Andacht
am Beginn der Sitzung des Kirchengemeinderates
am 2. Februar 2001 in der Lukasgemeinde

02.02.2001

Liebe Schwestern und Brüder!

Der heutige Tag hat im Kirchenjahr eine eigene Würde. Mit dem heutigen 2. Februar geht der Tradition zufolge die Weihnachtszeit zu Ende. Bis zu diesem Tag stehen in vielen katholi-schen Kirchen noch die Weihnachtskrippen. Aber auch bei uns Evangelischen erlangt dieser Tag in ökumenischer Offenheit wieder neu Bedeutung. Und manche Lichterkette, ja sogar mancher Weihnachtsbaum ist bis heute zu sehen.

Dem 2. Februar kommt nicht ohne Grund diese Bedeutung zu. Seit dem Fest der Geburt Chri-sti sind genau 40 Tage vergangen. Nach 40 Tagen endeten in der jüdischen Tradition die Ta-ge der Reinigung für eine Frau, die einen Sohn das Leben geschenkt hat. Nach 40 Tagen hatte man die Steuer dafür zu bezahlen, dass der erstgeborene und damit Gott zustehende Sohn von der Verpflichtung zum priesterlichen Dienst freigestellt wurde. Das Evangelium die Darstel-lung Jesu im Tempel und die dortigen Begegnungen mit dem greisen Simeon und der Pro-phetin Hanna.

In der Sprache der Tradition der römisch-katholischen Kirche nennt man dieses Fest Mariä Lichtmess. Kerzenweihe und Lichtprozessionen gehören zum Brauchtum der Volksfrömmig-keit dieses Tages. Es ist zugleich der Tag, an dem Maria als Patronin der Wachszieher und Kerzenzieher angerufen wird. Noch einmal soll den Menschen das Licht der Weihnacht auf-leuchten, das Licht dessen, der nach den Worten des greisen Simeon ein Licht zur Erleuch-tung der Völker sein soll.

Kehren wir nach diesem kleinen ökumenschen Ausflug in den Schoß unserer doch etwas sparsameren evangelischen Tradition zurück. Wir feiern übermorgen den letzten Sonntag nach dem Epiphaniasfest. Und noch einmal leuchtet die liturgische Farbe Weiß auf, die wir bis zur Osternacht dann wieder entbehren müssen.

Dieser zweite Februar, dieser letzte Tag des Weihnachtsfestkreises wird für uns zu einem Tag wichtiger Beratungen und Entscheidungen. Gut, dass uns heute noch einmal das Licht der Weihnacht aufleuchtet. Gut, dass wir noch einmal daran erinnert werden, dass eine unwirtli-che Absteige - und nicht eine prächtige Kathedrale - am Anfang stand. Gut, dass wir noch einmal daran denken, dass wir auf Licht - auf Erleuchtung angewiesen sind. Gut auch, dass wir spüren: Das Wesentliche ist Geschenk, nicht Ergebnis unserer Strategien und Überlegun-gen.

Auf der anderen Seite: Wir gestalten Kirche in ihrer sichtbaren Gestalt. Im Angewiesensein auf materielle Grundlagen. Oder noch klarer: auf Geld. In der Verantwortung für Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter, die einen Anspruch darauf haben, dass wir als Kirche / als Kirchen-gemeinde auch morgen noch ein verlässlicher Arbeitgeber sind. Im Vertrauen darauf, dass wir mit unseren Konzepten und Überlegungen nicht nur wertvolle Zeit vertun, sondern wir-kungsvoll Kirche mitgestalten können. Das Licht der Weihnacht macht den Schweiß der Tüchtigen nicht überflüssig. Im Gegenteil: es bringt ihn zum Leuchten wie eine Perle.

Wie so oft kommt es eben auf die Perspektive an. Ich will für heute Abend noch einmal die weihnachtliche Perspektive vorschlagen. Oder anders gesagt, aus der weihnachtlichen Per-spektive drei Prüfperspektiven gewinnen, die unsere Bemühungen zum Leuchten bringen.

Da wäre zunächst die Herodesfrage: Halten wir krampfhaft an alten Strukturen fest wie He-rodes, der jedes Nachdenken über eine Herrschaft jenseits der seinen nur als Bedrohung emp-finden konnte?

Die zweite Frage ist die Tempelfrage: Haben wir wirklich alles versucht und getan, was unter den geltenden Bedingungen zu tun möglich ist - so wie Maria und Josef, die sich gemäß den Vorgaben ihrer Tradition mit einem neugeborenen Kind auf den beschwerlichen Weg nach Jerusalem zum Tempel aufmachen?

Die dritte Frage ist die Sterndeuterfrage: Sind wir, wie einst die Magier, die Sterndeuter aus dem Osten, am Ende auch bereit, über Grenzen und Kulturen hinweg zum Aufbruch in neues Land oder scheuen wir diesen Weg in die Unsicherheit und unbekanntes Land?

Es gibt kaum eine religigiöse Tradition, in der der Wandel, der Aufbruch, der Auszug und der Neubeginn eine so zentrale Rolle spielt, so sehr, dass unsere christliche Existenz mit dem Bild des wandernden Gottesvolkes und damit als Nomadenexistenz beschrieben wird. Allzu-viel spüren wir in unserer festgefügten Weise des Kircheseins davon oft nicht mehr .

Ich wünsche uns den Mut zur Grenzüberschreitung heute Abend. Und wir werden ihn brau-chen, wenn wir uns nachher mit dem Ziel der Grenzverschiebung über unsere Stadtpläne beugen. Wenn wir uns noch einmal daran erinnern, dass wir von Weihnachten herkommen, können wir zuversichtlicher in die Zukunft blicken - und gehen. Und mit Gott sogar über manche Mauer springen: Über Denkmauern ebenso wie über Kirchenmauern. Und wir wer-den entdecken, dass jenseits der Grenze auch genug Licht ist, um das Leben hell zu machen. Amen.
GebetGott, lass uns Lichter aufgehen. Lichter im Denken, die uns neue Wege weisen. Die unsere Borniertheiten erhellen. Die uns Wege um Hindernisse herum zeigen. Wenn du uns das Licht der Welt zugesagt hast, müsste sich doch auch unsere evangelische Kirche hier in Freiburg in ein günstigeres Licht rücken lassen. Es bräuchte dazu nur die Augen, dein Licht zu sehen. Und das Vertrauen, dass wir dein Licht zwar verstellen, aber nicht zum Erlöschen bringen können. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.