„Anderen zur Rose werden“
Meditation zum Bild
„Labyrinth und Rose“ von Sieger Köder
im Gottesdienst mit der Aussendung
von Ehrenamtlichen in der Klinikseelsorge
in der Klinikkirche Heilig Geist
am Montag, den 14

14.07.2003
Liebe Klinikgemeinde,

Im Spannungsfeld zwischen Chaos und Bewahrung. Zwischen erlittenem Leiden und ersehnter Unversehrtheit. Zwischen Himmel und Erde – so wurde uns mit den am vergangenen Samstag gestalteten beiden Bilderzyklen den Ort der Klinikseelsorge eben beschrieben. Zugleich ist dies im Grunde unser allen Ort. Und der Lebensraum Klinik damit nur ein exemplarischer Sonderfall für den Lebensort von uns Menschen in dieser Welt überhaupt.

Ich möchte jetzt ihren Blick noch einmal ausdrücklich auf das Bild von Sieger Köder lenken, das Sie auf der Titelseite des Programmverlaufs abgebildet finden. Der Druck ist schwarz-weiß. Die Vorlage ist natürlich ganz entscheidend von ihren Farben geprägt. Dazu gleich mehr.

Auch diese Graphik soll noch einmal einen Beitrag zur Ortsbestimmung leisten. Indem sie unsere eigene Lebenssituation aufgreift, kann sie Hilfreiches beitragen zur seelsorgerlichen Arbeit an den Menschen hier im Klinikum. Und zur Bedeutung von Seelsorge überhaupt. Und dies alles im Rahmen des großen Kirchenthemas dieses Jahres 2003: Ihr sollt ein Segen sein.

Sieger Köder hat seinem Bild den Namen Labyrinth und Rose gegeben. Dies lässt zunächst auf nur zwei Bildthemen schließen. Beim genaueren Hinsehen entdecken wir aber, dass das Bild aus drei übereinanderliegenden Schichten besteht.

Das untere Bilddrittel stellt ein Labyrinth dar. In braunschwarzer Färbung sind dabei die Trennungslinien dargestellt. Der Freiraum dazwischen ist grau eingefärbt. Kein Zweifel. Hier soll unsere Lebenssituation im Bild des Labyrinths zum Ausdruck gebracht werden. Der ohnehin grauen Alltag wird erschwert durch die uns zugemuteten Wege und Irrwege. Leben ist immer trial an error. Ersuch und Irrtum. Leben heißt immer sich entscheiden. Sich Rechenschaft geben über die eingeschlagene Richtung.

Das Labyrinth ist dafür kein schlecht gewähltes Bild. Und es ist auch nicht von vornherein als bedrohliches Symbol zu verstehen. Mit klarem Kopf und bedächtiger Neuorientierung kann man durchaus zur Mitte finden. Oder nach vorne kommen. Und die Idee der Ariadne, sich mit einem Faden vorwärts zu bewegen, lässt zumindest den Rückweg als weiterführende Möglichkeit erscheinen.

Dies ist aber nur die gleichsam positive Variante. Im Lebenslabyrinth kann man sich zugleich auch sehr leicht verheddern. Die zugeschlagene Tür, die plötzlich auftauchende Mauer ruft nicht selten sehr leicht Panik hervor. Und gerade die Erfahrung von erfahrenem Leid; von einer urplötzlich über einen Menschen hereinbrechende Krankheit verwandelt das Lebensspiel von Versuch und Irrtum mit einem Mal in ein Labyrinth der verbauten Möglichkeiten. Leben, das sich verheddert. Der Ausweg, der fraglich erscheint. Die verlorengegangene Leichtfüßigkeit, an deren Stelle der mühsame Kampf gegen Erstarrung der Seele tritt. Und mit einem Mal geht plötzlich nichts mehr. Das Labyrinth des Lebens entpuppt sich als folgenreiches Abirren vom Weg in die Zukunft.

Wenn das nicht die Rosen wären. Nicht eine nur. Gleich ein ganzer, mit vielen Blüten prall gebundener Strauß. Blüten, rot wie die Liebe. Blätter grün wie die Hoffnung. Und dann genau 12 Blüten. Ohne Zweifel: Der Rosenstrauß verkörpert die Fülle des Lebens. Zwölf übrige Körbe Brot. Zwölf überfließend lebendige Rosen. Aufgestellt und gegründet in der Mitte des Labyrinths des Lebens. Im Zentrum der verlorengeglaubten Möglichkeiten entspringt die Fülle neuer, fast unglaublicher Hoffnungen. Hoffnungen auf Leben in Fülle. Labyrinth und Rose.

Schon die Rose allein könnte die Botin einer anderen, noch tieferen Dimension sein. So beschreibt eine Architektin am Ende ihres Lebens ihre Einsichten beim Blick auf eine Rose: Ich habe keine Angst vor dem Tod. Als Architektin habe ich gelernt, alles, was ich sehe, genau zu beobachten. Wenn ich nun diese Rose zu begutachten hätte, dann müsste ich sagen, dass allein ein einzelnes Blatt dieser Blume so kunstvoll gefertigt ist, dass es einen Architekten verrät, dessen Liebe und Phantasie nicht zu übertreffen sind. Allein diese Rose drängt mich zu der Annahme, dass es einen Gott geben muss, der voller Liebe ist.

Doch Sieger Köder wählt einen anderen, direkteren Weg. Es reicht ihm auch nicht, die Hoffnung mit der Wahl eines Naturmotivs gleichsam im Abstrakten und zugleich Symbolischen zu belassen. Finde deine Rose. Diese Antwort geben uns manche. Sie duftet gut. Aber sie macht nicht satt. Die Rose bricht sich in der dritten Bildebene. Stellt ihr eine Schwester zur Seite. Die rote Rose wird kommentiert und zugleich pointiert in der anderen Rose. Der Fensterrosette eines gotischen Münsters. In Freiburg haben wir dazu ja eine wunderschöne Anschauungsmöglichkeit in den Westrosetten des Münsters.

Die Rosette – sie markiert hier die Rose als Hinweis auf die Dimension Gottes. Das bergende Schiff einer gotischen Kathedrale mit dem diffus einbrechenden Licht wird zum Gleichnis des göttlichen Lichtes im nicht selten düsteren Labyrinth des Lebens.

In der Bibel mit dem Text der Einheitsübersetzung und den Illustrationen von Sieger Köder wird das Bild dem letzten Kapitel der Bibel zugeordnet. Gott wird über ihnen leuchten, heißt es da in Anspielung an eine Formulierung aus Offenbarung 22. Ich selber verstehe dieses Bild zugleich als Osterbild. Wobei dies nicht als Gegensatz zu verstehen ist. Neues Leben und neue Perspektiven aus der Quelle des Lebens. Leben aus der Mitte. Leben aus Gott.

Oder eben in der Sprache der Offenbarung: Seht, Gottes Wohnung inmitten der Stadt der Menschen. Alle Tränen wird er abwischen. Und der Tod wird nicht mehr sein. Nicht Schmerz. Nicht Geschrei. Nicht Leid Denn das erste ist vergangen. Siehe, ich mache alles neu!

Nicht erspart werden uns Leid und Misslingen. Schmerz und Versagen. Aber erspart wird uns der Glaube, dies sei das Letzte, was es über unser Leben zu sagen gebe. Die Existenz von Leid und Tod sind kein Beweis, dass die Fülle bei Gott keine Möglichkeit mehr ist. Dafür steht der Glaube daran, dass Gott – um es mit Dietrich Bonhoeffers bekannten Worten zu sagen – auch aus dem Bösesten Gutes entstehen lassen kann und will.

Was sollen wir den Menschen mehr zusprechen als dies. Das erste ist – wenn nicht vergangen – dann am Ende doch vergänglich. Gegen allen Augenschein. Siehe, ich mache alles neu.

Indem wir dies weitersagen, können wir anderen zum Segen werden. Ihr sollt ein Segen sein. Das Thema des ökumenischen Kirchentages soll uns auch als Thema dieses Aussendungsgottesdienstes weiter begleiten. Ein Segen können wir sein – können Sie sein in der Seelsorge hier im Klinikum, weil sie sich selber als gesegnet erfahrenen. Auch nachher gleich ganz konkret und manifest in diesem Gottesdienst. Ins Bild von Sieger Köder gesetzt, könnte man auch sagen: Wir alle können zu Rosen werden. Zu Zeichen der Fülle und zu Botinnen und Boten der Hoffnung. Wenn Gottes Licht durch uns hindurchfällt, verwandeln wir uns zu lebendigen Rosetten im Dom des Lebens. Und können in diesem Licht sogar in den Irrwegen des Labyrinths zum Ziel des Lebens finden. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.