WEIHNACHTEN IM HIMMEL
PREDIGT ÜBER OFFENBARUNG 7,9-17
GEHALTEN AM 26. DEZEMBER 2005 (2. CHRISTTAG)
IN DER LUDWIGSKIRCHE IN FREIBURG
26.12.2005
Lektor/in
Mit geblendeten Augen und einem Lächeln auf dem Gesicht zog man durch die weitgeöffnete hohe Flügeltür direkt in den Himmel hinein.
Der ganze Saal, erfüllt von dem Dufte angesengter Tannenzweige, leuchtete und glitzerte von unzähligen kleinen Flammen, und das Himmelblau der Tapete mit ihren weißen Götterstatuen ließ den großen Raum noch heller erscheinen. Die Flämmchen der Kerzen, die dort hinten zwischen den dunkelrot verhängten Fenstern den gewaltigen Tannenbaum bedeckten, welcher, geschmückt mit Silberflittern und großen, weißen Lilien, einen schimmernden Engel an seiner Spitze und ein plastisches Krippenarrangement zu seinen Füßen, fast bis zur Decke emporragte, flimmerten in der allgemeinen Lichtflut wie ferne Sterne. Denn auf der weißgedeckten Tafel, die sich lang und breit, mit den Geschenken beladen, von den Fenstern fast bis zur Türe zog, setzte sich eine Reihe kleinerer, mit Konfekt behängter Bäume fort, die ebenfalls von brennenden Wachslichtchen erstrahlten. Und es brannten die Gasarme, die aus den Wänden hervorkamen, und es brannten die dicken Kerzen auf den vergoldeten Kandelabern in allen vier Winkeln.
Liebe Gemeinde, mit diesen beeindruckenden Worten beschreibt der Schriftsteller Thomas Mann den Höhepunkt des Weihnachtsfestes im neuen Haus der Familie Buddenbrook in der Lübecker Mengstraße 4. Es ist eine der ergreifensten Schilderungen der bürgerlichen Weihnacht des 19. Jahrhunderts, die wir kennen. Weihnachten als vorweggenommenes Fest der himmlischen Fülle. Weihnachten – ein klein wenig schon selber der Himmel auf Erden.
Gerade einen Tag ist es her seit dem Blick in Weihnachtshimmel des Jahres 2005. Und schon kehren wir ganz allmählich wieder auf die Erde zurück. Der Christbaum steht immer noch. Die abgebrannten Kerzen sind längst ersetzt, wenn nicht ohnehin die Lichterketten einen 24-Stunden-Schein verstrahlen. Die Geschenke sind ausgepackt. Die ersten Gäste womöglich schon wieder abgereist. Die Emotionen bewegen sich wieder in einigermaßen berechenbaren Bahnen.
Zurück bleibt die Möglichkeit, jetzt erst wirklich richtig Weihnachten zu feiern. Endlich Zeit zu haben. Für einen Besuch. Für einen Brief. Oder auch nur, um endlich das Buch fertig zu lesen, wofür vorher einfach die Zeit nicht gereicht hat. Zweiter Weihnachtstag. Die Erde hat uns wieder. Aber immer noch weihnachtlich. Alles immer noch in einen Schein gehüllt, der noch einige Tage nachwirkt. Der Weg vom Himmel zurück zur Erde – er braucht Zeit. Und er muss sehr behutsam gegangen werden.
Weihnachten im Himmel! Schon fast wieder Vergangenheit. Die ersten Tränen kehren zurück. Unaufgearbeitetes, Weggeschobenes, Verdrängtes macht wieder auf sich aufmerksam, wenn es denn überhaupt gelang, sich für einige Stunden davor in Sicherheit zu bringen. Jetzt muss sich zeigen, was die Weihnacht wert war. Ob wir als Veränderte zurückkehren. Oder nur als solche, die sich kurzfristig weihnachtlich in Sicherheit bringen konnten, ehe es gänzlich unweihnachtlich weitergeht.
Weihnachten im Himmel/ Der Predigttext für diesen 2. Weihnachtsfeiertag gewährt uns ebenfalls einen Blick in den Himmel. Allerdings völlig anders, als der, den ich ihnen eingangs aus dem Hause Buddenbrook vor Augen geführt habe. Wir hören aus Offenbarung 7 die Verse 9-17:
Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm!
Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind's, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.
EG 44,1: Welt ging verloren – Christ ist geboren
Welt ging verloren – Christ ist geboren. Heute vor einem Jahr am zweiten Weihnachtstag, habe ich hier auch mit Ihnen Gottesdienst gefeiert. Noch während des Orgelvorspiels – ich erinnere mich bis heute - flüsterte mir die diensthabende Kirchenälteste zu, sie habe in den Nachrichten etwas von einem Seebeben gehört. Mehr nicht.
Es war ein gewaltiges Beben. Und die Folgen hielten uns wochenlang in Atem. Eine gewaltige Flut hat am Ende zwei- bis dreihunderttauend Menschen in den Tod gerissen. Ganz genau wissen wir das bis heute nicht. Zeitlebens wird dieser 2. Weihnachtstag 2004 mit jenem gewaltigen Tsunami verbunden sein. Für unzählige Menschen wurde er zu einem Tag der Zerstörung und des unsäglichen Leides. Und zumindest ihnen wird diese heutige Predigttext aus der Offenbarung womöglich gerechter als unsere anderen weihnachtlichen Schilderungen: „Diese sind’s, die aus großer Trübsal gekommen sind.“ Weihnachten im Himmel: Das Fest des Ausgleichs vorenthaltener Gerechtigkeit!
Einen weihnachtlichen Text der ganz anderen Art haben wir darum in diesem gewaltigen Bericht aus der Offenbarung vor uns. Eigentlich ist es gar kein Bericht, sondern ein in Worte gefasstes Bild. Eine himmlische Schau. Vor der Öffnung des siebten Siegels – bevor die Weltgeschichte nach heftigen Auseinandersetzungen ans Ziel kommt - bekommt der Seher Johannes die Flügeltüren in den himmlischen Thronsaal geöffnet.
Weihnachten im Himmel. Eine riesige Zahl von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Eingehüllt in festlich-weiße Gewänder. Ein Festsaal wie in einem großen Palast. In der Mitte der Thron und das Lamm. Und alle so erfüllt von dieser Pracht, dass sie dem Lamm ihren Lobpreis darbringen. Und ihn als Ursprung ihres Heils bejubeln: „Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott und dem Lamm.“
Auf den ersten Blick eigentlich eine Anti-Weihnachtsgeschichte. Keine Absteige für Durchreisende. Kein Stall und keine Krippe. Weder Hirten noch obskure Sterndeuter. Stattdessen: Unaufhörliches Lob. Und ein Gott, der fest im Sattel und prächtig auf dem Thron sitzt.
Der zweite Blick führt tiefer in die Wahrheit dieser Geschichte hinein. Von irdischen Lobgesängen haben wir unlängst gehört und gesungen, als wir vor zwei Tagen hörten, wie die Engel auf den Feldern vor Bethlehem ihre Stimme erhoben haben. Ganz ähnlich erklingt jetzt auch hier das „Ehre sei Gott!“
Wir erkennen, wer da feiert im Angesicht Gottes. Die weißen Gewänder der Festgemeinde waren nicht immer so strahlend hell. Eben die tragen sie, die aus großer Trübsal gekommen sind. Die, die ihre Kleider gewaschen haben, wie es heißt, im Blut des Lammes. Es sind die Opfer, die hier feiern. Diejenigen, die es sich etwas haben kosten lassen, auf der richtigen Seite zu stehen. Diejenigen, die für ihren Überzeugung ihr Leben gewagt und nicht selten verloren haben. Für das Bekenntnis ihres Gottesglaubens. Und doch auch für das Bekenntnis zu Solidarität und durchgehaltener Mitmenschlichkeit. Gottesliebe und Menschenliebe – sie sind, wenn’s drauf ankommt, ohnedies kaum auseinanderzuhalten.
Es sind die vielen, in den meisten Fällen namenlosen Opfer, deren Einzigartigkeit Gott in den Blick rücken will. Die, denen Gott ihre Würde zurückgibt. Die, die Gott ins Recht gesetzt hat, das ihnen zuvor vorenthalten war.
Der erste Platz im Himmel als Ausgleich für Entgangenes auf dieser Erde?! – ganz so einfach ist das nicht. Weihnachten ist nicht Vertröstung auf ein besseres Jenseits. Weihnachten ist ein in höchstem Maße diesseitiges Fest. Sonst wäre es nicht Weihnachten. Wir feiern das Fest des durchgehaltenen Glaubens, der vom Gang in den Stall lebt. Und nicht von in Besitz genommen Palästen. An Weihnachten – da lassen wir uns begeistern von jener Größe, die in irdischer Niedrigkeit von den kleinen Anfängen lebt und in ausgehaltener Ohnmacht ihren Ausgang nimmt – und nicht in öffentlich zelebrierter und mit großem Aufwand gesicherter Macht.
An Weihnachten finden Himmel und Erde zusammen, indem die Welt verwandelt und nicht einfach ihrem Schicksal überlassen wird. Indem Gott im Menschen Gestalt annimmt. Und sich nicht in vornehmer Distanz hält. Das biblische Bild, das die Offenbarung dafür wählt, ist das des Lammes. Es ist ein vertrautes, aber kein weihnachtliches Bild. „Sehet, das ist Gottes Lamm!“ Mit diesen Worten weist der Evangelist Johannes auf die besondere Bedeutung dessen hin, der an Weihnachten als Kind in der Krippe in unseren Blick rückt.
Das Lamm ist geläufig als Opfertier. Und seine Bild im Predigttext greift schon weit über das Weihnachtsgeschehen hinaus. Bringt die Menschwerdung gewissermaßen auf den Punkt. Für das Kind. Und für alle, die ihr Leben mit diesem Kind in Berührung und nach diesem Kind ausrichten wollen.
Der zweite Weihnachtstag ist ja der Gedenktag des Stephanus. Nach biblischem Bericht der erste, der seinen Glauben mit dem Leben bezahlt. Und damit auch der erste in der Reihe derer, die hier im weißen Gewand vor dem Thron Gottes stehen. Die letzten Worte des Stephanus beschreiben kein anderes Bild als das aus der Offenbarung: „Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur rechten Gottes!“
Noch vor Stephanus ist das Kind der Weihnacht selber zum Tod gefordert. Kaum geboren schon auf der Flucht, um sein Leben zu bewahren. Der schweizer Dichterpfarrer Kurt Marti schlägt die Brücke mit folgenden Worten:
Nicht Ägypten ist der Fluchtpunkt der Flucht.
Das Kind wird gerettet für härtere Tage.
Der Fluchtpunkt der Flucht ist das Kreuz.
Irdisch stellt sich das weihnachtliche Geschehen dar. Und voller Sehnsucht danach, dass Gott zusammenbringt, was wir Menschen als Bruchstücke unseres Lebens nicht mehr verbinden können. Das Kind in der Krippe, in dem Himmel und Erde zusammenkommen, und das Lamm vor dem Thron, das trägt, worunter wir zerbrechen – beides gehört untrennbar zusammen.
EG 44,2: Christ ist erschienen, uns zu versühnen
Bei den Darstellungen des Stalles von Bethlehem in der Kunst gibt es im Grunde zwei Modelle. Das eine ist der erbärmliche Stall. Der Stern ist durch das schadhafte Dach zu erkennen. Die Hirten müssen nicht einmal eine Tür durchschreiten, um zum Kind zu kommen. Der Stall wird dargestellt, was er wohl auch war: ein Grotte draußen vor der Stadt oder eine unwirtliche Absteige. Doch kaum das Abbild unserer tiefen Sehnsucht nach einem Ort der Bewahrung und der Heimat.
Es gibt aber auch genügend Darstellungen, da kann der Stall die Fülle kaum fassen. Nicht nur Ochs und Esel, nicht nur Hirten und Könige, sondern allerhand Zeitgenossen von den Rändern der Gesellschaft. Und – nicht zu vergessen – eine kaum noch unterzubringende Schar von Engeln. Statt „Stille Nacht“ ein Momentaufnahme weihnachtlich-himmlischen Jubels.
Diese Darstellung des Stalles berührt – ungewollt oder unbemerkt – mit der Vision des Sehers Johannes aus der Offenbarung. Beherrschend ist bei beiden Bildern ein nicht mehr zu überbietender himmlischer Jubel. Engel und mit ihnen würdige Vertreter der Menschheit – der Text spricht von Ältesten – stimmen gemeinsam in ein überbordendes Gotteslob ein: „Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“
Im Schlusschor seines Messias hat Händel etwas von diesem unendlichen Lob in Musik zu fassen versucht. Im weihnachtlichen Kind in der Krippe leuchtet Gottes Fülle nicht anders auf als in der Thronsaalvision des Johannes. Weihnachten ist, Weihnachten geschieht nicht um Gottes, sondern um uns Menschen willen. Was die Engel im Himmel singen lässt, soll auch uns nicht im Schweigen verharren lassen:
(mit Intonation des Schlusschores des Messias zur Liedstrophe)
EG 44,3: Himmlische Heere jauchzen dir Ehre
„Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt- Und das Lamm wird sie leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Eine kühne, weit über Weihnachten hinausgreifende Vision. Doch keine, die in ihrer Fülle schon Wirklichkeit geworden wäre. Zugleich aber eine, die die Ahnung davon wach hält, was Gott mit uns und mit dieser Welt im Sinn hat: Eine Vision, die ganz klein beginnt in den ersten zarten Tönen der Menschwerdung Gottes im zunächst so ganz und gar nicht himmlischen Stall. Und die dennoch ununterbrochen klingt seit jenen Tagen, und jedes Jahr und jeden Tag neu. Auch wieder in diesem Gottesdienst.
Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Mit geblendeten Augen und einem Lächeln auf dem Gesicht zog man durch die weitgeöffnete hohe Flügeltür direkt in den Himmel hinein.
Der ganze Saal, erfüllt von dem Dufte angesengter Tannenzweige, leuchtete und glitzerte von unzähligen kleinen Flammen, und das Himmelblau der Tapete mit ihren weißen Götterstatuen ließ den großen Raum noch heller erscheinen. Die Flämmchen der Kerzen, die dort hinten zwischen den dunkelrot verhängten Fenstern den gewaltigen Tannenbaum bedeckten, welcher, geschmückt mit Silberflittern und großen, weißen Lilien, einen schimmernden Engel an seiner Spitze und ein plastisches Krippenarrangement zu seinen Füßen, fast bis zur Decke emporragte, flimmerten in der allgemeinen Lichtflut wie ferne Sterne. Denn auf der weißgedeckten Tafel, die sich lang und breit, mit den Geschenken beladen, von den Fenstern fast bis zur Türe zog, setzte sich eine Reihe kleinerer, mit Konfekt behängter Bäume fort, die ebenfalls von brennenden Wachslichtchen erstrahlten. Und es brannten die Gasarme, die aus den Wänden hervorkamen, und es brannten die dicken Kerzen auf den vergoldeten Kandelabern in allen vier Winkeln.
Liebe Gemeinde, mit diesen beeindruckenden Worten beschreibt der Schriftsteller Thomas Mann den Höhepunkt des Weihnachtsfestes im neuen Haus der Familie Buddenbrook in der Lübecker Mengstraße 4. Es ist eine der ergreifensten Schilderungen der bürgerlichen Weihnacht des 19. Jahrhunderts, die wir kennen. Weihnachten als vorweggenommenes Fest der himmlischen Fülle. Weihnachten – ein klein wenig schon selber der Himmel auf Erden.
Gerade einen Tag ist es her seit dem Blick in Weihnachtshimmel des Jahres 2005. Und schon kehren wir ganz allmählich wieder auf die Erde zurück. Der Christbaum steht immer noch. Die abgebrannten Kerzen sind längst ersetzt, wenn nicht ohnehin die Lichterketten einen 24-Stunden-Schein verstrahlen. Die Geschenke sind ausgepackt. Die ersten Gäste womöglich schon wieder abgereist. Die Emotionen bewegen sich wieder in einigermaßen berechenbaren Bahnen.
Zurück bleibt die Möglichkeit, jetzt erst wirklich richtig Weihnachten zu feiern. Endlich Zeit zu haben. Für einen Besuch. Für einen Brief. Oder auch nur, um endlich das Buch fertig zu lesen, wofür vorher einfach die Zeit nicht gereicht hat. Zweiter Weihnachtstag. Die Erde hat uns wieder. Aber immer noch weihnachtlich. Alles immer noch in einen Schein gehüllt, der noch einige Tage nachwirkt. Der Weg vom Himmel zurück zur Erde – er braucht Zeit. Und er muss sehr behutsam gegangen werden.
Weihnachten im Himmel! Schon fast wieder Vergangenheit. Die ersten Tränen kehren zurück. Unaufgearbeitetes, Weggeschobenes, Verdrängtes macht wieder auf sich aufmerksam, wenn es denn überhaupt gelang, sich für einige Stunden davor in Sicherheit zu bringen. Jetzt muss sich zeigen, was die Weihnacht wert war. Ob wir als Veränderte zurückkehren. Oder nur als solche, die sich kurzfristig weihnachtlich in Sicherheit bringen konnten, ehe es gänzlich unweihnachtlich weitergeht.
Weihnachten im Himmel/ Der Predigttext für diesen 2. Weihnachtsfeiertag gewährt uns ebenfalls einen Blick in den Himmel. Allerdings völlig anders, als der, den ich ihnen eingangs aus dem Hause Buddenbrook vor Augen geführt habe. Wir hören aus Offenbarung 7 die Verse 9-17:
Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm!
Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind's, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.
EG 44,1: Welt ging verloren – Christ ist geboren
Welt ging verloren – Christ ist geboren. Heute vor einem Jahr am zweiten Weihnachtstag, habe ich hier auch mit Ihnen Gottesdienst gefeiert. Noch während des Orgelvorspiels – ich erinnere mich bis heute - flüsterte mir die diensthabende Kirchenälteste zu, sie habe in den Nachrichten etwas von einem Seebeben gehört. Mehr nicht.
Es war ein gewaltiges Beben. Und die Folgen hielten uns wochenlang in Atem. Eine gewaltige Flut hat am Ende zwei- bis dreihunderttauend Menschen in den Tod gerissen. Ganz genau wissen wir das bis heute nicht. Zeitlebens wird dieser 2. Weihnachtstag 2004 mit jenem gewaltigen Tsunami verbunden sein. Für unzählige Menschen wurde er zu einem Tag der Zerstörung und des unsäglichen Leides. Und zumindest ihnen wird diese heutige Predigttext aus der Offenbarung womöglich gerechter als unsere anderen weihnachtlichen Schilderungen: „Diese sind’s, die aus großer Trübsal gekommen sind.“ Weihnachten im Himmel: Das Fest des Ausgleichs vorenthaltener Gerechtigkeit!
Einen weihnachtlichen Text der ganz anderen Art haben wir darum in diesem gewaltigen Bericht aus der Offenbarung vor uns. Eigentlich ist es gar kein Bericht, sondern ein in Worte gefasstes Bild. Eine himmlische Schau. Vor der Öffnung des siebten Siegels – bevor die Weltgeschichte nach heftigen Auseinandersetzungen ans Ziel kommt - bekommt der Seher Johannes die Flügeltüren in den himmlischen Thronsaal geöffnet.
Weihnachten im Himmel. Eine riesige Zahl von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Eingehüllt in festlich-weiße Gewänder. Ein Festsaal wie in einem großen Palast. In der Mitte der Thron und das Lamm. Und alle so erfüllt von dieser Pracht, dass sie dem Lamm ihren Lobpreis darbringen. Und ihn als Ursprung ihres Heils bejubeln: „Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott und dem Lamm.“
Auf den ersten Blick eigentlich eine Anti-Weihnachtsgeschichte. Keine Absteige für Durchreisende. Kein Stall und keine Krippe. Weder Hirten noch obskure Sterndeuter. Stattdessen: Unaufhörliches Lob. Und ein Gott, der fest im Sattel und prächtig auf dem Thron sitzt.
Der zweite Blick führt tiefer in die Wahrheit dieser Geschichte hinein. Von irdischen Lobgesängen haben wir unlängst gehört und gesungen, als wir vor zwei Tagen hörten, wie die Engel auf den Feldern vor Bethlehem ihre Stimme erhoben haben. Ganz ähnlich erklingt jetzt auch hier das „Ehre sei Gott!“
Wir erkennen, wer da feiert im Angesicht Gottes. Die weißen Gewänder der Festgemeinde waren nicht immer so strahlend hell. Eben die tragen sie, die aus großer Trübsal gekommen sind. Die, die ihre Kleider gewaschen haben, wie es heißt, im Blut des Lammes. Es sind die Opfer, die hier feiern. Diejenigen, die es sich etwas haben kosten lassen, auf der richtigen Seite zu stehen. Diejenigen, die für ihren Überzeugung ihr Leben gewagt und nicht selten verloren haben. Für das Bekenntnis ihres Gottesglaubens. Und doch auch für das Bekenntnis zu Solidarität und durchgehaltener Mitmenschlichkeit. Gottesliebe und Menschenliebe – sie sind, wenn’s drauf ankommt, ohnedies kaum auseinanderzuhalten.
Es sind die vielen, in den meisten Fällen namenlosen Opfer, deren Einzigartigkeit Gott in den Blick rücken will. Die, denen Gott ihre Würde zurückgibt. Die, die Gott ins Recht gesetzt hat, das ihnen zuvor vorenthalten war.
Der erste Platz im Himmel als Ausgleich für Entgangenes auf dieser Erde?! – ganz so einfach ist das nicht. Weihnachten ist nicht Vertröstung auf ein besseres Jenseits. Weihnachten ist ein in höchstem Maße diesseitiges Fest. Sonst wäre es nicht Weihnachten. Wir feiern das Fest des durchgehaltenen Glaubens, der vom Gang in den Stall lebt. Und nicht von in Besitz genommen Palästen. An Weihnachten – da lassen wir uns begeistern von jener Größe, die in irdischer Niedrigkeit von den kleinen Anfängen lebt und in ausgehaltener Ohnmacht ihren Ausgang nimmt – und nicht in öffentlich zelebrierter und mit großem Aufwand gesicherter Macht.
An Weihnachten finden Himmel und Erde zusammen, indem die Welt verwandelt und nicht einfach ihrem Schicksal überlassen wird. Indem Gott im Menschen Gestalt annimmt. Und sich nicht in vornehmer Distanz hält. Das biblische Bild, das die Offenbarung dafür wählt, ist das des Lammes. Es ist ein vertrautes, aber kein weihnachtliches Bild. „Sehet, das ist Gottes Lamm!“ Mit diesen Worten weist der Evangelist Johannes auf die besondere Bedeutung dessen hin, der an Weihnachten als Kind in der Krippe in unseren Blick rückt.
Das Lamm ist geläufig als Opfertier. Und seine Bild im Predigttext greift schon weit über das Weihnachtsgeschehen hinaus. Bringt die Menschwerdung gewissermaßen auf den Punkt. Für das Kind. Und für alle, die ihr Leben mit diesem Kind in Berührung und nach diesem Kind ausrichten wollen.
Der zweite Weihnachtstag ist ja der Gedenktag des Stephanus. Nach biblischem Bericht der erste, der seinen Glauben mit dem Leben bezahlt. Und damit auch der erste in der Reihe derer, die hier im weißen Gewand vor dem Thron Gottes stehen. Die letzten Worte des Stephanus beschreiben kein anderes Bild als das aus der Offenbarung: „Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur rechten Gottes!“
Noch vor Stephanus ist das Kind der Weihnacht selber zum Tod gefordert. Kaum geboren schon auf der Flucht, um sein Leben zu bewahren. Der schweizer Dichterpfarrer Kurt Marti schlägt die Brücke mit folgenden Worten:
Nicht Ägypten ist der Fluchtpunkt der Flucht.
Das Kind wird gerettet für härtere Tage.
Der Fluchtpunkt der Flucht ist das Kreuz.
Irdisch stellt sich das weihnachtliche Geschehen dar. Und voller Sehnsucht danach, dass Gott zusammenbringt, was wir Menschen als Bruchstücke unseres Lebens nicht mehr verbinden können. Das Kind in der Krippe, in dem Himmel und Erde zusammenkommen, und das Lamm vor dem Thron, das trägt, worunter wir zerbrechen – beides gehört untrennbar zusammen.
EG 44,2: Christ ist erschienen, uns zu versühnen
Bei den Darstellungen des Stalles von Bethlehem in der Kunst gibt es im Grunde zwei Modelle. Das eine ist der erbärmliche Stall. Der Stern ist durch das schadhafte Dach zu erkennen. Die Hirten müssen nicht einmal eine Tür durchschreiten, um zum Kind zu kommen. Der Stall wird dargestellt, was er wohl auch war: ein Grotte draußen vor der Stadt oder eine unwirtliche Absteige. Doch kaum das Abbild unserer tiefen Sehnsucht nach einem Ort der Bewahrung und der Heimat.
Es gibt aber auch genügend Darstellungen, da kann der Stall die Fülle kaum fassen. Nicht nur Ochs und Esel, nicht nur Hirten und Könige, sondern allerhand Zeitgenossen von den Rändern der Gesellschaft. Und – nicht zu vergessen – eine kaum noch unterzubringende Schar von Engeln. Statt „Stille Nacht“ ein Momentaufnahme weihnachtlich-himmlischen Jubels.
Diese Darstellung des Stalles berührt – ungewollt oder unbemerkt – mit der Vision des Sehers Johannes aus der Offenbarung. Beherrschend ist bei beiden Bildern ein nicht mehr zu überbietender himmlischer Jubel. Engel und mit ihnen würdige Vertreter der Menschheit – der Text spricht von Ältesten – stimmen gemeinsam in ein überbordendes Gotteslob ein: „Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“
Im Schlusschor seines Messias hat Händel etwas von diesem unendlichen Lob in Musik zu fassen versucht. Im weihnachtlichen Kind in der Krippe leuchtet Gottes Fülle nicht anders auf als in der Thronsaalvision des Johannes. Weihnachten ist, Weihnachten geschieht nicht um Gottes, sondern um uns Menschen willen. Was die Engel im Himmel singen lässt, soll auch uns nicht im Schweigen verharren lassen:
(mit Intonation des Schlusschores des Messias zur Liedstrophe)
EG 44,3: Himmlische Heere jauchzen dir Ehre
„Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt- Und das Lamm wird sie leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Eine kühne, weit über Weihnachten hinausgreifende Vision. Doch keine, die in ihrer Fülle schon Wirklichkeit geworden wäre. Zugleich aber eine, die die Ahnung davon wach hält, was Gott mit uns und mit dieser Welt im Sinn hat: Eine Vision, die ganz klein beginnt in den ersten zarten Tönen der Menschwerdung Gottes im zunächst so ganz und gar nicht himmlischen Stall. Und die dennoch ununterbrochen klingt seit jenen Tagen, und jedes Jahr und jeden Tag neu. Auch wieder in diesem Gottesdienst.
Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.