ANSPRACHE BEI DER MORGENANDACHT
BEIM PFARRSENIORENKOLLEG AM 18. SEPTEMBER 2012 IN BAD HERRENALB
18.09.2012
Liebe Schwestern und Brüder!
Heute vor einer Woche war der 11. September. Dieses Datum wird noch für viele Jahre mit dem Schreckensflug in die Twin Towers in New York und mit dem Tod von mehr fast dreieinhalbtausend Menschen verbunden bleiben.
Am diesjährigen 11. September wurde in der Frankfurter Paulskirche der Adorno-Preis der Stadt Frankfurt übergeben. Preisträgerin war die amerikanische Philosophin und Sprachtheoretikerin Judith Butler.
Judith Butler lehrt an der Universität in Berkley. Geforscht hat sie u.a über die Entstehung und die Bedeutung der Geschlechter. Sie ist eine der Mütter der Gender-Theorie. Beschäftigt hat sie sich auch mit dem Thema Macht und Gewaltlosigkeit.
Im Vorfeld und während der Preisverleihung gab es heftige Proteste wegen einiger Äußerungen von Judith Butler zur Hisbollah und zur Hamas. Sie habe diese u.a. als soziale Bewegungen bezeichnet. Natürlich hat sie dies in einem umfangreicheren Kontext getan. Aber manche Äußerungen führen plötzlich ein Eigenleben, wenn sie denn erst einmal in der Welt sind. Im übrigen ist Frau Butler ja selber Jüdin und Mitglied einer Synagoge.
Zu dieser Kontroverse will ich jetzt aber gar nichts sagen. Warum mute ich Ihnen dann aber am gewissermaßen fast noch frühen Morgen diese anspruchsvolle Debatte zu? Ganz einfach: Im aktuellen Streit um die Preisverleihung ist die Preisrede meist völlig übersehen worden. Und die ist anspruchsvoll. Sie hat es in sich. Und sie lohnt sich auch, weil wir sie mit Aussagen des christlichen Glaubens in Beziehung setzen können.
Und wenn wir uns heute einen Tag lang mit dem Heidelberger Katechismus beschäftigen, dann geht es auch da letztlich darum, den Glauben zu formulieren unter den aktuellen Begebenheiten, unter denen die Menschen damals gelebt haben.
Judith Butler beschäftigt sich in ihrer Rede mit einem Satz des Namensgebers des Preises. Mit dem wohl bekanntesten Satz von Theodor Adorno. Der scheibt in seinen „Minimal Moralia“ – und sie kennen wohl fast alle diesen Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen!“.
Adorno unterscheidet hier also zwei Arten von Leben. Einmal das, was Leben eigentlich meint. Das, wie wir zu leben hätten, wenn wir es denn wirklich und gar richtig tun. Dies ist eher eine Art abstrakte Vorstellung von Leben.
Daneben gibt es mein je individuelles Leben. Das Leben, das ich gestalte unter den mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Das konkrete Leben jedes einzelnen Menschen. Wenn nun die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen so sind, dass das wahre, gute Leben nicht möglich ist, dann kann ich – so Adorno - nicht einfach individuell dennoch richtig und gut leben. Die Zustände machen das unmöglich. Was mir noch bleibt, das sind Widerstand und Protest.
Natürlich hören wir hier die Verhältnisse des Lebens unter einer Diktatur heraus. Es geht vor allem darum, ob jemand unter den Nazis mehr machen konnte als in bescheidenem Maße Widerstand zu leisten. Die Alternative wäre der Tod und damit die gänzliche Verhinderung von Leben gewesen.
Frau Butler entwickelt den Satz von Adorno weiter. Das konkrete Leben ist kein Gegensatz zum an sich richtigen, aber nicht möglichen Leben. Das einzelne Leben trägt alle Möglichkeiten in sich, richtiges, gutes Leben zu sein. Ansonsten wäre das Leben der einzelnen Menschen ja immer nur defizitär.
Die stärkste Macht des einzelnen ist die Bildung von sozialen Bewegungen. Diese hätten auch eine ganz andere Macht, um richtiges und gutes Leben zu ermöglichen.
Ich habe an dieser hier nur sehr knapp und verkürzt dargestellten Debatte durchaus mehrer Bezugspunkte und Verbindungslinien zum christlichen Glauben gefunden. Zum einen: Der Satz: Es gibt kein richtiges Leben im falschen hat mich an einen Satz von Dietrich Bonhoeffer erinnert. Nämlich an den von Albecht Schönherr überlieferten Satz: Wenn ich in den falschen Zu steige, nützt es nichts, wenn ich im Gang in die Gegenrichtung laufe.“
Dieser Satz ist zunächst sehr nahe am Satz von Adorno: Der falsche Zug – das ist das falsche Leben. Das Leben unter falschen Umständen. Der Gang in die Gegenrichtung verhilft aber eben gerade nicht zum rechten Leben und zur richtigen Richtung.
Aber der Blick auf das weitere Leben von Bonhoeffer zeigt eben: Er hat sich nicht damit begnügt, im falschen Zug in die Gegenrichtung zu laufen. Er hat sich denen angeschlossen, die den Lokomotivführer von seinem Platz verdrängen wollten, um den ganzen Zug in die Gegenrichtung zu steuern.
Und wenn dies Bonhoeffer und vielen anderen letztlich auch nicht gelungen ist, dann hat er doch ein richtiges Leben im falschen geführt. Und damit etwas von dem bestätigt, um das es Judith Butler in ihrer Rede ging.
Natürlich bleibt am Ende die Frage: Was macht ein Leben zu einem richtigen Leben – auch dann, wenn die Rahmenbedingungen falsch sind? Um diese Frage dreht sich der ganze Pfarrberuf. Und nicht nur der. Um diese Frage ging es in ihrem ganzen Berufsleben. Um diese Frage ging es in jeder Predigt, die sie gehalten haben? Was macht ein Leben zu einem richtigen Leben?
Um diese Frage ging es Martin Luther bei seiner Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“. Auf diese Frage wollte – und will! – auch der Heidelberger Katechismus eine Antwort geben – zuallererst in seinem Dreischritt „Von des Menschen Elend“, „Von der Erlösung“ und dann auch „Von der Dankbarkeit“. Und vielleicht ist dieses dritte Stichwort, das von der Dankbarkeit der eigentlich Schlüssel, um das Leben zu einem wahren Leben zu machen.
Und damit haben wir am Ende sogar eine überaus tragfähige Brücke zur heutigen Tageslosung aus Psalm 95:
Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen im jauchzen. Denn der Herr ist ein großer Gott.
Nichts, glaube ich, nichts begründet so sehr unsere Würde, nichts macht unser Leben so sehr zu einem richtigen, selbst unter falschen Gegebenheiten, als unsere Fähigkeit, danken zu können.
Und darum möchte ich mit Ihnen jetzt auch dieses Lied singen, das endet mit dem gesungenen Bekenntnis: Danke, ach Herr ich will dir danken, dass ich danken kann.
EG 334,1-6: Danke
Heute vor einer Woche war der 11. September. Dieses Datum wird noch für viele Jahre mit dem Schreckensflug in die Twin Towers in New York und mit dem Tod von mehr fast dreieinhalbtausend Menschen verbunden bleiben.
Am diesjährigen 11. September wurde in der Frankfurter Paulskirche der Adorno-Preis der Stadt Frankfurt übergeben. Preisträgerin war die amerikanische Philosophin und Sprachtheoretikerin Judith Butler.
Judith Butler lehrt an der Universität in Berkley. Geforscht hat sie u.a über die Entstehung und die Bedeutung der Geschlechter. Sie ist eine der Mütter der Gender-Theorie. Beschäftigt hat sie sich auch mit dem Thema Macht und Gewaltlosigkeit.
Im Vorfeld und während der Preisverleihung gab es heftige Proteste wegen einiger Äußerungen von Judith Butler zur Hisbollah und zur Hamas. Sie habe diese u.a. als soziale Bewegungen bezeichnet. Natürlich hat sie dies in einem umfangreicheren Kontext getan. Aber manche Äußerungen führen plötzlich ein Eigenleben, wenn sie denn erst einmal in der Welt sind. Im übrigen ist Frau Butler ja selber Jüdin und Mitglied einer Synagoge.
Zu dieser Kontroverse will ich jetzt aber gar nichts sagen. Warum mute ich Ihnen dann aber am gewissermaßen fast noch frühen Morgen diese anspruchsvolle Debatte zu? Ganz einfach: Im aktuellen Streit um die Preisverleihung ist die Preisrede meist völlig übersehen worden. Und die ist anspruchsvoll. Sie hat es in sich. Und sie lohnt sich auch, weil wir sie mit Aussagen des christlichen Glaubens in Beziehung setzen können.
Und wenn wir uns heute einen Tag lang mit dem Heidelberger Katechismus beschäftigen, dann geht es auch da letztlich darum, den Glauben zu formulieren unter den aktuellen Begebenheiten, unter denen die Menschen damals gelebt haben.
Judith Butler beschäftigt sich in ihrer Rede mit einem Satz des Namensgebers des Preises. Mit dem wohl bekanntesten Satz von Theodor Adorno. Der scheibt in seinen „Minimal Moralia“ – und sie kennen wohl fast alle diesen Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen!“.
Adorno unterscheidet hier also zwei Arten von Leben. Einmal das, was Leben eigentlich meint. Das, wie wir zu leben hätten, wenn wir es denn wirklich und gar richtig tun. Dies ist eher eine Art abstrakte Vorstellung von Leben.
Daneben gibt es mein je individuelles Leben. Das Leben, das ich gestalte unter den mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Das konkrete Leben jedes einzelnen Menschen. Wenn nun die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen so sind, dass das wahre, gute Leben nicht möglich ist, dann kann ich – so Adorno - nicht einfach individuell dennoch richtig und gut leben. Die Zustände machen das unmöglich. Was mir noch bleibt, das sind Widerstand und Protest.
Natürlich hören wir hier die Verhältnisse des Lebens unter einer Diktatur heraus. Es geht vor allem darum, ob jemand unter den Nazis mehr machen konnte als in bescheidenem Maße Widerstand zu leisten. Die Alternative wäre der Tod und damit die gänzliche Verhinderung von Leben gewesen.
Frau Butler entwickelt den Satz von Adorno weiter. Das konkrete Leben ist kein Gegensatz zum an sich richtigen, aber nicht möglichen Leben. Das einzelne Leben trägt alle Möglichkeiten in sich, richtiges, gutes Leben zu sein. Ansonsten wäre das Leben der einzelnen Menschen ja immer nur defizitär.
Die stärkste Macht des einzelnen ist die Bildung von sozialen Bewegungen. Diese hätten auch eine ganz andere Macht, um richtiges und gutes Leben zu ermöglichen.
Ich habe an dieser hier nur sehr knapp und verkürzt dargestellten Debatte durchaus mehrer Bezugspunkte und Verbindungslinien zum christlichen Glauben gefunden. Zum einen: Der Satz: Es gibt kein richtiges Leben im falschen hat mich an einen Satz von Dietrich Bonhoeffer erinnert. Nämlich an den von Albecht Schönherr überlieferten Satz: Wenn ich in den falschen Zu steige, nützt es nichts, wenn ich im Gang in die Gegenrichtung laufe.“
Dieser Satz ist zunächst sehr nahe am Satz von Adorno: Der falsche Zug – das ist das falsche Leben. Das Leben unter falschen Umständen. Der Gang in die Gegenrichtung verhilft aber eben gerade nicht zum rechten Leben und zur richtigen Richtung.
Aber der Blick auf das weitere Leben von Bonhoeffer zeigt eben: Er hat sich nicht damit begnügt, im falschen Zug in die Gegenrichtung zu laufen. Er hat sich denen angeschlossen, die den Lokomotivführer von seinem Platz verdrängen wollten, um den ganzen Zug in die Gegenrichtung zu steuern.
Und wenn dies Bonhoeffer und vielen anderen letztlich auch nicht gelungen ist, dann hat er doch ein richtiges Leben im falschen geführt. Und damit etwas von dem bestätigt, um das es Judith Butler in ihrer Rede ging.
Natürlich bleibt am Ende die Frage: Was macht ein Leben zu einem richtigen Leben – auch dann, wenn die Rahmenbedingungen falsch sind? Um diese Frage dreht sich der ganze Pfarrberuf. Und nicht nur der. Um diese Frage ging es in ihrem ganzen Berufsleben. Um diese Frage ging es in jeder Predigt, die sie gehalten haben? Was macht ein Leben zu einem richtigen Leben?
Um diese Frage ging es Martin Luther bei seiner Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“. Auf diese Frage wollte – und will! – auch der Heidelberger Katechismus eine Antwort geben – zuallererst in seinem Dreischritt „Von des Menschen Elend“, „Von der Erlösung“ und dann auch „Von der Dankbarkeit“. Und vielleicht ist dieses dritte Stichwort, das von der Dankbarkeit der eigentlich Schlüssel, um das Leben zu einem wahren Leben zu machen.
Und damit haben wir am Ende sogar eine überaus tragfähige Brücke zur heutigen Tageslosung aus Psalm 95:
Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen im jauchzen. Denn der Herr ist ein großer Gott.
Nichts, glaube ich, nichts begründet so sehr unsere Würde, nichts macht unser Leben so sehr zu einem richtigen, selbst unter falschen Gegebenheiten, als unsere Fähigkeit, danken zu können.
Und darum möchte ich mit Ihnen jetzt auch dieses Lied singen, das endet mit dem gesungenen Bekenntnis: Danke, ach Herr ich will dir danken, dass ich danken kann.
EG 334,1-6: Danke