben Folgen für unsere Art zu leben. Sie entgrenzen unser Schablonen-Denken. Sie heben unsere Kleinkariertheit auf. Sie ermöglichen eine neue Sicht und ein neues Handeln. Manchmal gegen alle Gesetzmäßigkeiten der Vernunft. Und gegen alle abgesicherten Prognosen. Und im Widerspruch zu den ausdifferenziertesten Statistiken.

Pfingsten ist Leben aus Gottes Geist. Leben, das den Geist der Sachzwänge, des Machbaren und des Berechenbaren in die Schranken weist. Leben, das Grenzen öffnet. Leben, das uns - so scheint es - in seiner Radikalität nicht selten einfach Angst macht. Leben aus dem Geist von Pfingsten, das ist Leben, das wir erst wieder neu lernen müssen.

Als Zugangsmöglichkeit zu einem besseren Verstehen des Pfingstfestes ist auch der heutige Predigttext gedacht. Es sind fünf Verse aus dem zweiten Korintherbrief biblischer Zählung. Der größere Zusammenhang ist dabei eine längere Ausführung des Paulus zur Weisheit, zur Sophia dieser Welt - man könnte auch sagen zu den in Geltung stehenden Grundprinzipien unseres Denkens auf der einen Seite und der Weisheit, die vor Gott gilt auf der anderen.
Diese Weisheit Gottes sieht Paulus uns exemplarisch in Jesus Christus vor Augen gestellt. Aber nicht in Christus, dem Wunderbaren und Wundtertäter. Sondern in Christus als dem über alle Maßen Sonderbaren und wie wir des Lebens Bedürftigen. Sein entsprechender Gedankengang mündet im Blick auf die Zielgruppen seiner frühchristlichen Werbestrategie in dem bekannten Satz: "Die Juden fordern Zeichen und die Griechen frage nach Weisheit. Wir aber predigen den gekreuzigten Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit."

Erkennen lässt sich diese Weisheit Gottes aber nur aus einer Haltung heraus, die vom Geist Gottes bestimmt ist. Achten sie beim Hören der jetzt folgenden Sätze einfach einmal darauf, in welcher Weise Paulus den Geist der Welt und den Geist aus Gott einander gegenüberstellt.

- Lesung 1. Korinther 2,12-16 -

"Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern des Geist aus Gott."
Wie in einer Überschrift enthält der erste Satz fast schon die ganze Wahrheit. Öffentlich zu machen und zu feiern, dass wir leben können unter dem Einfluss dieses Geistes aus Gott, das ist der tiefere Sinn des Pfingstfestes. Und der Grund dafür, dass Pfingsten uns soviel Mühe macht. An Pfingsten müssen wir unsere Zuschauerrolle aufgeben. An Pfingsten wird offenbar, dass wir längst verwickelt sind in die Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung. Und mit uns Menschen. Leben aus dem Geist von Pfingsten, das ist immer Leben in der Arena. Nicht auf der Tribüne.

Das größte Hindernis, um diesem Geist Raum zu geben, ist unsere Aufgeklärtheit. Unsere Vernunft. Aber der Appell, zurückzugehen hinter die Aufklärung, ist kein redliches Angebot. Wir müssen lernen, Pfingsten auch wieder zu feiern unter den Vorzeichen der Wahlfreiheit der Postmoderne.

Anything goes - "alles ist möglich", das hat auch Paulus schon gewusst. Und darum mutig dazugesetzt: "Aber nicht alles tut euch gut." Pfingsten tut uns gut, wenn wir es denn wirklich feiern.

Es ist allerdings nicht wahr, dass Pfingsten nicht mehr gefeiert wird. Das Pfingstfest hat eher ein Teilauszug aus unseren Kirchen gehalten. Menschen gibt es in großer Zahl, die suchen auf ihre je unterschiedliche Weisen den Kontakt mit der geballten Kraft des Geistes, der aus Gott kommt. Und kaum irgendwo ist die Fülle entsprechender Angebote so groß wie gerade in Freiburg.

Alle religiöse Suche oder zumindest die meiste - nennt man sie einfach religiös oder esoterisch oder spirituell - diese Suche spiegelt die Sehnsucht vieler Menschen wieder, in Kontakt mit dem Ursprünglichen zu kommen. Selber wieder ursprünglich zu werden. Pfingsten, so wie ich es verstehe, das wäre geradezu das Fest dieser Ursprünglichkeit. Die Lebendigkeit gerade dieser religiösen Szene und die Pfingstmüdigkeit der Kirchen stehen in einem direkten Zusammenhang.

Es gibt aber auch Gruppen innerhalb der Buntheit der Kirchen, für die ist Pfingsten geradezu das Zentrum. So sehr, dass sie mit ihrem Enthusiasmus den Geist aus Gott geradezu für sich in Beschlag nehmen und zähmen wollen. Ich meine die pfingstlerischen Gruppierungen alter und neuer, charismatischer Prägung.
Vorschnelles Urteilen oder gar Verurteilen wäre allerdings völlig unangemessen. Die Zahl der Angehörigen der sogenannten Pfingstgemeinden hat weltweit die größten Zuwachsraten im Blick auf die Kirche. Sie wächst schneller als die Weltbevölkerung. In zwei Jahrzehnten, so sagen ernstzunehmende Untersuchungen voraus, werden mehr als ein Drittel der Christinnen und Christen weltweit Angehörige von Pfingstkirchen. Nicht Pfingsten hängt also am seidenen Faden. Eher die selbstsichere Behäbigkeit unserer Art, Kirche zu sein.

Das Wort von der Amtskirche im Blick auf unsere Kirchen ist ein allzu böses Wort. Aber dass es höchste Zeit ist, wieder Pfingsten zu feiern und uns einzulassen auf den Geist, der aus Gott kommt, hinter diese Erkenntnis können wir nicht mehr zurück. Eine kirchliche Existenz, die sich nur noch in Strukturdiskussionen erschöpft und das finanziell Mögliche berechnet, wäre in ihrer Existenz geradezu ein Attentat auf die Wirkungsmöglichkeiten des Pfingstgeistes.

Paulus geht hier einen ganz anderen Weg. In kaum einem anderen Zusammenhang seiner Briefe lässt er sich so sehr auf die Sprache und die Terminologie seiner Gesprächspartner ein wie eben hier. Der Geist aus Gott, der Wohnung nimmt in den Menschen - Gottes Gegenwart, die nur durch Gott selber, aber durch Gott in uns erkannt werden kann - dahinter steckt das Denken der Esoterik der Zeit des Paulus, das Weltmodell der sogenannten Gnosis.

Nirgendwo sonst ist soviel Platz und soviel Offenheit für anderes Denken wie eben an Pfingsten. Das Sprechen in verschiedenen Sprachen - wo wie es das Pfingstevangelium berichtet - und das Denken in verschiedenen religiösen Zugängen zur Weisheit, die aus Gott kommt - auch sie stehen in einem Zusammenhang. Und dass gar die Einheit der Kirchen an unterschiedlichen theologischen Positionen Schiffbruch erleidet - so gewichtig und ernstzunehmen diese auch sein mögen - auf dem Hintergrund der Pfingstbotschaft lässt sich dies nur schwer begründen. Anders als im ökumenischen Verbund kann man Pfingsten eigentlich gar nicht feiern.

Kein Fest im Kirchenjahr kann uns mehr Mut machen als eben das Pfingstfest. Wir sind begabt. Von Gott begabt. Gottes Gaben an uns müssen wir entdecken. Und von ihnen Gebrauch machen. Nicht um uns zu überfordern. Nein, um anderen und uns selber gut zu tun. Pfingsten zu feiern, das tut uns gut. Ns einzulassen auf Gottes Geist, das tut uns gut. Uns einladen zu lassen in die Nachfolge dessen, der wie kein anderer gelebt hat aus diesem Geist, das tut uns gut.

Gott ist mit seinem Geist auf der Suche. Nach uns. Und nach dem anderen. Gottes Geist ist kein religiöser Besitzstand. Man kann man nicht haben. Er kann einem nur treffen und in Beschlag nehme. Es ist ein Wunder, dass wir Pfingsten feiern können.

Doch Gottes Geist weht eben wo er will. Er übersteigt die Möglichkeiten unseres Denkens uns unserer Vernunft. Und er bewahre unser Denken und Fühlen in Christus und seinem Geist der Liebe und der Freiheit. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.