„UNSER NEIN ZUM JA VERWANDELN“
PREDIGT ÜBER MATTHÄUS 21,28-32
GEHALTEN AM SONNTAG, DEN 7. AUGUST 2005 (11.S.N.TR.)
IN DER CHRISCHONA-GEMEINDE IN FREIBURG
07.08.2005
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Endzeitstimmung allenthalben. Jetzt, so scheint es, kommt’s drauf an, das Rechte zu tun. Und der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Fehler können wir uns jetzt nicht mehr leisten. Jetzt muss ein Ja ein ja und ein Nein ein Nein sein. In der Politik, zumal in Wahlkampfzeiten wie jetzt bei uns, muss es doch gerade auf Klarheit und Wahrheit ankommen. In der Wissenschaft, wo der Mensch nach den Sternen und nach den Genen zugleich greift. In der Kultur, wo wir mit so vielem gleichzeitig überhäuft werden, dass wir beinahe nicht mehr aus und ein wissen und die Orientierung verlieren.
2. Endzeitstimmung vor 2000 Jahren! Auch damals lam’s also schon darauf an. Endzeitstimmung. Die finden wir auch im 21. Kapitel des Matthäusevangeliums. Jenem Kapitel, das mit dem Einzug Jesu in Jerusalem beginnt (Verse 1-11). Endzeitstimmung bei der Menge, die dem Mann auf dem Esel begeistert zujubelt: „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ Jetzt stehen die Zeichen auf Sturm.
Und dieser Sturm kommt dann auch gleich. In Gestalt der sogenannten Tempelaustreibung (Verse 12-17). Kaufhaus Ade. Jetzt wird endlich ein Bethaus aus dem Tempel. Endzeitstimmung in Jerusalem. Wer jetzt nicht Frucht bringt, hat seine Daseinsberechtigung verloren. Wie der Feigenbaum, der dem hungrigen Jesus keine nahrhaften Früchte zu bieten hat (Verse 18-22). Wer zu spät kommt, den bestraft eben das Leben. Oder der, der von sich sagt, dass er selber das Leben sei. „Nun wachse aus dir niemals mehr Frucht!“, sagt Jesus. Und der Feigenbaum verdorrte sogleich.
Wer derart deutlich macht, dass es jetzt um alles und ums Ganze geht, braucht sich nicht zu wundern, wenn man ihn zur Rede stellt (Verse 23-27). „Wer hat dir diese Vollmacht gegeben?“ Wer hat dir erlaubt, unser so wohl ineinander gefügtes Ganzes in Frage zu stellen. Und aus dem Gleichgewicht zu bringen? Wer hat dich zum Boten der Endzeit gemacht?
Wir alle wissen, wie Jesus reagiert. Er antwortet mit einer Gegenfrage. Er fragt nach der Herkunft der Taufe des Johannes. Und seine Fragestellen überführen sich selber der Unwissenheit. Sie können die Zeichen der Zeit nicht deuten. Sagen sie, die Taufe des Johannes war menschlich, haben sie das Volk gegen sich, das in Johannes einen Propheten sieht. Sagen sie, die Taufe des Johannes war von Gott, folgt die Nachfrage auf dem Fuß: „Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt?“
Kein Wunder, dass sie sich in der Endzeitstimmung verheddern. „Wir wissen’s nicht“, sagen sie. „Dann lasse ich euch auch darüber im Unklaren, woher ich meine Vollmacht habe“, gibt Jesus zur Antwort. Und jedermann weiß, woher seine Vollmacht kommt. Und bleibt das Bekenntnis seiner Einsicht doch schuldig. Wissen und Tun klaffen auseinander.
3. Und damit sind wir endlich beim Predigttext, der heute – am 11. Sonntag nach dem Fest der göttlichen Dreieinigkeit - in den Gottesdiensten der Evangelischen Kirche in Deutschland gepredigt wurde und wird. Es ist die Fortsetzung des eben in seinen wesentlichen Teilen kurz skizzierten 21. Kapitels des Matthäusevangeliums. Ein kleines Gleichnis, das Jesu Verständnis der Endzeitstimmung erläutert. Ein Gleichnis, das wir so nur bei Matthäus so überliefert finden. Dort heißt es in den Versen 28-32:
Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn, und er ging hin. Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr! und ging nicht hin. Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie antworteten: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr's saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, so dass ihr ihm dann auch geglaubt hättet.
4. Eine einfache Familiengeschichte ist das - zunächst. Eine Geschichte der Art, wie sie jeder kennt, der mit Kindern in einer Familie zusammenlebt. Und versucht, ihnen in der Erziehung das Einmaleins des Lebens und des rechten Zusammenlebens beizubringen. Eine Geschichte, eigentlich zu einfach und zu oberflächlich, um damit die entscheidenden Fragen des Lebens zu beantworten. Die Frage, worauf es ankommt, wenn Endzeitstimmung angesagt ist. Die Frage danach, was zählt, wenn’s drauf ankommt.
5. Ein Mann hat zwei Söhne. Also eine normale Durchschnittsfamilie. So wie sie heute üblich ist. Der Vater will die Söhne in die Verantwortung mit einbinden. Sie zur Mithilfe ermuntern. Ihnen eine Aufgabe übertragen. Er wendet sich an den ersten. Doch der wiegelt gleich ab. Sagt einfach nein. Keine Lust vielleicht. Oder keine Zeit. Oder er hat gerade etwas anderes im Kopf. Klar ist: Er will nicht. Und sagt darum auch klar und deutlich nein.
Und der Vater weiß mindestens, wo er dran ist. So wie das viele Väter und Mütter wissen, wenn sie sich an ihre Kinder größer werdenden oder eben gerade erwachsen gewordenen Kinder wenden. Abnabeln ist angesagt. Das Ausleben des Freiheitsdranges. Soll der Vater seinen Laden doch künftig ohne mich in Ordnung halten.
Gut, dass es da noch den zweiten gibt. Den Musterknaben. Den, der das vierte Gebot kennt. Den, der weiß, was er seinem Vater schuldig ist. Die Freude seiner Eltern. „Natürlich komme ich mit“, sagt der. Natürlich steige ich bei dir ein. Natürlich zählt für mich, was du von mir willst.“
Soweit. So gut. Doch das Gleichnis vom Vater mit den zwei Söhnen ist eben noch nicht fertig erzählt. Es hat noch zwei Überraschungen bereit. Oder eigentlich sogar drei. Doch von der dritten gleich. Jetzt erst zu den beiden anderen.
6. Der erst, der Nein-Sager, bleibt nicht bei seinem Nein. Er lässt sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen. Wägt pro und contra ab. Findet es mit einem Mal nicht mehr so schlimm, der Bitte seines Vaters nachzukommen. Oder er kommt einfach zur Vernunft. Befindet sich auf bestem Weg zum Erwachsenwerden. Er kehrt um. Und mit einem Mal wird sein Nein zu einem Ja. Was für eine glücklichmachende Überraschung für den Vater.
Wenn da nicht auch noch der andere wäre. Der Musterknabe. Bin ich denn blöd?, fragt er sich ein ums andere Mal. Warum gerade ich? Was hab’ ich denn am Ende davon? Ich hab’s satt, immer nur der Dumme zu sein. Ich steig’ aus. Soll der Alte doch ohne mich zurecht kommen. Und ohne sich ein Gewissen zu machen, wendet er sich wieder seinen alltäglichen Geschäften zu. Lässt er den Gang der Dinge seinen gewohnten Gang gehen.
Auch er kehrt um. Freilich in die andere Richtung. Und unter der Hand wird aus seinem Ja am Ende ein klares Nein! Der Knabe will, so hat es den Anschein, endlich auf eigenen Füßen stehen. Sich von den Eltern und deren Wünschen abgrenzen. Um endlich nach seinem eigenen Willen leben zu können. Und gerät dabei in den Sog falschverstandener eigener pesönlicher Freiheit.
Wer von beiden hat den Willen des Vaters getan? So fragt der Predigttext. Anfänglich sicher der, der wusste, was der Vater so gerne hat. Der gewissenhafte und anpassungsfähige Sohn. Doch dessen Ja erwies sich als trügerisch. Der Scheck dieses Ja war nicht gedeckt. Und damit ist es genau umgekehrt wie beim anderen. Bei dem, der sich ein Gewissen macht. Bei dem, der umkehrt. Und der am Ende dem Wunsch seines Vaters entspricht.
7. Zwei gänzlich unterschiedliche Überraschungen. Doch die wahre Überraschung ist eigentlich die dritte. Die Feststellung nämlich, dass der dritte und der vierte Sohn – oder gerne auch die dritte oder vierte Tochter – fehlen. Die nämlich, bei denen ein Ja ein Ja und ein Nein ein Nein. Die nämlich, die wissen, worauf es ankommt, wenn sich Endzeitstimmung einstellt.
Jesus war in diesem Zusammenhang zu sehr Realist, um im Gleichnis derart gradlinige Typen zur Anschauung zu bringen. Ein anderes Mal hat er das aber durchaus getan. Beim Gleichnis vom sogenannten Verlorenen Sohn. Auch da ging es um zwei Söhne. Die waren von anderem, klareren Kaliber. Es waren genau die Typen, die dieses Mal fehlen. Nein! Sagte der eine. Und er lebt dieses Nein auch aus. Ja! Sagt der andere. Und hält dieses Ja durch. Bis ans Ende, als er meint, als Ja-Sager zu kurz zu kommen. Weil der Vater für ihn kein Kalb schlachtet. Und am Ende der Nein-Sager belohnt wird.
Doch zwischen beiden Gleichnissen liegt ein entscheidender Unterschied. Beim Gleichnis vom sogenannten Verlorenen Sohn geht es eigentlich um den Vater. Die Söhne sind hier eher Karrikaturen. Typen, die es in Reinkultur so gar nicht gibt. Davon später gleich noch einmal.
Hier – beim Gleichnis von den beiden ungleichen Söhnen - stehen tatsächlich die beiden Söhne im Mittelpunkt. Und damit deren Wankelmütigkeit. Die Doppelgesichtigkeit von uns Menschen.
8. Das Gleichnis Jesu – so meinen die meisten Ausleger – endet mit der Rechtfertigung des ersten Sohnes. Mit seinem Handeln hat er sein Versagen entscheidend korrigiert. Hat die Zeichen der Zeit erkannt. Und getan, was er tun musste. Er hat die Gunst der Stunde der Endzeitstimmung zu nutzen gewusst.
Der Predigttext liefert aber gleich noch zwei mögliche Deutungen mit. Eine, die Matthäus schon vorfindet, als er das ihm überlieferte Gleichnis schriftlicht festhält. Und eine Deutung, die er selber anhängt. Und die begründet, warum er diese Geschichte gerade an der Stelle in seinem Evangelium festhält, als es um die Frage nach der Vollmacht Jesu geht.
9. Jetzt aber nacheinander. Die erste Deutung zielt auf zwei ungleiche Personengruppen: „Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und die Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr!“ Es geht also darum, die gängigen Schubladen durcheinander zu bringen. So als wüssten wir tatsächlich immer schon im voraus, wer Gottes Willen tut. Wer gläubig ist, Und wer nicht.
Da gibt es also fromme und ehrbare Menschen – solche, die wissen, dass sie ja sagen müssen, wenn Gott sie ruft. Und am Ende halten sie mir ihrem Leben ihrer Überzeugung nicht Schritt. Weil sie die Wirklichkeit ihres Handels überführt.
Und auf der anderen Seite gibt es die, die wir gar nicht auf der Rechnung haben. Weil sie Gott in ihrem Leben scheinbar keinen Raum ein räumen. Die aber, wenn’s drauf ankommt, wissen, was Gott zu Recht von ihnen erwartet. Weil sie die Endzeitstimmung eben richtig einzuschätzen wissen. Bei dieser Auslegung kommt es auf’s rechte Verhalten an.
Wir alle kennen solch überraschende Erfahrungen. Wir alle wissen, dass Gott am Ende die, die nur eine Stunde im Weinberg arbeiten, denen gleichstellt, die schon in der Hitze des Tages geschuftet haben. Weil Gottes Gerechtigkeit sich anderer Maßstäbe bedient, als wir es gewohnt sind.
10. Matthäus ist aber mit der Deutung auf’s rechte Verhalten hin nicht zufrieden. Zumal sich das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg damit auch nicht zufrieden gibt. Am Ende kommt’s nicht nur auf unser Tun an. Am Ende geht’s um unseren Glauben. Darum dehnt er die vorgefundene Auslegung in diesem Sinn. Und wendet das Gleichnis auf seine Zuhörer an. Dies sind, wenn wir Vers 23 beachten, die Hohenpriester und die Ältesten: „Johannes hat euch den rechten Weg gelehrt“, sagt er. „Aber ihr habt ihm keinen Glauben geschenkt.“
„Und andere“, und damit spielt er noch einmal ausdrücklich auf die eben schon erwähnten Zöllner und Huren an, „andere berufen sich nicht auf ihren schon gesicherten Glaubensstatus. Sie erkennen, worauf es ankommt. Sie ändern ihren Sinn und kehren um.“ Und es gehört wenig Phantasie dazu, um den Satz mit eigenen Worten abzuschließen: „Und diese – und eben nicht ihr! - befinden sich am Ende auf der richtigen Seite!“ Sie sind es, die Gottes Willen entsprechen und tun.
Soweit. So gut – könnte man noch einmal sagen. Oder eben nicht. Schließlich steht ja noch die Antwort auf die Frage aus, wo die Vollmacht Jesu herrührt. Die rechte Antwort liegt eigentlich nah. Die Vollmacht Jesu rührt aus de Übereinstimmung seiner beiden Jas. Dems Ja des Redens und dem Ja des Tuns. Der Übereinstimmung des Sohnes mit dem Vater. „Ich und der Vater sind eins.“ Das ist eigentlich zwar die Sprache des Johannesevangeliums. Aber es ist die angemessene Begründung, warum das kleine, unscheinbare Gleichnis von den beiden ungleichen Söhnen die große Frage nach der Vollmacht beantwortet.
Wir sind von dieser großen und absoluten Übereinstimmung mehr oder weniger entfernt. Sind mal der eine, mal der andere Sohn. Finden uns immer wieder in der Rolle des unglaubwürdigen Ja-Sagers. Und haben doch die Möglichkeit, den am Ende ans Ziel führenden Weg des Nein-Sagers zu gehen. Der Schnitt zwischen dem Ja-und dem Nein-Sager geht oft mitten durch uns hindurch. Weil wir viel zu oft hinter dem zurückbleiben, was Gott an Möglichkeiten in uns hineingelegt hat.
11. Beispiele dafür gibt es genügend. Jeder und jede kann da im je eigenen Leben fündig werden. Ein Beispiel nur will ich ausdrücklich erwähnen. Ich habe es aus Anlass des heutigen Gedenktages ausgewählt. Heute vor genau 60 Jahren war einer der schwärzesten Tage in der Geschichte der Menschheit. Als hätten die Verfehlungen unserer eigenen deutschen Geschichte nicht ausgereicht, um offenzulegen, welche Abgründe Menschen zu öffnen in der Lage sind. Vor genau 60 Jahren fiel die erste Atombombe. Mehr als 45.000 Menschen sind sofort Tod. Verglüht. Verstahlt. Von Abertausenden bleibt nicht einmal mehr ein Schatten. Mehr als 150.000 sind es am Ende des Jahres 1945. Mehr als eine Million sterben im Lauf der nächsten Jahre. Manche sprechen von bis zu drei Millionen Opfern.
Am Anfang dieses Weges nach Hiroshima stand ein Ja. Ein mutiges und beherztes Ja zu einem Leben, das nicht für immer unter der Diktatur des Nationalsozialismus stehen sollte. Ein Einsatz für ein Ja, den Hunderttausende mit ihrem eigenen Leben bezahlten. Doch für dieses Ja wandelt sich hier plötzlich zu einem Nein. In scheinbar guter Absicht. Doch diese zeigt unter dem sich aufbäumenden Atompilz ihr wahres Gesicht.
Das Böse lässt sich mit Bösem nicht dauerhaft aus der Welt schaffen. Und anstelle des ersehnten Friedens kommt ein jahrzehntelanges Wettrüsten. Dem heißen folgt der kalte Krieg. Und die Sorge, es könnte nach Hiroshima und Nagasaki ein weiteres Nein dieser Art geben.
Wir dürfen Gott wirklich dankbar sein, dass er uns bislang davor bewahrt hat. Und dass er uns in der Mitte Europas in einer Welt des ständigen Krieges schon sechzig Jahre das Geschenk des Friedens gemacht hat. Unvorstellbar, wenn wir dieses Ja Gottes nicht zu schätzen wüssten und leichtfertig auf’s Spiel setzten.
12. „Eure Rede sein Ja, ja oder Nein, nein“ sagt der Bergprediger. Sie sei Ja, ja wenn es darum geht, den Willen Gottes zu erkennen und auch zu tun. Sie sein Nein, nein, wenn wir dem Bösen und seinen Verlockungen zu widerstehen suchen.
Gott kann unser Nein zum rechten Handeln in das Ja des Glaubens verwandeln. Weil Jesus uns diesen Weg vorangegangen ist. Weil er das Nein zu seinem Leben, zum Ja für unser aller Leben hat werden lassen.
Vor Endzeitstimmung braucht uns darum nicht mehr bange zu sein. Weil Gott Gott ist. Und weil wir in der Nachfolge Christi an jedem Tag das Fest der geglückten Umkehr feiern können. Gott sei Dank! Amen.
1. Endzeitstimmung allenthalben. Jetzt, so scheint es, kommt’s drauf an, das Rechte zu tun. Und der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Fehler können wir uns jetzt nicht mehr leisten. Jetzt muss ein Ja ein ja und ein Nein ein Nein sein. In der Politik, zumal in Wahlkampfzeiten wie jetzt bei uns, muss es doch gerade auf Klarheit und Wahrheit ankommen. In der Wissenschaft, wo der Mensch nach den Sternen und nach den Genen zugleich greift. In der Kultur, wo wir mit so vielem gleichzeitig überhäuft werden, dass wir beinahe nicht mehr aus und ein wissen und die Orientierung verlieren.
2. Endzeitstimmung vor 2000 Jahren! Auch damals lam’s also schon darauf an. Endzeitstimmung. Die finden wir auch im 21. Kapitel des Matthäusevangeliums. Jenem Kapitel, das mit dem Einzug Jesu in Jerusalem beginnt (Verse 1-11). Endzeitstimmung bei der Menge, die dem Mann auf dem Esel begeistert zujubelt: „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ Jetzt stehen die Zeichen auf Sturm.
Und dieser Sturm kommt dann auch gleich. In Gestalt der sogenannten Tempelaustreibung (Verse 12-17). Kaufhaus Ade. Jetzt wird endlich ein Bethaus aus dem Tempel. Endzeitstimmung in Jerusalem. Wer jetzt nicht Frucht bringt, hat seine Daseinsberechtigung verloren. Wie der Feigenbaum, der dem hungrigen Jesus keine nahrhaften Früchte zu bieten hat (Verse 18-22). Wer zu spät kommt, den bestraft eben das Leben. Oder der, der von sich sagt, dass er selber das Leben sei. „Nun wachse aus dir niemals mehr Frucht!“, sagt Jesus. Und der Feigenbaum verdorrte sogleich.
Wer derart deutlich macht, dass es jetzt um alles und ums Ganze geht, braucht sich nicht zu wundern, wenn man ihn zur Rede stellt (Verse 23-27). „Wer hat dir diese Vollmacht gegeben?“ Wer hat dir erlaubt, unser so wohl ineinander gefügtes Ganzes in Frage zu stellen. Und aus dem Gleichgewicht zu bringen? Wer hat dich zum Boten der Endzeit gemacht?
Wir alle wissen, wie Jesus reagiert. Er antwortet mit einer Gegenfrage. Er fragt nach der Herkunft der Taufe des Johannes. Und seine Fragestellen überführen sich selber der Unwissenheit. Sie können die Zeichen der Zeit nicht deuten. Sagen sie, die Taufe des Johannes war menschlich, haben sie das Volk gegen sich, das in Johannes einen Propheten sieht. Sagen sie, die Taufe des Johannes war von Gott, folgt die Nachfrage auf dem Fuß: „Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt?“
Kein Wunder, dass sie sich in der Endzeitstimmung verheddern. „Wir wissen’s nicht“, sagen sie. „Dann lasse ich euch auch darüber im Unklaren, woher ich meine Vollmacht habe“, gibt Jesus zur Antwort. Und jedermann weiß, woher seine Vollmacht kommt. Und bleibt das Bekenntnis seiner Einsicht doch schuldig. Wissen und Tun klaffen auseinander.
3. Und damit sind wir endlich beim Predigttext, der heute – am 11. Sonntag nach dem Fest der göttlichen Dreieinigkeit - in den Gottesdiensten der Evangelischen Kirche in Deutschland gepredigt wurde und wird. Es ist die Fortsetzung des eben in seinen wesentlichen Teilen kurz skizzierten 21. Kapitels des Matthäusevangeliums. Ein kleines Gleichnis, das Jesu Verständnis der Endzeitstimmung erläutert. Ein Gleichnis, das wir so nur bei Matthäus so überliefert finden. Dort heißt es in den Versen 28-32:
Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn, und er ging hin. Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr! und ging nicht hin. Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie antworteten: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr's saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, so dass ihr ihm dann auch geglaubt hättet.
4. Eine einfache Familiengeschichte ist das - zunächst. Eine Geschichte der Art, wie sie jeder kennt, der mit Kindern in einer Familie zusammenlebt. Und versucht, ihnen in der Erziehung das Einmaleins des Lebens und des rechten Zusammenlebens beizubringen. Eine Geschichte, eigentlich zu einfach und zu oberflächlich, um damit die entscheidenden Fragen des Lebens zu beantworten. Die Frage, worauf es ankommt, wenn Endzeitstimmung angesagt ist. Die Frage danach, was zählt, wenn’s drauf ankommt.
5. Ein Mann hat zwei Söhne. Also eine normale Durchschnittsfamilie. So wie sie heute üblich ist. Der Vater will die Söhne in die Verantwortung mit einbinden. Sie zur Mithilfe ermuntern. Ihnen eine Aufgabe übertragen. Er wendet sich an den ersten. Doch der wiegelt gleich ab. Sagt einfach nein. Keine Lust vielleicht. Oder keine Zeit. Oder er hat gerade etwas anderes im Kopf. Klar ist: Er will nicht. Und sagt darum auch klar und deutlich nein.
Und der Vater weiß mindestens, wo er dran ist. So wie das viele Väter und Mütter wissen, wenn sie sich an ihre Kinder größer werdenden oder eben gerade erwachsen gewordenen Kinder wenden. Abnabeln ist angesagt. Das Ausleben des Freiheitsdranges. Soll der Vater seinen Laden doch künftig ohne mich in Ordnung halten.
Gut, dass es da noch den zweiten gibt. Den Musterknaben. Den, der das vierte Gebot kennt. Den, der weiß, was er seinem Vater schuldig ist. Die Freude seiner Eltern. „Natürlich komme ich mit“, sagt der. Natürlich steige ich bei dir ein. Natürlich zählt für mich, was du von mir willst.“
Soweit. So gut. Doch das Gleichnis vom Vater mit den zwei Söhnen ist eben noch nicht fertig erzählt. Es hat noch zwei Überraschungen bereit. Oder eigentlich sogar drei. Doch von der dritten gleich. Jetzt erst zu den beiden anderen.
6. Der erst, der Nein-Sager, bleibt nicht bei seinem Nein. Er lässt sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen. Wägt pro und contra ab. Findet es mit einem Mal nicht mehr so schlimm, der Bitte seines Vaters nachzukommen. Oder er kommt einfach zur Vernunft. Befindet sich auf bestem Weg zum Erwachsenwerden. Er kehrt um. Und mit einem Mal wird sein Nein zu einem Ja. Was für eine glücklichmachende Überraschung für den Vater.
Wenn da nicht auch noch der andere wäre. Der Musterknabe. Bin ich denn blöd?, fragt er sich ein ums andere Mal. Warum gerade ich? Was hab’ ich denn am Ende davon? Ich hab’s satt, immer nur der Dumme zu sein. Ich steig’ aus. Soll der Alte doch ohne mich zurecht kommen. Und ohne sich ein Gewissen zu machen, wendet er sich wieder seinen alltäglichen Geschäften zu. Lässt er den Gang der Dinge seinen gewohnten Gang gehen.
Auch er kehrt um. Freilich in die andere Richtung. Und unter der Hand wird aus seinem Ja am Ende ein klares Nein! Der Knabe will, so hat es den Anschein, endlich auf eigenen Füßen stehen. Sich von den Eltern und deren Wünschen abgrenzen. Um endlich nach seinem eigenen Willen leben zu können. Und gerät dabei in den Sog falschverstandener eigener pesönlicher Freiheit.
Wer von beiden hat den Willen des Vaters getan? So fragt der Predigttext. Anfänglich sicher der, der wusste, was der Vater so gerne hat. Der gewissenhafte und anpassungsfähige Sohn. Doch dessen Ja erwies sich als trügerisch. Der Scheck dieses Ja war nicht gedeckt. Und damit ist es genau umgekehrt wie beim anderen. Bei dem, der sich ein Gewissen macht. Bei dem, der umkehrt. Und der am Ende dem Wunsch seines Vaters entspricht.
7. Zwei gänzlich unterschiedliche Überraschungen. Doch die wahre Überraschung ist eigentlich die dritte. Die Feststellung nämlich, dass der dritte und der vierte Sohn – oder gerne auch die dritte oder vierte Tochter – fehlen. Die nämlich, bei denen ein Ja ein Ja und ein Nein ein Nein. Die nämlich, die wissen, worauf es ankommt, wenn sich Endzeitstimmung einstellt.
Jesus war in diesem Zusammenhang zu sehr Realist, um im Gleichnis derart gradlinige Typen zur Anschauung zu bringen. Ein anderes Mal hat er das aber durchaus getan. Beim Gleichnis vom sogenannten Verlorenen Sohn. Auch da ging es um zwei Söhne. Die waren von anderem, klareren Kaliber. Es waren genau die Typen, die dieses Mal fehlen. Nein! Sagte der eine. Und er lebt dieses Nein auch aus. Ja! Sagt der andere. Und hält dieses Ja durch. Bis ans Ende, als er meint, als Ja-Sager zu kurz zu kommen. Weil der Vater für ihn kein Kalb schlachtet. Und am Ende der Nein-Sager belohnt wird.
Doch zwischen beiden Gleichnissen liegt ein entscheidender Unterschied. Beim Gleichnis vom sogenannten Verlorenen Sohn geht es eigentlich um den Vater. Die Söhne sind hier eher Karrikaturen. Typen, die es in Reinkultur so gar nicht gibt. Davon später gleich noch einmal.
Hier – beim Gleichnis von den beiden ungleichen Söhnen - stehen tatsächlich die beiden Söhne im Mittelpunkt. Und damit deren Wankelmütigkeit. Die Doppelgesichtigkeit von uns Menschen.
8. Das Gleichnis Jesu – so meinen die meisten Ausleger – endet mit der Rechtfertigung des ersten Sohnes. Mit seinem Handeln hat er sein Versagen entscheidend korrigiert. Hat die Zeichen der Zeit erkannt. Und getan, was er tun musste. Er hat die Gunst der Stunde der Endzeitstimmung zu nutzen gewusst.
Der Predigttext liefert aber gleich noch zwei mögliche Deutungen mit. Eine, die Matthäus schon vorfindet, als er das ihm überlieferte Gleichnis schriftlicht festhält. Und eine Deutung, die er selber anhängt. Und die begründet, warum er diese Geschichte gerade an der Stelle in seinem Evangelium festhält, als es um die Frage nach der Vollmacht Jesu geht.
9. Jetzt aber nacheinander. Die erste Deutung zielt auf zwei ungleiche Personengruppen: „Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und die Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr!“ Es geht also darum, die gängigen Schubladen durcheinander zu bringen. So als wüssten wir tatsächlich immer schon im voraus, wer Gottes Willen tut. Wer gläubig ist, Und wer nicht.
Da gibt es also fromme und ehrbare Menschen – solche, die wissen, dass sie ja sagen müssen, wenn Gott sie ruft. Und am Ende halten sie mir ihrem Leben ihrer Überzeugung nicht Schritt. Weil sie die Wirklichkeit ihres Handels überführt.
Und auf der anderen Seite gibt es die, die wir gar nicht auf der Rechnung haben. Weil sie Gott in ihrem Leben scheinbar keinen Raum ein räumen. Die aber, wenn’s drauf ankommt, wissen, was Gott zu Recht von ihnen erwartet. Weil sie die Endzeitstimmung eben richtig einzuschätzen wissen. Bei dieser Auslegung kommt es auf’s rechte Verhalten an.
Wir alle kennen solch überraschende Erfahrungen. Wir alle wissen, dass Gott am Ende die, die nur eine Stunde im Weinberg arbeiten, denen gleichstellt, die schon in der Hitze des Tages geschuftet haben. Weil Gottes Gerechtigkeit sich anderer Maßstäbe bedient, als wir es gewohnt sind.
10. Matthäus ist aber mit der Deutung auf’s rechte Verhalten hin nicht zufrieden. Zumal sich das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg damit auch nicht zufrieden gibt. Am Ende kommt’s nicht nur auf unser Tun an. Am Ende geht’s um unseren Glauben. Darum dehnt er die vorgefundene Auslegung in diesem Sinn. Und wendet das Gleichnis auf seine Zuhörer an. Dies sind, wenn wir Vers 23 beachten, die Hohenpriester und die Ältesten: „Johannes hat euch den rechten Weg gelehrt“, sagt er. „Aber ihr habt ihm keinen Glauben geschenkt.“
„Und andere“, und damit spielt er noch einmal ausdrücklich auf die eben schon erwähnten Zöllner und Huren an, „andere berufen sich nicht auf ihren schon gesicherten Glaubensstatus. Sie erkennen, worauf es ankommt. Sie ändern ihren Sinn und kehren um.“ Und es gehört wenig Phantasie dazu, um den Satz mit eigenen Worten abzuschließen: „Und diese – und eben nicht ihr! - befinden sich am Ende auf der richtigen Seite!“ Sie sind es, die Gottes Willen entsprechen und tun.
Soweit. So gut – könnte man noch einmal sagen. Oder eben nicht. Schließlich steht ja noch die Antwort auf die Frage aus, wo die Vollmacht Jesu herrührt. Die rechte Antwort liegt eigentlich nah. Die Vollmacht Jesu rührt aus de Übereinstimmung seiner beiden Jas. Dems Ja des Redens und dem Ja des Tuns. Der Übereinstimmung des Sohnes mit dem Vater. „Ich und der Vater sind eins.“ Das ist eigentlich zwar die Sprache des Johannesevangeliums. Aber es ist die angemessene Begründung, warum das kleine, unscheinbare Gleichnis von den beiden ungleichen Söhnen die große Frage nach der Vollmacht beantwortet.
Wir sind von dieser großen und absoluten Übereinstimmung mehr oder weniger entfernt. Sind mal der eine, mal der andere Sohn. Finden uns immer wieder in der Rolle des unglaubwürdigen Ja-Sagers. Und haben doch die Möglichkeit, den am Ende ans Ziel führenden Weg des Nein-Sagers zu gehen. Der Schnitt zwischen dem Ja-und dem Nein-Sager geht oft mitten durch uns hindurch. Weil wir viel zu oft hinter dem zurückbleiben, was Gott an Möglichkeiten in uns hineingelegt hat.
11. Beispiele dafür gibt es genügend. Jeder und jede kann da im je eigenen Leben fündig werden. Ein Beispiel nur will ich ausdrücklich erwähnen. Ich habe es aus Anlass des heutigen Gedenktages ausgewählt. Heute vor genau 60 Jahren war einer der schwärzesten Tage in der Geschichte der Menschheit. Als hätten die Verfehlungen unserer eigenen deutschen Geschichte nicht ausgereicht, um offenzulegen, welche Abgründe Menschen zu öffnen in der Lage sind. Vor genau 60 Jahren fiel die erste Atombombe. Mehr als 45.000 Menschen sind sofort Tod. Verglüht. Verstahlt. Von Abertausenden bleibt nicht einmal mehr ein Schatten. Mehr als 150.000 sind es am Ende des Jahres 1945. Mehr als eine Million sterben im Lauf der nächsten Jahre. Manche sprechen von bis zu drei Millionen Opfern.
Am Anfang dieses Weges nach Hiroshima stand ein Ja. Ein mutiges und beherztes Ja zu einem Leben, das nicht für immer unter der Diktatur des Nationalsozialismus stehen sollte. Ein Einsatz für ein Ja, den Hunderttausende mit ihrem eigenen Leben bezahlten. Doch für dieses Ja wandelt sich hier plötzlich zu einem Nein. In scheinbar guter Absicht. Doch diese zeigt unter dem sich aufbäumenden Atompilz ihr wahres Gesicht.
Das Böse lässt sich mit Bösem nicht dauerhaft aus der Welt schaffen. Und anstelle des ersehnten Friedens kommt ein jahrzehntelanges Wettrüsten. Dem heißen folgt der kalte Krieg. Und die Sorge, es könnte nach Hiroshima und Nagasaki ein weiteres Nein dieser Art geben.
Wir dürfen Gott wirklich dankbar sein, dass er uns bislang davor bewahrt hat. Und dass er uns in der Mitte Europas in einer Welt des ständigen Krieges schon sechzig Jahre das Geschenk des Friedens gemacht hat. Unvorstellbar, wenn wir dieses Ja Gottes nicht zu schätzen wüssten und leichtfertig auf’s Spiel setzten.
12. „Eure Rede sein Ja, ja oder Nein, nein“ sagt der Bergprediger. Sie sei Ja, ja wenn es darum geht, den Willen Gottes zu erkennen und auch zu tun. Sie sein Nein, nein, wenn wir dem Bösen und seinen Verlockungen zu widerstehen suchen.
Gott kann unser Nein zum rechten Handeln in das Ja des Glaubens verwandeln. Weil Jesus uns diesen Weg vorangegangen ist. Weil er das Nein zu seinem Leben, zum Ja für unser aller Leben hat werden lassen.
Vor Endzeitstimmung braucht uns darum nicht mehr bange zu sein. Weil Gott Gott ist. Und weil wir in der Nachfolge Christi an jedem Tag das Fest der geglückten Umkehr feiern können. Gott sei Dank! Amen.