ANSPRACHE IM FAMILIENGOTTESDIENST
AN HEILIGABEND 2004
IN DER MATTHIAS-CLAUDIUS-KAPELLE IN FR-GÜNTERSTAL

24.12.2004
Liebe Eltern, liebe Heiligabendgemeinde hier in Günterstal,

jeden Heiligabend füllen sich die Kirchen überall auf’s Neue. Bis auf den letzten Platz. Jeden Heiligabend lassen wir uns verzaubern von dieser uralten Geschichte, die wir eben gehört haben. Eine Geschichte, die den meisten vertraut ist wie kaum eine andere biblische Geschichte. Eine Geschichte, die ihren Reiz auch dann nicht verliert, wenn sich zu Hause längst der typisch vorweihnachtliche Stimmungsmix eingestellt hat – diese wohlbekannte Mischung aus gespannter, freudiger Erwartung und der bisweilen ebenfalls weihnachtstypischen Gereiztheit, weil wieder einmal nicht alles genau so läuft, wie wir es uns vorgestellt haben.

Seit Wochen läuft alles auf diesen Tag und auf diese weihnachtlichen Tage zu. Seit Wochen duftet es immer wieder in der Küche. Wunschzettel sind längst geschrieben. Oder auch Wünsche von den Augen und aus den Herzen abgelesen. Speisepläne sind fertiggestellt und die weihnachtlichen Besuche vereinbart. Heimlichkeiten voreinander geben Kunde von den bevorstehenden Ereignissen.

Worin liegt der Zauber dieses Heiligabends? Woran liegt es, dass die meisten alle Jahre wieder die Weihnacht von Neuem begehen, ja inszenieren und sich zum Feiern verlocken lassen?

Es gibt eine Reihe von Erklärungen: Die eine hat mit euch Kindern zu tun. Weihnachten ist zuallererst ein Fest der Kinder. Weil ein Kind im Mittelpunkt steht. Und weil sich niemand so unbeschwert freuen kann wie eben ihr Kinder. Weil niemand so sehr die Botschaft verkörpert, dass es zuallererst unsere Sehnsucht nach einer glücklichen Zukunft ist, die uns am Leben halten. Und die Gabe des Staunens über die Überraschungen, die das Leben für uns bereit hält.

Sinnbild dieser gespannten Erwartung ist die Verteilung der Geschenke. Wie nach diesem Gottesdienst zu Hause wohl auch wieder. Die Bescherung. Weihnachten ist das Fest der großen Bescherung. Weil die Weihnachtsgeschichte selber voller Bescherungen steckt.

„Schöne Bescherung“ sagen wir manchmal. Und meinen damit oft zunächst eher das Gegenteil. Da wird uns ein ums andere Mal etwas „beschert“, was unser Leben gehörig in Unordnung bringt. Kinderaktivitäten, die wieder einmal alle Pläne über den Haufen geworfen haben. Hoffnungen, die sich zerschlagen. Enttäuschungen, die Verletzungen zurücklassen. Eine Partnerschaft vielleicht, die nicht mehr trägt und die beiden nicht mehr zueinander finden. „Schöne Bescherung“! denken wir dann vielleicht. Genauso wie in der Weihnachtsgeschichte.

„Schöne Bescherung“ wird es Maria durch den Kopf gegangen sein, als sie entdeckt hat: Ich bin schwanger! Wie es der Engel angekündigt hat.
„Schöne Bescherung“ wird Joseph wohl gedacht haben, als er von den Boten des Kaisers Augustus hört, dass er sich auf den Weg machen soll nach Bethlehem, der Stadt seiner Vorfahren, um dort seinen Besitz zur Steuererhebung in Listen einzutragen.

„Schöne Bescherung“ oder noch weit unfreundlichere Worte werden beide, Maria und Joseph von sich gegeben haben, als sie immer wieder dasselbe hören: Kein Zimmer frei. Höchstens noch ein Schlupfwinkel im Stall.

„Schöne Bescherung“ werden auch die königlichen Sterndeuter ausgerufen haben, als sie entdecken, welch weite Reise ihnen dieser Stern zumutet. „Schöne Beschwerung“ auch für Herodes, den die Botschaft von der Geburt eines neuen Königs erreicht.

Die Weihnachtsgeschichte ist ein Geschichte voll schöner Bescherungen. Aber zum Glück nicht nur nicht in dem eben genannten Sinn. Die Weihnachtsgeschichte ist vor allem auch eine Geschichte der großen Bescherung in diesem Kind in der Krippe.

Denn am Ende ist es die Botschaft der Weihnacht, die dieser Geschichte alle Jahre wieder einen so großen Zulauf beschert. Die Botschaft, dass wir noch einmal von vorne anfangen können. Die Botschaft, dass uns Zukunft geschenkt ist. Die Botschaft, dass Gott sich einmischt in die Geschicke dieser Welt. Dass Gott keine Friedensbemühung im Irak, kein Hunger und kein AIDS-Kranker in Afrika und kein Fest der Versöhnung hier mitten unter uns gleichgültig sind. Und dass auf all unserem Bemühen ein Segen liegt. Auch wenn wir seine Spuren nicht immer gleich entdecken.

Aber nicht wie ein über allem thronender Machthaber kommt Gott hier ins Spiel. Auch nicht wie einer, der im Hintergrund seine Strippen zieht. Nein, ganz anders. So, dass das Leben, ja die Lebendigkeit selber im Mittelpunkt stehen. Mit der befreienden Erkenntnis, dass bei Gott Geiz eben nicht geil ist. Weil Gott im unverdient Überfließenden sein Maß hat. Und in der Botschaft, dass sich Liebe und Vertrauen am Ende eben doch lohnen.

Wie könnte diese große Bescherung Gottes an uns Menschen deutlicher zum Ausdruck kommen als in einem bedürft Kind. Wie könnte sie stärker aufleuchten las in den vielen Hoffnungen derer, die diesem Kind begegnen. Jedes Kind bringt die Botschaft, dass Gott die Welt noch aufgegeben hat. Zumal dieses Kind, in dessen Angesicht Gottes Menschenfreundlichkeit uns jedes Jahr auf’s Neue entgegenleuchtet.

Dieses Kind ist die große Bescherung, die sich in unseren kleinen Bescherungen heute und morgen widerspiegelt. Dieses Kind ist das Geheimnis der Weihnacht, der wir alle Jahre wieder erliegen. Zugleich ist dieses Kind der Grund unserer Hoffnung, es ein weiteres Mal zu versuchen. Mit unseren Mitmenschen. Auch gegen alle Vernunft und nur mit der Kraft der Liebe. Es noch einmal zu versuchen auch mit denen, die es uns nicht immer leicht machen.

Um dieses Kind dreht sich alles: an Weihnachten. Alle Jahre wieder. Und eben auch jetzt bei uns. Nichts anderes wünsche ich ihnen darum als offene Herzen für kindliches Staunen und die überraschende Erfahrung, wie gut es tut, wenn Gott ins Spiel unseres Lebens kommt. Keine anderen Worte sind dann nötig als eben diese in staunender Dankbarkeit: schöne Bescherung! Darüber dürfen wir uns zurecht freuen. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.