Kurze Predigt über Matthäus 26,6-13
gehalten am Gründonnerstag, den 27. März 2002
in der evangelischen Kirche in Umkirch

27.03.2002
Wo, liebe Gemeinde, ist unser Platz in der Passonsgeschichte? Welche Rolle würde ich gerne spielen? Mit welcher Person könnte ich mich am besten identifizieren, wenn ich in einem Passionsspiel mitzuwirken hätte. Wem würde ich den Oskar für die bedeutenste Nebenrolle verleihen?

Von den Nebenrollen nämlich will ich jetzt sprechen. Nicht von Kaiphas, dem Hohenpriester. Nicht von Pilatus, dem römischen Statthalter. Schon gar nicht von Jesus, um den sich alles dreht in diesem Stück.

Andere Rollen wären mir wichtig. Die Rolle des Petrus vielleicht, der doch zumindest sehr viel guten Willen zeigt. Und der selbst bei der dreimaligen Verleugnung in guter Absicht handelt. Ich möchte ihn nicht großmäulig nennen. Es war ihm ernst mit dem, was er sich vorgenommen hatte: Und wenn dich die anderen im Stich lassen. Auf mich kannst du dich verlassen. Und der sich am Ende dann doch übernimmt mit seiner gutgemeinten Absichtserklärung.

An die Rolle des Judas könnte man denken. An den, der bei uns so schnell den Beinamen „der Verräter“ weg hat. Vielleicht kennen einige von ihnen das Stück über Judas, das Walter Jens geschrieben hat. Er hat den Fall Judas neu aufgerollt. Musste Judas nicht so handeln, fragen sich einige in diesem Stück. Schließlich beruht ein wesentlicher Teil unseres Glaubens auf unserem Verständnis des Todes Jesu. Ohne Judas keinen Karfreitag. Ohne Karfreitag kein Ostern. Judas tat nur, was er tun musste. Uns allen zugut. Daher der Verrat mit einem Kuss. Dem Zeichen der Freundschaft: „Ich musste es doch tun“, sagt der Judas in dem Theaterstück. „Aber ich liebe dich doch, Jesus!“

Gewagt ist diese Deutung allemal. Aber doch auch des Nachdenkens wert. Doch auch Judas ist mir noch zu wichtig. Die scheinbar unwichtigen Rollen, die Nebenrollen, sie tragen oft die Hauptlast des Gschehens.

Für mich kommen für diesen besonderen Oscar nur zwei Personen in Frage. Zwei Menschen – ein Mann und eine Frau – tragen auf ihre je unterschiedliche Weise Entscheidendes bei, um den Sinn der Passion Jesu zu begreifen.

Der eine ist ein römischer Hauptmann, eine Heide aus dem Blickwinkel von Juden und Christen. Als Jesus gestorben war, ist er es, der ausspricht, was den meisten anderen, die dabei waren entgeht. „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.!“ Viel zu selten haben wir diesen Mann im Blick.

Um die andere entscheidende Nebenrolle ging es in der Lesung. Um eine Frau, die bei Matthäus nicht einmal eines Namens würdig ist. Er bleibt ihn uns schuldig.

Der Evangelist Johannes meint, es sei Maria gewesen, die Schwester des Lazarus und der Martha. Maria, die Frau, die einfach nur zuhört, während Martha das Vernünftige tut, nämlich den Haushalt auf Vordermann zu bringen. Schließlich ist Besuch da. Und die dafür bei Jesus dann sogar noch auf Undank stößt: „Lass doch dein eifriges Hantieren, Martha. Mach’s wie Maria und höre mir zu. Jetzt bin ich da. Alles andere kann doch warten.“

In der Geschichte, um die es heute geht, tadelt Jesus erneut das scheinbar Vernünftige. Und wieder mit dem Argument: „Dafür habt ihr noch lange genug Zeit. Heute kommt’s wieder nur auf ist mich an. Nur darauf, dass ihr mir eure ungeteilte Zuwendung schenkt.“

War es beim ersten Mal die Zeit, so ist es dieses Mal das Geld. Was hätte man damit nicht alles machen können. Das ist doch Verschwendung. Maria. Die Verschwenderin. Hören wir ihr doch einfach zu, wie sie von dieser Begegnung erzählt:

Maria

Ich hatte Jesus damals gesucht. Im Hause Simons sei er, sagte man mir. Simon, den Aussätzigen, nannten sie ihn. Obwohl er längst geheilt war von dieser schrecklichen Krankheit. Jesus hatte ihn geheilt. Zuletzt hatte ich Jesus dann doch gefunden. Mitten in einer großen Runde von Männern saß er. Beim Essen.

Ich bahnte mir den Weg zu ihm. Neugierige, zum Teil auch böse Blicke trafen mich. Männerblicke. Und erst recht, als ich dann ganz nah bei Jesus war und mein Fläschchen aus der Tasche zog. Nardenöl war darin. Wunderbares, teures Nardenöl. Mein ganzes Geld hatte ich dafür ausgegeben. Aber für Jesus war mir nichts zu teuer. Ich goss ihm das Öl über den Kopf. Die Blicke der Männer, die daneben saßen – sie waren kaum mehr auszuhalten. Viel deutlicher waren sie, als Worte es je hätten sein können.

Dabei wollte ich Jesus nur etwas Gutes tun. Könige wurden doch früher bei uns gesalbt. Priester. Und Propheten. Was interessierten mich Könige, Priester und Propheten. Nichts bedeuteten sie mir im Vergleich zu Jesus. Erst bei ihm hatte ich begriffen, wie schön das Leben doch sein kann. Und ich hatte begriffen, was Freiheit meint. Und dass er Lazarus wieder lebendig gemacht hat – meinen Bruder. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar.

Aber diese Blicke! Alle haben sie auf ein Wort von Jesus gewartet. Alle dachten sie: Das lässt er sich nicht gefallen. So eine Verschwendung. Hätte sie doch eine Spende gemacht. Judas wäre froh gewesen, die Kasse der Jünger etwas aufzubessern. Stattdessen kippt sie das Geld einfach aus. Verschwendung. Nichts als Verschwendung. Dass die immer nur Bilanzen im Kopf haben. Ich hatte meine Dankbarkeit im Kopf. Meine Dankbarkeit gegenüber der neuentdeckten Schönheit des Lebens. Meine Dankbarkeit gegenüber Jesus.

Und Jesus? Er sah mich an. Und er lächelte. „Du hast recht gehandelt“, sagte er. Wieso sollen wir nur die Toten salben. Du hast’s zu meinen Lebzeiten getan. „Und im übrigen“, wandte er sich jetzt an die Männer, „woher wisst ihr, wie lange ich noch am Leben bin? Ich bin sicher: Die, die mir nachstellen, werden bald nach mir greifen.“

Vielleicht habe ich das letzte gute Werk an ihm getan, bevor sie ihn getötet haben. Dann war ich um so mehr im Recht. Dann habe ich genau das Richtige getan.“


Wissen sie jetzt, warum mir soviel liegt an dieser Maria? Sie hat das Richtige getan. Sie hat, als es drauf ankam, darauf verzichtet, alles nur unter dem Gesichtspunkt des Vernünftigen zu sehen. Nein, was sie getan hat, hat sich nicht gerechnet. Wirtschaftlich zumindest nicht. Menschlich allerdings schon.

Im rechten Augenblick wusste sie, worauf es ankommt. Wusste sie es wieder. Wie damals, als sie die Aufgaben der häuslichen Ökonomie einfach liegen ließ. Damals hatte sie das gute Teil erwählt. Und dieses Mal wieder. Und wieder gegen alle Gesetze des Üblichen und des Gewohnten. Auch des Erwarteten. Maria hat nach den Gesetzen derer gelebt, die nach Gott fragen. Nach den Gesetzen, die die Welt tatsächlich zum Guten hin verwandeln können.

Nein, es ist keine Nebenrolle, die ihr zugedacht wurde. Wenn wir leben lernen – so wie diese Maria – dann könne wir die Hauptrolle spiele. Zuallererst in unserem eigenen Leben.

Kein Wunder also: Wo immer heute die Rede ist von er neuen Welt Gottes, da wird man erzählen, was diese Frau es sich einst kosten ließ, das Richtige zu tun. Davon reden wird man. Und davon singen.

Kommt! Mit euren Gaben. Und mit eurem Lobgesang. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.