PREDIGT ÜBER 2. THESS. 3,1-6
IM GOTTESDIENST ANLÄSSLICH
DER ÜBERGABE DES ZERTIFIKATES ZUM „GRÜNEN GOCKEL“
AM SONNTAG, DEN 20. JULI 2014 (5.S.N.TR.) – MELANCHTHON-KIRCHE MALSCH

20.07.2014
Mit der Bibel kann man schon seine Überraschungen erleben, liebe Gemeinde. Manchmal trifft der Predigttext die Situation punktgenau! So wie heute!

Und wie so oft, ist es der Apostel Paulus, dem wir solche Texte verdanken. Er entwirft nicht nur große theologische Texte wie in seinem Brief nach Rom. In diesem Brief geht es ihm um die Bedeutung der Taufe, um die Rolle des Glaubens, um das Verhältnis von Juden und Christen.

In anderen Briefen gibt er auch konkrete Antworten auf konkrete Fragen. Diese Antworten gelten zunächst seinen Zeitgenossen, ob in Kleinasien oder in Griechenland. Er äußert sich zur Frage der Abendmahlspraxis. Er gibt Hinweise dazu, ob Christen im Tempelrestaurant der Heiden Fleisch essen dürfen. Er gibt Ratschläge zum Umgang mit Parteibildungen in der Gemeinde.

Eine solche konkrete Antwort gibt er auch in einem seiner Briefe, aus dem ich ihnen jetzt einen Ausschnitt vorlese:

Des Weiteren, liebe Schwestern und Brüder, was eure Fragen nach dem rechten Umgang mit der Schöpfung betrifft, da möchte ich euch zunächst folgendes wissen lassen: Zuallererst ist es wichtig, dass ihr für uns betet, damit das Wort des Herrn seinen guten Lauf fortsetzt und dem Werk der falschen und bösen Menschen Einhalt geboten werde. Denn wir wissen: Den Weg des Glaubens steht nicht für alle offen, sondern nur für die, die sich darauf einlassen. Aber Gott ist zuverlässig und wird euch die Kraft schenken, die ihr nötig habt, um dem Bösen zu widerstehen.

Wir haben das feste Vertrauen in euch, dass ihr tut, was euer Glaube euch gebietet. So seid darauf aus, dass eure Räume offen stehen für alle, die darin Schutz suchen. Seht zu, dass ihr den Anforderungen entsprecht, die nötig sind, um zu Recht den Grünen Gockel zu erhalten. So tragt ihr dem Glauben an den Gott Rechnung, der diese Welt erschaffen hat und der von euch will, dass ihr mithelft, sie zu erhalten.

Denen aber, die sinnlos verprassen, was Gott euch und euren Nachkommen als Mitgift für euer Leben geschenkt hat, gebt ein gutes Beispiel, das ihren störrischen und unverständigen Sinn zu überwinden vermag. Im Namen Jesu Christi bitten wir euch nicht abzulassen, eurem Glauben an unseren Herrn Gestalt zu geben in Fürsorglichkeit für euren Nächsten und für die Schöpfung, von der ihr lebt. So lasst nicht ab, euren Glauben ins Leben zu ziehen!


So hat Paulus geschrieben. Ober besser: So hätte er womöglich geschrieben, wenn ihre Gemeinde oder ihr Ältestenkreis ihm die entsprechende Frage vorgelegt hätte. Und so habe ich dem Paulus in seinem Sinn etwas nachgeholfen. Schließlich habe ich die Bitte von Pfarrer Zeller, heute bei ihnen zu predigen, so ähnlich verstanden, wie Paulus die Anfragen, auf die er in vielen seiner Briefe geantwortet hat.

Einen Brief zu schreiben – im Namen des Paulus. Sich zu Themen zu äußern, zu denen wir keine Antwort des Paulus kennen und vorliegen haben – darf man das. Durfte ich das?

Ich antworte mit einem klaren und eindeutigen „ja“. Ich antworte deshalb mit „ja“, weil es in der Bibel selber solche Briefe gibt. Aus einem solchen Brief stammt der Predigttext für diesen 5. Sonntag nach Trinitatis. Er gibt vor, von Paulus geschrieben zu sein. Und doch sagen fast alle Theologen, die sich mit dem Neuen Testament befassen, übereinstimmend,: Nein, dieser Brief kann nicht von Paulus stammen. Es geht um den zweiten Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki, den sogenannten 2. Thessalonicher-Brief.

Der erste Thessalonicher-Brief ist der älteste Brief des Paulus, den wir kennen. Paulus hat ihn wohl um das Jahr 50 oder 51 n.Chr. in Korinth geschrieben.

Der uns nicht bekannte Autor des zweiten Thessalonicher-Briefes schreibt in großen Teilen den ersten Thessalonischer-Brief einfach ab. Er nimmt für sich die Autorität des Paulus in Anspruch, weil er in strittigen Fragen eine Klärung herbeiführen will. Nur da, wo sich seine Position von der des Paulus unterscheidet, weicht er von der Vorlage des Paulus ab.

Nur ein Beispiel: Paulus zielt in seinem Brief darauf abzielt, die Menschen zu beruhigen. Nicht einmal vor dem Tod müssten sie Angst haben. Und einige, so glaubt Paulus damals, würden noch leben, wenn der auferstandene Christus wiederkommt. Paulus war damals sicher: Sehr lange würde dies nicht mehr dauern.

Ein halbes Jahrhundert später schreibt ein uns unbekannter Autor seinen Brief. Er hat ein anderes Problem als Paulus. Die Wiederkunft Christi hat nicht wie erwartet sehr schnell stattgefunden. Statt dessen hat die Gemeinde mit Verfolgung und Widerstand zu kämpfen. „Die Bosheit regiert“, so können wir es im Brief nachlesen. Und die Leute fangen an, in ihrem Glauben unsicher zu werden. Einige verabschieden sich ganz.

Deshalb fordert der Schreiber zum Durchhalten auf. Diese böse Zeit muss sein. Aber dann folgt das Ende. Und am Ende, dann wird dann doch noch alles gut.

Er fügt also seine Problemlagen, seine Sicht der Dinge einfach in seine Briefvorlage ein – aber sicher im Glauben, dass Paulus die Dinge ganz ähnlich sieht wie er. Und wie zur Bestätigung hat der Autor keine Skrupel, am Ende seines Briefes gewissermaßen die Unterschrift des Paulus einzufügen. Denn er schließt seinen Brief mit den Worten: Diesen Gruß schreibe ich mit meiner, des Paulus, eigener Hand.

Hören sie also jetzt den für heute vorgeschlagenen Predigttext so, wie wir ihn in der Bibel finden. Und sie werden merken: So ganz anders als der, den ich ihnen vorgelesen habe, ist der Originaltext auch nicht. Da heißt es also im 3. Kapitel des 2. Thessalonicher-Briefes:

Weiter, liebe Brüder, betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch und dass wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding. Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen. Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr tut und tun werdet, was wir gebieten. Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi. Wir gebieten euch aber, liebe Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr euch zurückzieht von jedem Bruder, der unordentlich lebt und nicht nach der Lehre, die ihr von uns empfangen habt.

Ein Satz fällt mir sofort ins Auge. Ein Satz, der heute genauso hilfreich ist wie damals. Ein Satz, für den ich dem Briefschreiber sehr dankbar bin. Er lautet: „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding!“

Unglaublich entlastend ist dieser Satz. Wir hätten es ja oft gerne anders. Wir sind von einem Thema infiziert. Von einer Sache überzeugt. Und gehen dann wie selbstverständlich davon aus, dass es allen anderen genauso geht. Um dann völlig enttäuscht zu sein, wenn genau das nicht eintritt.

Es gibt eben Menschen, die interessieren sich nicht für Fußball. Selbst wenn die deutsche Mannschaft das Endspiel gewinnt. Es gibt Menschen, die teilen die politische Meinung ihrer Umgebung nicht. Sie sehen die Dinge eben einfach anders. Meine Wahrheit erhält nicht einfach immer die Mehrheit.

Mit dem Glauben, so der Briefschreiber, ist es genauso. „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding!“ Einige mögen einwenden: Der Glaube ist doch etwas anderes als der Fußball. Oder eine politische Meinung. Da geht es doch um etwas Grundsätzliches. Das stimmt. Aber die Erfahrung lehrt, dass es da eine Übereinstimmung gibt. „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding!“ Wir können als Kirche noch so gut aufgestellt sein. Wir können Werbekampagnen starten. Mission betreiben. Auch dann werden wir keine 100-Prozent-Gruppierung. Denn „der Glaube ist nicht jedermanns Ding!“

Den Briefschreiber hat das damals auch schon umgetrieben. Kein Wunder, wenn die Leute keine Ausdauer haben. Und ihrem Glauben schon bald wieder den Rücken kehren. Da muss er seinen Mitglaubenden den Rücken stärken. Und: Wahrheit ist nie für alle Wahrheit. Und schon gar nicht einfach immer Mehrheit.

Übrigens ist das ähnlich mit unserem Einsatz für Gerechtigkeit. Für Frieden. Für die Bewahrung der Schöpfung. Auch im Engagement für den Grünen Gockel. Eigentlich muss das doch dem Letzten einleuchten. Eigentlich ist es doch eine Überlebensfrage. Und es entspricht doch auch unserem Auftrag als Christinnen und als Christen. Aber auch dieser Auftrag ist nicht jedermanns Ding. Umso schöner, dass der Grüne Gockel nun ihr Dinge geworden ist, liebe Gemeinde hier in Malsch.

Der Briefschreiber gibt im Übrigen eine interessante Antwort, wie auch unser Engagement erfolgreicher werden könnte. Er schreibt: „Betet für uns, damit das Wort des Herrn laufe.“ Also keine vorschnelle Resignation. Es hat ja doch alles keinen Zweck. Vielmehr die Einsicht: Zu unserem Engagement gehört auch das Gebet. Beten, das ist keine geistliche Zutat. Beten ist eine Form, um uns in dieser Welt zu engagieren.

Der Grüne Gockel bildet hier keine Ausnahme. Zum einen gehört da unglaublich viel an Arbeit dazu. Ich habe das selber bei einem anderen Projekt von A bis Z mit begleitet. Es ist ein unendlich lohnendes Engagement. Aber unser Auftrag, uns für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen, ist nicht nur eine Aufforderung zu konkreten praktischen Schritten. Es ist auch eine Aufforderung, unser Denken zu ändern. Und unser Handeln mit unserem Glauben zu verbinden. Zum Grünen Gockel gehört auch das Gebet. Sie als Gemeinde hier in Malsch haben das wohl auch so gesehen. Deshalb feiern sie heute auch diesen Gottesdienst. Und gestalten nicht einfach einen Akt der Übergabe im Gemeindesaal.

Zwei geistliche Ratschläge schließt der Predigttext an. Eine will ich ihnen ausdrücklich weitergeben. Vor der anderen will ich sie warnen. Zunächst der empfehlenswerte Ratschlag: Wir brauchen die Liebe Gottes und die Geduld Christi. Liebe, das ist das überzeugte Festhalten an einer Sache. Liebe, das ist die Gewissheit, dass es Dinge gibt im Leben, die sich nicht einfach rechnen. Aber zu denen ich keine Alternative habe. Liebe, das ist grundloses Vertrauen. Aber zu dieser Liebe gehört auch Geduld. Der Satz „Ich will alles und zwar sofort!“ – das ist der Tod der Liebe. Die Liebe kann warten. Nichts ist so geduldig wie die Liebe. Mit dieser Einsicht will der Briefschreiber seine Gemeinde trösten. Stärken. Und vergewissern.

Der zweite Ratschlag, der, vor dem ich sie warnen möchte, lautet: Haltet euch fern von denen, die nicht nach eurer Lehre leben. Die also nicht so denken wie ihr. Paulus, da bin ich sicher, Paulus hätte diesen Satz nie und nimmer geschrieben. Sein geistliches Prinzip hat gelautet: „Den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche.

„Ich bin allen alles geworden!“, schreibt er einmal in einem seiner Briefe. Das heißt doch: Zieht euch gerade nicht von denen zurück, die anders denken wir ihr denkt. Versucht sie zu überzeugen mit guten Argumenten! Versucht sie zu gewinnen mit eurem glaubwürdigen Handeln! Vor allem aber: Respektiert ihr anders Sein und ihr anders Denken.

Die Nähe zu denen, die denken wie ich denke – sie kann mich stärken und sie tut mir gut. Die Nähe zu denen, die anders sind, vergewissert mich in dem, wovon ich überzeugt bin. Oder sie bringt mich dadurch weiter, dass sie mich in meinen scheinbar unumstößlichen Überzeugungen erschüttert. Heilsam erschüttert.

Zum Grünen Gockel gehört also auch der Grüne Mund, der mich gesprächsfähig hält für andere. Was am Ende daraus wird, das mag ein anderer entscheiden. Das ist in Gottes Händen gut aufgehoben. Oder um es mit den Worten des Predigttext-Briefes zu sagen: „Gott ist treu! Der wird euch bewahren vor allem Bösen!“ Und hier will ich gewiss nicht widersprechen. Sondern sie ermutigen, dies genau so zu sehen. Und genauso so zu glauben. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.