„ERHÖRUNG GARANTIERT? – GOTT BEWAHRE!“
PREDIGT IM SEMESTERERÖFFNUNGSGOTTESDIENST
DER ESG-FREIBURG AM SONNTAG, 26. OKTOBER 2008
IN DER CHRISTUSKIRCHE IN FREIBURG

26.10.2008
Bitt-Fuge
Hinweise zur Gestaltung: Die Bitte-Fuge orientiert sich an dem altkirchlichen Schema des Fürbittengebets. Welt – Kirche – Einzelne/r. Das bedeutet: Der Lektor/die Lektorin Themenkreis 1 stellt sich hin und beginnt, nach ein paar Sekunden stellt sich der Lektor/die Lektorin des Themen-kreises 2 daneben und setzt ein; wieder nach ein paar Se-kunden verläuft das gleiche Geschehen mit Themenkreis 3. Dabei nehmen die Lesenden ihre Stimme immer dann, wenn ein neuer Themenkreis kommt, leicht zurück, so dass die Zuhörenden verstehen, welches Thema fugenartig neu auftaucht. Sie können die Themenliste gerne noch ergän-zen. Wichtig ist, dass Sie, sobald Sie die Liste gelesen ha-ben, wie im Endloslauf von vorne beginnen, so dass Sie für mindestens eine gute Minute Dauer alle parallel lesen. Sie werden sofort leise und lassen Ihre Liste ausklingen, wenn eine Stimme „aus dem off“ immer lauter werdend dreimal den Themenvers deklamiert:

Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen!

Themenkreis Welt
Gerechte Arbeit für alle – Geld, das den Menschen zugute kommt – Frieden in Afghanistan – Gerechte Welthandels-strukturen – Abbau von Armut - Frieden im Irak – Nicht zu viele Opfer der Bankenkrise – Bewahrung der Schöpfung – Ende der Abholzung des Regenwaldes – friedliche Lösung von Konflikten – Gerecht Verteilung der Rohstoffe – be-zahlbare Lebensmittelpreise

Themenkreis Kirche
Einheit der Christenheit – Fortschritte in der Ökumene – Solidarität mit den Kirchen in der Zweidrittelwelt – Gemein-sames Abendmahl – Gemeinsame Gottesdienste – Gewin-nung neuer Menschen für die Kirchen – Stärkung des Glaubens – genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – neue Formen – schöne Gottesdienste – Wertschätzung der Mitarbeit

Themenkreis Einzelne/r
Gelingendes Miteinander – Genesung von Krankheit – Er-folgreiches Studium – neue Freundschaften – Klärung schwieriger Beziehungen – bewahrte Liebe – erhaltene Gesundheit – Einwurzeln am neuen Ort – Gute Nerven – Offenheit für Neues – wenig Ärger – schöne Erfahrungen – erlebte Solidarität


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Liebe Freundinnen und Freunde in der ESG!
Noch sieht die Welt wohl nicht so aus, als dass wir sie frohgemut ihrem Schicksal überlassen könnten. Das war eben doch unüberhörbar: Vieles, was uns unzufrieden zurücklässt. Vieles, was uns mit Sorge erfüllt. An Gebetswünschen kein Mangel! Und an der Notwendigkeit zu beten darum auch nicht.

Das Beten nicht auf unser Bitten und unser Klagen beschränkt. Beten, das ist auch Loben und Danken. Beten – das ist auch der vor Gott gebrachte Aus-druck überschäumender Lebensfreude. Wenn es heute eher um die Form des Gebets geht, die unse-re Bitten vor Gott bringt, hängt das mit dem Semes-terthema zusammen: Anruf genügt!

Wer anruft – und bei diesem Bild steht ja das Tele-fon im Hintergrund – wer anruft, rechnet mit einer Antwort. Natürlich gibt es auch Menschen, die re-den am Telefon soviel, dass man gar nicht dazu kommt, selber auch etwas zu sagen. Aber hier hört die Vergleichbarkeit mit unserem Beten auch schon auf.

Wenn wir uns an Gott wenden, bittend, oder auch klagend, dann gehen uns die Worte eher aus. Weil es uns schwer fällt, in Worte zu fassen, worum es uns eigentlich geht. Weil wir uns selber noch nicht darüber im Klaren sind, was wir von Gott wirklich wollen. Und weil das, was wir gerne hätten, oft gar nicht das ist, was uns wirklich gut tut. Oder nicht das, was uns weiterhilft. Oder gar weil wir Unmögli-ches von Gott erbitten. Oder weil wir erst einmal selber gefordert sind.

Nur wenige Beispiele: Wie oft haben in Konflikten – leider auch in Kriegen, manchmal auch im Sport – die Menschen auf beiden Seiten um den Sieg gebe-tet. Das macht doch keinen Sinn. Gott ist doch kein Schiedsrichter. Und auch niemand, der einfach un-sere Wüsche zu erfüllen hätte.

Wer für eine Prüfung nichts oder zu wenig getan hat, kann nicht erwarten, dass das Gebet die Lü-cken füllt. Gott stärkt unseren Verstand, aber Gott unterstützt nicht unsere Trägheit. Nicht umsonst hat man früher die Trägheit zu den sieben Todsünden gerechnet.

Doch es gibt ernstere Beispiele: Was bedeutet es, wenn wir für die Opfer unserer Art zu leben beten? Für Menschen, die buchstäblich zerrieben werden in unmenschlichen Verhältnissen. Für Verkehrsop-fer, die der von uns bevorzugten Art der Mobilität zum Opfer fallen. Hier sind wir doch selber gefor-dert. Hier müssen wir erst einmal selber handeln. Müssen politische Entscheidungen treffen. Hier ha-ben wir es doch selber in der Hand. Das Gebet schützt nicht vor der eigenen Verantwortung. Und es bewahrt nicht vor dem eigenen Einsatz.

Anruf genügt? Ja und Nein! Warum? Wenn wir be-ten, gestehen wir ja zunächst ein, dass wir etwas abgeben wollen. Dass wir gerade nicht in der Lage sind, den Lauf der Dinge so zu steuern, wie wir ihn gerne hätten. Auf der anderen Seite wissen wir oft aber sehr wohl schon, worauf es uns ankommt. Wir haben unsere Schmerzgrenze, deren Überschrei-tung unsere Seele verletzt. Wir haben unsere Hoff-nungen und Sehnsüchte. Wir haben unsere Le-benswelt, die wir nicht gerne aufgeben.

Und dann wirft uns irgendetwas aus der Bahn. Kommt uns irgendetwas dazwischen. Not lehrt be-ten, sagt der Volksmund. Da ist schon etwas dran. Mit der Bitte tun wir uns leichter als mit dem Dank. Manchmal reicht schon eine Kleinigkeit. Eine ent-täuschte Hoffnung. Eine misslungene Prüfung. Eine nicht zustande gekommene Freundschaft. Eine zerbrochene Liebe. Ja, manchmal genügt schon ei-ne verletzende Bemerkung.

Wenn dann noch Schweres und Großes dazwi-schen kommt. Eine Krankheit. Der Tod eines lieben Menschen. Das macht dann erst einmal sprachlos. Hier gibt es nicht mehr rückgängig zu machen. Hier muss das Leben nach vorne wieder tragfähig wer-den.

Unser Gebet, so hoffen wir, gibt uns die verloren gegangene Richtung wieder zurück. Und wenn sich der Zustand, den wir uns ersehen, nicht mehr her-stellen lässt, dann hoffen wir zumindest auf die Hei-lung der Seele. Noch einmal soll ein Sprichwort zu Wort kommen: „Gott schreibt auch auf krummen Li-nien gerade.“ Gut, dass das so ist. Gut, dass wir von Neuem zu einem Einverständnis mit dem Le-ben zurückfinden können.

Anruf genügt. Etwas flapsig ist das formuliert. Aber dennoch ein kleines Glaubensbekenntnis. Weil der Satz unausgesprochen weitergeht. Anruf genügt. Weil Gott hört!

Und wenn nicht? Ich habe meiner Predigt heute ei-nen etwas anderen Titel gegeben. Habe das Se-mesterthema etwas gegen den Strich gebürstet. „Erhörung garantiert? Gott bewahre!“ Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, Gebete seien dazu da, unsere Wünsche zu erfüllen. „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche“, sagt Dietrich Bo-nhoeffer. „Aber alle seine Verheißungen.“ Das meint, wer betet, übergibt Gott nicht sein eigenes Programm.

Wer betet, verzichtet gerade darauf, alles in der Hand haben zu wollen. Wer betet, verlässt sich darauf, dass es jenseits unserer Pläne noch eine andere Wahrheit über unser Leben gibt. Eine Wahrheit, die nicht auf Erfolg setzt. Eine Wahrheit, die nicht abhängig ist, von unserer Unversehrtheit. Von unserer politischen Korrektheit. Wer betet, ge-winnt seine Schönheit daraus, dass Gott den Blick auf ihn, auf sie richtet.

Oder um es mit Worten Martin Luthers zu sagen: „Gott liebt uns nicht, weil wir schön sind. Sondern wir sind schön, weil Gott uns liebt.“ Nein, die Erhö-rung unserer Gebete ist nicht garantiert. Denn dann wäre es nicht Gott, der am Werk ist, sondern nur eine Kraft, die meine Pläne in die Wirklichkeit um-setzt. Darum meine ich in der Tat: „Erhörung garan-tiert? – nein danke!“

Dennoch gibt es die Erfahrung von Erhörung. Aber in dem Sinn, dass wir – um noch einmal Bonhoeffer zu zitieren – erkennen, „dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“ Geduld wird uns dazu manchmal zugemu-tet. Ein manchmal unerträgliches Warten, das nicht selten in diesem Leben gar nicht mehr aufgelöst wird. Dass unser Beten nicht vergeblich ist, dass Gott unser Beten erhört, ist zuallererst ein Glau-benssatz. Und erst aus der Sicht des Glaubens ei-ner, der eine Erfahrung festhält.

Am kommenden Freitag jährt sich zum 491. Mal der Thesenanschlag Martin Luthers. Luther hat einen Begriff für die Theologie gerettet, der heute zu den schwer verständlichen gehört. Und der aber den-noch unverzichtbar ist: Den Begriff der Gnade. La-teinisch heißt Gnade gratia. Und in diesem Wort gratia steckt das Wort gratis. Umsonst.

Beten heißt, die Fülle des Lebens in aller Vorläufig-keit entdecken. Gratis. Umsonst. Auch in der Vor-läufigkeit und der Zerbrechlichkeit meines eigenen Lebens. Beten heißt: Noch einmal neu auf diese Welt und auf unser Leben schauen. Um dann zu erkennen, dass uns das Wesentliche im Leben als Geschenk zukommt. Gratis. Umsonst.

Erhörung garantiert? Nein! Garantiert nicht. Zumin-dest nicht im Sinne einer berechtigten Erwartung. Bestenfalls garantiert geschenkt. Darum ist das Be-ten nicht vergeblich. Gott weiß, worauf es ankommt. Weil Gott will, dass unser Leben gelingt. Dass un-ser Leben einen Sinn hat. Weil Gott uns immer wie-der neu die Augen öffnet. Und wir dabei nicht ein-mal vor Wundern geschützt sind.

Wenn uns das nicht beten lehrt. Und uns beten lässt. Den Rest können wir getrost dem lieben Gott überlassen. Und seiner Zusage: Rufe mich an in der Not, dann will ich dich erretten. Und du sollst mich preisen.

Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.