PREDIGT
IM GOTTESDIENST AM BEGINN DER BEZIRKSSYNODE
AM 11. NOVEMBER 2011 IN BRETTEN

11.11.2011
Liebe Närrinnen und Narren in Christus!

Heute haben wir den 11. November. Das ist kein beliebiges Datum. Allein schon von der Zahlenoptik her. Der 11.11.11 ist sogar etwas einmaliges. Ich erinnere mich sehr gut an den 6.6.66. Ich war damals in er 3. Klasse. An diesem Tag habe ich das Datum in meinem Schulheft mit bunten Farben ganz besonders schön gestaltet. Aber nicht zum Gefallen aller. Meine damalige Lehrerin machte einen langen roten Strich durch mein Kunstwerk. Von links oben nach rechts unten. Ich wisse doch, wie man ein Datum richtig schreibe. So war das damals mit der Pädagogik, lieber Herr Vorsitzender. Auch das war gewissermaßen mitten im Frühsommer eine närrische Tat.

Heute haben wir ein anderes, wahrhaft närrisches Datum. Es ist der Martinstag. An den bunt leuchtenden Laternen der Kinder kann man das schon seit einigen Tagen sehen. Der Tag, an dem Martin von Tour bestattet wurde. Gestorben war er drei Tage zuvor. Am 8. November des Jahres 397. Dieser Martinstag ist ja auch der Tauftag Martin Luthers. Zugleich der Tag, dem der Wittenberger Reformator seinen Vornamen zu verdanken hat.

Ab dem 11.11. haben aber auch vielerorts die Narren das Sagen. Nicht nur wegen der närrischen Zahlen des Datums. Wenn man vom Weihnachtsfest vierzig Tage zurückrecht, kommt man auf den 12. November. Da begann in früheren Zeiten mancherorts die adventliche Fastenzeit. Am Tag zuvor, also am 11. November, durfte man noch einmal den kulinarischen Genüssen frönen. Da aß man dann die Martinsgans. Und wie so oft wurde der Sinn des nachfolgenden Fastens vergessen. Und man meinte, jetzt drauf los leben zu können. Bis am Aschermittwoch dann wirklich alles vorbei ist.

Um das Narrenthema soll’s darum heute gehen. Aber um Narren ganz anderer Art. Um die Narren in Christo willen. In einem seiner Briefe an die Gemeinde in Korinth, unserem 1. Korintherbrief schreibt Paulus (3,18.19):

Niemand betrüge sich selbst. Wer unter euch meint, weise zu sein in dieser Welt, der werde ein Narr, dass er weise werde. Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott.

Närrinnen und Narren werfen einen anderen Blick auf das, was ist, liebe Synodalgemeinde. Sie sehen, was anderen entgeht. Und sie sagen, was andere verschweigen.

Närrinnen und Narren sollen wir alle werden. Anders - so haben wir es eben gehört – anders ist Weisheit nicht zu erlangen. Paulus hat das Narrenthema in der Bibel nicht als erster aufgenommen. Die vermutlich ältesten Darstellungen eines Narren in der Kunstgeschichte stammen aus dem 12. Jahrhundert. Sie sind in Illustrationen zum 53. Psalm zu finden. Dort heißt es ja: „Die Narren“ – Luther übersetzt mit die Toren - „sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott“. Nackt wurde diese Figur meist gemalt. Mit einer Keule in der Hand. Manchmal auch noch mit einem Stück Brot.

Ein Narr ist hier also einer, der die Existenz Gottes bestreitet. Ganz anders bei Paulus. Der Narrenstand wird hier nicht verworfen. Im Gegenteil. Wir werden aufgefordert, uns selber zu Narren zu verwandeln. Die Weisheit Gottes, so hören wir, ist anders gar nicht zu erkennen.

Der Narr als Paradox. Der Narr als der, der allein die Wahrheit kennt. Der Narr als Hofnarr des Reiches Gottes. Der Narr als der, der ungeschminkt ausspricht, was sich die anderen nicht trauen. Oder was ihnen schlicht entgeht. „Wer unter euch meint, weise zu sein, der werden ein Narr, dass er weise werde. Die Wahrheit, verleidet im Gewand des Narren. Diese Unmöglichkeit hat für Paulus ein reales Vorbild. Einen realen Grund. Eigentlich auch eine Unmöglichkeit.

Närrinnen und Narren werfen einen anderen Blick. Auf die Wahrheit Gottes – die sich nicht zu erkennen gibt in triumphalem Machtgehabe. Die Wahrheit Gottes – sie wird offenbar in einem scheinbar Gescheiterten. Die Wahrheit Gottes leuchtet auf im Bild des gekreuzigten Christus - den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit, wie er im selben Brief schreibt.

Das Bild des Gekreuzigten als Aufweis der Gegenwart Gottes. Für viele Menschen der Postmoderne tatsächlich ein Narrenstück. Aber in dieser Narretei liegt der Schlüssel zum Verständnis Gottes. Der Blick der Närrinnen und Narren, er kann auch uns die Augen öffnen.

Närrinnen und Narren werfen einen anderen Blick – auf Gott, der sich klein macht, um gerade dadurch eine Größe zu zeigen. Auf Gott, der Mensch wird, um das Wesen seines Gottseins offenzulegen. Auf Gott, der dem Tod nicht ausweicht, um so dem Leben eine Bahn zu berechen. Auf Gott, der sich zum Narren machen lässt, weil er auch die im Blick hat, die wir oft vorschnell als Narren abtun: „Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen.“, um noch einmal Paulus zu Wort kommen zu lassen.

Die Größe Gottes, sie schimmert auf in seiner Bereitschaft, sich klein zu machen. In der Lesung vorhin haben wir schon Ähnliches gehört. Im Buch des Propheten, der gegen Ende der Gefangenschaft in Babylon wirkt, geht es immer wieder um eine geheimnisvolle Gestalt. Von einem Knecht Gottes ist die Rede. Er hat keine Gestalt noch Schönheit. Aber er wird wahrgenommen. Weil es noch einen anderen, einen närrischen Blick gibt. Der Knecht Gottes - er hat keine Stimme. Aber er wird doch gehört. Dem glimmenden Docht und dem geknickten Rohr gibt er nicht den Rest. Weil er sie mit ganz anderen Augen in ihrer Schönheit sieht. Und gerade durch die Gabe dieses Blickes Eindruck erweckt.

Wir wissen nicht, wer dieser Knecht Gottes ist. Ein geheimnisvoller Prophet. Ein König. Das ganze Volk. Aber als die Menschen Jesus sehen. Als sie wahrnehmen, wie er sich den Schwachen zuwendet. Wie er die kleinen Leute im Blick hat. Da fühlen sich viele an diesen Knecht Gottes erinnert. Spüren, wie Gott am Werk ist. Wie Gott seine Macht gerade dadurch erweist, dass er auf alles verzichtet, was die Menschen mit einem Gott verbinden.

Christus selber bleibt das Kleid des Narren nicht erspart. Mit einer Dornenkrone und einem Königsstab führt man ihn vor. Ohne zu ahnen, dass Gott sich gerade auch so zu erkennen geben kann.

Nachfolge Christi, sie ist möglich, indem wir uns den Narrenblick nicht verbieten. Und nicht verbieten lassen. Indem wir uns nicht zu schade sind, uns die Kappe des Narren aufsetzen lassen. Närrin und Narr zu sein, das ist dann nicht der große Irrweg des Lebens. Närrin und Narr zu sein, das ist der Weg, froh unseren Glauben zu leben.

Was ist das Kennzeichen der Narren Gottes? Als Närrin oder als Narr Gottes zu leben, das heißt: Wir können es riskieren, ohne Sicherheit leben. Aber mit der großen Gewissheit, dass Gott entscheidend mit dabei ist in ihrem Leben.

Als Närrin oder als Narr Gottes zu leben, das heißt: Wir haben die Wahrheit nicht für uns alleine gepachtet. Aber das, was ich weiß, das gibt unserem Leben Richtung und Orientierung.

Als Närrin oder als Narr Gottes zu leben, das heißt: Wir wissen nicht alles besser. Aber wir wissen, dass es Besseres zu wissen gibt.

Als Närrin oder als Narr Gottes zu leben, das heißt: Wir sind nicht einfach unverbesserliche Optimisten. Aber wir gehen gestärkt durch unseren Glauben heraus in die Zukunft, weil wir wissen, dass wir Grund zur Zuversicht haben.

Als Närrin oder als Narr Gottes zu leben, das heißt: Wir geben und mit dem Mann am Kreuz und im Grab nicht zufrieden. Wir leben davon, dass der Tod am Ende nicht das letzte Wort behält. Und dass der Stein mächtig ins Rollen kommt, wo Gottes Lebendigkeit sich Bahn bricht.

Weisen, unseren Narrenstand zu leben, gibt es genug. Nachfolge Christi, heißt sich die Narrenkappe aufsetzen zu lassen. Auch da, wo wir lieber unkenntlich blieben. Wir blicken auf das zu Ende gehende Jahr der Taufe zurück. Dem Wasser des Lebens so viel zu vertrauen, das hat auch etwas Närrisches. Und im Grunde werden wir nach der Taufe die Narrenkappe nie mehr los.

Närrinnen und Narren sind wir seit unserer Taufe. Närinnen und Narren sind wir als Synodale, ganz egal, ob wir beruflich oder ehrenamtlich unseren Glauben leben. Zu Närrinnen und Narren werden auch Pfarrerinnen und Pfarrer, wenn sie sich lebenslang in Beschlag nehmen lassen, die närrische se Botschaft weiterzusagen, dass Gott sein Interesse an der Welt nicht verloren hat.

Närinnen und Narren, es gibt sie im Pfarramt und die Narren an der Orgel. Es gibt sie, wo Menschen andere pflegen und ihren Schmerz mit ihnen aushalten. Es gibt sie, wo Menschen sich nicht zu schade sind, Besuche zu machen.

Närinnen und Narren, wir finden sie da, wo Menschen sich Tag für Tag mit den all denen befassen, die sich an den Rand und ganz weit weg geschoben fühlen.

Närrinnen und Narren - kraft Beruf und im Ehrenamt. Beide sind bleibend aufeinander angewiesen. Und sie feiern hoffentlich viele „Fest der Narren“, wie es in einem Buchtitel von Harvey Cox so treffend heißt.

Mich zumindest hat das Narrenthema nie mehr losgelassen. Heute vor 21 Jahren bin ich ordiniert worden. Und der Gottesdienstbeginn hat es damals möglich gemacht, dass ich gerade um 11.11 Uhr auf der Kanzel stand. Und seit damals bin ich immer wieder bin ich froh, wenn ich mich auch närrisch meines Glaubens versichern kann.

„Wer unter euch meint, weise zu sein in dieser Welt, der werde ein Narr, dass er weise werde.“ Manche haben sich dieses Programm in sehr direkter Weise zur Lebensaufgabe gemacht. Und etwas von diesem Narrenmut könnte man uns durchaus abspüren. Aber niemand hat sich wohl mehr als Narr Gottes verstanden als Franz von Assisi. Macht und Wohlstand hat er dran gegeben. Hat sich mit denen verbündet, die sonst keiner im Blick hatte. Nicht einmal die Tiere waren ausgenommen, wenn es für ihn ans Predigen ging.

Närrin und Narr Gottes zu sein, das geht aber auch anders. Nicht das Gewand, sondern die Haltung macht den Narren aus. Nicht der Erfolg, sondern der Freimut und das aufdeckende Wort. Als Närrinnen und als Narren – in keiner anderen Weise des Glaubens können wir uns der liebevollen Zuwendung sicherer sein. Auch da, wo wir als Synodale versammelt sind.

Närrinnen und Narren werfen den anderen Blick. Gott schenke uns, dass wir uns die Augen öffnen lassen. Und das Risiko, weise zu werden, nicht scheuen. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.