Kriterien zum Verkauf kirchlicher Gebäude
bei enger werdenden finanziellen Spielräumen

01.01.2001
Vorbemerkung

Zurückgehende Finanzen führen verstärkt zu grundsätzlichen Überlegungen, ob - neben anderem - nicht auch der Verkauf von Kirchengebäuden zur Verbesserung der finanziellen Situation in Betracht zu ziehen ist. Derartige Überlegungen bieten keine schnelle Lösung strukturell bedingter Finanzprobleme. Sofern diese Diskussion aber tatsächlich geführt wird, ist es hilfreich, dabei einen engen Rahmen sowohl der zu diskutierenden Modelle als auch tatsächlich ins Auge gefasster Handlungsoptionen zu beschreiben.

Die nachfolgend aufgeführten Kriterien in Thesenform sind dabei als Grundlage einer Diskussion zu diesem Thema gedacht. Weitere konkrete Überlegungen bedürfen erst eines Konsenses im Blick auf die Kriterien. Die Umkehrung dieser Reihenfolge wäre sowohl für die Gemeinden als auch für die Öffentlichkeit, vor deren Augen diese Diskussion ja geführt würde, schlicht verheerend.


Diskussionsvorschlag für Kriterien in Thesen

  1. Der Verkauf von Gebäuden muss Bestandteil eines Gesamt(sanierungs)konzeptes sein. Der Verkauf allein mit dem Ziel der kurzfristigen Behebung von finanziellen Engpässen macht wenig Sinn, wenn sich in absehbarer Zeit die nächsten Lücken auftun werden.

  2. Beim kirchlichen Gebäudebestand muss unterschieden werden zwischen

    1. Immobilien als Rücklage / Reserve / Vermögensanlage
    2. Wohnraum, der - zu marktüblichen Preisen - an Mitarbeiter/innen vermietet wird
    3. Dienstwohnungen bzw. Pfarrhäuser
    4. Kirchengebäude


  3. Wenn eine (Not)lage gegeben ist, die den Verkauf unumgänglich macht, ist zunächst der Bestand a) und zuletzt d) in Erwägung zu ziehen. Sollten bestimmte Rechtsformen (Vertragliche Bindungen, Stiftungsrecht etc.) dieser Reihenfolge hinderlich sein, muss zunächst geprüft werden, ob eine Änderung dieser rechtlichen oder sonstigen Hindernisse herbeigeführt werden kann.

  4. Insbesondere Überlegungen im Blick auf den Verkauf von Kirchengebäuden müssen mit höchster Sensibilität angestellt werden. Kirchengebäude sind in besonderer Weise sowohl Medium als auch Zielpunkt der Identifikation von Gemeindegliedern. Anders gesagt: der Verkauf von Kirchen kann immer nur die ultima ratio, die allerletzte Möglichkeit sein. Kirchengebäude werden am stärksten mit der Institution Kirche in Verbindung gebracht. Sie haben den höchsten Wiedererkennungswert. Schon die Diskussion dieses Themas erfordert al-lergrößte Behutsamkeit.

  5. Vor einem Verkauf von Kirchengebäuden müssen alle Möglichkeit einer anderweitigen Nutzung oder Teilumnutzung geprüft werden. Die Möglichkeit, dass alle gemeindlichen Aktivitäten im bisherigen Kirchenraum ihren neuen Ort finden, ist der Möglichkeit, stattdessen alle Aktivitäten einschl. des Gottesdienstes in den bisherigen Gemeindesaal zu verlagern, vorzuziehen.

  6. Grundsätzlich ist auch der Verkauf von Kirchengebäuden möglich und keineswegs von vornherein ein Signal des Rückzugs. So musste etwa auch im Jahre 1821 nach der Union von Lutheranern und Reformierten in Baden der Bestand an Kirchengebäuden reduziert werden. Ähnliche Folgen hätte etwa das - eine noch weit entfernte Zukunft vorwegnehmende - Szenario einer ökumenischen Verbindung von evang. und römisch-katholischer Kirche.

  7. Der Wegfall einer Pfarrstelle zieht nicht von vornherein den Wegfall einer Pfarrgemeinde oder den Verkauf des Kirchengebäudes nach sich; er schließt ihn allerdings auch nicht aus. Möglich ist durchaus der weitere Bestand einer Pfarrei durch Versorgung durch eine Nachbargemeinde oder im Rahmen einer Dienstgruppe. Dies könnte etwa den Verkauf oder die Vermietung des Pfarrhauses bzw. der Pfarrwohnung bedeuten, gleichzeitig aber die Kirche "im Dorf" oder im Stadtteil lassen.

  8. Der Verkauf von Kirchengebäuden darf aber primär weder unter der Frage des zu erzielenden Verkaufserlöses noch zu stark unter Denkmalschutzaspekten oder dem Schwierigkeitsgrad einer möglichen Umnutzung entschieden werden. Kriterien können stattdessen auch sein:

    1. Zielvorgaben im Blick auf die künftige Zahl der Pfarrgemeinden
    2. Zielvorgaben hinsichtlich des Gebäude-Mix im Blick auf "klassische" Kirchenräume und Gemeindezentren bzw. Mehrzweckräum
    3. Die "strategische"Lage des Kirchengebäudes; dies schließt auch die Beachtung der für das entspechende Gebiet geltenden baurechtlichen Vorgaben mit ein.
    4. Zielvorgaben hinsichtlich möglicher zukünftiger Arbeits-Schwerpunkte einzelner Pfarreien
    5. Der bisherige Anteil der Kirche und der Pfarrei für das evangelische Gesamtprofil in der Kirchengemeinde bzw. im Kirchenbezirk
    6. Das Aktivitätsprofil bzw. die Formulierung von Attraktions- oder. Leistungskriterien.


  9. Gesichtspunkte hinsichtlich einer möglichen Umwidmung oder eines Verkaufes müssen zukunfts- und nicht vergangenheitsorientiert sein. Die "große Tradition" einer Kirche kann bei einer strukturellen Veränderung eines Stadtteils die Zukunftsfähigkeit einer Pfarrei nicht sichern.

  10. Theologische Kriterien gehen grundsätzlich vor Kriterien der Wirtschaftlichkeit, die eine dienende Funktion haben. Die unter ökonomischen Gesichtspunkten schlechtere Lösung kann u.U. die angemessenere sein. Wer theologische Argumente einfordert, muss sich aber auch der Mühe unterziehen, sie zu erarbeiten und ins Gespräch einzubringen.

  11. Vor dem Verkauf von Kirchengebäuden geht der Versuch der innerkirchlichen Umwidmung. Hierbei ist an eine räumliche Umgestaltung, etwa in Verbindung mit diakonischen Projekten, Wohnungen oder anderweitiger sozialer Nutzung zu denken. Bauliche Veränderungen sind wenn möglich unter der Maßgabe der - zuimindest theoretisch denkbaren - Rückgängigmachung zu planen und umzusetzen. Zu denken ist auch an die Überlassung bzw. Vermietung an eine Kirche, mit der ökumenische Verbindungen bestehen.

  12. Ist ein Verkauf unumgänglich und im Grundsatz beschlossen, soll eine die Gefühle der Menschen und insbesondere der bisherigen Nutzer/innen verletztende Verwendung mit der höchsterreichbaren juristischen Verbindlichkeit ausgeschlossen werden. Vor der Nutzung als "Supermarkt" oder als "Disko" sind noch viele andere Möglichkeiten zu prüfen. Wenn möglich ist der Abriss des Kirchengebäudes durch den Nachnutzer - sofern dies nicht ohnedies denkmalschützerischen Gesichtspunkte verhindern - vertraglich gesichert auszuschließen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.