FRÜHER WAR ALLES BESSER!
PREDIGT ÜBER 2. MOSE 16,2+3.11-18
SONNTAG, DEN 3. AUGUST (7.S.N.TRINITATIS)
IN DEN EVANG. KIRCHEN NASSIG UND SONDERRIETH

03.08.2014
Früher, liebe Gemeinde, früher war alles besser! Vor zwei Jahren hat sich ein Kino-Film mit dieser Behauptung befasst. Der Film Midnight in Paris von Woody Allen. Ich will ihnen nur weniges aus dem Film erzählen. Die Hauptfigur des Films, Gil Pender, lebt eigentlich in unserer Zeit. Doch er ist mit seinen Lebensumständen nicht zufrieden. Eines Nachts gerät dieser Gil Pender mit einem Taxi auf verschlungen Wegen in das Paris der 20er Jahre. Diese Zeit erscheint ihm wie ein glücklicher Traum. Ja, in dieser Zeit möchte er leben. In dieser Zeit war alles besser.

Zurückkatapultiert in die Goldenen 20er-Jahre in Paris, verliebt er sich in Adriana, eine Frau, die in dieser 20er-Jahren lebt. Aber auch sie meint, dass früher alles besser war. Für sie ist die bessere Zeit die Epoche um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Also geht er mit ihr diese Zeit zurück.

Die neuen Freunde, die sie in dieser vermeintlich noch besseren Zeit finden, sind mit ihrer Zeit überhaupt nicht zufrieden. Sie glauben, dass die besseren Zeiten die der Renaissance waren. So zeigt der Film sehr schön, dass jede Generation aufs Neue dieses Lied singt. Und dass es keine Generation gibt, in der nicht Menschen davon überzeugt waren: Früher war alles besser.

Früher war alles besser!
– dieses Klagelied kann man immer wieder hören. Auch bei uns. Die Luft war besser. Und die Natur noch intakt. Ältere Menschen wurden noch mit Würde und Ehrfurcht behandelte hat, weil die Leute noch wussten, was sich schickt und was nicht. Weil noch jeder jeden kannte und freundlich grüßte. Das meinen wir zumindest.

Früher war alles besser! – auch in der Kirche kann man diesen Satz immer wieder hören. Da seien die Kirchenbänke noch genauso voll gewesen wie die Kirchenkassen. Und in Nassig / in Sonderriet konnte man sich darauf verlassen, dass die Pfarrstelle mit einem guten Pfarrer besetzt war.

Liebe Gemeinde, wir Menschen neigen dazu, die Gegenwart zu verteufeln und die Vergangenheit zu verklären. Früher – das kann zum Beispiel nicht vor 100 Jahren gewesen sein. Denn in diesen Tagen ist es 100 Jahre her, dass der Erste Weltkrieg begonnen hat. Aus damaliger Sicht der schrecklichste Krieg der Weltgeschichte.

Früher, das kann auch nicht vor 75 Jahren gewesen sein. Denn da begann der zweite Weltkrieg, der den Ersten ob seiner Grausamkeit noch in den Schatten gestellt hat.

Früher war alles besser! Dieser Satz ist eine besondere Form der Undankbarkeit. Und zugleich der Blindheit für die Schönheit der Gegenwart – allen Belastungen zum Trotz. Dabei vergleichen wir die das Negative unserer Zeit mit dem Schönen der Vergangenheit. Und vergleichen so Äpfel mit Birnen. In Wirklichkeit wissen wir häufig gar nicht wirklich, welche verborgenen oder offenkundigen Sorgen die Menschen in diesen Zeiten mit sich herumgeschleppt haben.

Früher war alles besser! Wenn das stimmt, dann liegen die besten Zeiten hinter uns. Und die Gegenwart ist die erste Station auf dem Weg in den Untergang. Dabei – und da bin ich ganz sicher – stand auch schon jede Generation vor uns in der Gefahr, dieses Lied von der ach so viel besseren Vergangenheit zu singen.

Früher war alles besser! Auch die Israeliten haben dieses Lied schon gesungen. Vor mehr als 3000 Jahren. Das ist das Thema des Predigttextes für diesen 7. Sonntag nach dem Fest der Dreieinigkeit Gottes. Hören wir also auf ausgewählte Verse aus 2. Mose 16:

2 Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. 3 Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst. 11 Und der HERR sprach zu Mose: 12 Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin. 13 Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. 14 Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. 15 Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. 16 Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. 17 Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig.
18 Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.


Liebe Gemeinde! Da hat Gott also das Seufzen und Klagen der Israeliten über den harten Frondienst in Ägypten gehört. Und Gott hat sie mit Macht durch das Rote Meer hindurch befreit. Gott hat ihnen eine Zukunft in Freiheit verheißen. Doch nicht Dankbarkeit ist angesagt. Sondern ein ums andere Mal und bei jeder neuen Herausforderung aufs Neue lauthalses und vorwurfsvolles Klagen. Und eben genau nach der Melodie: Früher war alles besser!

„Ach säßen wir doch nur noch in Ägypten. Dort waren die Fleischtöpfe voll. Und wenn wir es uns recht überlegen: Wir hatten Arbeit und Brot. Und wir irrten nicht ziellos in einer unwirtlichen Wüstenlandschaft umher.“ So kurz ist das Gedächtnis der Menschen. So kurz ist nicht selten unser aller Gedächtnis. Und schon erklingt dann jener Ruf, den die Israeliten im Predigttext Mose entgegenschleudern: „Ach wären wir dich in Ägypten geblieben!“

Undankbar ist dieser Satz. Und eigentlich Grund genug, dass Gott sich zurecht entnervt von seinem Volk abwenden könnte. Doch Gottes Gottsein erschöpft sich nicht in unserer Art des Denkens. Ein ums andere Mal lässt Gott sich dazu verlocken, sich zu erkennen zu geben als der, der sich den Menschen zuwendet. Und sich als Retter in der Not erweist. Und wie schon früher in Ägypten macht Gott sich auch im Predigttext wieder mit jenen Worten vernehmbar, die so typisch sind für das Wesen Gottes: „Ich habe das Murren und Seufzen meines Volkes gehört.“

Schon einmal hat Gott diesen Satz zu Mose gesagt. Damals, als er aus dem brennenden Dornbusch heraus zu Mose spricht. Als er ihm den Auftrag gibt, sein Volk aus der Sklaverei in die Freiheit zu führen. Und mitten in allem Murren und aller beschönigenden Erinnerung an die Fleischtöpfe Ägyptens hört Mose diesen Satz nun ein weiteres Mal. „Ich habe das Murren und Seufzen meines Volkes gehört!“

Wo wir sicher sein können, dass Gott hört, hat die Zukunft schon längst begonnen. Gottes Zukunft bricht auch über die Israeliten in der Wüste herein. In der Gestalt, dass Gott ihnen gibt, was sie zum Leben und zum Überleben brauchen. Wachteln lässt Gott den Murrenden zukommen. Und eben jenes Manna, das längst zum Sinnbild der Nahrung geworden ist, die uns auch in widrigen Umständen leben lässt.

Dieses Manna zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus. Besonderheiten, mit denen wir mit unserer Art des Wirtschaftens durchaus unsere liebe Mühe hätten. Zum einen: Manna lässt sich nicht horten, wie wir das gerne mit den Dingen tun, die wir für besonders wertvoll halten. Oder von denen wir uns Gewinn versprechen.

Im Predigttext haben wir’s schon gehört: „Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte.“ Die Lebensnahrung Gottes entzieht sich den Gesetzen von Anhäufen und Verknappen – jenen Gesetzmäßigkeiten, mit denen wir bis heute den Preis unserer Güter bestimmen. Dieses Manna hat also einen integrierten Gerechtigkeitsfaktor. Es genügt, um zu überleben. Es eignet sich nicht für den Gewinn.

In den Versen, die nicht zum Predigttext gehören, wird noch eine weitere Besonderheit berichtet. Manche wollen es ganz schlau anstellen. Sie essen von ihrem Manna nicht alles auf. Dann, so ihre Hoffnung, haben sie am Tag darauf eine größere Ration. Doch hier kommt neben dem Gerechtigkeitsfaktor ein weiterer Faktor dazu. Der Bedarfsfaktor. Denn es wird berichtet: „Etliche ließen davon übrig bis zum nächsten Morgen; da wurde es voller Würmer und stinkend. Und Mose wurde zornig auf sie.“

Das Manna musste man sofort essen. Tags darauf war es ungenießbar. Die Menschen sollten auf Gottes Zusage der Versorgung trauen. Und eben nicht auf die Kunst ihrer Vorratshaltung.

Gott gibt eben nicht gemäß unserer Gier. Gott gibt gemäß unserem Bedarf. Und ein bekannte Satz, ein Bekenntnis von Dietrich Bonhoeffer kommt mir in den Sinn:

„Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandkraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.

In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

Wo Gott sein Manna gibt, müsste also alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Manna – das ist Lebensbrot aus der Hand Gottes. Lebensbrot, das unseren Bedarf stillt. Lebensbrot zugleich aber auch, das sich den Gesetzmäßigkeiten unseres Ansammelns Sammelns und Gewinnstrebens entzieht. In durchaus vergleichbarer Weise hat Jesus gegenüber den Menschen von der Großzügigkeit Gottes gesprochen. Etwa in dem bekannten Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Alle erhalten den gleichen Lohn. Ganz egal, ob sie nur eine Stunde oder ob sie den ganzen Tag gearbeitet haben.

Früher war alles besser! – so murren die Arbeiter, die mit mehr gerechnet haben. Früher, so dachten sie, hätte man den Stundenlohn mit der Zahl der gearbeiteten Stunden multiplizieren können. Und zwölf Stunden Arbeit hätte dem zwölffachen Lohn entsprochen. Es ist gerecht, dass wir das in unserem Arbeitsrecht bis heute so geregelt haben. Und es ist nach unseren Maßstäben auch gerecht, wenn diejenigen, die mehr auflesen als andere, sich einen Vorrat anlegen.

Doch es ist schon wunderbar: Im Reich Gottes gelten andere Regel als in der uns vertrauten Form des Wirtschaftens. Bei uns heißt es: Leistung soll sich lohen. Im Reich Gottes lautet die Devise: Gott gibt dir, soviel du brauchst. Biblisch gesprochen: „Lass dir an meiner Gnade genügen!“

Ein gefährlicher Satz. Eine Regel, die alles auf den Kopf stellt, worauf unser Denken und Wirtschaften fußt. Manna ist ein Überlebensprogramm der besonderen, der göttlichen Art. Wir haben immer zwei Möglichkeiten, wenn wir Sorge um unser Überleben und um unsere Zukunft haben. Wir können das Heil in der Vergangenheit suchen. Wir können uns zurücksehen an die Fleischtöpfe Ägyptens. Und dabei vergessen, dass dieses Fleisch Tag für Tag mit Tränen benetzt war.

Wir können das Bessere aber auch aus der Zukunft erwarten. Wir können uns verlassen auf den, der gibt, was wir zum Leben brauchen. Auf den, der sich selber gibt als Brot des Lebens, an dem wir genug haben.

Diese zweite Möglichkeit ist die mutigere und anspruchsvollere. Dass früher alles besser war – aus Sicht des Gottesglaubens ist das ein Irrtum. Denn die besten Zeiten, sie liegen nicht hinter uns. Sie liegen vor uns. Weil Gott das Seufzen und Murren seines Volkes hört. Auch heute. Weil Gott will, dass wir genug haben an dem, was wir zum Leben wirklich brauchen.

Gottes Zukunft mit uns beginnt heute aufs Neue! Und wir dürfen sicher sein: Gott wird es uns am Nötigsten nicht fehlen lassen. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.