PREDIGT ÜBER JOHANNES 8,2-11
IM GOTTESDIENST ANLÄSSLICH DES PRÄDIKANTENTAGS 2007
IN DER STADTKIRCHE IN BADEN-BADEN
„…DAMIT SIE EINEN SCHATZ SAMMELN FÜR DIE ZUKUNFT“
01.07.2007
„Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land.“ In diese Worte haben wir eben singend eingestimmt. Die Zukunft ist das Thema der Kirche, liebe Gemeinde. Um die Zukunft geht es auch im Motto dieses Prädikantentages. „Damit sie einen Schatz sammeln für die Zukunft.“ Diese Worte aus dem 1. Timotheusbrief hat der Prädikantenausschuss unserer Landeskirche als Motto für diesen Tag ausgewählt – übrigens noch lange ehe es absehbar, dass dieser Gottesdienst unter den Vorzeichen von Abschied und Neuanfang stehen würde.
„Die evangelischen Kirchen in Deutschland denken intensiv über ihre Zukunft (…) nach.“ Dieser Bezug auf die Zukunft findet sich am Anfang des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“, das der Rat der EKD im vergangenen Sommer der Öffentlichkeit übergeben hat. Und im Januar hat die EKD in Wittenberg sogar einen Zukunftskongress veranstaltet.
Die Zukunft ist das Thema der Kirche. Und das nicht irgendwie, sondern in ganz zentraler Weise. Wo immer wir die Kirche in den Blick nehmen, richten wir uns auf die Zukunft aus. Die Zukunft ist das Thema der Kirche seit ihren Anfängen.
Um die Zukunft kann es in mindestens zweifacher Weise gehen, liebe Gemeinde. Zum einen um die Zukunft dieses Planeten Erde und dieser Welt insgesamt. Und – zum anderen - ganz persönlich um unsere eigene Zukunft. Um die hier - mitten in der Welt in der unser Leben gestalten. Aber auch um die, auf die wir jenseits der Grenze des Todes zugehen.
Der Predigttext für diesen 4. Sonntag nach dem Trinitatisfest kann helfen, den Zusammenhang zwischen Kirche und Zukunft zu erhellen und besser zu verstehen.
Wir hören aus Johannes 8 die Verse 2-11:
2Frühmorgens kam Jesus wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie. 3Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte 4und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 6Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: 8Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. 10Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
Ertappt. Und im Netz der Häscher verheddert. Beispiel 1: Jan Ulrich, Erik Zabel, Rolf Aldag, Björne Ries. Gefeierte Helden des Radsports. Lieblinge des Publikums an der Strecke und vor den Bildschirmen. Helden, die sich geschunden haben vor unser aller Augen. Vorbilder für andere. Und dann doch auch sie nichts als kleine Betrüger zugunsten des eigenen Vorteils. Manche uneinsichtig bis auf diesen Tag. Entzaubert, weil die Menschen auf der Suche sind nach Lichtgestalten. Und weil wir alle einmal mehr erkennen mussten, wie nahe doch Licht und Schatten beieinander liegen.
Ertappt. Und im Netz der Häscher verheddert. Beispiel 2: Der größte Autokonzern dieses Landes. Sein Personalchef wird zum Vordenker der Bundesregierung für einen völligen Umbau des Arbeitsmarktes. Sein Name steht für ein gänzlich neues Programm. Dann machen Ermittlungen dem Mythos ein Ende. Der alte Adam lässt sich eben nicht so leicht aushebeln. Der Betriebsrat wird mit Annehmlichkeiten gekauft. Und der vermeintliche Neuerer war erweist sich als heftigst im Alten verheddert. Am Ende kommt ihm sein guter Ruf ebenso abhanden wie seine verantwortliche Position.
Ertappt. Und im Netz der Häscher verheddert. Das ist der Stoff, der die Sensationsgier nährt. Und eine ganze Sparte von Medien am Leben erhält. Unabhängig und überparteilich werden Menschen ertappt und mit Lust vorgeführt. Mit Lust beider übrigens. Derer, die vorführen. Und derer, die sich auf den Rängen tummeln und sich mit dem Ergehen der in flagranti Ertappten gut gehen lassen.
Ertappt. Und im Netz seiner eigenen Anhänger verheddert: Gott selber. Claudia Schreiber, bekannt vor allem durch ihr Buch „Emmas Glück“, hat vor wenigen Wochen ein neues Buch veröffentlicht. Es heißt „Ihr ständiger Begleiter“ . Es ist das Buch der gescheiterten, vielleicht auch der mühsam befreiten Gottesliebe einer jungen Frau namens Johanna. Aus dem ständigen Begleiter und Förderer des Lebens dieser jungen Frau wird der Lebenszersetzer und Beziehungszerstörer. Der Garant fester Regeln und der Kontrolleur der Rechtgläubigkeit.
Gott – in diesem Buch beschrieben als von Menschen entstellt als ein Meister der Lebensfeindlichkeit, die nichts mehr ahnen lässt, von der in ihm begründeten Zukunftsoffenheit. Gott – ertappt auf den Spuren dessen, wovon wir eigentlich befreit werden sollen. Wohl aber auch: Gott in die Hände von Menschen gefallen, die ihn einsetzen und sich dienlich machen zu ihren eigenen Zwecken. Zur Stabilisierung ihrer eigenen seelischen Deformierungen. Aber all das in seinem – all das in Gottes Namen.
Ertappt und verheddert. Das ist auch das Thema des Predigttextes. Nicht einmal der Tempel in Jerusalem war wirksam davor geschützt, in diesem Sinn zur Arena zu werden. Auf den Rängen diejenigen, die das Gesetz auf ihrer Seite haben. Auf dem Spielfeld die Frau, der sie vorwerfen sich schuldig gemacht zu haben. Und Jesus, dem die Rolle des Schiedsrichters, ja eigentlich die des Richters, zugedacht ist.
Jesus kann sich eigentlich nur falsch entscheiden. Stimmt er den Anklägern zu, erweist sich seine Botschaft der Barmherzigkeit als unwahr. Dann hätte er auch nicht mehr zu bieten als die anderen. Und schon gar nichts Besseres. Spricht er die Frau frei, stellt er sich über das Gesetz. Jesus, der Bote der Menschenfreundlichkeit Gottes, er ist der eigentliche Zielpunkt der Vorführaktion. Die Frau bildet nur die Klippe, an der er scheitern, über die er stürzen soll. Am Ende soll Jesus in flagranti ertappt werden.
Ganz eigentümlich wird die Dynamik der Überführung angehalten. Jesus sitzt gebückt am Boden. Und schreibt in den Sand. Wir können uns die Provokation, die in diesem Verhalten liegt, wohl nicht heftig genug vorstellen. Jesus kümmert sich überhaupt nicht um die, die ihn benutzen wollen für ihre eigenen Zwecke. Demonstrativ spielt er das Spiel des Verderbens nicht mit. Und es misslingt. Läuft ins Leere. Jesus entzieht sich. Bringt die Spirale zum Stillstand.
Diejenigen, die die Frau verurteilen wollen, geben keine Ruhe. Sie wollen wissen, wie Jesus sich positioniert. Und Jesus bleibt ihnen die Antwort nicht schuldig. Doch seine Antwort hat einen anderen, weiteren und weiseren Horizont als die, die man von ihm erwartet. Jesus verweist auf den Weg hinter dem Weg. Weder ein „ihr dürft“. Noch ein „ihr dürft nicht“.
Jesus legt die Tiefenstruktur derer offen, die mit ihrem Urteil schon fertig sind: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Claudia Schreiber lässt Gott in ihrem Buch sagen: „Du wirst deine Schuld nicht los, indem du sie einem anderen (…) aufbürdest (…) Keine Opfer mehr, nie wieder. Liebe will ich (…) Liebe.“
Die Steinewerfer kommen gehörig aus dem Tritt ihres geplanten Tuns. Kein Aufstand der Rechtgläubigkeit. Jegliches Gerangel bleibt aus. Der erste Stein fliegt nicht. Ebenso wenig wie die weiteren Steine, die dem ersten meist ganz schnell nachfolgen. Der erste Stein, das ist der Grenzübertritt. Was dann folgt, das sind die Taten der Nachahmer. Die Taten derer, die sich nach der Masse richten. Die lieber politisch korrekt sein wollen als eigenverantwortlich Orientierung zu bieten.
Der erste Stein schon ist das Todesurteil. Und das Ende der Ermöglichung einer neuen Zukunft für die Frau. Doch der erste Stein fliegt nicht. Ebenso wenig wie weitere Steine.
Die verhinderten Steinewerfer haben zuallererst sich selber einen großen Dienst erwiesen. Der Stein, den sie aus der Hand legen, wird zum Starkapital eines neuen Lebens. Zum Grundstock einer besseren Zukunft. Einer Zukunft ohne Rechthaberei und todbringender Moralisierung. Kein: Weil sie schuldig ist, muss sie sterben. Vielmehr: Obwohl wir alle schuldig sind, dürfen wir leben! Aus den nicht geworfenen Steinen wird der Schatz einer neuen Zukunft!
Doch die Frau –sie ist noch nicht am Ziel. Der Tod bleibt ihr erst einmal erspart. Doch zum Leben ist der Weg noch weit. Die Schätze für ihre Zukunft muss sie erst noch gewinnen. Jesus nimmt erneut die Beschleunigung aus der Geschichte heraus. Entspricht der abgewendeten Todesdynamik durch sein eigenes Verhalten. Wieder bückt er sich zu Boden. Wieder malt er seine Zeichen in den Sand. Ohne ihn können die anderen ihr Spiel nicht länger versuchen.
Und sie gehen. Zurück bleibt die Frau. „Sie haben dich leben lassen!“, sagt Jesus. „Dann fang jetzt auch wirklich zu leben an!“ Leben meint Leben in Eigenverantwortung. Leben in Beziehung. Leben, das Beziehungen nicht verletzt. Das Beziehungen nicht enttäuscht und bricht. Leben in Beziehungslosigkeit – das ist Sünde. Leben, das bei sich bleibt; das sich verschließt gegenüber der Quelle unseres Seins – das ist Sünde. Leben, das nicht Schätze sammelt für die Zukunft – das ist Sünde.
„Du kannst ganz anders leben!“, sagt Jesus zu der Frau. Zerstöre kein Vertrauen mehr. Gewinne neues dazu! Vertraue nicht auf deine Ansichten bei den Menschen. Vertraue auf deine Aussichten bei Gott. Vertraue darauf, dass sich „dein Morgen zu deinen Gunsten ereignet“. Oder um das vorhin gesungene Lied aufzunehmen: „Vertrau den neuen Wegen, auf die dich Gott gesandt. Er selbst kommt dir entgegen. Die Zukunft ist sein Land.“
Im vorhin erwähnten Buch „Ihr ständiger Begleiter“ hat Johanna am Ende eine letzte Begegnung mit ihrem Gott. Sie treffen sich an einer Straßenkreuzung. Und ein letztes Mal spricht Gott, Johannas ständiger Begleiter zu ihr. Und was er ihr sagt, ist nichts anderes als das, was Jesus seiner Gesprächspartnerin mit auf den Weg gibt: „Ich laufe nicht (…) hinter dir her, als seist du ein Kind, das den Weg (…) nicht schafft. Du kannst gehen!“
Und er entlässt Johanna in die Freiheit mit einem Segen, der nur beim ersten Hören gewagt klingt. Ein Segen, der einlädt zu einem Leben in Mündigkeit und Eigenverantwortung im Angesicht Gottes. Ein Segen auch, wie geschaffen auch für die Frau, die ihren Steinigern entronnen ist: „Ich segne dich“, sagt er, „aber ich behüte dich nicht mehr. Ich lasse mein Angesicht auf dir ruhen, aber du bist von nun an dir selber gnädig. Ich erhebe mein Angesicht von dir und lasse dich in Frieden.“
Gottes Segen als Zuspruch der Freiheit. Denn Gottes Zukunft für uns ist eine Zukunft in Freiheit. Gängeln ist Gottes Sache nicht. Gott geht gnädig mit uns um, damit wir einander gnädig sein können. Mutig dürfen wir darum den Schätzen vertrauen, die Gott uns finden lässt in unserem Leben. Voller Hoffnung dürfen wir der „Zukunft das Wort geben.“ Gott entlässt uns nicht aus seinen Augen. Aber Gott lässt uns in Frieden. Lässt uns in Frieden Leben und Zukunft gewinnen.
Und dieser Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
„Die evangelischen Kirchen in Deutschland denken intensiv über ihre Zukunft (…) nach.“ Dieser Bezug auf die Zukunft findet sich am Anfang des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“, das der Rat der EKD im vergangenen Sommer der Öffentlichkeit übergeben hat. Und im Januar hat die EKD in Wittenberg sogar einen Zukunftskongress veranstaltet.
Die Zukunft ist das Thema der Kirche. Und das nicht irgendwie, sondern in ganz zentraler Weise. Wo immer wir die Kirche in den Blick nehmen, richten wir uns auf die Zukunft aus. Die Zukunft ist das Thema der Kirche seit ihren Anfängen.
Um die Zukunft kann es in mindestens zweifacher Weise gehen, liebe Gemeinde. Zum einen um die Zukunft dieses Planeten Erde und dieser Welt insgesamt. Und – zum anderen - ganz persönlich um unsere eigene Zukunft. Um die hier - mitten in der Welt in der unser Leben gestalten. Aber auch um die, auf die wir jenseits der Grenze des Todes zugehen.
Der Predigttext für diesen 4. Sonntag nach dem Trinitatisfest kann helfen, den Zusammenhang zwischen Kirche und Zukunft zu erhellen und besser zu verstehen.
Wir hören aus Johannes 8 die Verse 2-11:
2Frühmorgens kam Jesus wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie. 3Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte 4und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 6Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: 8Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. 10Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
Ertappt. Und im Netz der Häscher verheddert. Beispiel 1: Jan Ulrich, Erik Zabel, Rolf Aldag, Björne Ries. Gefeierte Helden des Radsports. Lieblinge des Publikums an der Strecke und vor den Bildschirmen. Helden, die sich geschunden haben vor unser aller Augen. Vorbilder für andere. Und dann doch auch sie nichts als kleine Betrüger zugunsten des eigenen Vorteils. Manche uneinsichtig bis auf diesen Tag. Entzaubert, weil die Menschen auf der Suche sind nach Lichtgestalten. Und weil wir alle einmal mehr erkennen mussten, wie nahe doch Licht und Schatten beieinander liegen.
Ertappt. Und im Netz der Häscher verheddert. Beispiel 2: Der größte Autokonzern dieses Landes. Sein Personalchef wird zum Vordenker der Bundesregierung für einen völligen Umbau des Arbeitsmarktes. Sein Name steht für ein gänzlich neues Programm. Dann machen Ermittlungen dem Mythos ein Ende. Der alte Adam lässt sich eben nicht so leicht aushebeln. Der Betriebsrat wird mit Annehmlichkeiten gekauft. Und der vermeintliche Neuerer war erweist sich als heftigst im Alten verheddert. Am Ende kommt ihm sein guter Ruf ebenso abhanden wie seine verantwortliche Position.
Ertappt. Und im Netz der Häscher verheddert. Das ist der Stoff, der die Sensationsgier nährt. Und eine ganze Sparte von Medien am Leben erhält. Unabhängig und überparteilich werden Menschen ertappt und mit Lust vorgeführt. Mit Lust beider übrigens. Derer, die vorführen. Und derer, die sich auf den Rängen tummeln und sich mit dem Ergehen der in flagranti Ertappten gut gehen lassen.
Ertappt. Und im Netz seiner eigenen Anhänger verheddert: Gott selber. Claudia Schreiber, bekannt vor allem durch ihr Buch „Emmas Glück“, hat vor wenigen Wochen ein neues Buch veröffentlicht. Es heißt „Ihr ständiger Begleiter“ . Es ist das Buch der gescheiterten, vielleicht auch der mühsam befreiten Gottesliebe einer jungen Frau namens Johanna. Aus dem ständigen Begleiter und Förderer des Lebens dieser jungen Frau wird der Lebenszersetzer und Beziehungszerstörer. Der Garant fester Regeln und der Kontrolleur der Rechtgläubigkeit.
Gott – in diesem Buch beschrieben als von Menschen entstellt als ein Meister der Lebensfeindlichkeit, die nichts mehr ahnen lässt, von der in ihm begründeten Zukunftsoffenheit. Gott – ertappt auf den Spuren dessen, wovon wir eigentlich befreit werden sollen. Wohl aber auch: Gott in die Hände von Menschen gefallen, die ihn einsetzen und sich dienlich machen zu ihren eigenen Zwecken. Zur Stabilisierung ihrer eigenen seelischen Deformierungen. Aber all das in seinem – all das in Gottes Namen.
Ertappt und verheddert. Das ist auch das Thema des Predigttextes. Nicht einmal der Tempel in Jerusalem war wirksam davor geschützt, in diesem Sinn zur Arena zu werden. Auf den Rängen diejenigen, die das Gesetz auf ihrer Seite haben. Auf dem Spielfeld die Frau, der sie vorwerfen sich schuldig gemacht zu haben. Und Jesus, dem die Rolle des Schiedsrichters, ja eigentlich die des Richters, zugedacht ist.
Jesus kann sich eigentlich nur falsch entscheiden. Stimmt er den Anklägern zu, erweist sich seine Botschaft der Barmherzigkeit als unwahr. Dann hätte er auch nicht mehr zu bieten als die anderen. Und schon gar nichts Besseres. Spricht er die Frau frei, stellt er sich über das Gesetz. Jesus, der Bote der Menschenfreundlichkeit Gottes, er ist der eigentliche Zielpunkt der Vorführaktion. Die Frau bildet nur die Klippe, an der er scheitern, über die er stürzen soll. Am Ende soll Jesus in flagranti ertappt werden.
Ganz eigentümlich wird die Dynamik der Überführung angehalten. Jesus sitzt gebückt am Boden. Und schreibt in den Sand. Wir können uns die Provokation, die in diesem Verhalten liegt, wohl nicht heftig genug vorstellen. Jesus kümmert sich überhaupt nicht um die, die ihn benutzen wollen für ihre eigenen Zwecke. Demonstrativ spielt er das Spiel des Verderbens nicht mit. Und es misslingt. Läuft ins Leere. Jesus entzieht sich. Bringt die Spirale zum Stillstand.
Diejenigen, die die Frau verurteilen wollen, geben keine Ruhe. Sie wollen wissen, wie Jesus sich positioniert. Und Jesus bleibt ihnen die Antwort nicht schuldig. Doch seine Antwort hat einen anderen, weiteren und weiseren Horizont als die, die man von ihm erwartet. Jesus verweist auf den Weg hinter dem Weg. Weder ein „ihr dürft“. Noch ein „ihr dürft nicht“.
Jesus legt die Tiefenstruktur derer offen, die mit ihrem Urteil schon fertig sind: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Claudia Schreiber lässt Gott in ihrem Buch sagen: „Du wirst deine Schuld nicht los, indem du sie einem anderen (…) aufbürdest (…) Keine Opfer mehr, nie wieder. Liebe will ich (…) Liebe.“
Die Steinewerfer kommen gehörig aus dem Tritt ihres geplanten Tuns. Kein Aufstand der Rechtgläubigkeit. Jegliches Gerangel bleibt aus. Der erste Stein fliegt nicht. Ebenso wenig wie die weiteren Steine, die dem ersten meist ganz schnell nachfolgen. Der erste Stein, das ist der Grenzübertritt. Was dann folgt, das sind die Taten der Nachahmer. Die Taten derer, die sich nach der Masse richten. Die lieber politisch korrekt sein wollen als eigenverantwortlich Orientierung zu bieten.
Der erste Stein schon ist das Todesurteil. Und das Ende der Ermöglichung einer neuen Zukunft für die Frau. Doch der erste Stein fliegt nicht. Ebenso wenig wie weitere Steine.
Die verhinderten Steinewerfer haben zuallererst sich selber einen großen Dienst erwiesen. Der Stein, den sie aus der Hand legen, wird zum Starkapital eines neuen Lebens. Zum Grundstock einer besseren Zukunft. Einer Zukunft ohne Rechthaberei und todbringender Moralisierung. Kein: Weil sie schuldig ist, muss sie sterben. Vielmehr: Obwohl wir alle schuldig sind, dürfen wir leben! Aus den nicht geworfenen Steinen wird der Schatz einer neuen Zukunft!
Doch die Frau –sie ist noch nicht am Ziel. Der Tod bleibt ihr erst einmal erspart. Doch zum Leben ist der Weg noch weit. Die Schätze für ihre Zukunft muss sie erst noch gewinnen. Jesus nimmt erneut die Beschleunigung aus der Geschichte heraus. Entspricht der abgewendeten Todesdynamik durch sein eigenes Verhalten. Wieder bückt er sich zu Boden. Wieder malt er seine Zeichen in den Sand. Ohne ihn können die anderen ihr Spiel nicht länger versuchen.
Und sie gehen. Zurück bleibt die Frau. „Sie haben dich leben lassen!“, sagt Jesus. „Dann fang jetzt auch wirklich zu leben an!“ Leben meint Leben in Eigenverantwortung. Leben in Beziehung. Leben, das Beziehungen nicht verletzt. Das Beziehungen nicht enttäuscht und bricht. Leben in Beziehungslosigkeit – das ist Sünde. Leben, das bei sich bleibt; das sich verschließt gegenüber der Quelle unseres Seins – das ist Sünde. Leben, das nicht Schätze sammelt für die Zukunft – das ist Sünde.
„Du kannst ganz anders leben!“, sagt Jesus zu der Frau. Zerstöre kein Vertrauen mehr. Gewinne neues dazu! Vertraue nicht auf deine Ansichten bei den Menschen. Vertraue auf deine Aussichten bei Gott. Vertraue darauf, dass sich „dein Morgen zu deinen Gunsten ereignet“. Oder um das vorhin gesungene Lied aufzunehmen: „Vertrau den neuen Wegen, auf die dich Gott gesandt. Er selbst kommt dir entgegen. Die Zukunft ist sein Land.“
Im vorhin erwähnten Buch „Ihr ständiger Begleiter“ hat Johanna am Ende eine letzte Begegnung mit ihrem Gott. Sie treffen sich an einer Straßenkreuzung. Und ein letztes Mal spricht Gott, Johannas ständiger Begleiter zu ihr. Und was er ihr sagt, ist nichts anderes als das, was Jesus seiner Gesprächspartnerin mit auf den Weg gibt: „Ich laufe nicht (…) hinter dir her, als seist du ein Kind, das den Weg (…) nicht schafft. Du kannst gehen!“
Und er entlässt Johanna in die Freiheit mit einem Segen, der nur beim ersten Hören gewagt klingt. Ein Segen, der einlädt zu einem Leben in Mündigkeit und Eigenverantwortung im Angesicht Gottes. Ein Segen auch, wie geschaffen auch für die Frau, die ihren Steinigern entronnen ist: „Ich segne dich“, sagt er, „aber ich behüte dich nicht mehr. Ich lasse mein Angesicht auf dir ruhen, aber du bist von nun an dir selber gnädig. Ich erhebe mein Angesicht von dir und lasse dich in Frieden.“
Gottes Segen als Zuspruch der Freiheit. Denn Gottes Zukunft für uns ist eine Zukunft in Freiheit. Gängeln ist Gottes Sache nicht. Gott geht gnädig mit uns um, damit wir einander gnädig sein können. Mutig dürfen wir darum den Schätzen vertrauen, die Gott uns finden lässt in unserem Leben. Voller Hoffnung dürfen wir der „Zukunft das Wort geben.“ Gott entlässt uns nicht aus seinen Augen. Aber Gott lässt uns in Frieden. Lässt uns in Frieden Leben und Zukunft gewinnen.
Und dieser Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.