Predigtreihe über das "Glaubensbekenntnis"
- Predigt über den ersten Glaubensartikel -
gehalten am Sonntag, den 17. Juni 2001 in der Ludwigskirche in Freiburg

17.06.2001

Gott, Geister, Götzen - Das war das Thema im Nachtcafé in S3 am vergangenen Freitagabend. Engelgläubige und Schamanen, ein Parapsychologe und ein sektenkundiger katholischer Pfarrer diskutierten mit Wieland Backes die "neue Sehnsucht nach dem Glauben" - so der Untertitel der Sendung.

Glauben, an Gott glauben, liebe Gemeinde, können wir das heute überhaupt noch? Unsichtbar, verborgen, bis zur Unkenntlichkeit entstellt in seinem millionenfach geschundenen Ebenbild, dem Menschen. Können wir da noch an Gott glauben - gar an einen gütigen Gott?

An Gott glauben - können wir das noch angesichts der revolutionären Veränderungen unseres Weltbildes zwischen Aufklärung und Postmoderne. Nach Ludwig Feuerbach und Karl Marx -nach Albert Einstein und Sigmund Freud. Nach Auschwitz und Archipel Gulag. An Gott glauben - ist das überhaupt noch eine Alternative, wo der Mensch längst angefangen hat, selber die Rolle Gott spielen zu wollen.

Eine Fülle von Möglichkeiten gäbe es, sich der Gottesfrage zu nähern. Wir könnten versuchen, über allgemein-spekulativ-theologisches Nachdenken zum Kern der Gottesfrage vorzudringen. Mittels alter oder womöglich neuer Gottesbeweise könnten wir die Reflexion über Gott plausibel zu machen versuchen. Auf dem Weg der natürlichen Theologie könnten wir uns einmal mehr auf den Weg der Erkenntnis Gottes in Natur und Geschichte verlocken oder gar verführen lassen. Erkenntnisse der Religionsgeschichtlicher könnten allgemein-religiöse Konstanten des Gottesglaubens offen legen. Von den Religionssoziologen wäre vieles über den religiösen oder glaubensbezogenen Minimalkonsens all derer zu erheben, für die der Gottesglaube relevant ist.

All dies wären denkbar und würde uns den Blick in ungeahnte Tiefen oder Höhen ermöglichen. Ob es uns dem Gottesglauben näher brächte, bliebe allemal offen. Wir könnten im Sinne klassisch-christlicher Theologie von der Erkenntnis der Präsenz Gottes in Christus Aussagen über die Existenz und das Wesen Gottes wagen und uns dabei auf‚s neue von der enge und unauflösliche Verzahnung von Theologie und Anthropologie faszinieren lassen.

Warum nicht den einfachen Weg wählen? Warum nicht unser Fragen nach Gott dem Glauben derer anzuvertrauen, die vor uns nach Gott gefragt haben. Die vor uns fröhlich in dieser Welt aus ihrem Glauben gelebt; die Gott ihre Not entgegengeschrieen haben - ja, nicht selten an der Verborgenheit dieses Gottes fast verzweifelt sind. Warum sich nicht in den Worten anderen bergen, wenn wir selber nur mühsam nach Worten ringen!

Ein, ja der zentrale Text unseres Glaubens ist das Apostolische Glaubensbekenntnis. Millionenfach gesprochen in den sonntäglichen Gottesdiensten seit mehr als einem Jahrtausend. Nicht selten inflationär dahin gesagt und so Urkunde einer Gewöhnungskirche. Ein Lebenstext - oft seines Sinnes beraubt und zum Nichtssagenden degradiert. Und dennoch voller Wegweisung für einen Glauben, der Sinn macht gegen den Augenschein. Worte, die gelingendes Leben möglich machen.

Über den ersten Teil des Glaubensbekenntnisses - den ersten Artikel wie wir Theologen sagen - will ich heute predigen. Und mit den einleitenden Gedanken über die Möglichkeit des Gottesglaubens sind wir bereits im Thema der ersten beiden Worte des Glaubensbekenntnisses: - "Ich glaube".

Im Rahmen der Liturgie haben wir unseren Glauben schon einmal gemeinsam bekannt - haben wir das Apostolikum miteinander gesprochen und gebetet. Noch einmal will ich den diesen ersten Teil in Erinnerung rufen:

Ich glaube
an Gott
den Vater,
den Allmächtigen
den Schöpfer
des Himmels
und der Erde


In einer mittelalterlichen Predigt lesen wir, wie sich die Menschen die Entstehung des Glaubensbekenntnisses vorgestellt haben. Da heißt es: "Am zehnten Tag nach der Himmelfahrt, als sich die Jünger ... versammelt hatten, sandte der Herr ihnen den verheißenen Paraklet. Bei seiner Herabkunft wurden sie entflammt wie glühendes Eisen und, da sie mit der Kenntnis aller Sprachen erfüllt waren, verfassten sie das Glaubensbekenntnis.

Petrus sagte: "Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater .. Schöpfer des Himmels und der Erde." Andreas fuhr fort: "Und an Jesus Christus, seinen Sohn". Und dann wird im weiteren Verlauf der Predigt der Text des Glaubensbekenntnisses auf alle Apostel aufgeteilt.

Wir wissen heute, dass die Geschichte der Entstehung des Glaubensbekenntnisses ganz anders war. Im Grunde ein hochkomplizierter Redaktions-Prozess. Eine Vorform des Apostolikums gab es bereits im Rom des 3. Jahrhunderts. Die heute übliche und vertraute Form des Apostolikums datiert allerdings erst aus dem 7 Jahrhundert, so fixiert vermutlich in Südwestfrankreich.

Das Nicaenische Glaubensbekenntnis - im wesentlichen im Konzil von Konstantinopel 381 festgelegt, ist als größere und ältere Schwester im Grunde von größerer Bedeutung - uns aber gottesdienstlich längst nicht so vertraut. Der erste Artikel lautet dort:
    Wir glauben an den einen Gott,
    den Vater, den Allmächtigen,
    der alles geschaffen hat,
    Himmel und Erde,
    die sichtbare und die unsichtbare Welt.
Nur in drei Punkten unterscheiden sich die beiden Texte. Beginnt das westliche Apostolikum mit "ich glaube", so bekennt das ostkirchliche Nicaenum schon im ersten Wort den gemeinsamen Glauben, in dem es mit "wir" beginnt.

Im Blick auf Gott wird bewusst der Glaube an den "einen Gott" betont, um im Sinne des Monotheismus allen möglichen Ansprüchen anderer Gottheiten mit der Bestreitung des grundsätzlichen Existenzrechtes entgegenzutreten. Über den Wortlaut des Apostolischen Glaubensbekenntnisses hinaus erläutert das Nicaenum Himmel und Erde als "sichtbare und unsichtbare Welt".

In diesen Worten - den älteren oder den jüngeren - haben die Menschen ihren Glauben angemessen zur Sprache gebracht gesehen. So sehr, dass schon im vierten Jahrhundert die Rede vom Symbol des Glaubens aufgekommen ist. Das Glaubensbekenntnis - das Symbol unseres Glaubens. Begrenzte Worte, in denen wir das Ganze des Glaubens erkennen. Worte, in denen der Glaube der Kirche, der Glaube derer, die vor uns waren, und unserer eigener Glaube gleichsam zusammenfallen. Zur Deckung gebracht werden. Eben das meint ja auch die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Symbol.

Sind diese Worte auch noch Symbol unseres Glaubens. Können wir so glauben am Anfang des 3.Jahrtausends? Stellt der Glaube an Gott - festgehalten mir diesen Worten - für uns noch eine redliche Möglichkeit dar?

Gleich mehrere Hürden will ich nennen, die es heute schwer machen, Elemente eines scheinbar zeitgemäßen Gottes-Glaubens mit dem alten Glaubenssymbol in Deckung zu bringen. Und indem ich von Hürden spreche, ist die Möglichkeit, dass diese am Ende zwar hinderlich, aber nicht unüberquerbar sind, gleich mitvorausgesetzt.

Da ist zunächst der Glaube an Gott, den Vater. Anstößig ist diese Anrede geworden. Unübersehbares Indiz eines männlich geprägten Gottesbildes. Eine Einseitigkeit mit Folgen, deren Aufarbeitung uns bis heute in Beschlag nimmt. Ein Weg, mit dieser Einseitigkeit unseres Gottesbildes umzugehen, könnte aber dennoch sein, ihr eine kritische Funktion zuzugestehen. Etwa in der Weise, dass wir davon absehen, unsere Väterbilder, unser unbestreitbar viel zu oft einseitig patriarchalisch geprägtes Denken, einfach auf Gott übertragen.

Denkbar ist doch auch der umgekehrte Weg. Von dem, was wir mit Gott verbinden - Liebe, Offenheit, schöpferische Kraft - könnte so einiges zurückwirken auf uns Menschen. Auch auf uns Männer. Gott ist das Modell. Der Mensch - geschaffen als Mann und Frau - sein Spiegelbild. Ein hoher Anspruch ist das, den wir nur allmählich und in Fragmenten einholen. So wissen wir uns mit dem Bekenntnis zu Gott dem Vater in das Gebet Jesu an den, den er zärtlich Vater nennt, hineingenommen. Und es ist uns unbenommen, unser Gottesbild um liebevollen mütterliche Züge zu ergänzen. Und dies ganz im Sinne der Bibel Jesu, der wusste, was etwa beim Propheten Jesaja nachzulesen war: Wie eine Mutter sich ihren Kindern zuwendet, so wende ich, Gott, mich denen zu, die mit mir rechnen.

Mehr Mühe könnte und das Bekenntnis zur Allmacht Gottes machen. Gottes Allmacht ist nicht nur eine Hürde. Sie kann zum Fallstrick werden, wenn wir sie ohne seine Barmherzigkeit bekennen. Wie können wir uns angesichts einer lückenlosen Kette von Krankheit und Krieg, von Verfolgung und Unterdrückung, von Gewalt und Tod zu Gottes Allmacht bekennen? Ist seine Allmacht eine, von der Gott keinen Gebrauch macht.

Die Frage nach dem Ausbleiben des göttlichen Eingreifens - herbeigesehnt und herbeigerufen - sie lässt sich mit wenigen Worten nicht aus der Welt schaffen. Nicht einmal mit vielen. Die Tradition christlicher Theologie hat lange - zu lange - gemeint - über Gott nur in an den Himmel projizierten Allmachtsphantasien reden zu können. Mag Gott allmächtig sein - wichtiger ist, dass diese Allmacht Gottes keine absolute ist - keine, die nur an sich besteht. Ja, der Glaube an den Allmächtigen ist anders als im Bekenntnis, im Eingestehen vielfacher Ohnmacht gar nicht zu ertragen. Vielmehr noch als allmächtig ist Gott barmherzig - und das ist gut so. So bleibe ich in diesem großen Bekenntnis der Kirche auch in meinem kleinen Glauben aufgehoben.

Dass wir Gott als Schöpfer bekennen, beschreibt nicht nur die zentrale Aussage des ersten Artikels. Es ist auch die Brücke zu den anderen monotheistischen Religionen - zum Judentum ohnedies, denn der Grundpfeiler dieser Brücke findet sich in der hebräischen Bibel. Es ist eine Brücke aber auch zum Islam - eine Brücke, deren Tragfähigkeit wir noch lange nicht hinreichend ausgetestet haben. Der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann hat vor einiger Zeit die These vertreten, der Monotheismus sei mit seinem universalen Wahrheitsanspruch die Ursache der Unkultur von Krieg und Gewalt. Wenn er nicht recht haben soll, müssen wir ihn als Angehörige der monotheistischen Religionen durch unsere Lebens- und Glaubenspraxis erst einmal vom Gegenteil überzeugen.

Der vermeintlichen Widerspruch zwischen dem Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer und den Weltentstehungstheorien der modernen Naturwissenschaft ist schon vielfach einleuchtend bestritten und mit guten Argumenten aufgehoben worden. Gott als den Schöpfer zu bekennen setzt unserem Erkenntnisdrang keine Grenzen. Es beflügelt ihn vielmehr.

Bedeutsamer - und oft übersehen - finde ich, dass Gott nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel geschaffen hat. Diesen Teil des Bekenntnisses kann ich nur so verstehen , dass der Himmel kein abgehoben-göttlicher und damit unserer Welt entgegengesetzter Lebensraum ist. Der Himmel ist Gottes gute Schöpfung - so, wie Gott sie gemeint hat. Ob unser Lebensraum uns zum Himmel wird, ist eine Frage der Perspektive - und damit eine Frage unserer Gottessicht und unserer Weltsicht. Und damit eine Frage unseres Glaubens. Weil Gott auch den Himmel geschaffen hat, kann er auch für uns zur Möglichkeit werden.

Die Schönheit unsere Erde gegen allen Widerstand und gegen alles Machtgehabe zu pflegen und zu bewahren - das war in den vergangenen Jahrzehnten die Erkenntnis eines neues Weges, um den Glauben an Gott zu bekennen. Und es gilt, diesen Weg weiterzugehen. Den Menschen vor dem Menschen in Schutz zu nehmen - vor seinen Gelüsten, den Wert des Lebens selber zu bestimmen; ihn zu bewahren vor dem Ansinnen, sich selber als Schöpfer übernehmen zu wollen - das ist heute und wohl womöglich auch morgen die derzeit notwendigste Form des Bekenntnisses zu Gott, dem Schöpfer.

Der Glaube an Gott - er bleibt als Lebens-Möglichkeit; als Angebot, tragenden Sinn in unserem Leben zu finden. Aber immer heißt Glauben zugleich springen. Heißt Vertrauen haben oft gegen den Augenschein. Heißt verzichten und auswählen und gerade darin aus der Fülle zu schöpfen. Heißt, seine Sicherheit aus der Ungewissheit zu gewinnen. Immer wieder heißt Glauben auch, ein übriges tun und nicht nur das, was Aussicht hat auf Erfolg und öffentliche Anerkennung.

Darum werbe ich auf‚s neue für das Wagnis eines solchen Glaubens an diesen Gott - weil Gott mit all seiner Macht nichts anderes will, als dem Leben zum Durchbruch zu verhelfen - selbst dann, wenn mir der Glaube durch die Finger rinnt. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.