Predigt zur Kantate BWV 68 "Also hat Gott die Welt geliebt"
am 20. Juni 2010 im ökumenischen Kirchenzentrum Maria Magdalena in FR-Rueslefeld

20.06.2010
Predigt/Hinführung (1)

Nächtliche Gespräche haben es in sich. Wir kennen das. Von Festen, die nicht enden wollen. Von zufälligen Begegnungen, kurz bevor wir aufbrechen wollen. Kein Gespräch ist so intensiv wie ein Gespräch bei Nacht. Nicht erst heute ist das so. Ein Nachtgespräch hat auch den Stoff für die Kantate geliefert, die wir jetzt gleich hören werden.

Fast auf den Tag genau 285 Jahre ist es her, dass diese Kantate in Leipzig zum ersten Mal aufgeführt wurde. Dass mit Christiane Marianne von Ziegler die Tochter des Leipziger Bürgermeisters Franz Conrad Romanus die Texte zusammenstellte, war wichtig für Johann Sebastian Bach. Schließlich war ihm ein anderer Verfasser von Kantatentexten, der Konrektor der Thomasschule Andreas Stübel im Januar desselben Jahres verstorben. Dies hatte die Produktion von Choralkantaten kurzfristig unterbrochen.

Aufführungstag war der Pfingstmontag. Und so verwundert es nicht, wenn das damalige Feststagsevangelium zum Pfingstmontag im Mittelpunkt steht: Johannes 3 – die Begegnung zwischen Jesus und Nikodemus.

Heimlich bei Nacht kommt Nikodemus zu Jesus. Er will nicht gesehen werden. Nikodemus war ein Pharisäer. Und damit ein Fachmann in Sachen des Glaubens. Das Gespräch ist intensiv. So intensiv wie nur nächtliche Gespräche sein können.


Text Johannes 3


LeserIn: Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm:
Nikodemus: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.
LeserIn: Jesus antwortete und sprach zu ihm:
Jesus: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.
LeserIn: Nikodemus spricht zu ihm:
Nikodemus: Kann ein Mensch denn wieder in den Leib seiner Mutter zurückkehren und von neuem geboren werden?
LeserIn: Jesus antwortete:
Jesus: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wer nicht von neuem geboren wird aus Wasser und Geist, kann nicht in das Reich Gottes kommen.
LeserIn: Nikodemus antwortete und sprach zu ihm:
Nikodemus: Wie kann dies geschehen?
LeserIn: Jesus antwortete und sprach zu ihm:
esus: Bist du Israels Lehrer und weißt das nicht? Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage?
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.


Kantate BWV 68: Also hat Gott die Welt geliebt
Choral – Arie

Predigt (2)
Was bringt’s? So fragen wir oft. Was bringt’s, wenn ich mich engagiere? Was bringt’s, wenn ich für meine Überzeugungen einstehe? Was bringt’s, wenn ich glaube?

Was bringt’s, wenn ich glaube? Das ist die Frage, auf die die Kantate eine Antwort geben möchte. Auf alle Fälle scheint der Glaube gute Laune zu machen. Zumindest, wenn man die Arie ernst nimmt, die wir eben gehört haben.

Mein gläubiges Herze,
frohlocke, sing, scherze,
dein Jesus ist nah.
Weg Jammer, weg Klagen.
Ich will euch nur sagen:
Mein Jesus ist nah!

Glauben als Stimmungsmacher? Ich weiß nicht. Schon Nietzsche war der Meinung, wir Christen müssten eigentlich erlöster aussehen. Aber ich finde, eine solche Sicht verkürzt den Glauben. Der Glaube ändert nicht einfach die Verhältnisse. Er ändert zuerst einmal unseren Blickwinkel. Wir können das Böse nicht einfach wegglauben.

Es gehört zu den bleibenden Erfahrungen. Ganz persönlich. Aber auch im Blick auf die großen Fragen des Lebens. Und die ganze große Frage ist allemal die: Was wird sein nach dem Tode? Was wird mit uns sein? Und wo werden wir sein?

Die Kantate begnügt sich nicht mir der Antwort der Arie. Frohlocke, sing, scherze, das gehört häufig auch dazu. Aber die Antwort, die muss größer sein. Und darum verweist der Eingangschor auf eine de großen und zentralen Bibelstellen. Johannes 3, 16: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Das also ist die Antwort des Johannes-Evangeliums. Das ist die Antwort auf die Frage: „Was bringt’s?“ Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.

Ewiges Leben? Das muss doch noch einmal etwas anderes sein als eine Verzögerung der körperlichen Entwicklung, die uns immer älter werden lässt. Ewiges Leben, das muss mehr sein als eine Verlängerung all dessen, was uns tagtäglich belastet. Ewiges Leben, das muss aber auch mehr sein als der Versuch, uns auf ein besseres Jenseits zu vertrösten.

Wenn wir vom „ewigen Leben“ reden, befinden wir uns im Bereich der Sprache unseres Glaubens, nicht der wissenschaftlichen Erkenntnis. Wir bringen damit zum Ausdruck, dass unser Glaube uns eine neue Sicht auf unser Leben und auf die Welt ermöglicht. Erneuert wird also nicht zuletzt die Lebensperspektive! Ewiges Leben meint Leben in der Perspektive, dass wir bewahrt bleiben. Aufgehoben in der Wirklichkeit, die wir Gott nennen. Aufgehoben über die Grenze des Todes hinaus. Und zu einem neuen Leben in der Gegenwart Gottes befreit. Nicht erst irgendwann. Sondern schon jetzt.

Aber hören wir zunächst, wie die Kantate diese Frage beantwortet:

Kantate BWV 68: Also hat Gott die Welt geliebt
Rezitativ - Arie – Chor

Predigt (3)
Sind sie schon vor dem Jüngsten Gericht gestanden? Nein, keine merkwürdige Frage. So schwer ist das gar nicht. Nicht weit von hier, im Stephansmünster in Breisach kann man vor dem Jüngsten Gericht stehen. Martin Schonhauer hat es gemalt. Am Ende des 15. Jahrhunderts. Über 100 m2 groß ist das Wandgemälde. Das Jüngste Gericht – ein wirklich großes Thema.

Viel Schindluder ist mit diesem Gedanken getrieben worden. Unglaublich viel Angst wurde dadurch erzeugt. Am Ende der Tage, da kommt dann alles ans Licht. Als ob Gott irgendein Interesse hätte, uns bloß zu stellen. Wenn wir vom Richten Gottes sprechen, setzten wir vorschnell die Vorgänge Richten und Strafen in eins. Gott wird so zum Leiter einer Dokumentationszentrums unserer Werke. Durch Gottes Gedächtnis wird am Ende die Rede vom Gericht immer nur zu einem Strafgericht.

Das Rezitativ hält die Frage erst einmal offen:

Er kam nicht nur, die Welt zu richten,
nein, nein, er wollte Sünd und Schuld
als Mittler zwischen Gott und Mensch
vor diesmal schlichten.

Gott als unerbittlicher Richter am Ende der Zeit? Mein Glaube ist ein anderer. Ich halte es für angemessener, von Gottes Richten als einem Zurechtbringen“ zu sprechen: Dass Gott richtet, ist geradezu eine Konsequenz seines gnädigen Handelns an uns Menschen. Wo Gott richtet, gibt es Lebenshilfe. Wo Gott richtet, erhalten wir Wegeweisung ins Leben. Wo Gott richtet, da werden Schwerter zu Pflugscharen!

Was für eine Aussicht. Und das nicht erst irgendwann. Am Ende aller Zeiten. Sondern schon jetzt. Wie gut, dass diese Kantate mit einer großartigen Chorfuge schließ. Noch einmal ein Vers aus dem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus:

Wer an ihn gläubet, der wird nicht gerichtet.
Wer aber nicht gläubet, der ist schon gerichtet.

Das Gericht, es ist gar keine Möglichkeit mehr. De einen wird es erspart. Die anderen haben sich schon selber das Urteil gesprochen. Zwei Kapitel nach diesem Text kommt der Evangelist noch einmal auf diese Frage zu sprechen. Und dort wird er noch klarer. Da lesen wir: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist schon jetzt vom Tode zum Leben hindurch gedrungen.

Es ist nicht Gott, der uns irgendwann ein Urteil sprechen wird. Unser Urteil sprechen wir uns selber. Schon jetzt. Durch die Art wie wir leben. Durch die Art wie wir glauben. Wir sind selber unsere Richter. Und Gott ist der, der uns am Ende frei spricht. Damit wird unser Leben nicht einfach gleichgültig.

Natürlich gilt: Unser Handeln jetzt hat Konsequenzen hat über den Tod hinaus. Aber ohne dass wir angstvoll auf die große Gottesbegegnung unseres Lebens zugehen müssten. Unsere Art zu Leben bleibt nicht ohne Belang. Der Tod ist nicht der große Gleichmacher. Er rechtfertigt nicht einfach das Glück derer, die auf Kosten anderer leben und gekebt haben. Er gibt die Opfer nicht der Lächerlichkeit preis.

Es gibt also durchaus einen bleibenden Zusammenhang zwischen unserem Leben hier und dem ewigen Leben. Aber es gibt keinen nahtlosen Übergang. Zwischen unserer Welt hier und unserer Zukunft bei Gott liegt eine elementare Grenze. Der Blick unserer Einsicht und unserer Vernunft reicht über diese Grenze nicht hinaus. Dafür braucht es das dritte Auge. Das Auge, das die Wirklichkeit jenseits unserer Wirklichkeit wahrnimmt. Dieser Blick braucht den Blick des Glaubens.

Und dieser Blick lässt den Horizont unseres Lebens unglaublich weit werden. Das bedeutet: Wir dürfen uns als Glaubende über den Tod hinaus von Gott gehalten wissen. Ewiges Leben, das bedeutet: Wir können nie tiefer fallen als in Gottes Hände. Keine Träne ist umsonst geweint, kein Leid wird vergeblich ertragen, keine Zukunft sinnlos erträumt wird. Gottes Zukunft kommt auf uns zu. Und wir leben in der Erwartung gleichsam schon in deren vorweggenommener Realität. Wenn wir daraus besser und glücklicher, auch getrösteter und zuversichtlicher leben können, ist das schon sehr viel. Und schon Teil des ewigen Lebens selber. Das können wir uns nicht oft genug sagen lassen. Und darum hören wir es jetzt auch noch einmal. Amen.

Chor: Wer an ihn gläubet
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.