PREDIGT ÜBER RÖMER 15,4-9A.13
AUS ANLASS DES JUBILÄUMS 50 JAHRE JONA-KIRCHE
AM SONNTAG, DEN 11. DEZEMBER 2011 (3. ADVENT)
IN MANNHEIM

11.12.2011
Liebe Festgemeinde!
Der Advent soll nicht zu kurz kommen! Mitten in allen Festjubel zum 50. Geburtstag dieser Jona-Kirche darf der Advent nicht untergehen: Wir feiern heute den dritten Advent. Genauer gesagt: Den dritten Sonntag im Advent. Eine Woche noch und eine brennende Kerze mehr auf dem Adventskranz: Dann ist die Zeit der adventlichen Erwartung schon wieder vorüber. Dann gehen wir mit schnellen Schritten auf das Fest der Weihnacht zu.

Der Advent hat seine besondere Gestimmtheit. Er bereitet auf Größeres vor. Aber er ist nicht dieses Größere selber. Sein Licht lässt das Licht der Weihnacht erahnen. Aber er muss sich mit vier Kerzen begnügen. Und kann mit der Lichter-Fülle der Weihnacht nicht mithalten. Der Advent ist die Zeit der Vorfreude. Er vermittelt uns eine Ahnung von dem, was kommt. Er nährt die weihnachtliche Sehnsucht in uns und hält sie wach. Aber er kann sie noch nicht erfüllen.

In diesem Sinne sind Kirchen – ist auch diese Jona-Kirche eine Versinnbildlichung des Advent. Was ist denn eine Kirche anderes als ein Haus Gottes! Aber sie ist beileibe nicht das Haus, in dem unsere Sehnsucht nach Gottes neuer Welt erfüllt wird und ans Ziel kommt. Eine Kirche ist das Haus, in dem diese Sehnsucht zu ihrem Recht kommt. In dem sie gefeiert wird. Aber wir wissen alle: Das Entscheidende steht noch aus.

Und darum ist jede Kirche – und darum auch diese Jona-Kirche in ganz besonderer Weise ein Haus des Advent. Helmut Striffler, der Architekt dieser Kirche hat dies in an besonderer Weise durch die Art der Lichtzufuhr zum Ausdruck gebracht. Wir sind nicht im Dunkeln gelassen. Aber wir finden uns auch nicht im strahlenden Licht wieder, das alle Dunkelheit für immer zu vertreiben vermag. Das wahre Licht bleibt für’s Erste eine Ahnung.

Die Dreifaltigkeit Gottes – sie wird angedeutet durch die Dreiteilung des Fensters hinter dem Altar. Aber die Erfahrung der Gegenwart des dreieinigen Gottes bleibt dem Glauben vorbehalten. Auf dem Weg, bis Gott alles in allem sein wird - auf diesem Weg machen wir Station. Aber wird sind noch nicht am Ziel. Wir feiern in einem Haus des Advent. Aber noch nicht im himmlischen Jerusalem.

Jeder Sonntag im Advent hat sein eigenes Gepräge. Heute feiern wir in der Gestimmtheit des dritten Advent. Aber wir tun dies zumindest vom Thema her nicht in ökumenischer Eintracht. In vielen Kirchen heißt dieser Sonntag „Gaudete“ – zu deutsch: Freut euch! Bei uns ist der dritte Advent der Sonntag der Ermahnung und der Buße. Der Sonntag Johannes des Täufers. Des sogenannten Vorläufers des Herrn. Dessen Thema war der Ruf zur Umkehr. Also nicht: Freut euch! Sondern: Kehrt um! Tut Buße! Und bessert euch!

In diesem Sinn ist auch der vorgeschlagene Predigttext für diesen Sonntag zu verstehen. Es ist – zumindest beim ersten Hinhören – kein Text, der uns vorschnell adventlich anmutet. Und weihnachtlich schon gar nicht.

Im letzten Kapitel seines großen Briefes an die Gemeinde in Rom zieht Paulus sein Fazit. Er hat der Gemeinde in Rom sein theologisches Programm vorgestellt. Aber Theologie ohne Folgen ist blutleer. Darum listet er im letzten Teil seines Briefes die Konsequenzen auf. Aus diesem Teil stammen auch die Verse des Predigttextes.

Ich lese ausgewählte Verse aus Römer 15:

4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. 5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, 6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. 7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. 8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; 9 die Völker aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen. 13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Mahnende Verse sind das. Worte, die uns Mut machen, inne zuhalten. Worte, die uns zum rechten – zum gerechten - Verhalten verlocken sollen auf dem Weg nach Weihnachten.

Und mittendrin wie eine Summe der bekannteste Vers aus diesem Text. Einer, der sich am ehesten noch adventlich verstehen lässt. Da heißt es:

Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

Dem dritten Adventssonntag gemäß möchte ich drei Kerzen des Verstehens vor allem auf diesen Vers leichten lassen. Und so einen dreifachen Blick auf diesen Vers werfen. Ich tue das einfach in der Weise, dass ich an ihm entlang gehe. Darum zunächst die erste Kerze des Verstehens: Nehmt einander an! Das hört sich an wie eine Binsenweisheit. Eine lebenskluge Verhaltensregel. Seid halt nett zueinander! Schon gar in der Kirche.

Aber dahinter steckt mehr. Zumal im Advent. In diesen Tagen nehmen die Anrufe bei mir in der Prälatur zu. Und das nicht ohne Grund. Im Advent liegen bei vielen Menschen die Nerven blank. Im Advent drängt vieles ans Licht, was wir das Jahr über erfolgreich unter dem Deckel gehalten haben. Und dann bricht es mit einem Mal heraus. Und statt vorweihnachtlicher Stimmung macht sich adventliche Tristes breit.

Nehmt euch an! In keiner Zeit des Jahres ist diese Aufforderung nötiger. Haltet euch aus! Überfordert euch nicht! Das ist durchaus eine adventliche Ermahnung. Schließlich muss der Advent sein. Und er muss gerade deshalb sein, weil die Welt so ist wie sie ist. Sonst könnten wir und den Advent ja sparen. Sonst wären wir ja schon am Ziel.

Übrigens war auch die Gemeinde in Rom nicht einfach ein Herz und eine Seele – damals, als Paulus seinen Brief geschrieben hat. Viele gab es da, die sich voller Misstrauen gegenübergestanden haben. Wohlhabende Christen und solche, die nicht wussten, wovon sie am nächsten Tag leben sollten. Christen, die vorher Juden waren. Und solche, die zuvor einer anderen Religion angehört haben. Sie hatten eine durchaus konfliktreiche Beziehung.

Daneben gab es Angehörige anderer Religionen. Menschen, denen die Christengemeinden ein Dorn im Auge waren. Menschen, die mit Paulus ihre Mühe hatten. Menschen auch, die keine religiösen Neuerer neben dem Alten, Überkommenen dulden mochten. Und die die Christen-Gemeinde immer wieder in Angst und Schrecken versetzen. Wie man sich deshalb dem Staat gegenüber zu verhalten hatte, auch das war hoch umstritten. Im 13. Kapitel seines Briefes nach Rom geht Paulus darum gerade auf diesen Thema ausdrücklich ein.

Wenige Jahre bevor Paulus an die Gemeinde in Rom schreibt, hat Kaiser Claudius versucht, sich mit einem Kraftakt Ruhe zu verschaffen. Juden und Judenchristen wurden erst einmal aus Rom vertrieben.
Nehmt einander an! Das hieß damals womöglich auch: Fallt nicht unnötig auf! In diesem Fall müssten wir den Paulus aber geradezu auf den Kopf stellen. Nehmt einander an! Das muss heute auch heißen: Übt sichtbar Solidarität. Kümmert euch um die, die eure Hilfe nötig haben. Und haltet nicht damit hinterm Berg, warum euch das wichtig ist. Warum ihr euch umeinander kümmert.

Und damit kommen wir zur zweiten adventlichen Kerze des Verstehens. Zum zweiten Blick auf diesen Vers. Denn der geht ja weiter: Nehmt einander anwie Christus euch angenommen hat. Jetzt wendet sich der Vers schon sehr viel deutlicher in die Richtung auf Weihnachten hin. Dass Christus uns angenommen hat, genau darum geht es doch bei diesem Fest. Das ist die eigentliche Botschaft der Weihnacht. Dass Christus uns angenommen hat, das ist doch gemeint, wenn wir sagen: Gott wird Mensch. Gott lässt sich ein auf unsere Welt. Gott will sein Leben leben – mitten unter uns.

Weihnachten wird unterm Christbaum entschieden. Ein großer Elektronikmarkt wirbt in diesen Wochen mit diesem Slogan. Und viele regen sich über diesen Satz ordentlich auf. Ich finde, dieser Satz ist durchaus richtig. Es kommt nur darauf an, was sich unterm Christbaum finden lässt. Und worin die Entscheidung besteht. Im Blick auf die Krippe. Oder in den technischen Möglichkeiten des neuen Notebooks. Die Größe der Festplatte entscheidet nicht über Weihnachten. Auch nicht die Geschwindigkeit des Prozessors.

Aber häufig wird sehr wohl unterm Christbaum entschieden, ob wir menschlich miteinander umgehen. Über uns herfallen. Ob wir uns abschotten. Ob wir an Weihnachten die Welt außen vor lassen. Ob wir aus ehrlichem Herzen schenken. Und uns auch aus vollem Herzen beschenken lassen können. Unterm Christbaum wird entschieden, ob wir ernst damit machen, dass Gott Mensch wird. „Mach’s wie Gott – werde Mensch!“ Dieser Slogan ist durchaus ein ernst zu nehmender Satz. Gerade unterm Christbaum.

Bleibt noch die dritte Kerze des Verstehens. Der dritte Blick: Nehmt einander an – wie Christus euch angenommen hat Gott zum Lob! Gott zum Lob – das ist das Dritte. Einander anzunehmen – das ist kein Selbstzweck. Einander anzunehmen, das ist durchaus lebensklug, habe ich vorhin gesagt. Und es gründet im Vorbild Christi. Das war das zweite.

Dass es Gott zum Lob geschehen soll, ist nun das dritte. Leben, so wie Gott uns gemeint hat, das ist nicht einfach die Erfüllung einer religiösen Pflicht. Das ist Leben im Wissen, dass es Gott ist, der uns so leben lässt.

Leben, das zum Gotteslob wird. Dazu möchte ich ihnen Mut machen. Sie verlocken zur adventlichen Freude. Damit auch wir Gaudete feiern können. Damit auch für uns dieser dritte Advent zum Sonntag des adventlichen Gotteslobes wird. Zu einem Sonntag, an dem die Freude am Ende die Oberhand behält.

Für sie als Gemeinde ist das heute so. Sie freuen sich über 50 Jahre, in denen sie sich in diesem Haus Gottes treffen konnten. Sie freuen sich, dass es mitten in den anderen Häusern einen Ort des Advent gibt. Einen Ort, an dem sie eine Ahnung von dem Größeren bekommen, das noch aussteht. Sie freuen sich über einen Ort, an dem es immer wieder neu möglich ist, all unsere Klagen und all unsere unerfüllten Sehnsüchte in einen Reigen des Gotteslobes zu verwandeln.

Leben, das zum Gotteslob wird - zu solch einem Leben sind wir alle berufen. Zu solch einem Leben will uns der Advent immer wieder neu einladen und ermutigen.

Gut, dass wir den Advent haben. Und wir uns einstimmen können in ein Leben, das zum Gotteslob wird. Und das Heimat finden kann in dieser Jona-Kirche.

Gut, dass wir den Advent haben. Und diese Kirche, in dem wir dieses Leben üben und in dem wir Gottes Zukunft mit uns vorweg nehmen können. Gut, dass wir hier feiern und singen können, ehe der Gesang der Engel uns neu das Staunen lehrt. Und ihr Jubel uns zum weihnachtlichen Schweigen bringt.

Der Advent soll nicht zu kurz kommen. Dankbar blicken wir zurück auf die 50 Jahre dieser Kirche. Und voll Zuversicht schauen wir nach vorne in die Zukunft. Noch ist diese Kirche ein Haus des Advent. Noch warten wir auf das kommende Größere, das noch aussteht.

Doch dem Licht der Weihnacht können wir uns schon jetzt nicht entziehen. Das lasst uns feiern. Ehe das Licht der vierten Kerze dem den Weg bereitet, auf den wir warten in diesen Tagen des Advent.

Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Amen.


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.