Predigt über 1. Könige 19,8-13a
gehalten am Sonntag, den 11. März 2012
in de Philippuskirche in Mannheim
11.03.2012
Oculi, da kommen sie! Meine Mutter hat diesen Satz immer um diese Jahreszeit zitiert, liebe Gemeinde. Die, die kommen, das sind die Zugvögel. Das erklärte sie dem neugierigen Knaben, der ich war, auf seine Fragen hin.
Oculi, da kommen sie. Heute weiß ich, es sind nicht irgendwelche Zugvögel gemeint. Es sind die Schnepfen, denen das Verslein galt, das mit dieser Zeile beginnt. Und das dann weitergeht: Laetare - das ist das Wahre. Judika - sind sie auch noch da.
Heute – am Sonntag Oculi 2012 – kommen nicht die Zugvögel in diese Kirche zurück, sondern die Orgeltöne. Beide – Schnepfen und Orgelpfeifen - sind an ihren spezifischen Klängen, die sie von sich geben, zu erkennen - und deutlich zu unterscheiden.
Aber nur die Orgelpfeifen und deren Töne sollen uns heute weiter interessieren. Schließlich entspringen deren Töne nicht einfach einer Laune der Natur. Nein, sie werden gezielt eingesetzt - sie werden hörbar und vernehmbar gemacht – sie werden zum Erklingen gebracht zur Freude der Menschen. Und zum Lob Gottes.
Orgelmusik erklingt in Form großartiger Literaturstücke. Solche erklingen meist am Anfang und am Ende eines Gottesdienstes.
- Bach d-moll Toccata kurz anklingen lassen -
Sie erklingen in der Liturgie – etwa beim Ehre sei dem Vater im Eingangsteil des Gottesdienstes. Oder beim dreifachen Amen an Ende nach dem Segen.
- Beispiel kurz anklingen lassen -
Und dann begleiten die Orgeltöne unseren Gesang als Gemeinde- wie beim Lied, das wir eben miteinander gesungen haben.
- letztes Lied „Gott gab uns Atem“ kurz anklingen lassen -
Die Musik der Orgel dient dabei nie der Untermalung. Der Orgel kommt im Gottesdienst eine eigene Stimme zu. Sie geht in Dialoghaltung mit dem gesprochen Wort. Sie kommentiert. Sie akzentuiert. Ja, sie attackiert bisweilen auch. Und die Töne der Orgel erzeugen um so mehr an Spannung, je eigenständiger sie ihre Rolle wahrnehmen.
Darum ist es völlig richtig, in der Orgel den zweiten Prediger – die zweite Predigerin – zu erkennen. Natürlich können wir Gottesdienste auch ohne Orgel feiern. Wir können unsere Lieder mit einem Klavier oder einem anderen Instrument begleiten lassen. Wir können a capella singen – ohne Begleitung. Wir können ganz andere Musik machen. Es gibt Gottesdienste, da muss die Orgel außen vor bleiben. Wie die Predigt manchmal auch.
Als ersehnte oder vermisste ist sie aber dennoch meist anwesend. Gut, dass ab heute auch in dieser Philippuskirche wieder eine Orgel erklingen kann. Und heute auch erklingt.
Als zweite Predigerin, die ihre Gemeinde gewechselt hat. Wie Pfarrerinnen und Pfarrer da ja auch immer wieder tun. In der Regel häufiger als eine Orgel.
Wenn es also um zentrale Fragen in der Musik geht, soll sich auch das Medium Wort den zentralen Fragen widmen. Und welche Frage ist zentraler als die Frage nach Gott. Einer der biblischen Texte, die dem Sonntag Oculi zugeordnet sind, steht in 1. Könige 19. Elia begegnet Gott. Eine Gottesbegegnung, die sich entwickelt. Die eine Geschichte hat. Wie alle Beziehungen, in denen viele Emotionen verborgen sind. Die nur als Geschichte erzählt werden können. Die nicht einfach irgendwie passieren,
Elia war in eine tiefe Depression versunken. Er hatte ein heftiges burnout. „Es ist genug“; sagt er. „Nimm meine Seele von mir. Warum hältst du dich so verborgen?“ Dem, der so fragt, wird Gott zum Therapeuten. Gott weiß: Es sind jetzt zunächst die elementaren Dinge, die Elia braucht, um sein Leben wieder in Griff zu bekommen. Elia bekommt zu essen. Und er bekommt zu trinken. Was ihm noch fehlt, ist das, was Menschen zum Leben auch noch brauchen – über Nahrung und Kleidung hinaus. Sinn. Orientierung. Perspektive. Tragenden Grund.
Gott geht auf’s Ganze. Gott sucht den direkten Kontakt zu Elia. Die direkte Begegnung. Es ist einer der ergreifendsten, einer der zentralsten Texte der Bibel. Die Gotteserfahrung, die Gottesbegegnung des Elia. Ich lese aus 1. Könige 19:
Elia stand auf und aß und trank und ging (..) bis zum Berg Gottes, dem Horeb. Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; (…) und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.
Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her;
- Orgel: großer, starker Wind -
der HERR aber war nicht im Winde.
Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben;
- Orgel: Erdbeben -
aber der HERR war nicht im Erdbeben.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer;
- Orgel: Feuer -
aber der HERR war nicht im Feuer.
Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.
- Orgel: stilles, sanftes Sausen -
Als Elia das hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?
- Orgel: Gottes Stimme -
Menschen fragen Gott. Gott fragt die Menschen. Elia hatte Gott gefragt. Jetzt fragt Gott zurück: „Was hast du hier zu tun, Elia?“ Das ist die Grundsituation jedes Gottesdienstes. Menschen fragen Gott. Gott fragt die Menschen.
Gottesdienst – das ist keine Veranstaltung, kein Fest der vorschnellen Antworten. Das wäre das Fest am Ende des Weges. Ein Gottesdienst, das ist immer eine Zwischenstation. Ein Innehalten. Eine Rast, nach der wir uns neu auf den Weg machen. Weil wir die Erfahrung machen: Wir sind gefragt! Lapidar gefragt. Wie Elia: „Was hast du hier noch zu tun, Elia? Geh jetzt weiter!“
Nicht selten begegnet uns Gott als Fragender. Ja als Frage. Aber es Gott, der uns begegnet. Und darum ist die Frage keine Verlegenheitsfrage. Sondern eine, die weiterführt. Die uns dem Horizont näher bringt.
Anstelle einer billigen Antwort kommt Gottes Zukunft in Gestalt einer Frage auch auf Elia zu. „Was hast du hier noch zu tun, Elia?“ In dieser Frage kommt Elias Gottesbegegnung ans Ziel. Elia kann auf’s Neue ins Leben aufbrechen. So werden die Frage des Menschen und die Gegenfrage Gottes zum Sinnbild des Gottesdienstes. Zur Gottesbegegnung.
In seiner Gottesbegegnung hat Elia erfahren, was für andere Sehnsucht bleibt. Oder wovor andere sich auch fürchten. Gott begegnen! Eine Unmöglichkeit wird für Elia Teil seiner Lebensgeschichte. Keine Begegnung in Zeichen – solche Zeichen gab es in seinem Leben genug. Im Feuer, das vom Himmel fiel und den Altar verschlang, den er errichtet hatte. In Brot und Wasser, die er findet, als er aufwacht. Und die sein Leben vor dem Tod bewahren.
Nein! Elia begegnet Gott. Gewissermaßen Auge in Auge. Ohr in Ohr. Dennoch begegnet er Gott nicht so, wie er es erwartet hat. Nicht im gewaltigen Brausen macht sich Gott vernehmbar. Nicht in den gewaltigen Kräften der Natur. In Feuer. In einem Erdbeben.
Gott macht sich hier ganz klein. Gott liebt die leisen Töne. Kommt überraschend. Überraschend anders. Liebt überraschend andere Töne. Von allem Anfang. Vor allem aber: Gott lässt sich nicht vereinnahmen. Entspricht nicht einfach unseren Erwartungen. Ist Gott im gänzlich-anders-Sein.
Ich bin nicht Elia. Muss mich mit meinen Fragen nicht in einer Höhle verbergen. Wie können wir, wie kann ich Erfahrungen der Gegenwart Gottes machen? Zuallererst: Machen kann ich solche Erfahrungen überhaupt nicht. Ich kann Gott nicht herbeizwingen. Kann seine Gegenfrage nicht einfordern. Dann würde ich Gott kleinmachen, ihn einbinden in die Welt der Dinge, die meinem Einfluss unterliegen.
Es gebt bestenfalls Rahmenbedingungen, die es leichter machen, Gott zu vernehmen:
• Menschen, denen ich vertraue und die mich spüren lassen: Ich bin von unendlichem Wert.
• Biographische Erfahrungen, die sich von hinten her lesen lassen. Verschlossene Türen. Verpasste Chancen. Verluste und Niederlagen, die plötzlich eine Tür aufstoßen, die wir nicht im Blick hatten.
• Genauso aber Erfahrungen des Gelingens. Des geschenkten Glücks. Und nicht selten das Glück des geschenkten Menschen.
• Überwältigende Erfahrungen der Schönheit der Schöpfung, die dem Zufall eine Richtung zu geben scheinen.
• Räume gehören dazu, die schön sind, ohne verzweckt zu sein.
• Worte, die zu Herzen gehen, die den Horizont mit einem Mal wieder weit machen.
• Und nicht zuletzt: die Musik! Musik, die uns himmlische Töne erahnen lässt. Die etwas auch in uns zum Klingen bringt.
Wie aber können wir sicher sein, dass es auch wirklich Erfahrungen mit Gott sind? Dass Gott es ist, der uns fragt? Zunächst: Sicher können wir überhaupt nicht sein. Menschen haben sich täuschen lassen. Haben Schiffbruch erlitten. Ein ums andere Mal. Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung – das sind allemal Akte des Glaubens. Das sind gedeutete Einsichten und Überzeugungen im Rückblick. Das sind Erfahrungen der Doppeldeutigkeit. Nicht umsonst schreibt Martin Luther einmal: Wo Gott ein Haus baut, setzt der Teufel gleich eins daneben.
Dieser Doppeldeutigkeit kann auch die Orgel nicht entgehen. Mit dem Titel der Königin der Instrumente ist sie geadelt. Aber ob ihre Töne göttliche Töne sind, entscheidet sich immer wieder neu. Oder es bleibt nicht selten offen. Für die einen erzeugt sie ein Himmelsklang. Und lässt doch andere fragend zurück.
Dem Elia ist Gott, ist Gottes Gegenfrage, nicht in einer Orgel begegnet. Sondern im leisen Hauch. Und auch uns begegnet Gott nicht in übernatürlicher Kraft. Sondern in radikaler Menschlichkeit. Auf Augenhöhe. In der Schwachheit, in der Gott seine Kraft entfaltet. In der Fraglichkeit, mit der Gott uns zu weiterführenden Antworten verhilft.
Nirgends kommt uns Gott so nah wie in seinem Ebenbild. Dem Menschen. Wie in den Menschen, in deren Mitte wir leben und denen wir Schwester und Bruder sein können. Wie in dem Menschen, von dem wir sagen und bekennen, Gott sei in ihm gegenwärtig unter uns. In dem Menschen, der auch in seinem Fragen so war wie Elia. Wie wir: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Erkennen können wir Gott nur, wenn er sich vernehmbar macht. In der weiterführenden Lebensfrage. Im Wort des Zuspruchs. Im ausgehaltenen Schweigen. In Tönen, die uns anrühren. Und – wer weiß – manchmal auch in denen, die eine Orgel uns ins Herz spielt.
Oculi, da kommen sie! In einem Gottesdienst sind es hoffentlich auch die rechten Fragen, die kommen. Die, die wir an Gott richten. Und die, mit denen Gott uns neu die Richtung weist: „Was hast du hier noch zu tun, Mensch?“
Oculi, da kommen sie. Ab heute von Neuem auch die die Töne dieser Orgel. Klingende Spuren Gottes in dieser Welt. Die unser Herz erfreuen können. Die uns zum Aufbrechen verlocken. Und uns zum Singen bringen. Amen.
- Die Orgel antwortet als zweite Predigerin und leitet über zum nächsten Lied -
EG 665: Wir haben Gottes Spuren festgestellt
Oculi, da kommen sie. Heute weiß ich, es sind nicht irgendwelche Zugvögel gemeint. Es sind die Schnepfen, denen das Verslein galt, das mit dieser Zeile beginnt. Und das dann weitergeht: Laetare - das ist das Wahre. Judika - sind sie auch noch da.
Heute – am Sonntag Oculi 2012 – kommen nicht die Zugvögel in diese Kirche zurück, sondern die Orgeltöne. Beide – Schnepfen und Orgelpfeifen - sind an ihren spezifischen Klängen, die sie von sich geben, zu erkennen - und deutlich zu unterscheiden.
Aber nur die Orgelpfeifen und deren Töne sollen uns heute weiter interessieren. Schließlich entspringen deren Töne nicht einfach einer Laune der Natur. Nein, sie werden gezielt eingesetzt - sie werden hörbar und vernehmbar gemacht – sie werden zum Erklingen gebracht zur Freude der Menschen. Und zum Lob Gottes.
Orgelmusik erklingt in Form großartiger Literaturstücke. Solche erklingen meist am Anfang und am Ende eines Gottesdienstes.
- Bach d-moll Toccata kurz anklingen lassen -
Sie erklingen in der Liturgie – etwa beim Ehre sei dem Vater im Eingangsteil des Gottesdienstes. Oder beim dreifachen Amen an Ende nach dem Segen.
- Beispiel kurz anklingen lassen -
Und dann begleiten die Orgeltöne unseren Gesang als Gemeinde- wie beim Lied, das wir eben miteinander gesungen haben.
- letztes Lied „Gott gab uns Atem“ kurz anklingen lassen -
Die Musik der Orgel dient dabei nie der Untermalung. Der Orgel kommt im Gottesdienst eine eigene Stimme zu. Sie geht in Dialoghaltung mit dem gesprochen Wort. Sie kommentiert. Sie akzentuiert. Ja, sie attackiert bisweilen auch. Und die Töne der Orgel erzeugen um so mehr an Spannung, je eigenständiger sie ihre Rolle wahrnehmen.
Darum ist es völlig richtig, in der Orgel den zweiten Prediger – die zweite Predigerin – zu erkennen. Natürlich können wir Gottesdienste auch ohne Orgel feiern. Wir können unsere Lieder mit einem Klavier oder einem anderen Instrument begleiten lassen. Wir können a capella singen – ohne Begleitung. Wir können ganz andere Musik machen. Es gibt Gottesdienste, da muss die Orgel außen vor bleiben. Wie die Predigt manchmal auch.
Als ersehnte oder vermisste ist sie aber dennoch meist anwesend. Gut, dass ab heute auch in dieser Philippuskirche wieder eine Orgel erklingen kann. Und heute auch erklingt.
Als zweite Predigerin, die ihre Gemeinde gewechselt hat. Wie Pfarrerinnen und Pfarrer da ja auch immer wieder tun. In der Regel häufiger als eine Orgel.
Wenn es also um zentrale Fragen in der Musik geht, soll sich auch das Medium Wort den zentralen Fragen widmen. Und welche Frage ist zentraler als die Frage nach Gott. Einer der biblischen Texte, die dem Sonntag Oculi zugeordnet sind, steht in 1. Könige 19. Elia begegnet Gott. Eine Gottesbegegnung, die sich entwickelt. Die eine Geschichte hat. Wie alle Beziehungen, in denen viele Emotionen verborgen sind. Die nur als Geschichte erzählt werden können. Die nicht einfach irgendwie passieren,
Elia war in eine tiefe Depression versunken. Er hatte ein heftiges burnout. „Es ist genug“; sagt er. „Nimm meine Seele von mir. Warum hältst du dich so verborgen?“ Dem, der so fragt, wird Gott zum Therapeuten. Gott weiß: Es sind jetzt zunächst die elementaren Dinge, die Elia braucht, um sein Leben wieder in Griff zu bekommen. Elia bekommt zu essen. Und er bekommt zu trinken. Was ihm noch fehlt, ist das, was Menschen zum Leben auch noch brauchen – über Nahrung und Kleidung hinaus. Sinn. Orientierung. Perspektive. Tragenden Grund.
Gott geht auf’s Ganze. Gott sucht den direkten Kontakt zu Elia. Die direkte Begegnung. Es ist einer der ergreifendsten, einer der zentralsten Texte der Bibel. Die Gotteserfahrung, die Gottesbegegnung des Elia. Ich lese aus 1. Könige 19:
Elia stand auf und aß und trank und ging (..) bis zum Berg Gottes, dem Horeb. Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; (…) und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.
Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her;
- Orgel: großer, starker Wind -
der HERR aber war nicht im Winde.
Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben;
- Orgel: Erdbeben -
aber der HERR war nicht im Erdbeben.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer;
- Orgel: Feuer -
aber der HERR war nicht im Feuer.
Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.
- Orgel: stilles, sanftes Sausen -
Als Elia das hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?
- Orgel: Gottes Stimme -
Menschen fragen Gott. Gott fragt die Menschen. Elia hatte Gott gefragt. Jetzt fragt Gott zurück: „Was hast du hier zu tun, Elia?“ Das ist die Grundsituation jedes Gottesdienstes. Menschen fragen Gott. Gott fragt die Menschen.
Gottesdienst – das ist keine Veranstaltung, kein Fest der vorschnellen Antworten. Das wäre das Fest am Ende des Weges. Ein Gottesdienst, das ist immer eine Zwischenstation. Ein Innehalten. Eine Rast, nach der wir uns neu auf den Weg machen. Weil wir die Erfahrung machen: Wir sind gefragt! Lapidar gefragt. Wie Elia: „Was hast du hier noch zu tun, Elia? Geh jetzt weiter!“
Nicht selten begegnet uns Gott als Fragender. Ja als Frage. Aber es Gott, der uns begegnet. Und darum ist die Frage keine Verlegenheitsfrage. Sondern eine, die weiterführt. Die uns dem Horizont näher bringt.
Anstelle einer billigen Antwort kommt Gottes Zukunft in Gestalt einer Frage auch auf Elia zu. „Was hast du hier noch zu tun, Elia?“ In dieser Frage kommt Elias Gottesbegegnung ans Ziel. Elia kann auf’s Neue ins Leben aufbrechen. So werden die Frage des Menschen und die Gegenfrage Gottes zum Sinnbild des Gottesdienstes. Zur Gottesbegegnung.
In seiner Gottesbegegnung hat Elia erfahren, was für andere Sehnsucht bleibt. Oder wovor andere sich auch fürchten. Gott begegnen! Eine Unmöglichkeit wird für Elia Teil seiner Lebensgeschichte. Keine Begegnung in Zeichen – solche Zeichen gab es in seinem Leben genug. Im Feuer, das vom Himmel fiel und den Altar verschlang, den er errichtet hatte. In Brot und Wasser, die er findet, als er aufwacht. Und die sein Leben vor dem Tod bewahren.
Nein! Elia begegnet Gott. Gewissermaßen Auge in Auge. Ohr in Ohr. Dennoch begegnet er Gott nicht so, wie er es erwartet hat. Nicht im gewaltigen Brausen macht sich Gott vernehmbar. Nicht in den gewaltigen Kräften der Natur. In Feuer. In einem Erdbeben.
Gott macht sich hier ganz klein. Gott liebt die leisen Töne. Kommt überraschend. Überraschend anders. Liebt überraschend andere Töne. Von allem Anfang. Vor allem aber: Gott lässt sich nicht vereinnahmen. Entspricht nicht einfach unseren Erwartungen. Ist Gott im gänzlich-anders-Sein.
Ich bin nicht Elia. Muss mich mit meinen Fragen nicht in einer Höhle verbergen. Wie können wir, wie kann ich Erfahrungen der Gegenwart Gottes machen? Zuallererst: Machen kann ich solche Erfahrungen überhaupt nicht. Ich kann Gott nicht herbeizwingen. Kann seine Gegenfrage nicht einfordern. Dann würde ich Gott kleinmachen, ihn einbinden in die Welt der Dinge, die meinem Einfluss unterliegen.
Es gebt bestenfalls Rahmenbedingungen, die es leichter machen, Gott zu vernehmen:
• Menschen, denen ich vertraue und die mich spüren lassen: Ich bin von unendlichem Wert.
• Biographische Erfahrungen, die sich von hinten her lesen lassen. Verschlossene Türen. Verpasste Chancen. Verluste und Niederlagen, die plötzlich eine Tür aufstoßen, die wir nicht im Blick hatten.
• Genauso aber Erfahrungen des Gelingens. Des geschenkten Glücks. Und nicht selten das Glück des geschenkten Menschen.
• Überwältigende Erfahrungen der Schönheit der Schöpfung, die dem Zufall eine Richtung zu geben scheinen.
• Räume gehören dazu, die schön sind, ohne verzweckt zu sein.
• Worte, die zu Herzen gehen, die den Horizont mit einem Mal wieder weit machen.
• Und nicht zuletzt: die Musik! Musik, die uns himmlische Töne erahnen lässt. Die etwas auch in uns zum Klingen bringt.
Wie aber können wir sicher sein, dass es auch wirklich Erfahrungen mit Gott sind? Dass Gott es ist, der uns fragt? Zunächst: Sicher können wir überhaupt nicht sein. Menschen haben sich täuschen lassen. Haben Schiffbruch erlitten. Ein ums andere Mal. Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung – das sind allemal Akte des Glaubens. Das sind gedeutete Einsichten und Überzeugungen im Rückblick. Das sind Erfahrungen der Doppeldeutigkeit. Nicht umsonst schreibt Martin Luther einmal: Wo Gott ein Haus baut, setzt der Teufel gleich eins daneben.
Dieser Doppeldeutigkeit kann auch die Orgel nicht entgehen. Mit dem Titel der Königin der Instrumente ist sie geadelt. Aber ob ihre Töne göttliche Töne sind, entscheidet sich immer wieder neu. Oder es bleibt nicht selten offen. Für die einen erzeugt sie ein Himmelsklang. Und lässt doch andere fragend zurück.
Dem Elia ist Gott, ist Gottes Gegenfrage, nicht in einer Orgel begegnet. Sondern im leisen Hauch. Und auch uns begegnet Gott nicht in übernatürlicher Kraft. Sondern in radikaler Menschlichkeit. Auf Augenhöhe. In der Schwachheit, in der Gott seine Kraft entfaltet. In der Fraglichkeit, mit der Gott uns zu weiterführenden Antworten verhilft.
Nirgends kommt uns Gott so nah wie in seinem Ebenbild. Dem Menschen. Wie in den Menschen, in deren Mitte wir leben und denen wir Schwester und Bruder sein können. Wie in dem Menschen, von dem wir sagen und bekennen, Gott sei in ihm gegenwärtig unter uns. In dem Menschen, der auch in seinem Fragen so war wie Elia. Wie wir: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Erkennen können wir Gott nur, wenn er sich vernehmbar macht. In der weiterführenden Lebensfrage. Im Wort des Zuspruchs. Im ausgehaltenen Schweigen. In Tönen, die uns anrühren. Und – wer weiß – manchmal auch in denen, die eine Orgel uns ins Herz spielt.
Oculi, da kommen sie! In einem Gottesdienst sind es hoffentlich auch die rechten Fragen, die kommen. Die, die wir an Gott richten. Und die, mit denen Gott uns neu die Richtung weist: „Was hast du hier noch zu tun, Mensch?“
Oculi, da kommen sie. Ab heute von Neuem auch die die Töne dieser Orgel. Klingende Spuren Gottes in dieser Welt. Die unser Herz erfreuen können. Die uns zum Aufbrechen verlocken. Und uns zum Singen bringen. Amen.
- Die Orgel antwortet als zweite Predigerin und leitet über zum nächsten Lied -
EG 665: Wir haben Gottes Spuren festgestellt