Predigt über Römer 8,1.2(3-9)10.11
gehalten am Sonntag, den 19. Mai 2002 (Pfingsten)
in Gottenheim und Bötzingen

19.05.2002
Predigttext
So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

(Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht. Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.)

Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.



Liebe Gemeinde!

1. Höchste Zeit, Pfingsten wieder richtig feiern zu lernen. Höchste Zeit, das Pfingstfest wieder herauszuholen aus der Rolle des ewigen Dritten in der Abfolge der kirchlichen Hauptfeste – erst Weihnachten – dann Ostern – und irgendwann dann auch noch Pfingsten.

Weihnachten ist das Hauptfest unter den Christusfesten. Das Fest der Geburt eines Kindes im armseligen Unterschlupf – es rührt die Gemüter. Auch die Gemüter der nicht- oder nicht mehr sonderlich an der Kirche interessierten. Weihnachten setzt auch bei den Hartnäckigsten den Willen zur Hilfsbereitschaft frei. Den Engeln, die den Frieden auf Erden verkündigen, können sich auch die Verächter der Religion nicht so leicht entziehen. Lichter – angezündet in der dunkelsten Zeit des Jahres – sie tun gut, auch wenn sie zunehmend weniger von christlichem Öl am Brennen gehalten werden. Das Fest der Weihnacht ist längst das größte Fest-Geschenk der Kirche an die Menschheit.

Der Blick auf das Osterfest bringt eher schon weniger Erfreuliches und Überzeugendes zu Tage. Österlicher Schmuck ziert ab dem Aschermittwoch Fenster und Sträucher. Österliche Produkte füllen schon lange zuvor die Regale der Geschäfte. Ostern ist – so hat man den Eindruck - zum Fest des aufbrechenden Lebens geworden. Das laue Band des Frühlings flattert munter durch die Lüfte. Denn das Osterfest ist radikaler verweltlicht als Weihnachten. Kommt das Christkind im Umfeld von Weihnachten immerhin noch irgendwie vor – das Interesse am leeren Grab ist da bei vielen unserer Zeitgenossen schon viel geringer. Tot ist tot. Und wer einmal im Grab war, lässt es eben nicht leer zurück.

Und heute: Pfingsten. Das Fest fünfzig Tage nach Ostern. Pfingsten raubt uns keiner mehr. Pfingsten will – so scheint es manchmal – schon gar keiner mehr so richtig haben. Nur beinahe erkaltete Pfingst-Asche erinnert noch an das einst lodernde Feuer. Bisweilen sogar schon säuerlicher Most lässt von der einstigen pfingstlichen Geist-Trunkenheit kaum mehr etwas erahnen. Es ist wirklich höchste Zeit, wieder Pfingsten zu feiern!

2. Das war nicht immer so. Das erste Pfingsten – damals in Jerusalem – wir haben es in der Lesung gehört - es wurde nicht gefeiert. Es hat die Menschen einfach überwältigt. Der Geist weht eben wo er will. Und wer von diesem Geist ergriffen ist, hat Mühe, etwas dagegen zu setzen. Noch ehe die Menschen das Fest der Weihnacht gefeiert haben, war Pfingsten. Geschah ein neuer Anfang in einem neuen Geist. Noch ehe Theologen die Osterereignisse bedacht und nach dem Grab gesucht haben, war Pfingsten. Neues Leben noch mitten im Alten.

Pfingsten, das ist das ist die Konsequenz aus Weihnachten und aus Ostern. Pfingsten ist Leben aus Gottes Geist. Leben, das den Geist der Sachzwänge, des Machbaren und des Berechenbaren in die Schranken weist. Die Weltzugewandtheit Gottes und die Hoffnung auf Leben jenseits der Grenze des Todes – sie haben Folgen für unsere Art zu leben. Sie entgrenzen unser Schablonen-Denken. Sie heben unsere Kleinkariertheit und unsere Engherzigkeit auf. Sie ermöglichen eine neue Sicht; ein neues Handeln; ein Leben nach neuen Vorgaben. Manchmal gegen alle Gesetzmäßigkeiten der Vernunft. Und schon gar gegen alle abgesicherten Prognosen.

3. Als Zugangsmöglichkeit zu einem besseren Verstehen des Pfingstfestes ist auch der heutige Predigttext gedacht. Er beginnt gleich im ersten Satz mit einem befreienden Paukenschlag.

„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Wie in einer Überschrift enthält dieser Satz schon die ganze befreiende Wahrheit. Was noch folgt, ist gewissermaßen nur noch die Erläuterung. In großartigen Worten beschreibt Paulus einen fundamentalen Gegensatz. Auf der einen Seite steht das, was Paulus das Gesetz des Fleisches nennt. Feindschaft gegen Gott, Sünde, der Tod – das sind die zentralen Begriffe, mit denen er die Situation des Menschen unter dem Gesetz des Fleisches beschreibt.

Doch Vorsicht: Das Gesetz, das ist für die jüdischen Zeitgenossen des Paulus nicht anders wie für die heute lebenden Menschen jüdischen Glaubens der Zugang zum Leben. Gottes Willen erkennen und erfüllen, das ist für sie der Weg, um Gottes Gerechtigkeit zu verwirklichen. Das haben wir anzuerkennen und zu respektieren.

Jüdische Gläubige haben einen positive Vorstellung vom Sinn des Gesetzes. Gesetz meint für sie nicht in ersten Linie Verbot. Meint nicht die einfach Grenze, auf deren Überschreitung postwendend die Strafe folgt. Gesetz meint für sie den Freiraum, Gottes Willen in dieser Welt einen Ort zu geben. Meint die Möglichkeit, das Gesetz zu erfüllen.

Optimistisch denkt das Gesetz von den Möglichkeiten des Menschen. Und wir sollten dieses Bemühen nicht gering achten. Paulus kennt diese lebendige Kraft des Gesetzes auch. Genau darum loht es sich, auch noch genauer auf ihn zu hören

Denn trotz offensichtlicher Erfolge misstraut Paulus seinen eigenen Möglichkeiten. Gerade auch aus eigener Erfahrung. Das Leben wird zur Forderung. Und leicht auch zur ständigen Überforderung. Zur Ursache ständigen Versagens. Unablässigen Scheiterns. Grund für Verdammnis, wie Paulus in seiner durchaus drastischen Art zu formulieren festhält. Es stimmt. Allzu leicht steht der Glaube in der Gefahr, als Leistungsschau missverstanden zu werden. Und – weil man seinen Forderungen nicht genügt – auch als Ursache permanenten Scheiterns. Daher bringt Paulus noch eine ganz andere Kategorie ins Spiel. Leben aus dem Gesetz ja – aber auf keinen Fall aus dem Gesetz des inszenierten Erfolges und der permanenten Erfüllung.

Paulus lebt aus einem ganz anderen Gesetz. Dem Gesetz des Geistes wie er es nennt. Oder auch dem Gesetz der Liebe.

4. Gelingendes, glückendes, ja beglückendes Leben ist Geschenk. Ermöglicht durch den, dessen Auferstehung wir an Ostern gefeiert haben. Leben als Verwirklichung dessen, was Jesus von Nazareth, der Christus Gottes, uns vorgelebt und uns an neuen Lebensmöglichkeiten offen gelegt hat. Leben im Vertrauen auf die lebendigmachenden Kraft der Auferstehung. Leben in Christus, wie Paulus dies an anderer Stelle einfach nennt.

Es ist der Geist – es ist Gottes Geist! -, der dieses Leben möglich macht. Es ist die befreiende Erfahrung, dass das Leben trägt. Dass wir zur guten Tat, zur Verwirklichung der Nächstenliebe, fähig sind. Nicht die umwerfende Erfahrung macht für Paulus die Erfahrung des Geistes möglich. Nicht der Ausstieg aus der Welt der Erfahrung des Möglichen. Sondern die alltägliche Gottesbegegnung. Die Erfahrung, dass sich das Unfassbare - der Unfassbare! – zu erkennen gibt innerhalb seiner Schöpfung. Und zutiefst in Jesus Christus, in dem wir Gottes Gegenwart in nicht mehr zu überbietender Weise unter uns wahrnehmen.

5. Das größte Hindernis, um diesem Geist – diesem Pfingstgeist Raum zu geben, ist unsere Vernunft. Unsere Erfolge, auf die wir so stolz sind. Unser Fleisch, wie Paulus das in seiner Sprache nennt. Wir müssen lernen, Pfingsten auch wieder zu feiern unter den Bedingungen der Gegenwart. Menschen gibt es in großer Zahl, die suchen auf ihre je unterschiedliche Weisen den Kontakt mit der geballten Kraft des Geistes, der aus Gott kommt. Die Buntheit der religiösen Suche der Gegenwart spiegelt die Sehnsucht vieler Menschen wieder, in Kontakt mit dem Ursprünglichen, in Kontakt mit Gott zu kommen. Durch die Verankerung in Gott selber wieder ursprünglich zu werden.

Pfingsten, so wie ich es verstehe, das wäre geradezu das Fest dieser Ursprünglichkeit. Die Lebendigkeit gerade dieser religiösen Szene und die Pfingstmüdigkeit der großen Kirchen stehen in einem direkten Zusammenhang.

6. Es gibt nämlich auch Gruppen innerhalb der Buntheit der Kirchen, für die ist Pfingsten geradezu das Zentrum. So sehr, dass sie mit ihrem Enthusiasmus den Geist aus Gott geradezu für sich in Beschlag nehmen und zähmen wollen. Ich meine die pfingstlerischen Gemeinschaften der alten und Prägung und die neuen charismatischen Gruppierungen. Vorschnelles Urteilen oder gar Verurteilen wäre allerdings unangemessen.

Die Angehörigen der sogenannten Pfingstbewegung haben weltweit die größten Zuwachsraten im Blick auf neue Mitglieder. In zwei Jahrzehnten, so sagen ernstzunehmende Untersuchungen voraus, werden weltweit mehr als ein Drittel der Christinnen und Christen Angehörige von Pfingstkirchen. Nicht das Pfingsten hängt also am seidenen Faden. Eher die manchmal zu selbstsichere und über Jahrhunderte eingeübte Art, Kirche zu sein. Dass es höchste Zeit ist, wieder neu zu lernen, Pfingsten zu feiern und uns einzulassen auf den Geist, der aus Gott kommt - hinter diese Erkenntnis können wir nicht mehr zurück. Eine kirchliche Existenz, die sich nur noch im Verwalten erschöpft, die nur noch das finanziell Mögliche berechnet, wäre in ihrer Existenz geradezu ein für die Wirkungsmöglichkeiten des Pfingstgeistes

Und dass gar die Einheit der Kirchen an unterschiedlichen theologischen Positionen Schiffbruch erleidet; dass wir Angst haben vor der Ökumene, um selber recht zu behalten – auf dem Hintergrund der Pfingstbotschaft lässt sich dies nur schwer begründen. Anders als in ökumenischer Gemeinschaft kann man Pfingsten eigentlich gar nicht feiern. Und wer immer sich in der Nachfolge Jesu auf den Weg macht, darf hier nicht ausgeschlossen bleiben.

7. Kein Fest im Kirchenjahr kann uns mehr Mut machen als eben das Pfingstfest. Wir sind begabt. Von Gott begabt. Gottes Gaben an uns müssen wir entdecken. Und von ihnen Gebrauch machen. Nicht um uns zu überfordern. Nein, um anderen und uns selber gut zu tun. Pfingsten zu feiern, das tut uns gut. Uns einzulassen auf Gottes Geist, das tut uns gut. Uns einladen zu lassen in die Nachfolge dessen, der wie kein anderer gelebt hat aus diesem Geist, das tut uns gut.

Gott ist mit seinem Geist auf der Suche. Nach uns. Und nach dem anderen. Gottes Geist ist kein religiöser Besitzstand. Man kann man nicht haben. Er kann einem nur treffen und in Beschlag nehme. Ein Wunder ist es, dass wir Pfingsten feiern können!

Doch Gottes Geist weht eben wo er will. Er übersteigt die Möglichkeiten unseres Denkens uns unserer Vernunft. Und er bewahre unser Denken und Fühlen in Christus und seinem Geist der Liebe und der Freiheit. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.