Predigt über Jesaja 40,1-8
gehalten im Gottesdienst mit Pfarrwahl
am Mittwoch, den 19. Dezember 2001
in der Friedenskirche

19.12.2001
Predigttext als Dialog
Sprecher: (zunächst nur Stimme) Bereitet in der Wüste dem Herrn den Weg! Macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Füllt die Täler auf. Ebnet Berge und Hügel ein. Schafft alle Hindernisse aus dem Weg. Der Herr kommt in all seiner Macht und Herrlichkeit. Alle Menschen werden es sehen.

(Pause; Sprecher wendet sich sichtbar an den Prediger): Predige! (Pause!) Predige!
Pr.: Was soll ich predigen? Vergänglich wie Gras ist der Mensch. Und mit all seiner Macht nimmt er kein anderes Ende als die Blumen auf dem Feld. Das Gras verdorrt und die Blumen verwelken, wenn der Herr seinen glühenden Atem darüber wehen lässt.
Sprecher: Das Gras verdorrt. Die Blumen verwelken. Aber das Wort unseres Gottes bleibt für alle Ewigkeit. Darum: predige!
Pr.: Was soll ich predigen?
Sprecher: Rede freundlich mit Jerusalem und predige ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat. Dass ihre Schuld vergeben ist. Abgegolten ist ihre Strafe, die ihr auferlegt war für ihren Ungehorsam. Darum: predige!
Pr.: Was soll ich predigen?
Sprecher: Das sollst du predigen: Freue dich, du Tochter Zion und posaune die gute Nachricht hinaus in die weite Welt. Sage den Städten Judas: Habt keine Angst! Euer Gott kommt. Siehe, euer Gott ist da!

Orgel: Anklingen lassen: Tochter Zion!

Pr.: Das also soll ich predigen: Habt keine Angst! Euer Gott kommt. Euer Gott ist da!

Eine Botschaft - so richtig geeignet für einen Gottesdienst an einem Abend im Advent. Die vorweihnachtliche Stimmung erreicht allmählich ihren Höhepunkt. "In den Herzen wird‚s warm. Still schweigt Kummer und Harm!" Ist es das, was ich predigen soll? Diese Strophe - vielfach hineingetönt aus den Lautsprechern auf den Weihnachtsmärkten?! Der biblische Vorläufer einer modernen Weihachtsschnulze? Nur eben zweieinhalbtausend Jahre älter.

Nichts davon ist wahr, liebe Gemeinde. Das war eine ganz andere Situation damals. Wer hier spricht, wissen wir nicht. Ein uns unbekannter Prophet hat diese Botschaft aufgeschrieben. Und die Jerusalemer Verleger vor der Zeitenwende haben seine Worte eingefügt in das Buch des Propheten Jesaja.

Unbestritten ist unter den Bibelwissenschaftlern, dass ab dem 40. Kapitel des Jesajabuches ein anderer Prophet als Jesaja spricht. Und weil wir seinen Namen nicht kennen, nennen wir ihn der Einfachheit halber den zweiten Jesaja. Ganze 16 Kapitel ist sein Büchlein groß. Es reicht von Kapitel 40 bis Kapitel 55 des Jesjabuches.

16 Kapitel, die es in sich haben. Nicht nur, weil in ihnen - im Unterschied zu den meisten Prophetenbüchern - kein Unheil angekündigt wird. Nicht nur diese happyend-Stimmung hebt dieses Buch heraus aus der Reihe der übrigen alttestamentlichen Schriften. Unbestritten ist es der biblische Beststeller bei den neutestamentlichen Autoren. Kein anderes Buch wird im Neuen Testament so häufig und an so zentralen Stellen zitiert.

Der Ruf, den wir eingangs gehört haben: Bereitet in der Wüste dem Herrn den Weg! Macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Das ist Urgestein der Botschaft aus dem Mund dieses unbekannten Propheten. Die Evangelisten haben diesen Satz dann einfach auf Johannes, den Täufer bezogen. Und dabei dann noch die Satzzeichen falsch gesetzt. Es ist nicht die Rede vom Prediger, der in der Wüste ruft, wie uns die Evangelisten glaubhaft machen wollen. Die Wüste, das ist der Ort, durch den hindurch der Weg gebahnt werden soll. Und das ist doch noch einmal etwas anderes.

Der Weg durch die Wüste: Das ist das Thema unseres Propheten. Und das nicht ohne Grund. Die Wüste, das ist die Landschaft, die Israel von Babylon trennt. Israels Führungselite sitzt in Babylon in der Verbannung. Der erste Schub seit dem Jahre 597 vor Christus. Der zweite zehn Jahre weniger.

Eine Änderung der Verhältnisse ist nicht in Sicht. Was den Gefangenen in Babylon bleibt, das sind die inneren Videos einer besseren Vergangenheit. Die bessere Zukunft: es gibt sie nur in den Köpfen. Die Wirklichkeit ist ohne Silberstreif am Horizont.

Der zweite Jesaja räumt auf mit dieser inneren Emigration. Es ist soweit!, sagt er. Die Zukunft hat längst begonnen. Und der, mit dem die Zukunft begonnen hat, das war Kyros. Kyros, der Heilsbringer!

Eigentlich war dieser Kyros schlicht der König der Perser, die als neue Großmacht im vorderen Orient die Babylonier ablösten. Mit jüdischen Augen betrachtet genauso ein Heide wie die babylonischen Könige vor ihm. Nur: Gott stört sich wenig daran. "Kyros, meinen Gesalbten, habe ich bei seiner rechten Hand ergriffen. Völker ergeben sich ihm und Türen gehen vor ihm auf." Nachzulesen beim zweiten Jesaja, Kapitel 45.

Kyros, mein Gesalbter! Das hebräische Wort für den Gesalbten Gottes ist "Meschiach": Messias. Das griechische Wort dafür ist Christus. Kyros, der Heide, der Christus und Messias Gottes. Unglaublich ist das. Da werden Schablonen über den Haufen geworfen. Da brechen vertraute Paradigmen und bewährte Denkmuster einfach zusammen. Was zuvor ein Tal war, wird zur Anhöhe. Und der Berg zur Ebene.

Im Umgang mit Andersdenkenden ist Gott weit weniger änsgtlich als wir ahnen. Auch als wir in der Kirche. Ob Kyros zum Gesalbten Gottes wird, hängt davon ab, dass er Gott ins Konzept passt. Dass er oder sie zum Träger und zur Trägerin einer Botschaft wird.

Der, den wir als den Gesalbten Gottes bekennen, Jesus aus Nazareth, auch er liegt quer zu den Messias-Hoffnungen seiner Zeit. Mit der Priesterkaste in Jerusalem hat er ebenso wenig im Sinn wie mit dem Widerstand gegen die Römer. Die Frommen schelten ihn einen Fresser und Säufer. Seine Tischgenossen sind die Verachteten im Land. In der Wüstenei des Lebens der kleinen Leute bahnt er einen Weg für Gott, den er liebevoll seinen Vater nennt. Und selbst sein Ende kann seiner Botschaft den Weg nicht versperren. Jesus, der Narr aus Nazareth wird zum Ursprung einer weltweiten Bewegung gegen alle lebensbedrohenden Mächte: Freue dich, du Tochter Zion! Hab keine Angst. Siehe, dein Gott ist auf deiner Seite!
Die Botschaft des zweiten Jesaja wurde wahr. Kyros entlässt die Exilierten in die Freiheit. Den Wideraufbau des Tempels in Jerusalem lässt er mit beträchtlichen finanziellen Mitteln fördern. Das war damals.

Was aber soll ich predigen? Was soll ich predigen über Babylon, das nur ein Schatten war gegenüber Auschwitz und Majdanek. Dessen Knechtschaft im letzten Jahrhundert schlimmer war als je zuvor in seiner Geschichte.

Eines ist sicher: An die Nachfahren der einst nach Bayblon Verschleppten habe ich nichts zu predigen. Haben wir Christen nichts zu predigen. Bestenfalls schweigend um Vergebung zu bitten. Dabei vielleicht hoffend, Gott könnte am Ende auch diesen Berg der Schuld einebnen. Und das Tal der Tränen anfüllen mit den Früchten von den Bäumen im Hain der Gerechten.

Was soll ich predigen, wenn ich die Nachrichten von immer neuer und immer mehr sich ausweitender Gewalt auch zwischen Bethlehem und Jerusalem nicht mehr ertrage? Und doch kaum einen Weg sehe, meine Friedenshoffnung für Israel-Palastina Flügel zu verleihen.

Was soll ich ihnen, den Ältesten dieser Gemeinde predigen vor der schwierigen Entscheidung vor der sie jetzt gleich stehen? Womit soll ich ihnen Mut machen, wenn sie den Sprung wagen und darauf vertrauen sollen, dass es am Ende immer darauf ankommt abzuwägen, ob der Bote oder die Botin die Botschaft, die sie auszurichten haben, eher verstellen oder eher fördern.

Was soll ich predigen? Doch sicher dies: Tröstet, tröstet mein Volk. Euer Gott kommt. Euer Gott ist da - er ist längst in eurer Mitte.

Ich bin nicht der zweite Jesaja. Aber eines fällt mir auf. Dieser Prophet besticht durch seine Sachlichkeit. Er lässt sich in die Pflicht nehmen. Und widersetzt sich allem Krisengerede. Und er predigt, was er im Grunde selber nur glauben, aber nicht sehen kann: Brücken sieht er, wo wir uns noch vom Graben schrecken
Lassen. Aus Quellen trinkt er, wo wir nur die Wüste vor Augen haben. Grenzen öffnet er, wo wir nur Mauern sehen. Auf Menschen setzt er, die wir in unseren Plänen nicht oder nicht mehr auf der Rechnung haben.

Auf Gott warten und Advent feiern heißt dann vor allem dies: Sehen lernen gegen den Augenschein. Noch in der Wüste leben und schon dort die Spur des Lebens entdecken lernen. Die Zukunft Gottes unter uns - sie hat längst begonnen.

Das also will ich predigen: Freue dich, denn dein Gott kommt. Jauchze laut, denn dein Gott ist da! Amen
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.