PFARRKONVENT REGION KAISERSTUHL-TUNIBERG
AM 5. DEZEMBER 2004
WEIHNACHTLICHE PREDIGTTEXTE PERIKOPENREIHE 2 – ALTKIRCHLICHE EPISTELN

05.12.2003
Christvesper: Titus 2,11-14

11 Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen 12 und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben 13 und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, 14 der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.



1. Wer – und womöglich nicht allzu häufig – in den Heiligabendgottesdienst kommt in der Erwartung, mit der seit den Tagen der Kindheit vertrauten, anrührenden Weihnachtsgeschichte in Kontakt zu kommen, könnte diesen Text als herbe Enttäuschung empfinden. Dieser Text ist darum in erster Linie anlassbezogen und damit weihnachtlich zu predigen.

2. Innerhalb des Titusbriefes (geschrieben in den 30er Jahren des ersten Jahrhunderts n.Chr. in Kleinasien; manche Ausleger: schon am Beginn des zweiten Jahrhunderts) hat der Text die Funktion, den vorausgegangenen Verhaltenskatalog zu begründen; vgl. das einleitende „denn...“. Insofern ist der Text zunächst binnenkirchlich orientiert, soll aber (zumindest auch) den treuen Kirchenfernen gepredigt werden. Der Gemeinde soll die Lebensrelevanz der Geburt Christi vermittelt werden.

3. Der Auftakt ist sprachlich durchaus weihnachtlich-festlich. In der Sprache der feierlichen Proklamation wird die Epiphanie der „heilsamen Gnade Gottes“ verkündigt: „Jauchzet! Frohlocket!“. Dies ist gleichsam der Weihnachtslektion erster Teil: In der unscheinbaren Geburt am unscheinbaren Ort ereignet sich Zentrales! Gott erscheint inmitten der Menschen und mitten im Leben.

4. Von der schon vollzogenen Erscheinung der Gnade wird – als deren zweiter Teil - die noch ausstehende „Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus“ (erster Beleg der Ineinssetzung aufgrund theologischer Reflexion!) unterschieden.

5. Damit ist die eschatologische Spannung zwischen dem „schon jetzt“ und dem „noch nicht“ der Erscheinung das zentrale Predigt- und Weihnachtsthema. Der Text wendet das „schon jetzt“ hin zur ethischen und lebensgeschichtlichen Konsequenz.

6. Mit der hymnisch-theologischen Qualifizierung in V 14 erweist sich der Text als theologisch eher traditionell und besonders am Festhalten am Bewährten interessiert, was der Tendenz der Past auch in anderen Zusammenhängen entspricht.

7. Ohne sich in der bestehenden eschatologischen Spannung vorschnell festzulegen, ist auf alle Fälle klar – und zu predigen! - , dass die Gegenwart der heilsamen Gnade unsere Gegenwart verändert. Dass dies nicht nur im Blick auf unser Verhalten (unsere „Ansicht“), sondern ebenso oder noch vielmehr auch im Blick auf unsere Zukunft (unsere „Aussicht“) von Bedeutung ist, gehört entscheidend zum Kern der weihnachtlichen Botschaft.

8. Am Fest der Weihnacht ist die Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen der „Niedrigkeit“ der Geburt und der „Größe“ des Kindes in der Krippe ebenso in den Blick zu nehmen, wie es der Text sehr wohl hinsichtlich der unterschiedlichen Erscheinungen tut. Insofern bringt der Text schon das weihnachtliche Thema zum Klingen. Die Weihnachtssehnsucht der Menschen und die Realität, innerhalb derer sich diese Sehnsucht entfaltet, müssen aufgenommen werden.

9. Es ist gut weiterzusagen, dass wir vom Leben noch etwas zu erwarten haben; dass die Fülle gegenwärtig nur aufblitzt und in Gänze noch aussteht.

10. An Weihnachten hat sie der „Herr nicht in unsere Hand gegeben“ und die Anwesenden sind nicht zu diffamieren. Vielmehr ist der, der will, dass alle Menschen gerettet werden, darum auch allen Menschen erschienen – und entgrenzt damit all unsere Partikularisierungen. Es geht um die ganze Welt und nicht um irgendwelche christianisierten Restzonen!





Christfest I: Titus 3,4-7

4 Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, 5 machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, 6 den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, 7 damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.



1. Von allen drei hier vorgestellten Texten hat dieser die größte Wahrscheinlichkeit für sich, dass er tatsächlich auch gepredigt wird. Die weihnachtlich gestimmte Festgemeinde wird beim ersten Hören viel vertraut-abstrakte Begrifflichkeit wahrnehmen – aber womöglich die Weihnachtsbotschaft dieses Textes nicht gleich heraushören, was ein Ausleger mit dem Wort der „vollmundigen Dogmenharmonie“ aufnimmt.

2. Erst beim genaueren Hinsehen fällt in Auge und Ohr, dass dieser Text sich nicht mit bürgerlich-weihnachtlichtlicher Richtigkeit zufrieden gibt. Der Hinweis auf die Taufe und die Ausgießung des heiligen Geistes macht – wie schon der letzte Text – energisch auf den durch das Fest der Weihnacht initiierten Herrschaftswechsel aufmerksam. Aus dem Bereich des Bemühens um Gerechtigkeit durch Werke sind wir in den des Anspruchs auf das Erbe des ewigen Lebens hineinversetzt.

3. Das weihnachtliche Geschehen wird auch hier wieder als Epiphanie Gottes, dieses mal in der Gestalt der Freundlichkeit und der Menschenliebe (nur hier!) beschrieben. Was wie eine weihnachtliche Schilderung in einer „light-Version“ aussieht, meint aber nicht eine irgendwie geartete göttliche „Leutseligkeit“, sondern die unüberbietbare Gegenwart Gottes selber in grenzenloser Lust zur Zuwendung.

4. Der Stil der Charakteristik des göttlichen Handelns weist ebenso wie der nicht mehr zur Perikope gehörige Nachsatz in V 8, der die Zuverlässigkeitsformel verwendet, auf die Übernahme dieser Sätze aus dem zur Verfügung stehenden Traditionsschatz hin. Die Gemeinde lebt nicht von „Neuigkeiten“ (auch nicht von Nettigkeiten), sondern von der Aneignung und Vertiefung dessen, was sie längst weiß und was der Bewahrung wert ist.

5. Der Hinweis darauf, dass wir durch die Barmherzigkeit Gottes und nicht kraft unserer Werke gerettet werden, bietet paulinische Theologie in verträglicher Form und Dosis. Die nachfolgende Erwähnung der (umwerfenden) Wirkung des heiligen Geistes bewahrt den Text allemal vor dem Missverständnis der Harmlosigkeit.

6. Ziel des hier im Licht der Weihnacht zu lesenden Textes ist es, (1) selig, (2) gerecht und (3) zu Erben des ewigen Lebens zu werden. Dies ist als Zuspruch des Evangeliums unter eben nicht dementsprechenden Lebenskontexten zu verstehen und zu predigen.

7. Wenn es das Ziel des Tit ist, gesunde Lehre dem nichtigen Geschwätz entgegenzusetzen, wird man über den exegetischen Befund hinaus auch nach den Irrlehren der Gegenwart fragen dürfen. An vorweihnachtliches Konsum-Geschwätz kann man hier ebenso denken wie an die vor Augen stehende Hybris der Befriedung anderer Völker mit eigener Ideologie oder die nach wie vor auseinanderdriftende Gerechtigkeitsschere. Dass daneben auch der Versuch, sein Leben auf den eigenen Erfolg zu gründen (die Werke der Gerechtigkeit) zu nennen ist, muss nicht erneut erwähnt werden (vgl. 5).

8. Weihnachten als Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes zu verstehen und zu feiern – und damit in die Nähe des Pfingstfestes zu rücken – mag ungewöhnlich und wenig vertraut erscheinen. Aber der Blick auf die weihnachtlichen Akteure zeigt genug Menschen, die vom Geist aus den alten Gleisen gerissen wurden (Maria, die Hirten, die Magier ... ).

9. Am Ende redet der Text explizit von unserer Hoffnung und lässt sich darum auch hier ins Weihnachtliche wenden. Darum sollte die Weihnachtspredigt zu allererst gerade bei den Hoffnungen einsetzen und diese stärken.

10. In der Regel wird der Gottesdienst zum Christfest als Gottesdienst mit Abendmahl gefeiert. Dies sollte uns als PredigerInnen auch ein Wort dazu wert sein, die Gegenwart Christi im Abendmahl zur Gegenwart dessen in Beziehung zu setzen, der als Kind in der Krippe im „Element des alltäglichen, unscheinbaren und heimatlosen Kindes“ Ort der Gegenwart Gottes und Grund unseres Feiern ist.





Christfest II: Hebräer 1,1-3 (4-6)

1 Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, 2 hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. 3 Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe 4 und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name. 5 Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum: »Ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein«? 6 Und wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt, spricht er: »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.«



1. Wer am zweiten Weihnachtstag in die Kirche geht, hat noch Erwartungen an Weihnachten; will, dass Weihnachten noch nicht vorbei ist; ist – unter weniger emotionalem Druck wie an Heiligabend oder am 1. Weihnachtstag – bereit, auch – explizit – Theologisches aufzunehmen und zu verdauen. Der Hebr (geschrieben ca. 80 / 90 n.Chr., wahrscheinlich in Rom) stellt dabei als Grundlage eine anspruchsvolle Herausforderung dar.

2. Die Perikopenabgrenzung ist wieder einmal problematisch. Sinnvoller erscheint es, die ersten vier Verse als Grundlage der Predigt zu nehmen. 5 – 14 sind die zusammengehörigen, auf Zitaten der Hebräischen Bibel beruhende Begründung der Überlegenheit des Sohnes gegenüber den Engeln.

3. Gott hat zunächst durch die Propheten geredet. Dies bedarf offensichtlich keiner Begründung, was – wie auch später in Hebr - durchaus auf einen judenchristlichen Kontext schließen lässt.

4. Gott hat zuletzt auch durch den Sohn geredet. Dies bedarf aber der weiteren Ausführung und der Begründung durch Schriftzitate.

5. Als Abglanz seiner Herrlichkeit und als Ebenbild seines Wesens (und als Schöpfer) beschrieben, wird der an Weihnacht Geborene in eine unüberbietbare Nähe zu Gott gebracht. Im Bild (und das heißt im Sohn) ist die Wirklichkeit Gottes – und damit die Botschaft der Weihnacht - präsent.

6. Die Rede vom Erben und von der vollbrachten Reinigung von den Sünden lässt die im weiteren Verlauf des Hebr entwickelte Opfertheologie schon hier in nuce aufleuchten.

7. Die Positionierung des Sohnes oberhalb der Engel weist dem Sohn seine herausragende Stellung zu, ohne die Subordination unter den Vater gänzlich auszuschließen. Der Sohn wird später in Hebr der Hohepriester sein, der der Gottheit nah, aber in Unterschiedenheit verbleibt..

8. Der Text gibt Gelegenheit, die Thematik des „wahr Mensch und wahrer Gott“ gewinnbringend zu reflektieren; anders gesagt, er hilft begründen, warum die Geburt des weihnachtlichen Kindes, derer an den Vortagen gedacht wurde, von theologischer und glaubensbezogener Relevanz ist. Er antwortet im Grunde auf die Frage: Was habe ich vom Glauben an dieses Kind in der Krippe?

9. Hilfreich kann die Vorstellung sein, dass dieser steile christologische Text sich an eine Gemeinde der kleinen Leute gerichtet hat, deren Glaube dadurch gestärkt werden soll, dass anstelle des Kaisers (und der „Großen“) nur der Sohn den Zugang zur Nähe Gottes ermöglicht.

10. Die Überbietung der Rede der Propheten sollte uns – auch an Weihnachten - nicht dazu verführen, das Christentum bzw. den Glauben an den Sohn in Überbietung der Gottesnähe in jüdischer Erfahrung zu interpretieren. Vielmehr wäre der Glaube beider aufeinander und auf den gemeinsamen Verstehenshorizont der Hebräischen Bibel zu beziehen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.