PREDIGT ÜBER JAKOBUS 4,13-17
IM GOTTESDIENST AM BEGINN DER DEKANSWAHLSYNODE
AM DIENSTAG, DEN 5. JULI 2011
IN DER CITYKIRCHE KONKORDIEN IN MANNHEIM

05.07.2011
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Synodalgemeinde!

In der ökumenischen Bibellese ist seit gestern der Jakobusbrief an der Reihe. Der Jakobusbrief wird in der Reihenfolge der Briefe des Neuen Testaments nicht sehr hoch gerankt. Martin Luther hat ihn nicht gemocht. Eine „recht stroherne Epistel, die keine recht evangelisch Art hat“ – so hat er ihn einmal doch recht verächtlich charakterisiert. Und weil er sein hermeneutisches Kriterium, die Frage danach, ob er „Christum treibet“, nur ungenügend erfüllt sah, hat Luther diesen Brief in der Abfolge der neutestamentlichen Schriften ganz schön weit nach hinten geschoben.

Ich gestehe gerne, dass ich eine gewisse heimliche Vorliebe für diesen Brief hege. Mag sein, um mich vom protestantischen Übervater Luther etwas abzusetzen. Vielleicht auch deshalb, weil mir manches, was ich da lese, einfach zusagt. Etwa, dass man die Reichen nicht hofieren und ganz vorne platzieren soll – um nur einen Punkt zu nennen. Oder weil er weiß, wie viel Schaden ein unüberlegtes Wort anrichten kann. Oder wie gut kranken Menschen ein Besuch aus ihrer Gemeinde tut.

Der Jakobusbrief ist ein sehr pragmatischer Brief. Sehr unverblümt legt er den Finger in Wunden, die bis heute nicht verheilt sind. Man kann aus diesem Brief lernen, dass manche steilen theologischen Konstruktionen nur so viel an Wert haben, wie sie sich auch ins Leben ziehen lassen und uns wirklich etwas kosten. Unter diesem Blickwinkel müssen wir auch Luthers Kritik an der Behauptung des Jakobus, dass zum Glauben auch Werke gehören, womöglich noch einmal genauer lesen. Und den Jakobus am Ende womöglich zumindest teilrehabilitieren.

Einen kleinen Beitrag möchte ich heute Abend dazu leisten. Nicht mit dem für heute vorgeschlagenen Abschnitt aus Jakobus 1. Nein, aus aktuellem Anlass bin ich etwas vorausgeeilt und gleich ins vierte Kapitel vorgeprescht – zu dem Text, den sie eben als Lesung gehört haben.

Sie werden ahnen, warum ich gerade diese Verse ausgewählt habe. Es ist die berühmte Formulierung der sogenannten Bedingung des Jakobus, die es mir angetan hat: „Wenn der Herr will und wir leben!“

Die lateinische Kurzform war früher weit verbreitet: S.C.J. – Sub Conditione Iacobea. In vielen kirchlichen Terminauflistungen stand das wie selbstverständlich dabei. Durchaus den Hauch von Altertümlichkeit und Unzeitgemäßheit ausstrahlend. Ein Zugeständnis an die Tradition. Etwas altmodisch. Aber nicht unsympathisch. Vielleicht sogar typisch kirchlich.

Seit ich diese drei Buchstaben in meiner Kindheit zum ersten Mal gesehen habe, haben sie mich fasziniert. Und dies schon lange ehe ich die Buchstaben selber überhaupt verstanden habe. In meinem Elternhaus und in manchen Briefen, die wir erhalten haben, war diese Formulierung selbstverständlich. Und der Satz. „Wir sehen uns dann und dann wieder, so der Herr will und wir leben!“ – wenn ich mich zurückerinnere, kann ich ihn immer noch hören.

Heute ist dieser Brauch überwiegend verschwunden. Zumindest in der traditionell überlieferten Form. Nur am Ende der Kirchentage wird mit dieser Formulierung jeweils die Einladung zum nächsten Kirchentag verbunden. Aber durch die Hintertür neuer Formen der Leitung und der Steuerung großer Organisationen – und zu denen sind wir als Kirche ja durchaus auch zu zählen – hat ein Teilaspekt dieses Satzes von Neuem Einzug gehalten.

Es geht weniger darum, dass wir in einem Jahr in diese oder in jene Stadt gehen – wie es der Jakobustext als Beispiel nennt. Aber wir umschreiben einen Zeitraum. Und wir nennen konkrete Aktionen, die wir uns vorgenommen haben. Wir halten fest: Wir werden in einem genau umschriebenen Zeitraum dies und jenes tun. In Zielvereinbarungen, etwa bei Visitatonen tun wir das. In Zielphotos bei Projekten, die wir uns vorgenommen haben. Oder wenn wir unsere Absichten in Orientierungsgesprächen festhalten.

So modern ist also der Jakobusbrief. Und womöglich doch mehr als eine „recht stroherne Epistel, die keine recht evangelisch Art hat“. Ein wenig zu pragmatisch ausgerichtet vielleicht. Aber nah dran an einem Denken, das uns heute in manchem noch näher liegt, als den Adressatinnen und Adressaten dieses Briefes damals.

Doch was ist, wenn sich vereinbarte Ziele als nicht erreichbar erweisen? Waren sie einfach nur unrealistisch. Oder habe ich nicht mit der nötigen Stringenz oder dem angemessenen Einsatz gearbeitet? Dann läge es an mir. Und ich habe erst einmal den Schwarzen Peter.

Dies ist eine mögliche Sichtweise. Und eine, die immer mehr Menschen - zumal in ihrem beruflichen Arbeitsleben - als großen Druck empfinden. Als Druck, der sie sogar krank machen kann. Gut, dass es zu dieser Sichtweise eine relativierende Alternative gibt. Eine, die zu formulieren, nur drei Buchstaben benötigt: S.C.J. - „So der Herr will. Und wir leben!“

Denn so wie es ist - allenthalben und überall - so soll es unter euch nicht sein! Das gehört doch in den gemeinsamen Überzeugungsschatz der Kirche. So soll es unter euch nicht sein. Bei Jesus können wir das hören, als er sich gegenüber der Mutter von Jakobus und Johannes zu deren Wunsch äußert, ihre Söhne mögen im Himmelreich die Plätze direkt neben ihm einnehmen. „Die Großen üben Druck aus auf die Kleinen. Und die Mächtigen auf die Machtlosen. So soll es unter euch nicht sein!“:

Auch nicht mit der Überforderung durch das, was wir uns vornehmen. Denn die großen Kataloge unserer Pläne und Absichten, unserer Projekte und Programm, sie übernehmen nur den zweiten Teil des Programms des Jakobus. Der erste Teil, die Grundbedingung, lautet: „So der Herr will und wir leben.“

Wissen wir, was morgen sein wird? „Ein Rauch seid ihr!“ So argumentiert der Text. So der Herr will. Wissen wir wirklich, was er will? Haben wir uns getraut, uns dieser Frage zu stellen?

Als Synodale wählen sie heute einen neuen Dekan. Es gehört zu seinen Aufgaben, ihnen in ihrem Stadtkirchenbezirk gerade auch das immer wieder neu in Erinnerung zu rufen. Dieses „so der Herr will!“ Leiten soll er und moderieren. Planen und Steuern. Aber auch mahnend zur Deeskalation beitragen. Das rechte Wort zur rechten Zeit soll er finden. Aber auch einfach nur Hören, wo andere etwas zu sagen haben. Tun, soll er, was dran ist. Und doch auch Lassen, wenn darauf der größere Segen liegt. Und in all dem soll er authentisch bleiben. Und seinen Dienst in Verantwortung vor Gott und den Menschen ausrichten.

Einfach ist das nicht. Im Grunde sogar eine Überforderung. Und es gäbe niemandem, dem wir das alles zumuten könnten. Wenn es dieses Entlastungsprogramm des Jakobus nicht gäbe. Dieses Programm der drei Buchstaben. S.C.J. – So der Herr will und wir leben, wird es geschehen.

Sie wählen heute einen neuen Dekan. Sie wählen nicht den Herrn der Kirche. Gottseidank! Und weil das so ist, können sie ihr Wahlamt ganz getrost und mit großer Zuversicht ausüben. Weil der, der will, das geschieht, was wir uns vornehmen, eben ein ganz anderer ist.

All unser Planen und auch jedes Leitungsamt unserer Kirche, das der Synoden und auch das des Dekans, den sie heute wählen, all das steht unter dem Vorbehalt des Jakobus stehen. Sinnvoll und nützlich sind diese Ämter allemal. Und keinesfalls lässlich oder gar überflüssig, weil’s der Herr den Seinen doch im Schlaf schenkt.

Doch solange es Zeit ist, Apfelbäume zu pflanzen, um noch einmal an unseren großen Reformator zu erinnern, dem man diesen Satz allerdings nie hat nachweisen können – solange es Zeit ist, Apfelbäume zu pflanzen, weil die Welt erst morgen untergeht, solange können und müssen wir diese Welt und auch die Kirche unter den Bedingungen der Gegenwart und mit Blick auf die Zukunft gestalten. Solange braucht es Synoden. Solange braucht es auch einen Dekan. Einer, zu dessen Auftrag es gehört mitzuhelfen, dass diese Kirche auch hier in Mannheim tun kann, was ihr aufgetragen ist: Gottes gute Lebensworte in dieser Welt zu verbreiten.

Also lassen sie sich fröhlich ein auf diesen Weg. Den des Planens. Und den des Wählens. Treffen sie ihre Wahl in großer Verantwortung und genauso großer Zuversicht. Treffen sie sie vor allem im Wissen, dass es ein anderer ist, der am Ende das Gelingen schenkt. Weil die große Zielvereinbarung, die über all unsere Planen und leiten seht, längst zu unseren Gunsten getroffen ist. „Ich lebe. Und ihr sollt auch leben!“

Und so der Herr will und wir leben, wird Gott uns immer wieder selber begegnen. Uns zum Leben anstiften. Wird Gott uns die Liebe ins Herz legen. Und uns mit seinem Geist beflügeln.

Darum haben wir keinen Grund, unserer Schritte ängstlich zu setzten. Grund haben wir zum Feiern. Weil Gott will, dass wir leben. Und wir ausführen können, was wir uns vorgenommen haben. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.