"Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist
und Gott, was Gottes ist"
Predigt in der Reihe
"Christen sollen beten und sich nicht um Politik kümmern"
Am Sonntag, den 21. Mai 2000 (Kantate)
in der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde in FR-Weingarte

21.05.2000

Gottes Volk und Menschenvolk. Kirche und Staat - wie verhalten sie sich zueinander? Das ist die Grundfrage, die hinter der Predigtreihe der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde steckt. "Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen" Das meinte vor drei Jahrzehnten Helmut Schmidt im Rückgriff auf Bismarck. Kirche und Welt, das Reich Gottes und die Reiche der Welt sind streng voneinander zu trennen. Das kann man im deutschen Protestantismus bis heute immer wieder hören. Und man glaubt, sich dabei auf Martin Luther als Kronzeugen für diese Anschaung berufen zu können.

Politik - die scheint mit einem Mal wieder ein schmutziges Geschäft. Davon soll man tunlichst die Finger lassen. Diesen Satz kann man als Folge der Parteienskandale in letzter Zeit wieder öfter hören. Wen wundert‚s, dass die Qualität der Politiker nicht wachsen kann, wenn sich Menschen mit hoher menschlicher und charakterlicher Kompetenz diesem Bereich einfach verweigern.

Darf man nun als Christ Politik machen. Darf ein Ältestenkreis in eine aktuelle politische Diskussion einmischen? Wie sehen wir in der Kirche das Feld der Politik? Was erwarten Politiker zurecht oder zu unrecht von der Kirche?

Auf diese Fragen gibt es in den nächsten Sonntagen verschiedene und sehr persönliche Antwortversuche. Und zur Beantwortung dieser Frage sind wir im Grunde alle gefordert. Denn als Mitglieder der Kirche sind wir zugleich Bürgerinnen und Bürger dieses Staates. Doch immer wieder geraten die Rolle als Christ und die als Bürgerin oder Bürger miteinander in Konflikt.

In den Vorgaben zu dieser Predigtreihe steht als Überschrift für heute ein Zitat aus Markus 12: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist." Wir hören jetzt den ganzen Abschnitt im Zusammenhang.

Lesung: Markus 12,13-17

Das "politische Lied" ist nicht immer ein "garstig Lied". Politische Lieder gibt es auch in unserem Gesangbuch. Ein solches Lied soll uns durch die Predigt begleiten. Wir beginnen mit den ersten beiden Versen:

EG 145,1+2: Wach auf, wach auf du deutsches Land

Liebe Gemeinde!

Erinnern sie sich noch daran, als eine ganze Region aufgewacht war?! Vor wenigen Wochen waren die Bilder im Fernsehen wieder zu sehen: Ich meine die Auseinandersetzung um den Bau des geplanten Kernkraftwerkes in Wyhl. Vor wenigen Wochen haben sie sich zum 25. Mal gejährt. "Nai, hemmer gsait", das damalige Motto - es war plötzlich wieder da. Jetzt sogar in einen Gedenkstein in den Rheinauen eingelassen.

Das Kernkraftwerk Wyhl wurde am Ende nicht gebaut. Evangelische Pfarrer haben eine wesentliche Rolle gespielt im Widerstand gegen die Durchsetzung der Pläne mittels staatlicher Gewalt. Die Bilder von Pfarrern im Talar mitten in der Schar der Demonstrantinnen und Demonstranten sind vielen sicherlich noch in Erinnerung. Und die teils heftig abwehrenden Reaktionen sicherlich auch.

Den Anti-KKW-Protesten folgte wenige Jahre später die nächste große Widerstandswelle, die auch die evangelische Kirche erfasst hatte. Dieses Mal richtete sie sich gegen den NATO-Doppelbeschluss. Wieder waren Pfarrerinnen und Pfarrer in der ersten Reihe zu sehen - bei der symbolischen Umzingelung von Munitionslagern. Bei Menschenketten und in Gottesdiensten unter freiem Himmel vor Raketen-Depots. Und auch hier war die Beteiligung kirchlicher Würdenträger höchst umtritten.

Vor genau einem Jahr hat der damalige Gemeindepfarrer von Bad Bellingen in seiner eigenen Gemeinde für das Amt des Bürgermeisters kandidiert. Einige Wochen vor der Wahl hat ihn die Landeskirche vorübergehend beurlaubt. Die römisch-katholische Kirche hat dem Pfarrer von Hinterzarten die Kandidatur für den Gemeinderat gleich von vornherein verboten. Der am Ende in der Bürgermeisterwahl unterlegene Pfarrer ist inzwischen Dekanskollege. Sein Ausflug in die Welt der Kommunalpolitik hat ihm am Ende also nicht geschadet.

Doch die Frage bleibt: Wahlkampf gegeneinander und Gemeindearbeit miteinander - müssen hier nicht zwangsläufig Konflikte entstehen? Wurden und werden hier Grenzen überschritten und Rollen vermischt? Hier Pfarrerin oder Pfarrer für alle mit dem Auftrag zur Seelsorge? Und da unzulässige Einmischungen in den Bereich der aktuellen Tagespolitik.

Die Kritiker damals wie heute äußerten sich genau so, wie das Thema dieser Predigtreihe lautet: "Christen sollen beten und sich nicht um Politik kümmern."

Die Ablehnung, zumindest aber die Problematisierung des politischen Engagements von Pfarrerinnen und Pfarrern ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen Seite werden politische Stellungnahme und Engagement nicht nur der Pfarrerinnen und Pfarrer, sondern der Kirche insgesamt heftig eingefordert. Wie viele an Asylpolitik und Sozialpolitik. Die Stiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern und die Aufarbeitung des Spendenskandals. Gentechnologie und Rüstungsexport. Der Zustand der Bildung und die soziale Lage - was auch immer politisch dran ist - die Kirchen sollen sich dazu äußern. Und dabei möglichst die eigene Meinung zur ihren machen. Nur beten, das reicht nicht, heißt es dann, ihr habt als Kirche auch politische Verantwortung.

Nicht ohne Grund wird das vielfache Schweigen der Kirche während der Zeit des Nationalsozialismus auf‚s heftigste kritisiert. Und das kürzlich gesprochene Schuldbekenntnis des Papstes wurde - auch wenn es von einer Schuld der Kirche eigentlich gar nicht sprach - mit großer Aufmerksamkeit erwartet und begrüßt.

Kein Zweifel - es, hier tut sich ein Dilemma auf: Kirche soll sich einmischen und sich äußern zu den Problemen und Sorgen, die die Menschen beschäftigen. Das klare Wort wird von ihr gewünscht. Und zugleich soll sie bei ihren Leisten bleiben. Und deswegen schon gar keine Politik machen. Doch wie soll das überhaupt gehen? Dazu gleich mehr!

EG 145,3: Für solche Gnad und Güte groß

"Gebt dem Kaiser, was des Kaiser ist. Und Gott, was Gottes ist." In der Lesung haben wir vorhin diesen Satz schon einmal gehört. Es ist gleichsam der Spitzensatz Jesu zu diesem Thema. Und das Motto für den heutigen Gottesdienst. Wenn‚s hochbrisant zu geht und hochbrisante Sätze gesprochen werden, dann geht‚es meistens um‚s Geld. Das ist nicht erst heute so.

Die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Steuerzahlungen hat die Menschen schon immer bewegt. Und die Bereitschaft Steuer zu zahlen - oder eben auch nicht - ist schon immer ein Gradmesser der Akzeptanz der Regierenden gewesen. Man zahlt eben lieber, wenn man mit einer Einrichtung zufrieden ist. Dies gilt für den Staat ebenso wie für die Kirche. Aber es gilt genauso für einen Förderverein oder eine andere gemeinnützige Einrichtung.

Zurück zur Frage an Jesus nach der römischen Steuer. Pharisäer sind es, die sich mit ihrer Frage an Jesus wenden. Dass auch Anhänger des Herodes dabei gewesen seien, wird, wie wir gleich sehen werden, sind sie nicht ohne Grund erwähnt. Man muss die Worte, mit denen sie ihre Frage einleiten, nicht gleich als Heuchelei abtun: "Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht." Jesus war damals auf seine Weise auch ein VIP, eine very important person. Und die Frage, über die man sich mit ihm auseinandersetzt war zu brisant, als dass man Jesus damit nur hätte hereinlegen wollen.

Was ist aber nun das Strittige an der Steuer, zu der man Jesus eine Stellungnahme entlocken will? Zunächst: Die Steuer, um die es geht, ist eine Steuer der Römer. Eine Steuer also der verhassten Besatzungsmacht. Würde Jesus zur Steuerverweigerung aufrufen, käme das mit Sicherheit auch den Spitzeln der Besatzer zu Ohren. Höchste Vorsicht war also geboten.

Als Jesus etwa 12 oder auch 14 Jahre alt war, da hat ein anderer es sehr wohl gewagt, zum Steuerboykott aufzurufen. Judas, der Galiläer, Führer der Widerstandsbewegung gegen die Römer. Judas Galiläus hat seinen Boykottaufruf mit dem Leben bezahlt. Dem jugendlichen Jesus musste es zu Ohren gekommen sein.

Das zweite, was für die Steuerfrage wichtig ist: Die Steuermünze trug das Bildnis des Kaisers, genauer gesagt das des Tiberius. Und damit war diese Münze ein Provokation, ein Verstoß gegen das Gebot: Du sollst dir kein Bildnis machen.

Nun muss man noch einen dritten Punkt beachten. Genau dieser brachte für viele Zeitgenossen das Fass endgültig zum Überlaufen. Die Münze, die man Jesus reicht, war vermutlich gar keine römische Münze. Wir wissen nämlich aufgrund archäologischer Funde, dass Herodes Philippus Münzen mit dem Bild des Kaisers drucken ließ. Dieser Herodes Philippus war ein Sohn des großen Herodes, den wir alle so unrühmlich aus der Weihnachtsgeschichte in Erinnerung haben.

Dass die Römer ihre Völker mit hohen Steuerabgaben knechteten, das war an sich schlimm genug. Dass diese Steuermünzen mit ihrem Kaiserbild gegen das Bilderverbot verstossen und so der Eindruck entsteht, man diene neben Gott auch noch irdischen Machthabern, macht die Sache noch schlimmer. Jesus hätte leichtes Spiel gehabt, die Pharisäer auf seine Seite zu bringen. In der Ablehnung der römischen Steuerpraxis war er mit ihnen vermutlich durchaus einig.

Dass sich aber Herodes Philipus dafür hergab, eigene Münzen mit dem Bild des Kaisers zu prägen, das macht die Sache nun auch noch kompliziert. Gut, die jüdische Abstammung der Familie der Herodianer war umstritten. Für Außenstehende musste dennoch der Einruck enstehen: Da ruft ein Teil der jüdischen Verantwortungsträger zur Steuerverweigerung auf. Und daneben gibt es andere, die dieses Geld nicht nur herstellen, sondern damit sicherlich auch noch ganz gut verdienen. Darum wird im Text ausdrücklich darauf verwiesen, dass nicht nur jüdische Gelehrte Jesus befragen, sondern auch Anhänger des Herodes.

Wie würde Jesus sich aus der Affäre ziehen? Alle waren gespannt. Jesus fordert seine Zuhörer auf, ihm eine Münze zu geben. Man reicht ihm ein Geldstück aus Silber. "Wen seht ihr darauf abgebildet? ", fragt Jesus. "Wer garantiert den Wert dieser Münze?" Die Antwort kann gar nicht anders lauten als eben: "Der Kaiser!" - wer denn sonst?

"Dann gebt dem Kaiser doch zurück, was ihm ohnedies gehört. Denkt aber vor allem daran: Auch Gott wartet darauf, dass ihr ihm gebt, was ihm gehört."

Die Fragesteller müssen kopfschüttelnd davon gegangen sein. Ob sie jetzt wirklich schlauer waren als vorher? Auf den ersten Blick hat Jesus sich ganz geschickt aus der Affäre gezogen. Weder die frommen Juden noch die herrschsüchtigen Römer können ihm aus seiner Antwort einen Strick drehen. Wir Menschen, so könnte man folgern, leben eben in zwei Welten. In der einen gelten die Gesetze des Marktes und der Macht. Und in der anderen die des Reiches Gottes. Wo‚s um die Steuer geht, da hat eben der Kaiser das Sagen. Der liebe Gott ist für die Nächstenliebe zuständig.

"Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist - und Gott, was Gottes ist." Ich glaube, wir müssen erst noch genauer hinhören, um die Botschaft zu verstehen. Für Jesus sind Gott und Kaiser wahrhaftig keine vergleichbaren Größen. Wo das Himmelreich angebrochen ist, da hat der Kaiser ausgespielt. "Jesus ist der Kyrios!" - so lautet das erste Glaubensbekenntnis der Christen. Und das nicht ohne Grund. Denn das Glaubensbekenntnis der Römer hat ganz ähnlich, aber doch ganz anders gelautet: Kyrios, Herr über uns, ist der Kaiser."

Vielleicht müsste man die Antwort Jesu so übersetzen: "Der Kaiser kann sein Bild höchstens auf Münzen prägen. Ihr seid aber von einem ganz andern geprägt. Der, der euch sein Bild eindrückt, der euch nach seinem Bild geschaffen hat, das ist Gott.

Macht euch frei vom Bild des Kaisers. Werft ab, was euch klein machen will. Macht euch frei von den Gesetzen der Macht. Die Herrscher der Welt können sich nur mit Gewalt an der Macht halten. So soll es bei euch nicht sein. Ihr seid Kinder Gottes. Darum könnt ihr auch in der Freiheit der Kinder Gottes leben."

Die Kaiser, die heute über uns herrschen, sitzen nicht mehr in Rom. Längst auch nicht mehr in Moskau. Und auch nicht in Washington und Berlin. Die mächstigsten Kaiser sitzen ganz in unserer Nähe. Sie heißen Ansehen, Ordnung, Erfolg, Terminkalender, Karriere oder wie auch immer. Jede und jeder kennt den eigenen Kaiser am besten. Geben wir dem Kaiser, was des Kaisers ist. Geben wir ihm am besten den Laufpass.

EG 145,4: Du solltest bringen gute Frucht

Geben wir dem Kaiser de Laufpass - so habe ich die Antwort Jesu übersetzt. Für den Bereich der Politik trifft diese Übersetzung durchaus zu. Denn längst haben wir dem Kaiser den Laufpass gegeben. Gottkönigtum und Herrscher von Gottes Gnaden haben als Machthaber ausgedient. "Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn alle Obrigkeit ist von Gott." Was Paulus in Römer 13 noch ungeschützt schreiben konnte, gehört heute in die theologische und politische Mottenkiste. Nicht die Obrigkeit regiert über uns. Heute geht "alle Staatsgewalt vom Volke aus." So steht es zumindest im Grundgesetz. Und dahinter dürfen wir nicht mehr zurück. Und wo andere anderes fordern, müssen wir ihnen entgegentreten.

In der Theologischen Erklärung von Barmen aus dem Jahre 1934 finden wir ein wertvolles kirchliches Dokument auf dem Weg zu dieser politischen Sichtweise. Damals galt es, dem allumfassenden Machtanspruch Adolf Hitlers und der NS-Ideologie entgegenzutreten. In zwei Verwerfungen wird in der fünften These eine Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche versucht.

Im Blick auf den Staat heißt es: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen."

Im Blick auf die Kirche heißt es: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden."


EG 145,5: Die Wahrheit wird jetzt unterdrückt

Die Liedstrophe, die wir eben gesungen haben, liebe Gemeinde, klingt im Text durchaus modern. Sie kann uns aber auch trösten. Wenn uns die Aktualität der politischen Skandale zu schaffen macht, erinnert sie uns daran, dass diese Problematik wahrhaftig nicht neu ist. Neu ist höchstens, dass uns die Massenmedien mit einer nicht mehr bewältigbaren Informationsflut bedenken. Nein, die Welt ist nicht schlechter als früher. Aber wir sind viel umfangreicher informiert. Wir haben aber gerade in den Medien viel stärkere und wirkungsvollere Kontrollen, wenn Macht missbraucht wird.

Die umfangreiche Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Politik habe ich mit der Auslegung des biblischen Textes versucht. Einen anderen Zugang zu einer Antwort will ich jetzt noch unternehmen. Und es dabei auch wieder mit Martin Luther versuchen. Das Reich der Welt sei ein Reich mit eigener Gesetzlichkeit. Und vom Reich Gottes deshalb streng zu unterscheiden. Deshalb solle die Kirche sich aus der Politik auch tunlichst heraushalten. So wird, im scheinbaren Rückgriff auf Martin Luther, die politische Abstinenz der Kirche oftmals begründet.

Martin Luther hat das so nicht gesagt. Und schon gar nicht gelebt. Im Blick auf das Reich Gottes hat er das geistliche und das weltliche Regiment voneinander unterschieden. Das weltliche Regiment, im Grunde der Staat, schützt in leiblicher Hinsicht. Das geistliche Regiment, die Kirche schützt in geistlicher Hinsicht vor dem Bösen. Der Staat bedient sich der Vernunft, Der Mittel der Rechts, also der Gesetze und im Notfall auch der Gewalt. In der Kirche herrscht die Kraft des Evangeliums durch die Verkündigung. In beiden Fällen - und das hat Luther nie in Frage gestellt, ist es Gott, der handelt. Die Eigengesetzlichkeit der Welt entlässt die Welt nicht aus der Verantwortung vor Gott und der Zusage der göttlichen Zuwendung. Oder um noch einmal eine Verwerfung der Barmer Thesen zu zitieren: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären."

Es gibt keinerlei Anlass, irgendwo unser Christsein zunächst an der Garderobe abgeben, ehe wir das Recht zum Handeln haben und den Mut dazu finden. Unser Engagement und unsere Fürbitte kommen dem Staat gleichermaßen zugut. Trotzdem gilt es, sehr genau zu unterscheiden, in welcher Eigenschaft wir handeln. Theologischer Sachverstand kann Fachkompetenz nicht madig machen - und schon gar nicht ersetzen. Christliches Zeugnis ist im Grunde prophetischer Natur. Es hält die Schwachen in Erinnerung. Fordert Gerechtigkeit ein. Stellt uns in die Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung. Mahnt die Welt zum Frieden.

Kirchlicher Einsatz kann hier beispielhaft wirken. Als Modell, das andere zu neuem Handeln anspornt. Wie Hefe, die den Teig durchsäuert. Aber sie ist nicht der Teig. Politische Verantwortung ist an Verantwortungsträger delegiert. Über die demokratischen Formen, vor allem aber über die Begrenzung von Macht müssen wir uns immer wieder neu verständigen. Wo die vereinbarten Systeme versagen oder Handlungsbedarf nicht wahrnehmen, treten andere ein. Basisgruppen, Bürgerinitiativen, Interessenverbände und Menschen mit Fachkompetenz. Und überall, in den Parteien und in den Aktionsgruppen, gibt es Christenmenschen, die sich mit ihren Gaben, ihrer Kompetenz miteinbringen.

Das Evangelium ist nicht Fachkompetenz. Es ist Schöpfungskompetenz. Liebeskompetenz. Sinnkompetenz. Wo andere schweigen, da müssen wir als Kirche reden. Wo andere überhört werden, müssen wir ihre Stimmen verstärken. Wo andere den falschen Weg einschlagen, da müssen wir Orientierung geben. Manchmal - aber nur in Ausnahmefällen - sogar im Talar. Einfach in das Horn zu stoßen, in das ohnedies schon alle blasen, kann die Sache der Kirche nicht sein. Auch die Wahrheit kann inflationär daherkommen und so entwertet werden.

Als Kirche haben wir politisch ein Wächteramt. Und wo wir handeln, auch politisch handeln, ist es ein Akt der Diakonie an der Gesellschaft. Wir dürfen uns nicht mundtot machen lassen. Müssen aber auch nicht auf jedes staatliche Gebäck unsere kirchliche Sahne streichen.

Trotzdem - eine Kirche außerhalb der Welt, die politisch gestaltet wird, hat es nie gegeben. Und es darf sie auch nicht geben. Gerade wenn wir der Gesellschaft geben, was wir ihr geben können, geben wir Gott, was Gottes ist.

Versuchen wir es noch einmal mit der Botschaft Jesu: "Kehrt um. Denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen". Es hat schon zu wachsen begonnen mitten in dieser Welt . Mitten unter uns. Gottseidank! Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.