Predigtteil
im Gottesdienst in der Christuskirche Freiburg
am Sonntag, den 16. Dezember 2001
mit Verabschiedung des alten
und Einführung des neuen Ältestenkreises

16.12.2001

Predigt (1) zu Matthäus 11,2-6



Dieser dritte Adventssonntag, liebe Gemeinde ist in der Tradition des Kirchenjahres schon lange der Sonntag Johannes des Täufers. In unserer Erinnerung tauchen die vertrauten Bilder auf. Ein Mann - eingehüllt in ein Gewand aus Kamelhaar, zusammengehalten mit einem ledernen Gürtel - eine Vorstellung, die sich, in zahlreichen Darstellungen der bildenden Kunst niedergeschlagen haben. Zuletzt wieder aufgegriffen in einem Bild von Sieger Köder, das im diesjährigen Hausgebet zum Advent im Mittelpunkt des Nachdenkens stand.

Die bekannteste Darstellung des Johannes ist aber sicher von Matthias Grünewald aus den Tafeln des Isenheimer Altars, der jährlich Hunderttausende nach Colmar lockt. Eindrücklich der markant verlängerte Zeigefinger des Johannes, der auf Christus hinweist. Und darunter in lateinischer Sprache das berühmte Zitat aus Johannes 3: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“

In der theologischen Tradition ist die klassische Rollenzuweisung nahezu in idealtypischer Weise gelungen. Johannes, das ist der Vorläufer, das ist der, der von sich weg auf einen anderen zeigt. Der, der nur mit Wasser tauft und Gottes lebendig machenden Geist selber nicht weiterzugeben vermag. Der, der uns zur Umkehr ruft, aber dennoch den Weg zu einem Leben in gelingender Fülle nicht weisen kann. Johannes, das ist der, den Weg frei macht, aber dabei nie vergisst, dass seine Aufgabe eine ist, die eingebettet ist in ein weitaus größeres Projekt.

Nur zwischen den Zeilen und noch mehr bei Lukas als bei Matthäus oder den anderen Evangelisten könne wir entdecken, dass an dieser Sicht des Johannes den Evangelisten zwar sehr wohl gelegen war. Dass sie die Wirklichkeit aber eher tendenziös und unzutreffend beschreibt. Johannes und Jesus - das waren Konkurrenten auf dem Markt der sich umorientierenden Religiosität.
- Orgel setzt leise ein, so dass Sprache noch verstehbar bleibt -
Und die theologische Tradition beschreibt das Ergebnis dieser Auseinandersetzung aus der Sicht derer, die am Ende diese Auseinandersetzung gewonnen haben.
- Orgel greift ungefähr eine Minute das Motiv der Konkurrenz zwischen Jesus und Johannes auf - Nach Ende Fortsetzung der Predigt

Die Behauptung der großen Konkurrenz zwischen Johannes und Jesus spiegelt sich wieder in den Anfangskapiteln des Lukas-Evangeliums. Kunstvoll ineinander verwoben sind die Geburtsgeschichten der beiden. Und die eine steht der anderen in nichts nach. Nicht nur der Maria erscheint der Engel, um die Geburt eines so ganz aus der Reihe der übrigen herausgehobenen Kindes anzukündigen. Auch Zacharias, der Vater des Johannes hat eine Erscheinung. Und lässt Lukas die Männer in der Geschichte von der Geburt Jesu durch das Motiv der Jungfrauengeburt außen vor, so wird in der Geburtsgeschichte des Johannes sein Vater Zacharias schlicht stumm. Wie für Josef steht auch für ihn keine tragende Rolle in diesem Geschehen bereit.

Doch die einander geschickt und kunstvoll zugeordnete Parallelität geht noch weiter. Stimmt Maria mit dem bei uns unter seinem lateinsichen Namen bekannt gewordenen Magnificat in das Lob des Gottes ein, der die Niedrigen erhöht und die Mächtigen vom Thron stürzt, so wird uns von Zacharias ein ähnliches Lied überliefert. Wir haben diesen Psalm - das sogenannte Benedictus -vorhin als Eingangspsalm miteinander gebetet.

Maria und Elisabeth, die beiden schwangeren Frauen, sind miteinander verwandt. Elisabeth ist eigentlich zu alt, um ein Kind zu bekommen. Maria noch nicht in einer festen Bindung an Josef. Auch die Namen der beiden Kinder, Jeschua und Jochanan - Namen, die Gottes Hilfe und seine Zuverlässigkeit zum Ausdruck bringen, sind Programm: Die Reihe der einander überbietenden Vergleiche ließe sich fortsetzen. Wundern sich bei Johannes die Nachbarn über dieses Kind, auf dem die Hand des Herrn liege - wie sie sagten - so sind es bei Jesus einfache Hirten und bedeutende Männer aus dem weit entfernten Osten.

Die Konkurrenz setzt sich weit über die Geburtsgeschichten hinaus fort. Wirkt der eine trotz seiner Geburt in Bethlehem und der Abstammung aus der Familie des Königs Davids in Galiläa, einem Gebiet mit einem zweifelhaften Ruf, so zieht sich der andere in die Wüste zurück. Beiden folgt im übrigen eine Schar von Schülern und Anhängern. Und es nicht einmal völlig aus der Welt anzunehmen, der eine könne zuvor einmal Schüler des anderen gewesen sein.

Auch die beiden Jüngergruppen stehen in Konkurrenz zueinander. Während Johannes aber selber tauft und gerade dieser Praxis den Zunamen verdankt, den er als Johannes, der Täufer bis heute trägt, ist uns aus der Taufpraxis der Jesusanhängerschaft überliefert, dass seine Jünger getauft haben. In der Taufe Jesu durch Johannes im Rinnsal des Jordan liegt die Schnittstelle beider Überlieferungsstränge. An ihrer Deutung macht sich die Rollenzuweisung fest, von der ich eingangs gesprochen habe. Der Größere scheut sich nicht davor, sich unter den Kleineren zu ducken. Und gerade darin liegt die öffentliche Wahrnehmung seiner Größe und deren theologische Indienstnahme begründet.

Mag es zu Lebzeiten ein spannungsreiches Konkurrenzverhältnis geblieben sein - auf’s Ganze gesehen ist diese Auseinandersetzung entschieden. Der eine - Johannes - wurde zum klassischen Paradigma des Vorläufers. Der andere - Jesus - zu dem, in dessen Zügen wir die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ablesen können.

Die Sterne des Johannes werden als im Sinken begriffen beschrieben, noch ehe die des Jesus aus Nazareth im Zenit stehen. Matthäus 11 - die Lesung, die wir eben gehört haben - spiegelt diese Phase der Beziehung wider. Johannes ist verhaftet. Seine Wirkungsmöglichkeiten sind ihm entzogen. Die scheinbare Ungeklärtheit des Beziehungsgefüges muss ihn irritiert haben. Das Konkurrenzverhältnis ist ungeklärt. Und es verwundert nicht, wenn er Jesus fragen lässt: „Bist du es nun, auf den alle warten?“ Oder bleibt die Frage der erfolgreicheren Sendung offen.

Die Antwort Jesu aus der Überlieferung des Matthäus-Evangeliums ist klar: Er zitiert aus der religiösen Tradition seines Volkes, Worte, die auch Johannes sehr genau kennt: „Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Aussätzige werden rein, Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündigt.“ Und auch ohne, dass es direkt dabei steht, werden wir ergänzen dürfen, was Jesus anfügt, als er in Kaparnaum predigt: „Heute und in meiner Person ist dies alles erfüllt vor euren Augen.“ Was für ein Anspruch angesichts der Wirklichkeit. Der andere Gottesbote im Gefängnis, Herodes an der Macht, die Römer im Land, Armut an der Tagesordnung und soziale Gerechtigkeit ein Zukunftstraum. Und dennoch: Heute ist dieses Wort erfüllt vor euren Augen. Und mit Worten aus der Lesung aus Matthäus 11 ergänzt: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!“

Es ist der Ärger über die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Es ist das Unverständnis über die Ansage der Herrschaft Gottes, wo die Herrschaft des Bösen doch ungebrochen scheint. Fast hat es den Anschein, dieser Jesus begnüge sich mit der Privatisierung des Anspruchs auf Gottes neue Welt. „Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Aussätzige werden rein, Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündigt.“ Gesundheit und materieller Wohlstand stehen auch statistisch ganz oben auf den Wunschlisten der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Aber der Anspruch ist größer. Und die Strukturen des öffentlichen, weit über das persönliche hinausgehenden Raums sind keineswegs ausgespart.

Denn das Evangelium, das den Armen gepredigt wird, ist die Botschaft, dass Gott will, dass wir in Würde und Gerechtigkeit und in Frieden leben. Die Botschaft vom nahegekommenen Reich Gottes ist die von der lebbar gewordenen Freiheit Gottes - und sei’s noch gegen den Augenschein. Jesus - so wie ihn die Evangelien schildern - mutet Johannes den Perspektivenwechsel zu. Er legt die Möglichkeit offen, die Ansichten unserer Lebenswelt von den Aussichten des so ganz anders gearteten Zuspruchs Gottes bestimmen zu lassen.

Hier liegt die Brücke, mit deren Hilfe ich die Botschaft dieses Text aus Matthäus 11 zur Botschaft zur Anrede zum Begleitwort für die ausscheidenden Mitglieder des Ältestenkreises der Christusgemeinde verstehen möchte. Mehr als einmal haben sich die Aufgaben ihres Ältestenamtes bewegt zwischen beflügelnden Hoffnungen und dem Ärger über die zugemutete Realität. Zwischen dem engagierten Einsatz für das angestrebte Ziel und der Wirklichkeit der wieder einmal zerstobenen Gemeindebildes, dem sie zur Umsetzung verhelfen wollten.

Die Jahre ihres Ältestenamtes waren bewegt, gekennzeichnet von einer Geschichte der Entdeckung neuer Möglichkeiten, aber genauso auch geprägt vom Empfinden von Überforderung und zugemuteten Konflikten Und es macht wenig Sinn, auch dieses letzter einfach verdrängen zu wollen.

Der Perspektivenwechsel ist die große Chance, diese im Einzelfall sehr unterschiedlich langen Zeiträume der Arbeit als Älteste als Mitwirkung an der Verwirklichung der Herrschaft Gottes sehen und verstehen zu können. Ahnen sie wirklich, wie groß die Dankbarkeit für diesen Dienst ist, den sie stellvertretende für die ganze Gemeinde wahrgenommen haben? Sie haben - und sei’s in stürmischen Zeiten und unter Gegenwind gewesen - diese Christusgemeinde mit ihren Gemeindegliedern und mit ihren Hauptamtlichen durchgetragen. Dafür sind ihnen viele zusammen mit mir von Herzen dankbar. Sie haben in oft nicht leichten Zeiten eine schwierige Aufgabe mit großem Einsatz und mit Gottes Hilfe bewundernswert wahrgenommen.

Die Nähe zu den großen Herausforderungen, vor denen sie gestanden sind, und die Intensität manchmal noch schmerzender Wunden hat dabei zunächst den Ärger nicht selten näher gelegt als den Stolz. Dennoch: Ihr Einsatz als Älteste, ob nur zwei oder sechs oder zwölf und mehr Jahre - er ist Grund für eine Rückblick in aufrichtige Dankbarkeit und gespanntem Ausblick darauf, was der neue Ältestenkreis daraus macht. Aus der Rolle derer, die Verantwortung tragen für die Arbeit und für das Leitungs- und Lebensklima dieser Christusgemeinde werden sie nun zu Vorläufern; übernehmen sie nun gewissermaßen das Johannesamt. Verweisen sie erwartungsvoll, erleichtert, aber auch klärend auf diejenigen, die ihnen jetzt nachfolgen. Aber ohne Gefühle der Konkurrenz und mit einer geklärten Rollenzuweisung.

Diejenigen, die ganz aufhören, legen womöglich auch eine Last ab. Aber sie legen auch eine wesentliche gemeindliche Aufgabe in andere Hände. Und sie geben einen Raum frei, in dem künftig andere gestaltend für ihre Gemeinde wirken. Im Vertrauen die befreienden Möglichkeiten dessen, dessen Namen diese Gemeinde trägt.


Predigt (2) über Offenbarung 3,1-6



Die zweite biblische Lesung dieses Gottesdienstes führt uns weiter hinein in die Welt der sich gegen Widerstände etablierenden frühchristlichen Bewegung. Der Konkurrenzkampf zwischen Jesus und Johannes wird sich in der Mitte oder am Ende des dritten Jahrzehntes abgespielt haben. Die biblische Offenbarung des Johannes wurde in der Mitte der 90er Jahre des ersten Jahrhunderts niedergeschrieben.

Mehr als andere biblische Bücher ist die Offenbarung ein Buch der Orientierung. Mit klaren Konturen. Eindeutigen Charakteriken, die einteilen zwischen gut und böse. Zwischen hoffnungsvollen und vergeblichen Handlungsszenarien. Ein Buch, das den einen fremd bleibt, während andere gerade hier ihre Antworten finden.

Zeiten der Suche nach Orientierung sind in besonderer Weise auch die unsrigen. Und noch mehr als sonst ist persönliche Bilanzierung und Orientierung in den letzten Wochen des Jahres angesagt. Der Advent - die Zeit der Erwartung - ist gegen den Augenschein immer zugleich auch eine Zeit intensiven Fragens und Suchens.

Der Advent ist die große Gelegenheit, der Eigendynamik des womöglich Unsinnigen Einhalt zu gebieten. Auf Nachdenklichkeit zu setzen anstatt es mit Befreiungsschlägen zu versuchen. Der Advent ist das Angebot einer Zeit der Be-Sinnung wahrhaftig nicht nur in persönlich-erbaulicher Absicht. Nein, sehr wohl auch im Bereich der politischen Verantwortung und des öffentlichen Handelns. Und mehr als wir es noch vor einem Jahr für möglich hielten, haben wir diese adventliche Nachdenklichkeit, dieses adventliche Moratorium im Moment besonders nötig.

Die Predigttexte dieses und des vergangenen Sonntags geben Gelegenheit zu adventlicher Orientierung im apokalyptischen Koordinatensystem. Nicht gleich im weiten Panorama und der übersetzungsbedürftigen Sprache der apokalyptischen Bilder. Nein, viel dezenter, aber kaum weniger klar und schon gar nicht unter Verzicht auf den universalen Anspruch.

Noch einmal können wird in unseren Gedanken das gewaltige Panorama der biblischen Apokalypse entstehen lassen. Die gewaltige himmlische Versammlung vor dem Thron Gottes. Vor dem Thron 24 Älteste mit weißen Kleidern und goldenen Kronen. Vor dem Thron brennen sieben Fackeln und um den Thron herum vier wundersame Gestalten, die einem Löwen, einem Adler, einem Stier und einem Menschen gleichen. Und in der Hand dessen, der auf dem Thron sitzt, ein Buch versiegelt mit sieben Siegeln.

Einem solchen Buch mit sieben Siegeln gleicht die Offenbarung des Johannes für viele ihrer Leser. Gewaltig und zugleich typisch für die einzigartige Bilderwelt der Apokalypse ist schon die Ouvertüre dieses Buches. Johannes, der Seher, der sich auf der Insel Patmos befindet, hört eine Stimme:

- Orgel setzt leise ein -
Thema: Die große Stimme
Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer - Orgel! - Posaune. Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich. Und seine Stimme war wie - Orgel! - großes Wasserrauschen;

Thema: Ich war tot und ich lebe
und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was geschehen soll danach.

- Orgel klingt noch kurz nach -

Die gewaltige Ouvertüre der Johannes-Apokalypse legt bereits wesentliche Teile ihrer Programmatik offen: In starker Bedrängnis - man könnet auch sagen unter starkem Außendruck - nicht nur den Silberstreif am Horizont - nein, auch die sieben goldenen Sterne Gottes entdecken. Und dies nicht irgendwie diffus verschwommen oder allzu abstrakt entschärft.

Nein, die sieben Leuchter repräsentieren zunächst sieben konkrete Gemeinden. Sieben Namen von Städten, die wir in Kleinasien als Ruine oder in Gestalt einer die alte Stadt überbauenden Neugründung bis heute lokalisieren können. Und jede Gemeinde wird mit einem eigenen Schreiben ausdrücklich und individuell angesprochen und derart gewürdigt. In Form einer schonungslosen Bestandaufnahme, im Stil eines urkirchlichen Führungszeugnisses haben wir hier so etwas wie einen Visitationsbescheid aus dem Entstehungsjahrhundert der Kirche vor uns.

Die sieben Städte stehen stellvertretend für die gesamte Christenheit. Und für diese sieben Städte steht jeweils ein Engel, dargestellt in den sieben Sternen. Dieser Engel symbolisiert gleichsam so etwas wie die kollektive, gemeinschaftliche Persönlichkeit dieser Gemeinden. Mit anderen Worten: Was dem Engel geschrieben wird, gilt der ganzen Gemeinde. Und was der Gemeinde geschrieben wird, gilt im Grunde der ganzen Christenheit.

Diese für den heutigen Sonntag ausgewählten Verse stammen aus dem fünften der insgesamt sieben sogenannten Sendschreiben. Zunächst natürlich gelten diese Worte einer verfolgten christlichen Minderheit in der Mitte der 90er Jahre des ersten Jahrhunderts. Und mit Ausnahme des sechsten dieser Briefe wird in allen anderen dieser Sendschreiben vor allem die Laschheit und Wankelmütigkeit der Menschen getadelt. Sie kennen manche der Formulierungen: „Ich werfe dir vor, dass du die erste Liebe verlassen hast!“ Oder an anderer Stelle: „Ich weiß, dass du weder kalt bist noch warm. Ach wenn du doch nicht so lau wärst.“

Hören wir, mit welchen Worten die Gemeinde in Sardes beschrieben wird und welche Veränderungsstrategien ihr vorgeschlagen werden.

Thema: Scheinbar lebendig und doch tot
Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.

Thema: Werde wach und kehre um
Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.

Thema: Weiße Kleider als Zeichen der Wertschätzung bei Gott
Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind‚s wert. Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Beim ersten Hören darf es nicht bleiben. Denn Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. „Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst. Und bist tot.“ Kein Text, der sich eignet als Ermutigung für fünf neue Kirchenälteste und zugleich für diejenigen, die mit ihnen weiter diese Gemeinde leiten und begleiten sollen. Harte und Klare Worte, die wenig Raum lassen, die Dinge auch anders zu sehen. So will ich vor allem eine Ehrenrettung dieses Briefes versuchen. Und so womöglich die Spur bahnen, ihm doch Perspektiven der Lebendigkeit abzugewinnen.

Zunächst: Dieser Text ist nur formal ein Sendschreiben an eine einzelne Gemeinde. Inhaltlich trifft er die Christenheit als ganze - und zwar in dem Maße, in dem sie sich mit Sardes vergleichen lässt.

Sardes ist die alte Residenzstadt der Könige der Lydier. Der bekannteste unter ihnen ist Krösus. Bis heute ist sein Name wegen dessen wohl unermesslichen Reichtums das Synonym für üppigsten materiellen Wohlstand. Das Sardes der Apokalypse ist nicht mehr das den Krösus. Das Reich war längst zuvor untergegangen. Die Stadt durch ein Erdbeben zerstört. Aber die Identifizierung mit der alten Vergangenheit hat überdauert. Und im globalen Vergleich tragen wir im reichen Norden - und tragen auch unsere Kirchen - weit mehr Züge des reichen Sardes, als wir in allen Spardiskussionen oft ahnen und glauben wollen.

Sardes - das ist Kirche in geordneten Strukturen und gesichertem Einkommen. Sardes - das ist die intakte Fassade, das herausgeputzte Schaufenster, hinter dem sich unbewohnbar gewodene Räume und ausgeräumte Regale verbergen. Sardes - das ist Kirche in Sicherheit, aber ohne die Bereitschaft zu prüfen, ob uns das Wasser trägt. Sardes - das ist Kirche mit dem Anspruch des Lebendigen, der nicht mehr eingelöst werden kann. Nein, Sardes ist gewiss nicht überall. Aber die Luft dieser Stadt haben wir alle schon irgendwo eingeatmet.

Gut, tröstlich und gewiss auch weiterführend, dass der Brief nach Sardes nicht nach der Analyse einfach abbricht: „Werde wach und stärke das, was sterben will. Halte fest, was du gehörts hast und was dir übergeben wurde und kehre um.“ In kurzen Worten wird hier ein gemeindliches Überlebens- und Erneuerungsprogramm skizziert.

Und dies in Worten, die durchaus hilfreich sind für die Arbeit des neuen Ältestenkreises in Zusammenarbeit mit allen, die sich dieser Gemeinde verbunden fühlen. Schauen, was ist. Entdecke, was der Förderung und Stärkung bedarf. Bewahren und Ausbauen, was sich auch für die Zukunft als tragfähig erweist. Zugleich aber auch umkehren und aufbrechen. Mutig neue Ufer ansteuern. Mag auch die Vergangenheit das Selbstbewusstsein stärken. Die neuen Ufer liegen immer vor uns.

Die Apokalypse bestätigt, dass das geht. Sie tut dies in einem Bild, das in der Offenbarung immer wieder auftaucht. Das Bild von den weißen Kleidern. Weiße Kleider - sie sind das Symbol der besondern Würdigung. Nicht die weißen Westen der angeblich Schuldlosen. Nein, eher das Festkleid derer, die sich darauf einlassen, das Leben nicht nur zu fristen, sondern zu feiern. Derer, die im krampfhaften Festhalten an dem, was war, das größere Risiko sehen gegenüber dem, aufzubrechen und Sardes hinter sich zu lassen.

Das weiße Stück Stoff - es ist das Lesezeichen in Buch des aufbewahrten Lebens - bei Gott und sichtbar mitten in dieser Welt. Nicht umsonst ist das weiße Kleid bis in unsere Tage das Zeichen der Taufe gewesen. Das Zeichen der Botschaft vom immer möglichen Neuanfang. Das weiße Stück Stoff - es erinnert an das zurückgelassene Tuch des Auferstanden. Und an die Windel als Zeichen des neugeborenen Kindes, von dem die Engel zu den Hirten sprechen. Das weiße Stück Stoff - es müsste eigentlich zum Symbol der Amtszeit des neuen Ältestenkreises werden. Die sichtbare Erinnerung an die Zusage gelingenden Lebens gegen alle Kräfte des Todes.

Auf Zeichen des Lebens können wir stoßen. Weil Gottes Welt mehr ist als Sardes. Dies zu entdecken, ist schon genug Programm für die Zeit des Advent. Und der beste Weg, den Sinn der Weihnacht zu erahnen. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
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