DEINE NÄHE IST MEIN GLÜCK!
GOTTESDIENST ZUM 163. JAHRESFEST
DER EVANGELISCHEN DIAKONISSENASTALT KA-RÜPPURR
AM DONNERSTAG, DEN 29. MAI 2014
IN DER KAPELLE DER EVANGELISCHEN DIAKONISSENANSTALT
29.05.2014
Liebe Jahresfestgemeinde!
„Deine Nähe ist mein Glück!“ Das ist das Thema dieses Festgottesdienstes. Und über diesen Satz soll ich heute auch predigen.
Zunächst aber möchte ich meiner Freude Ausdruck geben, dass Sie mich für diesen Tag eingeladen haben. Ich freue mich ganz besonders, dass noch so viele Diakonissen diesen Gottesdienst mitfeiern können. Es ist ja in ganz besonderer Weise auch ihr Fest. Schön, dass sie alle mitfeiern!
„Deine Nähe ist mein Glück!“ Hinter diesem Motto des Jahresfestes leuchtet unübersehbar die Jahreslosung für dieses Jahr 2014 auf. Die stammt ja aus dem 73. Psalm und heißt: „Gott nahe zu sein ist mein Glück!“
Als ich diese Jahreslosung 2014 zum ersten Mal gehört habe, habe ich mich gefragt: Ist das überhaupt ein Vers aus der Bibel? Oder ist das einfach ein Bekenntnissatz, den sich eine Kommission ausgedacht hat, weil er gut in das derzeitige Großwetterlage in der Kirche und in der Welt passt.
Um das Thema Glück hat dreht sich derzeit ja fast alles. Es gibt mittlerweile Schulen, in denen „Glück“ als Schulfach gelehrt wird. Etwa in der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg. In den Buchhandlungen gibt es lange Regale voll von Büchern zum Thema Glück – ob von Eckart von Hirschhausen oder vom Dalai Lama. Das Thema Glück – so scheint es - ist ja das große Thema unserer Tage.
Aber das Thema Glück ist keine moderne Erfindung. im Grunde geht es schon viel länger um dieses Thema. Das Recht, im Leben das Glück anzustreben, das steht auch schon in der amerikanischen Verfassung. Für den Kirchenvater Augustinus aus dem vierten, fünften Jahrhundert ist die Glückseligkeit das Höchste, was ein Mensch auf Erden überhaupt erreichen kann. Erreichen kann ein Mensch die Glückseligkeit aber nur dann, wenn er sich dem Besten und Höchsten zuwendet, das es gibt. Und das ist auch für Augustinus natürlich allein Gott.
Damit sind wir schon viel näher an die Bibel selber herangerückt. Und an dem Thema der Predigt und des Jahresfestes. Im 28. Vers des 73. Psalms steht jener Vers, der in diesem Jahr die Jahreslosung ist: „Gott nahe zu sein, ist mein Glück!“
Schlage ich meine Lutherbibel auf, finde ich aber eine ganz andere Formulierung. Dort heißt es - und diesen Vers kennen sie alle: „Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte!“
Bei meiner Ordination wurde mir dieser Vers zugesprochen. In der Version von Martin Luther. In der Formulierung der Jahreslosung hatte ich ihn also gar nicht erkannt. Doch manchmal ist es hilfreich, eine vertraute Nachricht noch einmal in anderen Worten, in einer anderen Sprache zu hören. Da wird dann eben aus dem Vers: „Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte!“ mit einem Mal: „Gott nahe zu sein ist mein Glück!“
Wenn sich die Übersetzungen aber so unterscheiden, dann frage ich mich: Was steht wirklich da – im hebräischen Text des Alten, des Ersten Testaments? Ich schaue nach. Und dort heißt es wörtlich übersetzt: „Und ich? - Die Nähe Gottes (ist) für mich gut!“ In etwas eleganterer, glatter Formulierung: „Was mich angeht: Mir tut Gottes Nähe gut!“
Offen bleibt aber zunächst, wie diese Nähe zustande kommt. Luther legt in seiner Übersetzung Wert darauf, dass die Aktivität von mir ausgeht: „Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte“, heißt es bei ihm. Das bedeutet: Ich gehe auf Gott zu. Ich suche Gott. Und so gelange ich in seine Nähe. Übersetzungen sind eben selber immer schon eine Deutung. Manchmal schon eine halbe Predigt.
Der hebräische Text lässt auch den anderen Weg offen. Deutet ihn sogar eher im umgekehrten Sinn, wie Luther das getan hat. „Dass Gott sich mir naht, das ist gut für mich.“ Es ist dann also Gott selber, der auf mich zu geht. Es ist Gott, der diese Nähe herstellt. Weil Gott das Gute für mich im Sinn hat.
Gott naht sich mir. Oder: Ich nähere mich Gott. Was ist nun richtig? Müssen wir uns wie so oft im Leben auch hier entscheiden? Das Motto dieses Jahresfestes hat diese Klippe elegant umschifft mit seiner Formulierung: „Deine Nähe ist mein Glück!“
Zum einen ist der Satz ganz persönlich formuliert. formuliert. Deine Nähe ist mein Glück! Wie ein Bekenntnis klingt das. Mehr noch: Wie das Eingeständnis einer Liebe. Es ist kein Reden über Gott. Über Gottes Nähe, irgendwie. Es ist ein persönliches Bekenntnis. Eine Liebeserklärung. Ein Gebet: „Deine Nähe ist mein Glück!“
Zum anderen bleibt ausdrücklich offen, wie diese Nähe zu Stande kommt. Beides bleibt also möglich. Dass Gott sich mir nähert. Und dass ich Gottes Nähe suche.
Für mich sind das aber überhaupt keine Alternativen. Es sind zwei Seiten eines Geschehens. Aber ich kann sie eben von zwei verschiedenen Seiten aus betrachten.
Näheren wir uns zunächst der einen: Ich nähere mich Gott. Wie geschieht das? Ich nähere mich Gott, indem ich mich zu Gott auf den Weg mache. Das gibt es die vertrauten Wege. Im Gottesdienst. Im Lesen und Hören auf Gottes Wort. Im Gebet. Nähern kann ich mich Gott aber auch im Singen. Und im Hören der Musik. Nähern kann ich mich Gott im Schweigen. In der Stille. Nähern kann ich mich Gott in Räumen, die meine Sinne für Gott schärfen. In Kirchen und Kapellen, wie etwa dieser hier. Aber auch in der Natur. Um Ufer. In der Wüste.
Jesus hat das so gemacht. Hat sich in die Stille zurückgezogen. In die Wüste sogar. In die Versenkung. Nicht immer ist er dabei nur Gott begegnet. Zumindest einmal auch dem Teufel. In der Versuchungsgeschichte (Lukas 4,1-13) können wir davon hören. Ganz fromm, lammfromm kommt der Teufel daher. Mit der Bibel argumentiert er. „Es steht geschrieben: Wenn du willst, kannst du sogar von den Zinnen des Tempels springen. Und dir wird nichts passieren!“ Jesus geht dem Teufel nicht auf den Leim. Und hält dagegen: „Abermals steht auch geschrieben. Du sollst Gott nicht versuchen!“ Auch in der Annäherung an Gott ist der wache Sinn gefragt. Und die Gabe der rechten Unterscheidung.
Es gibt noch einen anderen Weg, sich Gott anzunähern. Sie kennen das Gleichnis vom Weltgericht. Am Ende heißt es: „Was ihr getan habt einem unter meinen geringsten Brüdern - und doch auch Schwestern! - , das habt ihr mir getan!“ (Matthäus 25,40) Ich nähere mich Gott, indem ich mich den Menschen annähere. Den Menschen zuwende. Nicht irgendwie. Sondern in hilfreicher, fürsorglicher Absicht: Vom Essen und Trinken, vom Kleiden und Besuchen ist im Gleichnis die Rede.
Das Glück der Nähe Gottes: Ich finde es in der Nähe zur Schwester und zum Bruder an meiner Seite. Aus ihrem Gesicht leuchtet mir Gottes Angesicht entgegen. In ihrer Angewiesenheit auf einen anderen Menschen entdecke ich die Verletzlichkeit Gottes. Diakonie und diakonischer Dienst – auch das sind Weisen, in denen wir uns Gott annähern.
Wie aber geht das andere? Wie kommt Gott uns nah? Hier ist die Antwort noch einmal etwas anders. Grundsätzlicher. Gott ist immer schon auf dem Weg zu uns. Zu seiner Schöpfung. Zu uns Menschen. Es gehört zum Wesen Gottes geradezu dazu, zu uns unterwegs zu sein. Gott ist nie Gott ohne uns. Gott will nicht Gott sein ohne uns. In Gott ist immer Bewegung. Zielgerichtete Bewegung. Und diese Bewegung läuft auf uns, läuft auf uns Menschen zu.
Woher ist das weiß? Ganz einfach! Gottes Bewegung auf uns zu – sie findet Gestalt in Gottes Menschwerdung. Gott wird Mensch. In Jesus aus Nazareth. An ihm können wir erfahren, ablesen, wie Gott von uns erkannt werden will. Wie Gott uns nahekommen will. In Jesus aus Nazareth, seinem Christus, nähert Gott sich uns Menschen nicht nur an. In ihm ist Gott mitten unter uns gegenwärtig.
Heute vor einer Woche bin ich aus Israel zurückgekommen. Die Ort und Landschaften sind mir alle seit Kindheit vertraut. Jerusalem und Kapernaum. Bethlehem und Nazareth. Der See Genezareth und das Tote Meer. Galiläa und Golgatha. All diese Namen haben mich daran erinnert: Das Leben dieses Jesus aus Nazareth war keine Fiktion.
Er war ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber er war für die Menschen um ihn herum auf Gott hin durchlässig. Durch ihn hindurch wird Gottes Gegenwart auch für uns transparent. Bis heute. Wahrer Menschen und wahrer Gott. So haben es die, die vor uns geglaubt haben, bekannt. So singen wir es vor allem in den Liedern an Weihnachten: „Wahr Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.“ (EG 30,3) Oder: „Gott wird Mensch, dir Mensch zugute!“ (EG 36,2)
„Deine Nähe ist mein Glück!“ Das ist zum einen ein Bekenntnis-Satz aus einem der alten Lieder des Volkes Israel. Aus einem Psalm. In anderer Weise enthält dieser Satz auch für uns als Christinnen und Christen den Weg eines kleinen Bekenntnisses. In Jesus aus Nazareth kommt Gott uns unüberbietbar entgegen. Kommt Gott uns unüberbietbar nah. Das ist dein Glück!
Der heutige Feiertag Christi Himmelfahrt kann an dieses Glück erinnern. An das Glück, dass auch Jesus in die Nähe Gottes sucht. In der Nähe Gottes aufgeht. In sie zurückkehrt. In ihr geborgen wird. Gottes Nähe – für ihn und für uns ein Glück!
Ein Glück! Was für ein Glück? Auch darauf möchte ich noch einen Blick werfen. Glück hat verschiedene Facetten. Auf alle Fälle ist es verschieden von dem, was wir im Schweiße unseres Angesichtes erarbeiten. Glück wird nicht durch Leistung herbeigezwungen. Glück fällt uns zu – ganz ohne unser Zutun. Und darum ist es ganz eng verwandt mit jener anderen, unverdienten, uns zufallenden Gabe, die wir Gnade nennen. Die uns gratis, umsonst Zukommt. Oder anders gesagt: Gnade ist im Grunde nichts anderes als unverdientes Glück. Glück bei Gott. Und Glück mit Gott.
Glück ist darum wahrhaftig nicht die schlechteste Zielvorgabe unseres Lebens. Zumal dann, wenn es sich um unser Glück bei Gott handelt. Gott nahe zu sein, das ist ja wirklich ein Glück.
Dass Gottes Nähe für uns ein Glück ist, das ist keine Aussage, die vor allem eine ferne Vergangenheit betrifft. Die Zeit der Erzväter. Die Zeit der Psalmendichter. Die Zeit Jesu und seiner Jünger. Seiner Freundinnen und Freunde, die mit ihm unterwegs waren.
Dass Gottes Nähe für uns ein Glück ist – das beschreibt auch keine ferne Zukunftsmusik, die noch lange nicht wirklich ist. Dass Gottes Nähe für uns ein Glück ist, das ist vor allem eine Beschreibung meines Lebens jetzt. Meines kleinen Lebens mit seinen kleinen Glücksmomenten.
Mit dem Glück der Menschen, mit denen ich mein Leben teile. Mit dem Glück, einen Beruf und Arbeit zu haben. Mit dem Glück, zumindest hier bei uns in Frieden leben zu können. Aber auch mit dem Glück der geschenkten freien Zeit. Mit dem Glück der bewahrten Gesundheit. Mit dem Glück der geschenkten Lebenszeit. Mit dem Glück, jeden Tag neu beginnen zu können.
Und ich bin sicher: Sie alle können eigene Glückserfahrungen benennen. Kleine Erfahrungen vielleicht meist, aber zusammen ein großes Stück an geschenkter Glückserfahrungen. Erfahrungen, die zugleich etwas von der Wirklichkeit Gottes widerspiegeln.
In dieses Glück mag sich immer auch anderes vermischen. Das Glück des Lebens – es ist selten ungetrübt. Das Glück des Lebens – es wird meist in kleinen Münzen ausgezahlt. Aber es ist immer wie ein Angeld des großen Glückes, dem nahe zu sein Menschen seit Jahrtausenden anstreben. Des Glückes, das wir in Gottes Nähe erleben können. Dieses Glück – es ist ein Widerschein des Lichtes in vielen Strahlen, das aber aus einer Quelle hervorbricht. Wir werden gleich davon singen.
„Deine Nähe ist mein Glück!“ Was zunächst aussieht wie ein Zugeständnis an den Zeitgeist, in Wirklichkeit ist es so etwas wie die Summe eines Lebens. Zumindest wie die Summe eine Menschen, der es in seinem Leben mit Gott versucht. Immer wieder neu. Auch durch manches Scheitern hindurch. Es ist eine Summe, die in einem bekannten Lied in die bekannten Worte gefasst und gesungen wird: „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügen bereitet!“ (EG 316,3) – Wie oft dir dein Glück gewährt und erhalten.
„Deine Nähe, Gott, ist mein Glück!“ Das gilt. Im Leben. Und es gilt auch dann, wenn diesem Leben dann noch Leben in ganz anderer, unnachahmlicher Weise nachfolgen wird. „Deine Nähe ist mein Glück!“ Gerade dann gilt dieser Satz, wenn wir am Ende unseres Lebens in Gottes Hände zurückfallen. Und Gottes Nähe uns umgibt bis ans Ende der Zeit. Das lässt uns glücklich sein. Auch schon heute. Und dieses Glück darf man uns ruhig anmerken.
Nicht nur Gottes Segen möchte ich ihnen darum am Ende wünschen. Sondern auch viel Glück! Amen.
„Deine Nähe ist mein Glück!“ Das ist das Thema dieses Festgottesdienstes. Und über diesen Satz soll ich heute auch predigen.
Zunächst aber möchte ich meiner Freude Ausdruck geben, dass Sie mich für diesen Tag eingeladen haben. Ich freue mich ganz besonders, dass noch so viele Diakonissen diesen Gottesdienst mitfeiern können. Es ist ja in ganz besonderer Weise auch ihr Fest. Schön, dass sie alle mitfeiern!
„Deine Nähe ist mein Glück!“ Hinter diesem Motto des Jahresfestes leuchtet unübersehbar die Jahreslosung für dieses Jahr 2014 auf. Die stammt ja aus dem 73. Psalm und heißt: „Gott nahe zu sein ist mein Glück!“
Als ich diese Jahreslosung 2014 zum ersten Mal gehört habe, habe ich mich gefragt: Ist das überhaupt ein Vers aus der Bibel? Oder ist das einfach ein Bekenntnissatz, den sich eine Kommission ausgedacht hat, weil er gut in das derzeitige Großwetterlage in der Kirche und in der Welt passt.
Um das Thema Glück hat dreht sich derzeit ja fast alles. Es gibt mittlerweile Schulen, in denen „Glück“ als Schulfach gelehrt wird. Etwa in der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg. In den Buchhandlungen gibt es lange Regale voll von Büchern zum Thema Glück – ob von Eckart von Hirschhausen oder vom Dalai Lama. Das Thema Glück – so scheint es - ist ja das große Thema unserer Tage.
Aber das Thema Glück ist keine moderne Erfindung. im Grunde geht es schon viel länger um dieses Thema. Das Recht, im Leben das Glück anzustreben, das steht auch schon in der amerikanischen Verfassung. Für den Kirchenvater Augustinus aus dem vierten, fünften Jahrhundert ist die Glückseligkeit das Höchste, was ein Mensch auf Erden überhaupt erreichen kann. Erreichen kann ein Mensch die Glückseligkeit aber nur dann, wenn er sich dem Besten und Höchsten zuwendet, das es gibt. Und das ist auch für Augustinus natürlich allein Gott.
Damit sind wir schon viel näher an die Bibel selber herangerückt. Und an dem Thema der Predigt und des Jahresfestes. Im 28. Vers des 73. Psalms steht jener Vers, der in diesem Jahr die Jahreslosung ist: „Gott nahe zu sein, ist mein Glück!“
Schlage ich meine Lutherbibel auf, finde ich aber eine ganz andere Formulierung. Dort heißt es - und diesen Vers kennen sie alle: „Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte!“
Bei meiner Ordination wurde mir dieser Vers zugesprochen. In der Version von Martin Luther. In der Formulierung der Jahreslosung hatte ich ihn also gar nicht erkannt. Doch manchmal ist es hilfreich, eine vertraute Nachricht noch einmal in anderen Worten, in einer anderen Sprache zu hören. Da wird dann eben aus dem Vers: „Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte!“ mit einem Mal: „Gott nahe zu sein ist mein Glück!“
Wenn sich die Übersetzungen aber so unterscheiden, dann frage ich mich: Was steht wirklich da – im hebräischen Text des Alten, des Ersten Testaments? Ich schaue nach. Und dort heißt es wörtlich übersetzt: „Und ich? - Die Nähe Gottes (ist) für mich gut!“ In etwas eleganterer, glatter Formulierung: „Was mich angeht: Mir tut Gottes Nähe gut!“
Offen bleibt aber zunächst, wie diese Nähe zustande kommt. Luther legt in seiner Übersetzung Wert darauf, dass die Aktivität von mir ausgeht: „Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte“, heißt es bei ihm. Das bedeutet: Ich gehe auf Gott zu. Ich suche Gott. Und so gelange ich in seine Nähe. Übersetzungen sind eben selber immer schon eine Deutung. Manchmal schon eine halbe Predigt.
Der hebräische Text lässt auch den anderen Weg offen. Deutet ihn sogar eher im umgekehrten Sinn, wie Luther das getan hat. „Dass Gott sich mir naht, das ist gut für mich.“ Es ist dann also Gott selber, der auf mich zu geht. Es ist Gott, der diese Nähe herstellt. Weil Gott das Gute für mich im Sinn hat.
Gott naht sich mir. Oder: Ich nähere mich Gott. Was ist nun richtig? Müssen wir uns wie so oft im Leben auch hier entscheiden? Das Motto dieses Jahresfestes hat diese Klippe elegant umschifft mit seiner Formulierung: „Deine Nähe ist mein Glück!“
Zum einen ist der Satz ganz persönlich formuliert. formuliert. Deine Nähe ist mein Glück! Wie ein Bekenntnis klingt das. Mehr noch: Wie das Eingeständnis einer Liebe. Es ist kein Reden über Gott. Über Gottes Nähe, irgendwie. Es ist ein persönliches Bekenntnis. Eine Liebeserklärung. Ein Gebet: „Deine Nähe ist mein Glück!“
Zum anderen bleibt ausdrücklich offen, wie diese Nähe zu Stande kommt. Beides bleibt also möglich. Dass Gott sich mir nähert. Und dass ich Gottes Nähe suche.
Für mich sind das aber überhaupt keine Alternativen. Es sind zwei Seiten eines Geschehens. Aber ich kann sie eben von zwei verschiedenen Seiten aus betrachten.
Näheren wir uns zunächst der einen: Ich nähere mich Gott. Wie geschieht das? Ich nähere mich Gott, indem ich mich zu Gott auf den Weg mache. Das gibt es die vertrauten Wege. Im Gottesdienst. Im Lesen und Hören auf Gottes Wort. Im Gebet. Nähern kann ich mich Gott aber auch im Singen. Und im Hören der Musik. Nähern kann ich mich Gott im Schweigen. In der Stille. Nähern kann ich mich Gott in Räumen, die meine Sinne für Gott schärfen. In Kirchen und Kapellen, wie etwa dieser hier. Aber auch in der Natur. Um Ufer. In der Wüste.
Jesus hat das so gemacht. Hat sich in die Stille zurückgezogen. In die Wüste sogar. In die Versenkung. Nicht immer ist er dabei nur Gott begegnet. Zumindest einmal auch dem Teufel. In der Versuchungsgeschichte (Lukas 4,1-13) können wir davon hören. Ganz fromm, lammfromm kommt der Teufel daher. Mit der Bibel argumentiert er. „Es steht geschrieben: Wenn du willst, kannst du sogar von den Zinnen des Tempels springen. Und dir wird nichts passieren!“ Jesus geht dem Teufel nicht auf den Leim. Und hält dagegen: „Abermals steht auch geschrieben. Du sollst Gott nicht versuchen!“ Auch in der Annäherung an Gott ist der wache Sinn gefragt. Und die Gabe der rechten Unterscheidung.
Es gibt noch einen anderen Weg, sich Gott anzunähern. Sie kennen das Gleichnis vom Weltgericht. Am Ende heißt es: „Was ihr getan habt einem unter meinen geringsten Brüdern - und doch auch Schwestern! - , das habt ihr mir getan!“ (Matthäus 25,40) Ich nähere mich Gott, indem ich mich den Menschen annähere. Den Menschen zuwende. Nicht irgendwie. Sondern in hilfreicher, fürsorglicher Absicht: Vom Essen und Trinken, vom Kleiden und Besuchen ist im Gleichnis die Rede.
Das Glück der Nähe Gottes: Ich finde es in der Nähe zur Schwester und zum Bruder an meiner Seite. Aus ihrem Gesicht leuchtet mir Gottes Angesicht entgegen. In ihrer Angewiesenheit auf einen anderen Menschen entdecke ich die Verletzlichkeit Gottes. Diakonie und diakonischer Dienst – auch das sind Weisen, in denen wir uns Gott annähern.
Wie aber geht das andere? Wie kommt Gott uns nah? Hier ist die Antwort noch einmal etwas anders. Grundsätzlicher. Gott ist immer schon auf dem Weg zu uns. Zu seiner Schöpfung. Zu uns Menschen. Es gehört zum Wesen Gottes geradezu dazu, zu uns unterwegs zu sein. Gott ist nie Gott ohne uns. Gott will nicht Gott sein ohne uns. In Gott ist immer Bewegung. Zielgerichtete Bewegung. Und diese Bewegung läuft auf uns, läuft auf uns Menschen zu.
Woher ist das weiß? Ganz einfach! Gottes Bewegung auf uns zu – sie findet Gestalt in Gottes Menschwerdung. Gott wird Mensch. In Jesus aus Nazareth. An ihm können wir erfahren, ablesen, wie Gott von uns erkannt werden will. Wie Gott uns nahekommen will. In Jesus aus Nazareth, seinem Christus, nähert Gott sich uns Menschen nicht nur an. In ihm ist Gott mitten unter uns gegenwärtig.
Heute vor einer Woche bin ich aus Israel zurückgekommen. Die Ort und Landschaften sind mir alle seit Kindheit vertraut. Jerusalem und Kapernaum. Bethlehem und Nazareth. Der See Genezareth und das Tote Meer. Galiläa und Golgatha. All diese Namen haben mich daran erinnert: Das Leben dieses Jesus aus Nazareth war keine Fiktion.
Er war ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber er war für die Menschen um ihn herum auf Gott hin durchlässig. Durch ihn hindurch wird Gottes Gegenwart auch für uns transparent. Bis heute. Wahrer Menschen und wahrer Gott. So haben es die, die vor uns geglaubt haben, bekannt. So singen wir es vor allem in den Liedern an Weihnachten: „Wahr Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.“ (EG 30,3) Oder: „Gott wird Mensch, dir Mensch zugute!“ (EG 36,2)
„Deine Nähe ist mein Glück!“ Das ist zum einen ein Bekenntnis-Satz aus einem der alten Lieder des Volkes Israel. Aus einem Psalm. In anderer Weise enthält dieser Satz auch für uns als Christinnen und Christen den Weg eines kleinen Bekenntnisses. In Jesus aus Nazareth kommt Gott uns unüberbietbar entgegen. Kommt Gott uns unüberbietbar nah. Das ist dein Glück!
Der heutige Feiertag Christi Himmelfahrt kann an dieses Glück erinnern. An das Glück, dass auch Jesus in die Nähe Gottes sucht. In der Nähe Gottes aufgeht. In sie zurückkehrt. In ihr geborgen wird. Gottes Nähe – für ihn und für uns ein Glück!
Ein Glück! Was für ein Glück? Auch darauf möchte ich noch einen Blick werfen. Glück hat verschiedene Facetten. Auf alle Fälle ist es verschieden von dem, was wir im Schweiße unseres Angesichtes erarbeiten. Glück wird nicht durch Leistung herbeigezwungen. Glück fällt uns zu – ganz ohne unser Zutun. Und darum ist es ganz eng verwandt mit jener anderen, unverdienten, uns zufallenden Gabe, die wir Gnade nennen. Die uns gratis, umsonst Zukommt. Oder anders gesagt: Gnade ist im Grunde nichts anderes als unverdientes Glück. Glück bei Gott. Und Glück mit Gott.
Glück ist darum wahrhaftig nicht die schlechteste Zielvorgabe unseres Lebens. Zumal dann, wenn es sich um unser Glück bei Gott handelt. Gott nahe zu sein, das ist ja wirklich ein Glück.
Dass Gottes Nähe für uns ein Glück ist, das ist keine Aussage, die vor allem eine ferne Vergangenheit betrifft. Die Zeit der Erzväter. Die Zeit der Psalmendichter. Die Zeit Jesu und seiner Jünger. Seiner Freundinnen und Freunde, die mit ihm unterwegs waren.
Dass Gottes Nähe für uns ein Glück ist – das beschreibt auch keine ferne Zukunftsmusik, die noch lange nicht wirklich ist. Dass Gottes Nähe für uns ein Glück ist, das ist vor allem eine Beschreibung meines Lebens jetzt. Meines kleinen Lebens mit seinen kleinen Glücksmomenten.
Mit dem Glück der Menschen, mit denen ich mein Leben teile. Mit dem Glück, einen Beruf und Arbeit zu haben. Mit dem Glück, zumindest hier bei uns in Frieden leben zu können. Aber auch mit dem Glück der geschenkten freien Zeit. Mit dem Glück der bewahrten Gesundheit. Mit dem Glück der geschenkten Lebenszeit. Mit dem Glück, jeden Tag neu beginnen zu können.
Und ich bin sicher: Sie alle können eigene Glückserfahrungen benennen. Kleine Erfahrungen vielleicht meist, aber zusammen ein großes Stück an geschenkter Glückserfahrungen. Erfahrungen, die zugleich etwas von der Wirklichkeit Gottes widerspiegeln.
In dieses Glück mag sich immer auch anderes vermischen. Das Glück des Lebens – es ist selten ungetrübt. Das Glück des Lebens – es wird meist in kleinen Münzen ausgezahlt. Aber es ist immer wie ein Angeld des großen Glückes, dem nahe zu sein Menschen seit Jahrtausenden anstreben. Des Glückes, das wir in Gottes Nähe erleben können. Dieses Glück – es ist ein Widerschein des Lichtes in vielen Strahlen, das aber aus einer Quelle hervorbricht. Wir werden gleich davon singen.
„Deine Nähe ist mein Glück!“ Was zunächst aussieht wie ein Zugeständnis an den Zeitgeist, in Wirklichkeit ist es so etwas wie die Summe eines Lebens. Zumindest wie die Summe eine Menschen, der es in seinem Leben mit Gott versucht. Immer wieder neu. Auch durch manches Scheitern hindurch. Es ist eine Summe, die in einem bekannten Lied in die bekannten Worte gefasst und gesungen wird: „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügen bereitet!“ (EG 316,3) – Wie oft dir dein Glück gewährt und erhalten.
„Deine Nähe, Gott, ist mein Glück!“ Das gilt. Im Leben. Und es gilt auch dann, wenn diesem Leben dann noch Leben in ganz anderer, unnachahmlicher Weise nachfolgen wird. „Deine Nähe ist mein Glück!“ Gerade dann gilt dieser Satz, wenn wir am Ende unseres Lebens in Gottes Hände zurückfallen. Und Gottes Nähe uns umgibt bis ans Ende der Zeit. Das lässt uns glücklich sein. Auch schon heute. Und dieses Glück darf man uns ruhig anmerken.
Nicht nur Gottes Segen möchte ich ihnen darum am Ende wünschen. Sondern auch viel Glück! Amen.