PREDIGT ÜBER GALATER 5,25+26.6,1-10
GEHALTEN AM 19. SEPTEMBER 2012
(15. SONNTAG NACH TRINITATIS)
IN NECKARGERACH

16.09.2012
Liebe Gemeinde! Ganz anders könnte man leben. So lautet der Titel eines Buches, das ich vor vielen Jahren geschenkt bekam. Ich weiß nicht mehr genau, um was es in dem Buch ging. Aber der Titel, der hat mich angesprochen. Und bis heute kommt er mir immer wieder einmal in den Sinn.

Ganz anders könnte man leben. Ich glaube, dieser Satz spricht aus, was vielen Menschen durch den Kopf geht. Was viele Menschen sich wünschen. Noch einmal anders leben können. Plötzlich Dinge tun, die ich mir jetzt nicht zutrauen. Manches noch einmal ganz neu versuchen. Von manch anderem frei sein, was mir jetzt noch wie eine Last auf der Seele liegt.

Um dieses noch einmal ganz anders leben können, geht es auch im Predigttext für diesen Sonntag. Es sind die letzten Verse des 5 Kapitels des Galaterbriefes und Verse aus der ersten Hälfte des 6. Kapitels. Dort heißt es:

Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. Liebe Brüder, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest.

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (…) Lasst uns also Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.


Ganz anders leben können - Paulus nennt das leben im Geist Gottes. Geistlich leben. Zum christlichen Glauben hat das von Anfang an dazugehört. Der christliche Glaube war nie nur etwas für die Innerlichkeit und die heimischen vier Wände. Er war auch nie gemeint nur für die eine Stunde am Sonntag hinter den schützenden Kirchenmauern. Er war nie nur eine Angelegenheit des Herzens.

Leben aus dem Geist Gottes. Das hieß von allem Anfang an neu leben. Noch einmal ganz anders leben. Nachfolge Jesu – das hieß nie nur einfach Sympathisant sein. Womöglich sogar nur heimlicher Sympathisant. Nein, Leben aus dem Geist, Leben in der Nachfolge, das heißt auch anders handeln. Das heißt auch, um es in der Sprache des Paulus zu sagen, Gutes tun. Glauben und leben, recht leben, – beide gehören zusammen wie Zwillinge.

Was ich eben gesagt habe, könnte ich auch noch einmal etwas anders ausdrücken. Zum Christentum, aber auch zum Judentum gehört auch die Ethik dazu, die Frage nach dem rechten Handeln. Sie gehört genau genommen zu fast jeder Form von Religion dazu. Denn wenn mir etwas im Leben heilig ist, dann ändert das nicht nur meinen Blickwinkel. Dann ändert das alles. Und eben auch unser Verhalten. Und unser Tun.

Paulus schließt jeden seiner Briefe darum mit einem ganzen Block von Ermahnungen und Ratschlägen. Auch den Galaterbrief, aus dem der heutige Predigttext stammt.

Das spannende, das besondere daran ist: Er schreibt nicht einfach: Liebe Schwestern und Brüder, geht doch bitte ordentlich mit euren Mitmenschen um, weil sich das so gehört. Das wäre ja nicht einmal ganz falsch.

Aber Paulus verweist vielmehr mit allem Nachdruck darauf: Euer Glaube und euer Verhalten hängen ganz eng zusammen. Oder um ihn gleich selber noch einmal zu Wort kommen zu lassen: Wenn ihr denn nun im Geist Gottes lebt, dann wandelt bitte auch diesem Geist entsprechend.



Dieses ganz anders leben können, dieses Leben aus dem Geist Gottes, das ist eine direkte Folge des Glaubens an Christus, für den Paulus wirbt. „Ist jemand in Christus, dann ist er ein neues Geschöpf“, schreibt er in einem seiner Briefe nach Korinth. Und hier fügt er an: „… dann lebt er auch nach ganz neuen Regeln.

Schon die Reformatoren waren sich über diesen Zusammenhang von Glaube und Tun nicht ganz einig. „Allein durch den Glauben!“, hieß es bei Martin Luther. Andere sagten dagegen. Ein Glaube ohne Werke, der ist doch tot. Werke gehören doch unabdingbar dazu. Luther hat deshalb den Jakobusbrief nicht gemocht. Und er hat ihn aus der ursprünglichen Reihenfolge herausgelöst. Und im Neuen Testament weiter nach hinten geschoben. Gestört hat sich Luther an Sätzen wie: „Seid auch Täter des Wortes, und nicht allein nur Hörer!“

Im Grundsatz hat man sich dann aber dann auf folgende Sicht verständigt: Das, was wir gute Werke nennen, ist zwar nicht das, was uns vor Gott ins Recht setzt. Aber auf der anderen Seite kann der Glaube nicht ohne Konsequenzen bleiben. Er muss gewissermaßen im Handeln Früchte hervorbringen. Ein Glaube ohne solche Früchte ist nicht wirklich ein rechter Glaube.

Darum brauchen auch diejenigen, die glauben, Regeln. Verhaltensrichtlinien. Eine der bekanntesten dieser Regeln findet sich darum ja auch gleich im Predigttext, der Satz nämlich: „Einer trage des anderen Last! Wenn ihr das tut, tut ihr nichts anderes, als dass ihr nach dem Gesetz Christi lebt.“

„Einer trage des anderen Last!“ Was für ein wunderbares Gesetz. In einem anderen Brief, wieder nach Korinth schreibt er: „Wenn ein Glied am Leib Christi leidet, dann leiden alle anderen Glieder mit.“ Wenn ein Glied schwer zu tragen hat, dann sind die anderen gehalten mitzutragen.

Wahrscheinlich würden sie alle diesen Satz unterschreiben. Aber Vorsicht: Das ist keine Regel nur für allein für die Diakonie vor Ort. Oder für die Nachbarschaftshilfe. Obwohl der Satz gerade da auch ganz wichtig ist. Er gilt ganz grundsätzlich. Und plötzlich können uns Sätze in den Sinn kommen, die klingen ganz anders: „Die sind doch selber schuld! Wieso sollen wir uns um die auch noch kümmern!“

Im Blick auf bedürftige Menschen mitten unter uns sind solche Sätze zu hören. Wieso sollen die, die arbeiten, diejenigen mit unterstützen oder gar unterhalten, die nicht arbeiten? „Einer trage des anderen Last!“

In der aktuellen Debatte um den Euro sind solche Sätze immer wieder zu hören. Ich verstehe schon, dass es Menschen ärgert, wenn wir hier in besonderer Weise finanziell herausgefordert sind. Aber wir sind auch in besonderer Weise Nutznießer. Dazu kommt: Was im Bereich der Wirtschaft sinnvoll und verständlich sein mag, gilt nicht automatisch auch für den Glauben. Theologie und Ökonomie können sich manchmal ganz schön aneinander reiben. Können nicht selten in Widerspruch zueinander geraten. Und der Satz „Einer trage des anderen Last“ – der stammt nicht aus dem Lehrbuch für Volkswirtschaft. Er steht im Brief des Paulus an die Gemeinden in Galatien.

Beim einen Mal geht es eben um die Gesetze des Marktes. Beim anderen Mal um das Gesetz Christi! Und das heißt eben in den Worten des Paulus: Einer trage des anderen Last. Und darum gilt auch hier das „ganz anders könnte man leben.“ Nur dass dieses andere Leben auch nicht einfach zu haben ist, ohne dass es uns etwas kostet.

Paulus hat das übrigens auch selber praktiziert. Unermüdlich hat er in den neuen Gemeiden Geld gesammelt. Er wollte die bedürftigen Schwester und Brüder in Jerusalem unterstützen. Für ihn war das ein Lastentragen in Gegenbewegung. Die neuen Gemeinden verdankten der alten in Jerusalem ihren neuen Glauben. Und diese erwiesen mit ihren materiellen Möglichkeiten dafür ihre Dankbarkeit. So haben sie sich gegenseitig die Lasten getragen.

Dieses Engagement für andere, dieses Lastentragen – für Paulus ist das kein Abfallprodukt des Glaubens. Kein Nebengleis. „Lasst uns Gutes tun, ohne dabei müde zu werden!“, schreibt er an die Galater. „Wir wissen ja nicht, wie viel Zeit wir dafür noch haben.“ Und er fügt eine zweite Überlegung an: „Anderen beim Lasten tragen zu helfen; anderen zu geben, das ist wie ein Aussäen von Samen. Irgendwann wird die Ernte folgen.“

Ich glaube, gerade dies ist ganz wichtig. Gegenseitiges Lastentragen, das ist, wie wenn wir Sauerstoff in die schwächer werdende Glut einer Beziehung hineinblasen. Es rechnet sich zwar oft nicht. Aber es trägt Früchte. Das ist noch einmal etwas anderes.

Die Hirnforscher können die Behauptung des Paulus übrigens bestätigen. Wenn Menschen sehen, dass ein Mensch einem anderen hilft, einen anderen unterstützt, werden sie veranlasst, dasselbe auch zu tun. Wenn Menschen sehen, dass ein anderer nur an sich denkt, reagiert ihr Gehirn wie in Situationen, die uns eklig vorkommen. Dass wir einander also Lasten tragen helfen, das gehört also sogar zu unserer Natur. Es ist aber häufig einfach verschüttet.

Ganz anders könnte man leben! Dieser Satz meint dann: Wir sollen so leben, wie Gott uns gemeint hat. Leben nach dem Gesetz Christi, wie Paulus das nennt, das meint leben mit den Möglichkeiten, die Gott in uns hineingelegt hat.

Ganz anders könnte man leben! Ich müsste also in dieses Buch doch noch einmal hineinschauen. Eigentlich dürfte es kein Klagebuch sein. Keine Ansammlung von Stoßseufzern. Ach, wie gerne würde ich doch alles ganz anders machen.

Ganz anders könnte man leben. Das ist doch ein Ermutigungsbuch. Das kann nur ein Ermutigungsbuch sein. Ein Buch, das beschreibt, was wir tatsächlich können. Was tatsächlich im Bereich unserer Möglichkeiten liegt. Wir können einander die Lasten tragen, wie Paulus das Gesetz Christi beschreibt. Wir können ganz anders leben. Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Und zum Danken! Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.