PREDIGT ÜBER GENESIS 22,1-14.19
AM SONNTAG, DEN 29. FEBRUAR 2004 (INVOCAVIT)
IN DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN KIRCHZARTEN
IM RAHMEN DER PREDIGTREIHE „WIE IM FEUER"
29.02.2004
Wer Gott begegnet ist, liebe Gemeinde, bleibt ein Leben lang gezeichnet. Und wie immer sich ein Mensch nach einer solchen Gottesbegegnung zu Gott stellt – wie er sie in sein Leben integriert oder sie verdrängt – er kann nie mehr dahinter zurück. Wie durch’s Feuer hindurch lässt uns diese Begegnung weiterleben. Mit versengtem Haar. Mit vernarbter Haut. Mit einer lebenslänglich nachwirkenden Erinnerung. Aber zugleich auch mit den Zeichen derer, die ihr Leben dem Tode auf’s Neue abgetrotzt haben. Die im Feuer für’s Leben neu tauglich gemacht wurden. Die spürbar gereift sind. Zum sichtbaren Zeichen geworden für die Gegenwart Gottes in der Welt.
Menschen gibt es, die sind in besonderer Weise durch ihre Gottesbegegnungen geprägt und herausgehoben. Immer wieder begegnen uns solche Menschen. Geradezu idealtypisch in den Erzählungen der hebräischen Bibel. Jakob etwa, der an der Hüfte getroffen hinkend aus seiner Gottesbegegnung am Jabbok hervorgeht. Mose, mit dem Gott redete wie mit einem Freund und dessen Gesicht dann immer von einem besonderen Glanz gezeichnet war. Jeremia, der mit einem Mal dennoch weitersagen kann, wozu er sich zuvor eigentlich selber noch für zu unerfahren und zu jung hält. Hiob, der leidgeprüft Gott gegen Gott selber auf den Plan ruft und am Ende wie durch’s Feuer hindurch staunend die Größe Gottes akzeptiert.
Und dann eben der, sei aller überragt. Der, auf dessen Glauben sich gleich drei große Religionen berufen. Abraham. Um ihn – um Abraham – soll’s gehen in dieser Predigt. Der ersten in einer Reihe von sieben Predigten zu Passionsgestalten. Frei machen soll uns diese Passions- und zugleich Fastenzeit. Freier von den kleinen irdischen Abhängigkeiten, wie viele Menschen es in der Aktion „Sieben Wochen ohne“ versuchen. Frei aber vor allem für den Blick auf den, der uns durch die Begegnung mit ihm verändert.
Heute also Abraham. Wahrhaftig nicht nur eine Passionsgestalt. Sondern Urahn aller Glaubenden. Ausgangspunkt einer Familiengeschichte, die zum Ausgangspunkt einer großen Geschichte und zur Keimzelle eines großen Volkes werden soll. Urbild all derer, die sich aufmachen in Neues.
„Und der Herr sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen werde.“ Das ist der Beginn dessen, was wir aus der Bibel über Abraham erfahren. Ein Nomade, der sich vor mehr als 3000 Jahren aufmacht, um seine Herden aus den Weidegründen des Zweistromlandes in die fruchtbaren Gefilde Kanaans zu führen.
Von allem Anfang – von diesem Aufbruch an ist sein Weg gezeichnet von folgenreichen Erfahrungen, die sich auf je eigene Art als Gottesbegegnung erweisen. Und im Kern geht es allemal um die Zukunft. Seine eigene und die seiner Sippe und seines Volkes. Land und Nachkommen werden ihm und seiner Frau Sarah verheißen. So zahlreich wie die Sterne am Himmel. Gott erweist sich als der, als den wir Gott bis heute so gerne für uns in Beschlag nehmen und erfahren möchten: als die Macht, die Zukunft gewährt und garantiert. Zuletzt und ganz besonders in der Geburt des Kindes, das Sarah erst einmal zum Lachen bringt. „Ich - ich alte Frau, ich soll noch ein Kind zu Welt bringen?! Und sie bringt dieses Kind zu Welt. Aus dem ungläubigen wird ein staunendes Lachen. Aus dem Zweifel eine Gottesbegegnung im Geschenk zukunftsoffenen Lebens. In der Geburt des kleinen Isaak.
Und plötzlich dann – unvermittelt und ohne die Möglichkeit, sich darauf einzustellen jene Wendung Gottes ins Fremde und kaum Nachvollziehbare. Jene so unglaubliche Geschichte einer Gotteserfahrung, die alle Erfahrung sprengt. Hören wir, wie die Bibel im 22. Kapitel des 1. Buches Mose davon berichtet:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt. Und Abraham nannte die Stätte »Gott sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da Gott sieht. So kehrte Abraham zurück zu seinen Knechten. Und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba, und Abraham blieb daselbst.
Schon der Anfang reizt zum Widerspruch: Gott versucht den Abraham. Stellt ihn auf die Probe. Will seinen Glauben austesten. Eine Närrin und Narr, wer diesem Gottesbild Glauben schenken will. Dieser Vorstellung, Gott habe sich darauf verlegt, den Glauben der Menschen wie im Labor einem Tauglichkeitstest zu unterziehen. Eine Art biblischer Vorform der Reality-Shows unserer Tage nach dem Motto: Holt mich hier raus?
Im Hiobbuch finden wir diese Vorstellung dann auf die Spitze getrieben. Perfektioniert. Da gibt Gott dem Satan freie Hand, den Hiob bis zum Letzten auszutesten. Aber dazu gibt es am kommenden Sonntag eine Predigt. Können Sie sich das wirklich vorstellen? Können Sie das wirklich ertragen: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast und opfere ihn zum Brandopfer auf einem Berg, den ich dir zeigen werde.“ Und dies, nachdem Isaak nun ja gerade derjenige ist, über den die Hoffnungslinie in die Zukunft verlaufen soll. Ich kann es und will es einfach nicht glauben, hier Gott am Werk zu sehen. Zumindest nicht so.
Fremd bleibt mir dieser Gott. Fremd bleibt mir aber auch dieser Abraham, der nicht einmal den Mund aufmacht, um nur ein einziges Wort des Widerspruchs zu formulieren. Kein „mein Vater, wenn’s möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Kein Versuch, mit diesem Gott zumindest noch einmal ins Gespräch zu kommen. Mit ihm zu rechten.
Nein, Abraham macht sich auf den Weg. Einfach so. „Und gingen die beiden miteinander“. Gleich zweimal wird so lapidar von diesem schweren, ja unglaublichen Gang berichtet. „Und gingen die beiden miteinander.“
Fremd bleibt mir auch dieser Isaak. Lässt sich auf’s Holz binden. Ohne irgend eine Form des Widerstand zu riskieren. Kein Versuch des Entrinnens. Kein Zweifel am rechten Handeln seines Vaters. Wie könnte dieser Isaak Gott zukünftig noch seinen Vater nennen, wenn schon sein leiblicher Vater ihm diese Prüfung nicht erspart. „Da reckte er seine Hand aus und fasste das Messer ...“ Weiter will ich den Satz gar nicht wiederholen.
Was bleibt, ist Unverständnis. Ist Zorn. Ist die Weigerung, dieser Geschichte theologisch noch einen Sinn abzuringen. Zumindest nicht fahrlässig und vorschnell. Womöglich mögen wir es schwer haben mit ernstgemeinter Entrüstung. Schließlich kennen wir die Geschichte von ihrem Ende her. Sind wir nachträglich sogar mit aufgenommen in diese Kette von Hoffnungsgeschichten Gottes mit seinem Volk. Sind wir - mit den Worten des Paulus gesprochen - aufgepfropft in den Ölbaum derer, deren Ur-Eltern Abraham und Sarah sind. Wir kennen die Geschichte nur aus der Perspektive des Happyends. Das reduziert unsere Abwehrhaltung. Aber nicht den Skandal dieses Textes.
Wege haben wir uns ersonnen, diese Geschichte abzuschleifen. Sie erträglicher zu machen. Indem wir sie distanziert zu erklären suchen. Sie stehe am Übergang vom Menschenopfer zum Tieropfer, sagen die Religionswissenschaftler. Dies macht die Sache aber auch nicht besser.
Gewiss: Opfer gibt es, solange es Religion gibt. Opfer gibt es, weil die Menschen sich in der Abhängigkeit von Göttern gefühlt haben. Weil sie in der ausbleibenden Ernte und im persönlichen Schicksalsschlag Götter am Werk gesehen haben. Götter, die das Beste für sich beanspruchen. Die ersten Erntefrüchte. Und dann eben auch das erste Kind oder wie hier den ersten und einzigen Sohn. Opfer geben den Göttern vor allem zurück, was Ihnen zustehe. So sind alle Opfervorstellungen der großen Religionen entstanden.
Doch ich bin sicher: Es sind menschliche Interpretationen undurchsichtiger Erfahrungen. Folgerungen aus der Bedrohlichkeit des Lebens. Konsequenzen aus dem Unvermögen, jedem Leid auch noch einen tieferen Sinn abzugewinnen.
Und so können wir diese Geschichte nur von ihrem Ende her ertragen. Vom Anruf des Engels her. „Lege deine Hand nicht an den Knaben!“ Dann wird ein Widder geopfert anstelle des Isaak. Die Normalität scheint wiederhergestellt. „Und so kehrte Abraham zurück.“ Wäre es so gewesen, wie wir da lesen - eine Rückkehr so als wäre nichts gewesen – dies wäre eine Vorstellung jenseits dessen, was uns denkbar erschiene. Dieser Isaak hätte seinem Nachkommen eine kollektive seelische Traumatisierung mit auf den Weg gegeben.
Unverständlich und unerträglich bliebe diese Geschichte von der Beinahe-Opferung Isaaks, wäre da nicht das kleine Gottesbekenntnis. Jene zum Namen dieses Ortes geronnene Erfahrung: Gott sieht. Und der Gott der sieht, das kann nicht ein Gott sein, der übersieht, was er Abraham zumutet. Der übersieht, dass wir nicht an ihn glauben können, wenn nicht als der Gott, der die Quelle und die Ursache des Lebens, ja das Leben selber ist.
Der Gott, der sieht, das ist vielmehr der, der dem Mose wie im Feuer begegnet und ihn anspricht mit den Worten: „Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört. Gekommen bin ich, um mein Volk zu retten.“
Dass wir leben sollen, das ist Gottes Wille. Und dass wir denen, die mit uns leben, Raum zum Leben gewähren. Ihnen Leben ermöglichen. Keine anderen Opfer hat Gott dafür nötig, als ein Leben, das vor ihm Bestand haben kann, weil es sich ausrichtet am Maßstab von Recht und Gerechtigkeit.
Einer hat uns ein solche Leben vorgelebt. Einer, dessen Leben mit Worten gedeutet wird, die dieser dunklen Geschichte von der Prüfung Abrahams fast wörtlich entnommen sind. Der, von dem es heißt, in ihm habe Gott seinen einzigen Sohn, den er liebe, nicht verschont. Der, von dem wir bekennen, er habe sich für uns geopfert.
Hat Gott am Ende also doch ein Opfer nötig? Braucht Gott am Ende zumindest dieses eine Opfer, um uns gegenüber wieder wohlgesonnen, wieder gnädig gestimmt zu werden. Und da wir Menschen eben nicht in der Lage seien, Gott ein würdiges Opfer darzubringen, opfert Gott sich gewissermaßen selber. Als Menschgewordener.
Schwer nachvollziehbar, und mit dem Gott der Liebe und dem Schöpfer dieser Welt doch kaum zu vereinbaren. Zu viele Opfer haben wir in dieser Welt zu beklagen: Kriegsopfer. Folteropfer Verkehrsopfer. Opfer der Verhältnisse.
Gott will diese Opfer nicht. Und sie helfen mitnichten, ihn gnädig zu stimmen. Solche Opfer machen Gott bestenfalls zornig. Dargebracht werden sie dem Gott Macht. Dem Gott Erfolg. Dem Gott Kommerz. Und wir müssen alles daran geben, damit die Opfer dieser unglückseligen Machart immer weniger werden.
Die Rede vom Opfer macht für mich Sinn nur in einem anderen Verständnis. Dann nämlich, wenn ich die befeiende und entlastende Erfahrung mache: Jemand tritt für mich ein, weil meine Kräfte nicht ausreichen. Oder weil er oder sie bereit ist, mehr einzubringen als andere. Oder mehr als ich es könnte. Und weil ich dafür keinen Preis zahlen muss. Solche Opfer sind Geschenk!
Er hat sich geopfert. Das sagen wir manchmal über einen Menschen. Und wir meinen damit: Er oder auch sie hat sich über alle Möglichkeiten hinaus eingesetzt. Hat die Sache anderer zur eigenen gemacht. Da ist einer, der hat unsere Zerrissenheit, die Bruchstückhaftigkeit, die Unvollkommenheit unseres Lebens zu seiner Sache gemacht. Und hat uns dadurch neue Lebensmöglichkeiten eröffnet.
Nur in diesem Sinn macht für mich auch die Rede vom Opfer Christ überhaupt einen Sinn. Gott tritt für uns ein. Gleichsam stellvertretend. Macht unsere Unmöglichkeiten dennoch zur Möglichkeit in seinen Augen.
Weil Gott sieht, was uns zu schaffen macht und die Luft zum Atmen nehmen will. Und weil Gott unsere Unvollkommenheit und unsere Zerbrechlichkeit, unser Leiden und unsere Verzweiflung zu seiner eigenen macht. Gott sieht – dieser kleine Satz wird zu Abrahams großem Bekenntnis. Gott sieht, wo Kräfte nach uns greifen, denen wir uns nicht gewachsen fühlen. Gott sieht. Und Abraham glaubt. Abraham glaubt, dass Gottes Zusage Leben möglich macht. Gegen den Augenschein. Nicht selten gegen alle Vernunft. Aber nie gegen das Leben selber. In diesem großen Glauben Abrahams sind wir gut aufgehoben mit unserem kleinen Glauben. Nein, nichts wird uns einfach erspart in diesem Glauben. Aber am Ende wartet auf uns eben nicht das Nichts. Weil Gott will, dass wir leben. Und sei’s durch’s Feuer hindurch.
Weil Gott sieht. Amen.
Menschen gibt es, die sind in besonderer Weise durch ihre Gottesbegegnungen geprägt und herausgehoben. Immer wieder begegnen uns solche Menschen. Geradezu idealtypisch in den Erzählungen der hebräischen Bibel. Jakob etwa, der an der Hüfte getroffen hinkend aus seiner Gottesbegegnung am Jabbok hervorgeht. Mose, mit dem Gott redete wie mit einem Freund und dessen Gesicht dann immer von einem besonderen Glanz gezeichnet war. Jeremia, der mit einem Mal dennoch weitersagen kann, wozu er sich zuvor eigentlich selber noch für zu unerfahren und zu jung hält. Hiob, der leidgeprüft Gott gegen Gott selber auf den Plan ruft und am Ende wie durch’s Feuer hindurch staunend die Größe Gottes akzeptiert.
Und dann eben der, sei aller überragt. Der, auf dessen Glauben sich gleich drei große Religionen berufen. Abraham. Um ihn – um Abraham – soll’s gehen in dieser Predigt. Der ersten in einer Reihe von sieben Predigten zu Passionsgestalten. Frei machen soll uns diese Passions- und zugleich Fastenzeit. Freier von den kleinen irdischen Abhängigkeiten, wie viele Menschen es in der Aktion „Sieben Wochen ohne“ versuchen. Frei aber vor allem für den Blick auf den, der uns durch die Begegnung mit ihm verändert.
Heute also Abraham. Wahrhaftig nicht nur eine Passionsgestalt. Sondern Urahn aller Glaubenden. Ausgangspunkt einer Familiengeschichte, die zum Ausgangspunkt einer großen Geschichte und zur Keimzelle eines großen Volkes werden soll. Urbild all derer, die sich aufmachen in Neues.
„Und der Herr sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen werde.“ Das ist der Beginn dessen, was wir aus der Bibel über Abraham erfahren. Ein Nomade, der sich vor mehr als 3000 Jahren aufmacht, um seine Herden aus den Weidegründen des Zweistromlandes in die fruchtbaren Gefilde Kanaans zu führen.
Von allem Anfang – von diesem Aufbruch an ist sein Weg gezeichnet von folgenreichen Erfahrungen, die sich auf je eigene Art als Gottesbegegnung erweisen. Und im Kern geht es allemal um die Zukunft. Seine eigene und die seiner Sippe und seines Volkes. Land und Nachkommen werden ihm und seiner Frau Sarah verheißen. So zahlreich wie die Sterne am Himmel. Gott erweist sich als der, als den wir Gott bis heute so gerne für uns in Beschlag nehmen und erfahren möchten: als die Macht, die Zukunft gewährt und garantiert. Zuletzt und ganz besonders in der Geburt des Kindes, das Sarah erst einmal zum Lachen bringt. „Ich - ich alte Frau, ich soll noch ein Kind zu Welt bringen?! Und sie bringt dieses Kind zu Welt. Aus dem ungläubigen wird ein staunendes Lachen. Aus dem Zweifel eine Gottesbegegnung im Geschenk zukunftsoffenen Lebens. In der Geburt des kleinen Isaak.
Und plötzlich dann – unvermittelt und ohne die Möglichkeit, sich darauf einzustellen jene Wendung Gottes ins Fremde und kaum Nachvollziehbare. Jene so unglaubliche Geschichte einer Gotteserfahrung, die alle Erfahrung sprengt. Hören wir, wie die Bibel im 22. Kapitel des 1. Buches Mose davon berichtet:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt. Und Abraham nannte die Stätte »Gott sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da Gott sieht. So kehrte Abraham zurück zu seinen Knechten. Und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba, und Abraham blieb daselbst.
Schon der Anfang reizt zum Widerspruch: Gott versucht den Abraham. Stellt ihn auf die Probe. Will seinen Glauben austesten. Eine Närrin und Narr, wer diesem Gottesbild Glauben schenken will. Dieser Vorstellung, Gott habe sich darauf verlegt, den Glauben der Menschen wie im Labor einem Tauglichkeitstest zu unterziehen. Eine Art biblischer Vorform der Reality-Shows unserer Tage nach dem Motto: Holt mich hier raus?
Im Hiobbuch finden wir diese Vorstellung dann auf die Spitze getrieben. Perfektioniert. Da gibt Gott dem Satan freie Hand, den Hiob bis zum Letzten auszutesten. Aber dazu gibt es am kommenden Sonntag eine Predigt. Können Sie sich das wirklich vorstellen? Können Sie das wirklich ertragen: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast und opfere ihn zum Brandopfer auf einem Berg, den ich dir zeigen werde.“ Und dies, nachdem Isaak nun ja gerade derjenige ist, über den die Hoffnungslinie in die Zukunft verlaufen soll. Ich kann es und will es einfach nicht glauben, hier Gott am Werk zu sehen. Zumindest nicht so.
Fremd bleibt mir dieser Gott. Fremd bleibt mir aber auch dieser Abraham, der nicht einmal den Mund aufmacht, um nur ein einziges Wort des Widerspruchs zu formulieren. Kein „mein Vater, wenn’s möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Kein Versuch, mit diesem Gott zumindest noch einmal ins Gespräch zu kommen. Mit ihm zu rechten.
Nein, Abraham macht sich auf den Weg. Einfach so. „Und gingen die beiden miteinander“. Gleich zweimal wird so lapidar von diesem schweren, ja unglaublichen Gang berichtet. „Und gingen die beiden miteinander.“
Fremd bleibt mir auch dieser Isaak. Lässt sich auf’s Holz binden. Ohne irgend eine Form des Widerstand zu riskieren. Kein Versuch des Entrinnens. Kein Zweifel am rechten Handeln seines Vaters. Wie könnte dieser Isaak Gott zukünftig noch seinen Vater nennen, wenn schon sein leiblicher Vater ihm diese Prüfung nicht erspart. „Da reckte er seine Hand aus und fasste das Messer ...“ Weiter will ich den Satz gar nicht wiederholen.
Was bleibt, ist Unverständnis. Ist Zorn. Ist die Weigerung, dieser Geschichte theologisch noch einen Sinn abzuringen. Zumindest nicht fahrlässig und vorschnell. Womöglich mögen wir es schwer haben mit ernstgemeinter Entrüstung. Schließlich kennen wir die Geschichte von ihrem Ende her. Sind wir nachträglich sogar mit aufgenommen in diese Kette von Hoffnungsgeschichten Gottes mit seinem Volk. Sind wir - mit den Worten des Paulus gesprochen - aufgepfropft in den Ölbaum derer, deren Ur-Eltern Abraham und Sarah sind. Wir kennen die Geschichte nur aus der Perspektive des Happyends. Das reduziert unsere Abwehrhaltung. Aber nicht den Skandal dieses Textes.
Wege haben wir uns ersonnen, diese Geschichte abzuschleifen. Sie erträglicher zu machen. Indem wir sie distanziert zu erklären suchen. Sie stehe am Übergang vom Menschenopfer zum Tieropfer, sagen die Religionswissenschaftler. Dies macht die Sache aber auch nicht besser.
Gewiss: Opfer gibt es, solange es Religion gibt. Opfer gibt es, weil die Menschen sich in der Abhängigkeit von Göttern gefühlt haben. Weil sie in der ausbleibenden Ernte und im persönlichen Schicksalsschlag Götter am Werk gesehen haben. Götter, die das Beste für sich beanspruchen. Die ersten Erntefrüchte. Und dann eben auch das erste Kind oder wie hier den ersten und einzigen Sohn. Opfer geben den Göttern vor allem zurück, was Ihnen zustehe. So sind alle Opfervorstellungen der großen Religionen entstanden.
Doch ich bin sicher: Es sind menschliche Interpretationen undurchsichtiger Erfahrungen. Folgerungen aus der Bedrohlichkeit des Lebens. Konsequenzen aus dem Unvermögen, jedem Leid auch noch einen tieferen Sinn abzugewinnen.
Und so können wir diese Geschichte nur von ihrem Ende her ertragen. Vom Anruf des Engels her. „Lege deine Hand nicht an den Knaben!“ Dann wird ein Widder geopfert anstelle des Isaak. Die Normalität scheint wiederhergestellt. „Und so kehrte Abraham zurück.“ Wäre es so gewesen, wie wir da lesen - eine Rückkehr so als wäre nichts gewesen – dies wäre eine Vorstellung jenseits dessen, was uns denkbar erschiene. Dieser Isaak hätte seinem Nachkommen eine kollektive seelische Traumatisierung mit auf den Weg gegeben.
Unverständlich und unerträglich bliebe diese Geschichte von der Beinahe-Opferung Isaaks, wäre da nicht das kleine Gottesbekenntnis. Jene zum Namen dieses Ortes geronnene Erfahrung: Gott sieht. Und der Gott der sieht, das kann nicht ein Gott sein, der übersieht, was er Abraham zumutet. Der übersieht, dass wir nicht an ihn glauben können, wenn nicht als der Gott, der die Quelle und die Ursache des Lebens, ja das Leben selber ist.
Der Gott, der sieht, das ist vielmehr der, der dem Mose wie im Feuer begegnet und ihn anspricht mit den Worten: „Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört. Gekommen bin ich, um mein Volk zu retten.“
Dass wir leben sollen, das ist Gottes Wille. Und dass wir denen, die mit uns leben, Raum zum Leben gewähren. Ihnen Leben ermöglichen. Keine anderen Opfer hat Gott dafür nötig, als ein Leben, das vor ihm Bestand haben kann, weil es sich ausrichtet am Maßstab von Recht und Gerechtigkeit.
Einer hat uns ein solche Leben vorgelebt. Einer, dessen Leben mit Worten gedeutet wird, die dieser dunklen Geschichte von der Prüfung Abrahams fast wörtlich entnommen sind. Der, von dem es heißt, in ihm habe Gott seinen einzigen Sohn, den er liebe, nicht verschont. Der, von dem wir bekennen, er habe sich für uns geopfert.
Hat Gott am Ende also doch ein Opfer nötig? Braucht Gott am Ende zumindest dieses eine Opfer, um uns gegenüber wieder wohlgesonnen, wieder gnädig gestimmt zu werden. Und da wir Menschen eben nicht in der Lage seien, Gott ein würdiges Opfer darzubringen, opfert Gott sich gewissermaßen selber. Als Menschgewordener.
Schwer nachvollziehbar, und mit dem Gott der Liebe und dem Schöpfer dieser Welt doch kaum zu vereinbaren. Zu viele Opfer haben wir in dieser Welt zu beklagen: Kriegsopfer. Folteropfer Verkehrsopfer. Opfer der Verhältnisse.
Gott will diese Opfer nicht. Und sie helfen mitnichten, ihn gnädig zu stimmen. Solche Opfer machen Gott bestenfalls zornig. Dargebracht werden sie dem Gott Macht. Dem Gott Erfolg. Dem Gott Kommerz. Und wir müssen alles daran geben, damit die Opfer dieser unglückseligen Machart immer weniger werden.
Die Rede vom Opfer macht für mich Sinn nur in einem anderen Verständnis. Dann nämlich, wenn ich die befeiende und entlastende Erfahrung mache: Jemand tritt für mich ein, weil meine Kräfte nicht ausreichen. Oder weil er oder sie bereit ist, mehr einzubringen als andere. Oder mehr als ich es könnte. Und weil ich dafür keinen Preis zahlen muss. Solche Opfer sind Geschenk!
Er hat sich geopfert. Das sagen wir manchmal über einen Menschen. Und wir meinen damit: Er oder auch sie hat sich über alle Möglichkeiten hinaus eingesetzt. Hat die Sache anderer zur eigenen gemacht. Da ist einer, der hat unsere Zerrissenheit, die Bruchstückhaftigkeit, die Unvollkommenheit unseres Lebens zu seiner Sache gemacht. Und hat uns dadurch neue Lebensmöglichkeiten eröffnet.
Nur in diesem Sinn macht für mich auch die Rede vom Opfer Christ überhaupt einen Sinn. Gott tritt für uns ein. Gleichsam stellvertretend. Macht unsere Unmöglichkeiten dennoch zur Möglichkeit in seinen Augen.
Weil Gott sieht, was uns zu schaffen macht und die Luft zum Atmen nehmen will. Und weil Gott unsere Unvollkommenheit und unsere Zerbrechlichkeit, unser Leiden und unsere Verzweiflung zu seiner eigenen macht. Gott sieht – dieser kleine Satz wird zu Abrahams großem Bekenntnis. Gott sieht, wo Kräfte nach uns greifen, denen wir uns nicht gewachsen fühlen. Gott sieht. Und Abraham glaubt. Abraham glaubt, dass Gottes Zusage Leben möglich macht. Gegen den Augenschein. Nicht selten gegen alle Vernunft. Aber nie gegen das Leben selber. In diesem großen Glauben Abrahams sind wir gut aufgehoben mit unserem kleinen Glauben. Nein, nichts wird uns einfach erspart in diesem Glauben. Aber am Ende wartet auf uns eben nicht das Nichts. Weil Gott will, dass wir leben. Und sei’s durch’s Feuer hindurch.
Weil Gott sieht. Amen.