"EINMAL PARADIES UND ZURÜCK“
THEMA-GOTTESDIENST ZUR MITT-FERIENZEIT
AM SONNTAG, DEN 15. AUGUST 2004
IM ÖKUMENISCHEN KIRCHENZENTRUM MARIA MAGDALENA
IN FREIBURG-RIESELFELD

15.08.2004
Thema-Teil 1: Exodus oder die große Unterbrechung

Lesung 1

Den Sabbattag sollst du so halten, dass er für dich heilig ist. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun. Da sollst du daran denken, dass du Knecht in Ägyptenland warst und dich nach der Freiheit von Mühsal und Plage gesehnt hast. Denn ich bin vom Himmel herabgestiegen, damit ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.

Liedzusammenstellung: („Über den Wolken“ / „Reif für die Insel“ ...)

(Vokal, Gitarre – Traudel Kern)

Biblische Lesungen

(leise Keyboard-Musik unterlegt - Steffen Jahnke)

Lesung 2

Und Gott sprach: Weil Du von den Früchten des Baumes gegessen hast, von denen ich Dir gesagt habe, Du sollst nicht davon essen -, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.

- nachklingen lassen -

Verkündigung 1

Das Leben ist schön. Keine Frage. Wer weiß dies nicht. Aber Leben ist immer zugleich auch Müh und Arbeit. Urlaub ist schön, weil das Leben eben nicht immer nur schon ist. Weil wir uns nach Unterbrechung sehnen. Nach Entlastung. Nach Tagen und Wochen der Freiheit von Projekten und Terminplänen. Von Büroluft und Kollegen oder Kolleginnen. Urlaub ist schön, weil er uns den kleinen Ausstieg ermöglicht. Weil das Nein endlich zu seinem Recht kommt. Und das sonst oft verdrängte Ja. Urlaub das ist manchmal der Exodus auf Zeit. Die Erweiterung unserer sonst oft von Sachzwängen begrenzten Möglichkeiten. Exodus – oder die große Unterbrechung. So habe ich diesen ersten Teil des Nachdenkens über die Urlaubszeit darum überschrieben.

Leben unter den Bedingungen unserer Wirklichkeit heißt, die Begrenzung unserer Möglichkeiten aushalten lernen. Und sie ins Positive zu wenden. Die Entscheidungsalternativen auf ein erträgliches Maß reduzieren. Ich kann mir nicht auf Dauer jede Tür offen halten. Kann nicht jedem Traum nachhängen. Weil ich Energie brauche, um die Wirklichkeit zu gestalten. So schlecht leben wir doch gar nicht vor den Toren des Paradieses. Mit Hilfe der Kultur haben wir das Leben im Schweiße unseres Angesichtes auszuhalten gelernt. Haben wir uns zumindest teilweise paradiesische Zustände geschaffen. Uns gewissermaßen eine „zweite Natur“ zugelegt. Leider nicht selten auf Kosten anderer. Aber wir haben Gestaltungsspielräume. Wir können die Welt zum Guten hin verändern. Uns unsere Möglichleiten als Kooperationspartner Gottes ausnützen.

Wir können aussteigen. Unsere Möglichkeiten wieder weiten. Weil wir nicht nur reif für die Insel sind. Sondern auch reif für’s Paradies. Urlaub, das heißt: Wir können uns auf Zeit wieder dem Paradies annähern. Dazu braucht es nicht unbedingt den Ortswechsel. Die Reise über Tausende von Kilometern. Auch wenn der manches leichter macht. Es reicht schon die Bereitschaft zum Perspektivenwechsel. Die Fähigkeit, die alte, vertraute Lebenswelt mit anderen Augen zu sehen.

Genau das war über Jahrhunderte die Aufgabe der Religion. In Festen unterschiedlichster Art, in Prozessionen, in heiligen Spielen und sakralem Tanz wurde die Grenze der Wirklichkeit überschritten. Heute hat der Urlaub, das Reisen manche dieser Funktionen übernommen. Das Heraustreten aus dem Alltag. Der Bruch mit der Vorfindlichkeit. All dies macht den Urlaub zu einer modernen Form der Pilgerreise. Der Mythos des Paradieses aus uralter Zeit – die Hoffnung auf die Erneuerung der Schöpfung – auf einen neuen Himmel und eine neue Erde - sie wird von neuem ins Leben gezogen.

EG 395,2+3: Vertraut den neuen Wegen

Thema-Teil 2: Das Wunder der Heilung durch das Heilige

Biblische Lesungen

(leise Keyboard-Musik unterlegt - Steffen Jahnke)

Lesung 1

Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine Schlange aus Metall und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine solche Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Lesung 2

Als die Frau von Jesus hörte, kam sie in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: Wenn ich nur seine Kleider berühren könnte, so würde ich gesund. Und sogleich spürte sie, dass sie von ihrer Plage geheilt war. 30 Und Jesus spürte sogleich an sich selbst, dass eine Kraft von ihm ausgegangen war, und wandte sich um in der Menge und sprach: Wer hat meine Kleider berührt? Und er sah sich um nach der Frau, die ihn berührt hatte. Die Frau aber fürchtete sich und zitterte, denn sie wusste, was an ihr geschehen war; sie kam und fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sprach zu ihr: Frau, dein Glaube hat dich gesund gemacht; geh hin in Frieden und sei gesund.

- nachklingen lassen -

Verkündigung 2

Der Kontakt mit dem Heiligen kann gesund machen. Heilige Orte. Heilige Berge. Heilige Bilder. Ja, auch heilige Menschen. Heilig ist manchmal fast gleichbedeutend mit heilend. Daher habe ich diesen Teil Das Wunder der Heilung durch das Heilige überschrieben. Unsere Urlaube gleichen immer mehr Wallfahrten zum Heiligen.

Was das Heilige im Einzelfall ist, das hängt von den ganz individuellen Vorlieben ab. Ausstellungen wie gegenwärtig die über Tut-anch-ammun in Basel haben lange Wartezeiten. Hundertausende machen sich zur Ausstellung des Museum of Modern Art nach Berlin auf. Manche Ausstellung hat inzwischen rund um die Uhr geöffnet. Und es ist erstaunlich, mit welcher Disziplin viele über Stunden in Warteschlangen ausharren.

Nicht auf Detail-Kenntnis kommt es aber am Ende an. Sondern auf den Kontakt mit der Echtheit. Der Authentizität. Etwas mit eigenen Augen gesehen haben. Sagen zu können: Ich war dabei. Oder ich war dort. Dies scheint viel wichtiger als den Hintergrund zu kennen. Den Kontext.

Weniger als eine Stunde verweilt ein Besucher durchschnittlich in Uffizien in Florenz. An anderen heiligen Orten der Kunst wird es kaum anders sein. Letztendlich kommt es auf die Echtheit auch gar nicht an. War das Gartengrab in Jerusalem wirklich das Grab Jesu? Oder hat am Ende doch die Tradition der Grabeskirche recht? Am Ende wirken beide Mythen. Dein Glaube hat Dir geholfen, sagt Jesus. Nicht etwa Dein Verstand.

Im Heiligen Wasser gebadet haben. Dem Bild aus den Händen eines großen der Kunst Auge in Augen gegenüber. Das entfaltet Wirkung. Das entlastet. Und befreit.

Und es ist jenem anderen heilenden Mythos vergleichbar. Dem, der sich ausdrückt in der Sehnsucht nach der angeblich unberührten Natur. So ganz anders ist sie als die zu Hause. Die herrlichen, Strände. Der prächtige Sternenhimmel. Die glücklichen, braungegerbten Gesichter des Nordseefischers. Oder des Weinbergbesitzers in der Toskana. Also doch einfach zurück zur Natur. Aber nur nicht hinter die Kulissen schauen. Damit der Zauber wirkt.

Der Urlaub verträgt keine Entmythologisierung. Weil er Wunder wirken soll. Er entfaltet mehr Kraft zur Gleichmachung der Ungleichen als jedes politische Programm. Die wenigen Fetzen Stoff, mit denen man sich am Strand noch umhüllt – wenn überhaupt – sie berauben uns aller Statussymbole. Vor dem Sprung ins Wasser sind alle gleich. Zumindest die meisten.

Tatsächlich bringt uns der Urlaub der Gleichheit näher. Ob an fernen Stränden. Oder zu Hause. Wo das Heilige uns heilt, wächst die Ahnung und die Sehnsucht danach auf’s Neue. Urlaub – das könnte die Zeit werden, um sich auf das Wesentliche zu besinnen. Das eigene Licht unter dem Scheffel hervorzuholen. Den eigenen Wert erkennen und zum Leuchten zu bringen. Sich daran erinnern zu lassen, dass wir nach Gottes Bild geschaffen sind.

Die Begegnung mit uns selbst, die Begegnung mit dem Heiligen bringt uns der Erlösung näher. Der Erlösung von belastenden Zwängen. Der Erlösung von der resignativen Einsicht, es bliebe doch sowieso immer alles beim Alten. Der Erlösung von allem, was uns den Blick in die Zukunft verbaut. „Geh’ in Frieden und sei gesund!“ Einen besseren Urlaubswunsch kann es eigentlich gar nicht geben.

i><„Morning of my life“<(b> (Vokal, Gitarre – Traudel Kern)

Themen-Teil 3: Das Wunder der Verwandlung

Biblische Lesungen

(leise Keyboard-Musik unterlegt - Steffen Jahnke)

Lesung 1

Da stieg Naaman ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und seine Haut wurde wieder heil wie die Haut eines Kindes, und er wurde rein. Und er kehrte zurück zu dem Mann Gottes mit allen seinen Leuten. Und als er hinkam, trat er vor ihn und sprach: Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen außer Dir.

Lesung 2

Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt.

- nachklingen lassen -

Verkündigung 3

Manchmal wachen wir morgen wie verwandelt auf. Mag die Sonne über unserem Zorn untergegangen sein – sie geht nicht mehr über ihm auf. Eine Nacht darüber geschlafen – und die Dinge sehen oft ganz anders aus.

Ganz ähnlich ist es oft mit dem Urlaub. Er wird zur Zeit, die Wunden zu heilen vermag. Zur Zeit, die den neuen Blick ermöglicht. Zur Zeit, die zwar nicht alles wieder ins Lot bringt, aber allem die rechte Dimension zuweist.

Urlaub ermöglicht den Neuanfang. Die Berge, die zum Ort der Gottesbegegnung wurden – das Meer, das zum Wasser der Verwandlung wurde – sie bleiben nicht ohne Nachwirkung. Der Urlaub – die Ferienzeit – sie wird zum Ort der kleinen Neu-Schöpfung. Zur Gelegenheit der kleinen, aber nachhaltigen Verwandlung.

Erfahrenerkommen wir zurück – nicht selten im doppelten Sinn des Wortes. Erholt. Verwandelt. Am Ende des Urlaubs muss nicht der Rückfall in die alten Gewohnheiten, die alten Verstrickungen stehen. Am Ende erwartet und die Möglichkeit des Neuanfangs unter den Bedingungen des neugewonnenen Abstandes. Und des Blicks, der alles verändert.

Das Wunder der Verwandlung habe ich diesen dritten Teil des Nachdenkens über die Urlaubszeit überschrieben. Sich verwandeln lassen. Als Verwandelte zurückkommen. Als Neugewordene wieder in den Alltag eintauchen. Reisen als Spiegelbild dessen, was wir uns von Religion erhoffen. Reisen als intensive Form des Glaubens. Glauben mit der ganzen Person. Gerade der, die auf Erholung und Entlastung angewiesen ist. Pilgerbrauchtum am Beginn des 21. Jahrhunderts. Alte Weisheit in neuen Formen.

Das Reisen hat manche Aspekte der Religion übernommen, habe ich eingangs gesagt. Aber das Spiegelbild ist nicht die Wirklichkeit. Die Quelle wird nur dann zur Lebensquelle, wenn man daraus trinken kann. Warum also nicht auch nach den Quellen suchen. Formen des eigenen Glaubens einüben. Kirchen nicht nur aus kunsthistorischem Interesse aufsuchen, sondern einfach mitfeiern.

Sich Zeit nehmen für sich selber. Lesen und von den Erfahrungen anderer profitieren. Anteil nehmen an dem, was andere trägt und worauf sie ihre Hoffnungen gründen. Gewinn ziehen aus ihren Erfahrungen. Ruhig Gott ins Spiel des Lebens bringen. Und ins Spiel kommen lassen. Raum geben für die Einsicht, dass uns das Wesentliche im Leben als Geschenk wiederfährt. Gratis. Aber eben nicht beliebig ersetzbar oder austauschbar.

Wir können eine neue Ahnung davon gewinnen, was das Paradies meint. Nur sesshaft werden können wir dort nicht. Wir bleiben unterwegs. Als Pilgerin und als Pilger des Lebens. Wie in jener Geschichte, die von zwei Wanderern erzählt, die sich nachts in der Wüste verirren. Am Ende fnden sie in einem Kloster Unterschlupf. Karg sind die Zellen eingerichtet. Und sie fragen den Abt, warum man im Kloster auch auf das scheinbar Allernötigste verzichtet. „Ihr habt doch auch nichts dabei als nur das Allernötigste“, entgegnet der Abt. „Wir sind doch auch auf der Durchreise“, sagt einer der Wanderer. „Wir auch!“ entgegnet der Abt.

Leben ist immer Leben in Vorläufigkeit. Leben ist Leben unterwegs. Wir sind alle auf der Durchreise. Und wir sind dankbar, den an unserer Seite zu wissen, dem sich alles Leben verdankt. Damit wir nicht nur im Urlaub leben. Und damit unser Leben immer auch nach Ferien und nach Fest schmeckt. Nach Urlaub und Ursprünglichkeit.. Wir können uns vom Leben verwandeln lassen. Und unsere Wege unter Gottes Segen gehen – mehr braucht’s nicht zum Leben. Leben in der Fülle der Möglichkeiten, die uns zugedacht sind. Das ist Leben pur.

Dahin lasst uns aufbrechen. Amen.

Lied (A77-755,1-7) Lasst uns gehen

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.