BESINNUNG ZUR TAGESLOSUNG
AM BEGINN DER SITZUNG DES ERW. VORSTANDES
AM 3. MAI 2007 IM RESIDENZ-HOTEL

03.05.2007
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die heutige Tageslosung ist dem 104. Psalm entnommen, einem Psalm der uns ja in besonderer Weise als wunderbarer Schöpfungspsalm bekannt ist. Der 33. Vers dieses Psalms, ein Vers im übrigen, den wir alle bestens kennen, lautet:

Ich will dem HERRN singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin.

Um es klar zu sagen: Das geht nicht. Und ich kenne niemanden, dem das im Ernst je gelungen ist. Dem Herrn singen: ja! Aber ein Leben lang. Gott loben: ja! Aber solange ich bin. Dazu kennen wir uns alle selber gut genug. Ich bin schon froh, wenn Menschen überhaupt noch singen. Einfach so. Aus Freude. Ohne das Singen gleich zu verzwecken. „W man singt, da lass dich ruhig nieder. Denn böse Menschen haben keine Lieder!“ Das Sprichwort ist da deutlich realistischer als die Bibel.

Und genauso froh bin ich, wenn Menschen sich überhaupt zu Worten des Lobes durchringen können. Mit dem Grumeln und Kritisieren tun wir uns doch sehr viel leichter. Und es gibt genügend Menschen, die sehr darunter leiden, dass ihre Mitmenschen einmal Worte des Lobs für sie finden. Von ihren Partnerinnen und Partner wünschen sich Menschen das in ihrer Beziehung. Kinder von ihren Eltern. Mitarbeitende von ihren Vorgesetzten.

Sagen wir nur nicht, das Gotteslob sei schließlich doch auch wichtiger als das Menschenlob. Da will ich sofort dagegenhalten. Wer es nicht einmal fertig bringt, die ihm Nahestehenden zu loben, wie will der oder die dann Gott loben. Schließlich will das Loben genauso wie das Singen geübt sein.

Wie machen wir uns dann also die heutige Losung erträglich ohne sie umzubiegen? Die Antwort liegt nahe und ist auch nicht neu oder besonders originell. Das Singen und das Loben meinen hier nicht einfach den tatsächlichen Akt. Mit diesen beiden Worten wird eine Lebenshaltung beschrieben. Eine Art und Weise, sich selber gegenüber Gott und gegenüber Gott und gegenüber den Miteschen zu verstehen.

Loben meint ja, das Gute im anderen öffentlich zur Anerkennung zu bringen. Meint, durch die Wertschätzung dessen, was jemand gelungen ist, die Kräfte für die Zukunft zu stärken. Loben meint im Tiefsten ein Bekenntnis zu einem anderen, auf dessen erfahrene Zuverlässigkeit wir auch künftig bauen wollen. Und ein ehrlich gemeintes Lob ist geradezu dazu geschaffen, die nötigen Voraussetzungen der Vertrauenswürdigkeit für die Zukunft hervorzurufen und da, wo sie vorhanden sind, zu fördern und zu stärken. Insofern ist auch das Gotteslob vor allem anderen ein Bekenntnis. Ein Bekenntnis zu dem Gott, der uns auch in Zukunft nicht weniger fürsorglich begleiten wird, wie in der Vergangenheit.

Ähnliches wäre auch zum Singen zu sagen. Das Singen ist ja mehr als ein Reden in höher gestimmter Lage. Eigentlich ist Singen doch gerade die große Konkurrentin des Redens, weil gesungene Worte in besonderer Weise aus dem Herzen kommen und zu Herzen gehen sollen. Singen meint, heilende Worte machen. Es will kein Wissen verbreiten und keine Argumente festhalten. Beim Singen geht es nicht um Richtigkeiten sondern um Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Und wer Gott sein Lob singt, tut es immer über als Ausdruck einer Haltung, die weiß, dass das je eigene Leben in Gott gründet.

Übrigens selbst dann, wenn es nur Klagelieder sind, die uns aus dem Herzen und über die Lippen kommen wollen. Irgendwo fiel mir vor Jahren eine Karte in die Hände, auf der der Spruch zu lesen war: Man kann Gott auch in Moll loben. Ich finde das ungemein entlastend. Wenn schon mein ganzes Leben ein gesungenes Gotteslob sein soll, dann muss darin auch Platz sein, Gott unsere Sorgen und unsere Klagen entgegenzusingen. Dann muss es auch möglich sein, Gott in Moll zu loben. Und manchmal wird aus unserem Gotteslob nicht einmal mehr die Tonart herauszuhören sein. Dann nämlich, wenn wir unser Loben und Singen ins Schweigen übersetzen. „Ich schweige, aber Gott hört mein Brummen!“ Ein Kirchendiener hat das einmal zu mir gesagt, als er sich von einem Kollegen ungerecht behandelt gefühlt hat. Auch Brummen und Schweigen sind manchmal ein ernst gemeintes Gotteslob. Je weniger Töne wir machen, desto mehr geben wir Gott doch eigentlich Raum.

Dann wäre doch auch das eine gute Übersetzung dieses Psalmverses: Leben heißt, Gott Raum geben. Gott die Stimme zu leihen. Uns von Gott die rechte Tonlage zusummen zu lassen. Dann brauchen wir die Erkenntnis, dass alles Leben Gesang ist, auch nicht mehr irgendwelchen esoterischen Grüppchen zu überlassen. Dann wenn man aus unserem Leben in seiner Vielfalt und in seiner Differenziertheit, aus seinen Höhen und Tiefen den Wohlklang der Lebendigkeit Gottes heraushört. In Dur. In Moll. Und in welcher Tonart auch immer.



Gebet

Gott, du freust dich an unserm Lob und an unserem Singen. Auch dann, wenn uns unser Lob einfach im Hals stecken bleibt Oder unser Singen keine schönen Töne zu Gehör bringt. Wir danken dir, dass du dir auch für solche Töne nicht zu schade bist. Und dass du unsere Klagen erträgst und verwandeln willst in das Lachen derer, die sich gehalten und geliebt wissen. Und die sich sicher sind, dass du willst, dass unser Leben gelingt. Das darf man uns doch gerne abspüren – ein ganzes Leben lang. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.