Taufgottesdienst für
Franziska Louise Kühn
am 13. Februar 2002
in der Kapelle des Hofgutes Sommerau
am 25. Oktober 2002

25.10.2002
Ansprache
Liebes Elternpaar Kühn,
liebe Tauffamilie und Taufgäste,

einen schönen Ort haben sie sich für ihre Taufe ausgewählt. Die Sommerau. Ein Hofgut, mitten im Schwarzwald gelegen. Abseits der Hektik der Großstadt. Eine idyllische Insel, auf der man den normalen Alltag einmal beiseite legen und so richtig feiern kann. Dies hat zum einen sicher ihrer eigenen Sehnsucht nach einem solchen Ort für das heutige Tauffest entsprochen. Darin schwingt aber, so glaube ich, auch eine Botschaft für ihre kleine Franziska Louise mit. Leben soll sie, so wünschen sie sich, aufgehoben und bewahrt. Sie soll sich einwurzeln und sich entwickeln können in Gottes schöner Schöpfung. Und nicht nur hineinwachsen in eine Welt, die bestimmt ist von Rechnung und Gegenrechnung. Von Arbeit und Terminkalender.

Nicht ohne Grund haben die Besitzer dieses Hofes, aber auch die Besitzer vieler anderer Hofgüter, auf ihrem Anwesen eine Kappelle gebaut. Dies hat zum einen ganz praktische Gründe gehabt. Die nächste Kirche war oft einen halben Tag Fußweg entfernt. Und welcher Bauer konnte es sich leisten, Haus, Hof und Tiere zu oft für eine solch lange Zeit allein zu lassen. Die Kapelle hatte aber auch noch eine andere Bedeutung. Sie war auf dem Hof praktisch der Ort, an dem sich Himmel und Erde berührt haben. Der Ort, dessen Existenz eine erfolgreiche Ernte und damit nicht nur das persönliche Wohlergehen – in schweren Zeiten sogar das eigene Überleben sichern half.

Das Dach der kleinen Kapelle wölbte sich unsichtbar über das Wohnhaus und die Ställe, ja sogar über alle Felder. Wie hätte man auf diesen heiligen Ort verzichten können! Er war allemal so wichtig wie das landwirtschaftliche Fachwissen. Arbeit und die Bitte um Gottes Segen – das ora et labora – müssen in der rechten Balance zueinander stehen. Das ist das große Erfolgsgeheimnis des Lebens, das wir als Kirche weiterzugeben haben. Diese kleine Kapelle ist ein unübersehbarer Beleg für diese Lebensweisheit. Und manchmal ist diese Kapelle am Ende dann so groß geworden, dass bis heute die ganze Gemeinde dort ihre Gottesdienste feiern. So ist es zumindest iin Titisee, wo die kleine evangelische Gemeinde ihre Gottesdienste bis heute in der Bärenhofkapelle feiert und dort gewissermaßen ihren Zufluchtsort gefunden hat.

Ein schützendes Dach wollen sie auch übe ihrer Tochter Franziska Louise spannen. Die ist dem irischen Segensspruch abzuspüren, den sie ihrer Tochter mit auf den Weg geben wollen:

    Die Stasse komme dir entgegen.
    Der Wind stärke dir den Rücken.
    Die Sonne scheine dir warm ins Gesicht.
    Der Regen falle sanft auf dein Feld.
    Bis wir uns wiedersehen,
    berge Gott dich in der Tiefe seiner Hand.

Auf meine Bitte hin, entsprechend der Tradition der Kirche doch auch noch einen biblischen Taufspruch auszusuchen, haben sie sich für einen Vers aus dem 139. Psalm entschieden:

    Von allen Seiten umgibst du mich
    und hältst deine Hand über mir.


Beide Texte, der irische Segen und der Psalmvers, gehen in dem, was sie aussagen wollen, in dieselbe Richtung. Sie sind gewissermaßen die Übersetzung dessen, was sie sich für Franziska wünschen, in die Sprache der religiösen und biblischen Tradition.

Was verbirgt sich denn nun an Wünschen hinter einer Taufe? Aus meiner Wahrnehmung und Erfahrung lassen sich mindestens drei Anliegen beschreiben, denen sie sicherlich auch zustimmen können.

Ich habe von der Taufe als schützendem Dach gesprochen. Schutz ist sicher eines der Grundanliegen, das Eltern ihren Kindern angedeihen lassen wollen. Und unsere komplizierte, laute und nicht selten doch sehr anstrengende Welt hat diesen Wunsch sehr nötig. Schutz und Bewahrung – wer wollte sich diesem Wunsch nicht anschließen.

Zur Taufe gehört aber auch noch ein weiterer Aspekt. Nicht nur Schutz wünschen wir uns für unsere Kinder. Nein, vielmehr noch Glück, Lebensglück und Gelingen. Nicht allein auf den großen Wurf kommt es an. Unverzichtbar ist auch das Glück in den kleinen Münzen des Alltags. Der Moment des Atemholens. Der immer neu auftauchende Silberstreif am Horizont. Die Bewahrung von Ungerechtigkeit und schwerer Krankheit. Die Erfahrung von Nähe und Liebe.

Damit hängst ein Drittes zusammen. Der Wunsch nach Zukunft. Nach Zukunft zunächst in Form eines Lebens, das uns Zeit lässt für die vielen schönen Dinge. Die Erfahrung, dass uns oder unseren Kindern etwas gelingt, was bleibenden Wert hat über den Tag hinaus. Und dann aber auch die Hoffnung, dass die Grenze unseres irdischen Lebens nicht die Grenze unserer Existenz darstellt. Die christliche Tradition, der christliche Glaube, weiß, dass unser Wert bei Gott bleibt. Selbst da, wo unsere Vorstellungskraft begrenzt ist, bleibt ein unendlicher Rest von Lebensmöglichkeiten. Wenn uns Gott in seiner Hand birgt, wie es in ihrem irischen Segensspruch heißt, bleibt uns Zukunft zugesprochen und garantiert.

Alle diese drei Wünsche – der nach Schutz, der nach Glück und der nach Zukunft – lassen sich in der Sprache der Bibel mit dem Wort des Segens zusammenfassen. Segen heißt, mitten in der Fülle der Möglichkeiten eine Spur des Wichtigen und Richtigen, eine Spur des Wahren und Schönen wahrzunehmen. Heißt, mit Gottes Wirken in dieser Welt zu rechnen und die Zeichen seiner Gegenwart zu entdecken.

Wenn die Taufe uns insbesondere mit der Kirche verbindet, dann wird klar, was die Kirche im Grunde ist – oder sein soll. Sie ist eine Hoffnungsgemeinschaft. Ein Zusammenschluss all derer, die ihren Wunsch nach Schutz, nach Glück und nach Zukunft bei Gott am besten aufgehoben wissen.

„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ Dieser Taufspruch gibt ihrer Sehnsucht nach dieser großen bewahrenden Geborgenheit für Franziska Louise Worte. Nicht nur Wind, Sonne und Regen mögen ihr Gedeihen fördern. Vielmehr auch die guten Worte, die sie ihr sagen. Die Zuwendung, die sie ihr angedeihen lassen. Ihr Lächeln, ihr zärtliches Wiegen, all das hat Franziska schon bis jetzt gelehrt, der Welt zu vertrauen. Wenn sie von ihnen – und von anderen hört – dass sich das Leben lohnt. Dass sie unendlich wertvoll ist. Und wenn sie spüren kann, dass Gott sie in seiner Hand hält, dann haben sie ihr mitgegeben, was sie zum Leben braucht. Und an allem anderen wird Gott es auch nicht fehlen lassen. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.