Predigt
über Lukas 14,16-24
gehalten am Sonntag, den 29. Juni 2003 (2.S.n.Tr.)
in Lenzkirch

29.06.2003
Absagen tun weg, liebe Gemeinde. Gäste, die sich schnell noch entschuldigen, obwohl der Tisch schon gedeckt ist. Ein Freund, der einem kurzfristig mitteilt, dass er nun doch nicht beim Umräumen helfen kann. Es sei ihm etwas dazwischengekommen. Der Handwerker, der den vereinbarten Termin schon wieder nicht einhält. Die Gemeinde, die vergeblich auf den Pfarrer wartet, der den Termin verwechselt hat. Wie nachvollziehbar die Begründungen im einzelnen auch sein mögen – zurück bleiben meistens dennoch immer Spuren von Enttäuschung und Verletzung.

Einladungen tun dagegen gut. Vor allem, wenn sie ernst gemeint sind und nicht aus Berechnung erfolgen. „Habt ihr heute Abend schon etwas vor? Wir könnten uns doch wieder einmal zusammen setzen.“ Unverhoffte Einladungen sind die schönsten. Wenn wir mit anderen Menschen zusammengesessen sind oder gar zusammen gegessen haben, gehen wir erfüllt und nicht nur in kulinarischer Hinsicht gestärkt nach Hause.

Viele solche Beispiele sind mir beim Lesen der heutigen Predigttextes in den Sinn gekommen. Absagen und Zusagen. Predigttext ist heute ein Gleichnis, das Jesus erzählt. Im Hause eines vornehmen Mannes, der ihn zum Essen eingeladen hat.

Für den Gastgeber hat sich dieser Abend gelohnt. Er bekommt gleich mehrfach den Stoff geliefert, aus dem sich Sensationslust und öffentliches Gerede speisen.

Jesu Verhalten und seine Worte – sie haben schon bald die Runde gemacht. Einmal mehr verleitet dieser Jesus zum Nachdenken. Gibt er Gelegenheit, sich den Mund zu zerreißen oder wer weiß seine Lektion Lebenskunde bei ihm zu lernen.

Jetzt aber der Reihe nach, damit wir auch wirklich zum Predigttext kommen: Zunächst heilt Jesus im Haus seines Gastgebers einen kranken Menschen. An sich doch eine respektable Handlung. Nur: es war an einem Sabat. Wer an diesem Tag heilt, mischt sich ein in einen unter Theologen damals nicht entschiedenen Streit darüber, ob man das überhaupt darf. Jesus bezieht ganz klar Position: „Wenn euch ein Ochse oder gar eines eurer Kinder in den Brunnen fällt, holt ihr sie doch auch heraus. Oder nicht?! Alles, was dem Leben dient, kommt vor der Einhaltung eurer Vorschriften – wie sinnvoll diese sonst auch sein mögen.“

Und dann kommt Jesus ins Erzählen. So, wie er es nach den Berichten, die wir kennen, immer dann tut, wenn er seine Botschaft von der so ganz anderen Welt Gottes unter die Menschen bringen will. „Wenn ihr eingeladen seid“, sagt Jesus, „dann nehmt nicht ganz oben am Tisch Platz, sondern ganz unten. Wenn euch dann der Gastgeber zu sich nach oben bittet, dann wird für alle sichtbar, wie sehr er euch schätzt.“

Jesus versteht dies nicht als taktische Raffinesse – so wie manche, die sich für wichtig halten, gerne zu spät kommen, damit sie gesondert begrüßt werden. Jesus geht es um etwas anderes. „Gott will eure Maßstäbe ganz gehörig durcheinander bringen“, sagt er. „Er macht Große klein und Kleine groß.“ Und dann setzt er jene Geschichte obendrauf, die heute der Predigttext ist. Sie steht bei Lukas im 14. Kapitel in den Versen 16 bis 24:

Predigttext


Selber schuld, wenn sie das Fest verpasst haben?! Ich glaube nicht, liebe Gemeinde. Kein Grund, sich schadenfroh zurückzulehnen. Kein Grund zu sagen: Selber schuld! Die Gründe derer, die sich absagen, sind doch allemal plausibel und einleuchtend.

Der Kauf eines Stück Landes ist immerhin eine wichtige ökonomische Vorsorgemaßnahme im Leben eines Bauern. Wer weiß, wie lange er dafür gespart hat. Wer weiß, wie lange er gewartet hat, bis er den Zuschlag für dieses Stück Land bekam. Wer weiß, wie viele hungrige Münder dieser Mann zu füttern hat an jedem Tag.

Fünf Ochsengespanne hat der zweite gekauft. Er hat investiert. Hat Mut zum Risiko bewiesen. Hat gleichsam ein landwirtschaftliches Unternehmen gegründet. Unvorstellbar, gleich wieder zur Tagesordnung überzugehen. So zu tun, als sei dies eine alltägliche Entscheidung.

Der dritte gar hat geheiratet. Mit dieser Einladung konnte er nicht rechnen, als er den Termin für die Hochzeit festgesetzt hat. Es geht schließlich um eine Entscheidung von höchster Tragweite, die von langer Hand geplant und vorbereitet wurde. Da hätte der Gastgeber sich eben früher bei ihm melden müssen.

Eigentlich doch seltsam, dass der Hausherr zornig wird. Es sind doch allemal keine vorgeschobenen Gründe. Jedesmal geht es um zentrale Entscheidungen im Leben eines Menschen. Entscheidungen, die immer auch Auswirkungen haben für andere. Wirtschaftliche Vorsorge. Betriebliche Investitionen. Gründung einer Familie.

Keine Frage: Jesus will mit seinem Gleichnis die Entscheidung dieser Menschen nicht einfach nur in Frage stellen. Ja, er tadelt sie überhaupt nicht. Diese drei haben sich eben anders entschieden. Dafür haben sie aber auch etwas anderes – in diesem Fall ein großes Fest – verpasst. Niemand kann eben auf zwei Hochzeiten tanzen. Das sagt eines unserer Sprichwörter doch bis heute.

Doch es geht noch um mehr. Um viel mehr. Das Gleichnis Jesu ist keines, in dem einfach nur eine Absagen und damit eine verpasste Gelegenheit im Mittelpunkt steht. Darum gibt Jesus der Geschichte eine überraschende Wendung. Der sitzengelassene Gastgeber zieht sich nicht in einen Schmollwinkel zurück. Er sagt sein Fest nicht ab. Er ist nun einmal in Feierstimmung. Und er sucht darum nach weiteren Adressaten, denen seine Einladung gelten kann. Er sucht nach neuen Gästen.

Nach den Großen und den Etablierten sind nun die kleinen Leute an der Reihe. Die an den sogenannten Rändern.. Die, die sonst nie eingeladen werden. Die Außenseiter. Die misstrauisch beäugten Randsiedler.

Doch auch sie vermögen den großen Festsaal nicht zu füllen. Das Personal wird erneut losgeschickt. Dieses Mal sind all diejenigen dran, die kein Dach über dem Kopf haben. Die, die nicht mitspielen können, im Gesellschaftsspiel von Einladung und Gegeneinladung. Es scheint, als befürchte der Gastgeber, die derart Eingeladenen würden Böses wittern hinter einer solchen Einladung. Oder sie aus Misstrauen womöglich ganz ausschlagen. Darum gibt er Order, der Einladung, wo nötig, ruhig auch ein wenig nachzuhelfen. „Nötigt sie hereinzukommen!“ So zitiert das Gleichnis den festfreudigen Gastgeber.

Nötigung zum Fest. Nötigung zur Lebensfreude. Geht das denn? Soll man die Menschen denn wirklich zu Ihrem Glück zwingen? Die Großkopfeten hat er doch schließlich auch in Ruhe gelassen. Doch dazu kann man sagen, was man will: Die hatten ihre Chance. Nicht so die Gäste der zweiten Wahl. Ihnen wird das Glück nicht so oft vor die Füße gelegt. Ein leichter, sanfter Druck ist doch zu ihren Gunsten.

Die Kirche hat diesen Text immer wieder so verstanden. Oder besser: missverstanden. Augustinus, der große Kirchenvater des 4. und 5. Jahrhunderts, hat unter Bezugnahme auf diesen Text aus Lukas 14 eine große Kirchenspaltung mit deutlichem Druck und sanfter, bisweilen auch durchaus unsanfter Gewalt beendet. „Nötigt sie hereinzukommen!“. Dies war die Grundlage dafür, diese Kirchenspaltung mittels einer erzwungenen Fusion zu beenden.

Christliche Mission hat nicht selten auch nach diesem Schema funktioniert. Mission war keinesfalls immer ein sanftes und von purer Nächstenliebe geprägtes Unternehmen. Und wir haben als Kirchen alle Mühe, dieses Misstrauen abzubauen, das aus der Verbindung von Mission und Kolonisation herrührt.

Ein Vorbild für die Ökumene der Gegenwart kann das wohl kaum sein. Und die Zwangsrückführung derer, die der Kirche enttäuscht den Rücken gekehrt haben, wäre mit dieser Methode doch sicher nicht allzu erfolgreich.

Erfolg ist der Kirche weder durch staatliche Verordnungen noch durch geschwätzige Besserwisserei beschieden. Erfolg haben offene Türen, die nicht im Affekt immer wieder zugeschlagen werden. Erfolg hat der einladende Tisch, an den man sich auch zu einem späteren Zeitpunkt immer wieder setzen kann. Erfolg hat eine Kirche, die das Leben derer teilt, die zu den Habenichtsen dieser Erde gehören.

Daran sollten sich all unsere Aktivitäten ausrichten. Darum ist Kirche zuallererst einladende und zugleich diakonische Kirche: einladend zu Vorträgen und Gemeindefesten, zu Gruppen und Kreisen mit unterschiedlichsten Schwerpunkten und bunter Zusammensetzung. Nicht zuletzt natürlich auch zu unseren Gottesdiensten und Kindergottesdiensten. Und sie ist diakonische Kirche: in der Zuwendung zu den Menschen. Mit Kindergärten und Sozialstation. In der Begleitung von Menschen ohne Arbeit oder beim Versuch, Menschen aus anderen Ländern bei uns neu Heimat finden zu lassen.

Nichts gibt es dabei, was nicht noch besser gefeiert oder angeboten werden könnte. Vieles gibt es, was wir an unseren Gemeindetischen servieren. Oder was andere und nicht selten sogar außerhalb des Rahmens der Kirchen an praktizierter Mitmenschlichkeit im Angebot haben. Darauf sollten wir nicht neidvoll, sondern dankbar schauen. Und uns anspornen und zu neuen Aktivitäten verlocken lassen.

Erfolg ist keiner der Namen Gottes. Dieser Satz stammt vom jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Erfolg ist keiner der Namen Gottes. Ein richtiger und doch zugleich gefährlicher Satz. Zweifellos. Gottes Namen wären vielleicht besser: Gelingen. Verheißung. Segen. Aber natürlich freut sich Gott mit uns über die vielen kleinen und manchmal doch auch großen Erfolge. In jedem Leben gibt es solche Erfahrungen des Gelingens.

Dies ist zuallererst Grund zur Dankbarkeit. Aber es garantiert keinen Ehrenplatz im Himmel. Spätestens dann werden die Karten wieder neu gemischt. Und die Rangordnungen neu festgelegt. Eben das macht den Himmel doch auch aus. Und darum sind es ja gerade die Macher und die Erfolgreichen, die beim Großen Festmahl Gottes nicht aussteigen können aus ihren Karrieren und Erfolgsgeschichten. Und die am Ende dann außen vor bleiben.

Gott hat eine unwiderstehliche Neigung zu denen, an denen das Leben anscheinend achtlos vorübergeht. Alles, was wir in der Kirche tun – oder lassen – muss sich an diesem Maßstab messen lassen. Nach den vielen satten Jahren, die hinter uns liegen, müssen wir gegenwärtig gehörig umdenken lernen. In der Kirche. Und in der Welt.

Ein erster Schritt könnte sein, sich mutig an die vielen runden Tische dieser Welt zu setzen. Dorthin, wo wir erfahren, wie die Menschen ihr eigenes Leben sehen. Dorthin, wo klarer wird, wo die Trennungslinie verläuft zwischen Gerechtigkeit und Unrecht. Schweigend sollen wir uns zunächst dazusetzen. Aber genau hinhöred. Gewissermaßen ganz unten am Tisch. Um dann aber, wenn’s drauf ankommt und wenn ein klares Wort gefordert ist, doch auch mutig die Dinge beim Namen zu nennen.

Längst nicht jede unser Einsichten, nicht jede unserer Entscheidungen wird den Menschen dann einleuchten. Doch nicht alles im Leben muss plausibel sein. Es reicht, wenn es dem entspricht, was uns und dieser Welt wirklich gut tut. Wenn es dem gerecht wird, was Gott mit uns und seiner Schöpfung im Sinn hat.

Dann kann das Vernünftige und das scheinbar Gebotene am Ende dann doch auch einmal das Falsche sein. Wie bei den Gästen, die die Einladung zum großen Festmahl ausschlagen. Kein neuer Acker trägt so gut, dass wir alle Früchte des Lebens auf ihm ernten müssten. Kein Joch Ochsen ist so stark, als dass es uns gleich auch noch in den Himmel ziehen könnte. Keine noch so prächtig und erwartungsvoll gefeierte Hochzeit wir die tiefe Sehnsucht nach Leben in Fülle ein für allemal stillen können. Sie bleibt Vorgeschmack und Vorahnung dessen, was Gott uns verheißen hat.

Warum sollen wir uns von Gott nicht immer wieder neu zum Leben begeistern lassen?! Und wenn’s sein muss, ruhig auch einmal gegen alle Vernunft. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.