PREDIGT ÜBER MICHA 4,1-5
ÖKUMENISCHER GOTTESDIENST ZUR ERINNERUNG AN DEN BEGINN DES GROSSEN KRIEGES IM RAHMEN DER PARTNERSCHAFT MALSCH – SÉZANNE
AM MITTWOCH, DEN 19. MÄRZ 2014 IN DER KIRCHE ST. CYRIAK IN MALSCH
19.03.2014
Liebe Gemeinde!
„Man übt nicht mehr für den Krieg!“ So haben wir es eben in der Lesung aus Micha 4 gehört. Dass man nicht mehr für den Krieg übt - zwischen Deutschland und Frankreich ist dieser Wunsch Wirklichkeit geworden – Gottseidank! Und das schon über Jahrzehnte. Das ist allemal Grund, dankbar zu sein.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich. Bei den allermeisten ist es eine indirekte Erinnerung. Zeitzeugen müssten mehr als hundert Jahre alt sein. Und das Erinnern wäre meist müde und schwer. Meine Erinnerung an den Großen Krieg speist sich aus den Berichten von Zeitzeugen. Dem Erzählen meines einen Großvaters. Und dem Kriegstagebuch des anderen. Von letzterem kenne ich nur sein Tagebuch. Ihn selber habe ich nie kennengelernt. Das Tagebuch der Jahre 1914 bis 1918 ist neben Einträgern voll von Gedichten. Und nicht wenige davon schließen mit der festen Überzeugung. Wir werden siegen! Was für eine betrogene, irre geleitete Generation.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich. Zwei Gemeinden erinnern sich, wie Menschen für den Krieg nicht nur geübt haben. Nein – sie erinnern sich daran, wie der Krieg zwischen ihren beiden Ländern zur schmerzlichen Realität gehört hat. Vor 100 Jahren. Und über Jahrhunderte davor. Aber auch noch vor 75 Jahren, als der zweite Weltkrieg begonnen hat.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich. Sie erinnern sich in diesen Tagen besonders an die Zeit vor 100 Jahren. Zwei Gemeinden, die damals noch gar nichts miteinander zu tun gehabt haben. Schließlich wurde die Partnerschaft erst im Jahre 1967 geschlossen. Was für ein Segen, dass es solche Partnerschaften gibt. Und Menschen, die sie mit großem Einsatz am Leben halten.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich, wie es war vor 100 Jahren. Das ist allein schon ein Grund zur Dankbarkeit. Und zum Aufatmen. Dass sich zwei Gemeinden dieses Erinnern zur Aufgabe machen, ist im Grund einem geographischen Zufall geschuldet. Dem Zufall, dass eine der beiden Gemeinden, Sézanne, genau in jener Landschaft liegt, wo sich die großen schweren Kämpfe im September des ersten Jahres des Großen Krieges zugetragen haben.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich. Sie tun dies weder aus Nostalgie noch aus der Sehnsucht nach alten, längst vergangenen Tagen. Sie tun dies in der Übernahme von Verantwortung. Ohne Erinnerung, ohne den Blick zurück, bleibt alle Zukunft unvollendet. Ohne Erinnerung bleiben Opfer und Täter ewig bei ihrem So-Sein, bei ihrer Rolle behaftet. Ohne Erinnerung wäre schon vor 50 Jahren der Neuanfang auch zwischen Deutschland und Frankreich im Elysee-Vertrag nicht möglich gewesen.
Mit ihrem Erinnern geben sich dem Zufall ihrer Verbindung in ihrer Gemeindepartnerschaft einen Sinn. Mit ihrer Ausstellung geben sie vielen beinahe schon namenlos Gewordenen im Erinnern wieder ein Gesicht. Auch mit diesem Gottesdienst erinnern sie sich. Und sie tun das im Bewusstsein, dass menschliches Handeln sich abspielt im Raum zwischen Schuldigwerden und Vergeben. Dass es sich allemal abspielt im Angesicht Gottes. Und dass nur so ein Neuanfang möglich war. Und möglich ist.
Dass ein Neuanfang möglich ist, das ist die kühnste Hoffnung aller Menschen – seit allem Anfang. Dass ein Neuanfang möglich ist, davon handelt auch die kühne Zukunftshoffnung des Propheten Micha aus dem 8. Jahrhundert vor Christus. Wir haben sie als Lesung gehört. Es ist zugleich die die Hoffnung seines noch weit berühmteren Zeitgenossen, des Propheten Jesaja. Denn dieser vermittelt diese Hoffnung mit eben denselben Worten.
So groß die Hoffnung damals war, so klein war der Glaube, sie ließe sich einlösen. „Am Ende der Tage“ erst würde geschehen, wovon Micha und Jesaja träumen. Die Völker machen sich auf den Weg. Aber sie ziehen nicht in den Krieg. Sie ziehen zum Haus Gottes. Sie ziehen nicht aus, um zu lernen, wie man Krieg führt. Sie ziehen, um von Gott zu lernen. Gott wird den Menschen zu ihrem Recht verhelfen. Gott wird Orientierung geben. Gott wird seiner Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Nicht irgendwann bald. Nein, am Ende der Tage. Zu klein ist der Glaube, dies könnte schon bald geschehen.
Das Bild dieser fernen und so ganz anderen Zukunft ist konkret. Und längst auch zum wirkmächtigen Bild der Gegenwart geworden. Lanzen werden umgeschmiedet zu Winzermessern. Schwerter werden umgeschmiedet zu Pflugscharen. „Schwerter zu Pflugscharen“! Allein schon mit diesem Motto ist es gelungen, ein Regime in Unruhe zu stürzen. Und es am Ende dann auch vom Sockel der Macht zu stoßen.
„Schwerter zu Pflugscharen!“ Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wird dieser biblische Satz zum Slogan der Friedensbewegung in der ehemaligen DDR. Als Aufkleber auf Taschen, aufgenäht auf Jacken entfaltet er eine Wirkung, die den Mächtigen ihre Sicherheit raubt. Sie bekommen diesen Satz nicht unter Kontrolle. Er breitet sich aus auch im Westen. Und er wird zum Hoffnungszeichen – nicht erst zur Hoffnung auf das Ende der Tage, sondern zum Neubeginn – mitten im Alten! Mitten im Hier und jetzt.
Manchmal sind unsere Hoffnungen zu zögerlich und zu klein. Manchmal ist unser Glaube zu ängstlich. Wenn wir die Neuwerdung der Welt erst am Ende der Tage erwarten, bleibt für die Gegenwart doch kaum etwas zu hoffen übrig. Der Wandel, von dem diejenigen geträumt haben, die sich Schwerter zu Pflugscharen als Motto ausgewählt haben, er hat die Wirklichkeit schon in der Gegenwart verändert.
Der neue Anfang zwischen den Menschen in Deutschland und Frankreich – er hat zu einem Miteinander, einer Völkerfreundschaft geführt, von der unsere Vorfahren nicht einmal zu träumen gewagt haben. Das Ende der Tage – es beginnt also mitten in unserem Leben. Und wir alle sind mit einem Mal Zeitgenosse und Zeitgenossin.
Die beiden Propheten des 8.Jahrhunderts vor Christus - sie können sich diese radikale Neuwerdung nicht anders vorstellen, als dass Gott mit ihm Spiel ist. Für sie ist der heilige Berg Jerusalems, der Zion, der Zielpunkt ihrer Friedensgedanken. Heute hat der Zion diese Friedenssehnsucht selber nötiger als die meisten Regionen dieser Welt. Nach wie vor ist der Status von Jerusalem einer der großen Streitpunkte auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten.
Doch der Ort, um den sich alle streiten – hier wird er zum Kristallisationspunkt der Hoffnung auf Frieden. Die Menschen machen sich dorthin auf den Weg. Sie suchen Worte, die Richtung geben und Sinn stiften. Sie suchen nach Recht in einer Welt, in der sich so vieles um den eigenen Vorteil dreht. Sie träumen davon, ruhig und entspannt unterm Feigenbaum zu sitzen. Vorsorge für die eigene Sicherheit, Arbeit, um genug zu haben – sie scheinen dann nicht mehr nötig.
Am Ende der Zeit erst können wir darauf hoffen – vielleicht in der Fülle der Sehnsucht nach Gottes neuer Welt. Doch im Kleinen ist diese neue Welt längst unter uns im Wachsen begriffen. Und Orte, an denen wir spüren: Gottes große Zukunft ist schon im Werden – wir finden sie immer neu unter uns. Wir müssen sie nur wachsam wahrnehmen.
Hundert Jahre sind vergangen, seit der Große Krieg soviel an Hoffnung nutzlos verschleudert und verbrannt hat. Hundert Jahre, seit ein kleiner Anfang - das Attentat auf den Thronfolger - am Ende die halbe Welt in einen grausamen Krieg gestürzt hat.
In diesen Tagen sind wir Zeuginnen und Zeugen, wie wenig wir eigentlich dazu gelernt haben. Politisches Unrecht, wie der Versuch, die Krim aus der Ukraine herauszulösen, hat längst eine Spirale der Eskalation in Gang gesetzt. Diplomatie scheint von gestern, wenn der andere nicht mitmacht. Macht stößt auf Gegenmacht. Die Szenarien der Drohung sind aufgestellt. Die Dynamik der Sanktionen nimmt – so scheint es – unaufhaltsam ihren Lauf.
So oder so ähnlich haben Entwicklungen angefangen, die sich am Ende nicht mehr steuern ließen. Ein ums andere Mal. Militärische Versuche, dem guten Recht zum Durchbruch zu verhelfen – mehr als einmal waren am Ende Wahrheit und Recht auf allen Seiten die ersten Verlierer. Nein, die Welt ist nicht schwarz-weiß. Und der Friede muss gewagt werden. Erzwingen lässt er sich nicht. Weder mit Sanktionen. Noch mit Bataillonen. Und wieder einmal wünsche ich mir, Micha, der Prophet behielte Recht. Und wir würden wirklich aufhören, für den Krieg zu üben.
Der Text des Micha scheut die mutige Analyse nicht. „Denn alle Völker gehen ihren Weg“ so hören wir. „Jedes Volk ruft den Namen seines Gottes an; wir aber gehen unseren Weg im Namen unseres Gottes!“ Die Götter, die die Menschen anrufen haben unterschiedliche Namen. Sie heißen Einfluss und Macht. Sie heißen Rohstoffe und Märkte. Sie heißen freier Zugang zum Mittelmeer und Vorrang für die Menschen der eigenen Nation.
„Wir aber setzen unsere Schritte im Namen im Namen unseres Gottes.“ Wenn unser Gott sich mit Kleinglauben zufrieden gäbe, wäre die alte Feindschaft nie zerbrochen. Wenn unser Gott uns Vergeltung verordnete – als Menschen in Malsch und Sézanne würden sie diesen gemeinsamen Weg nie gegangen sein. Wenn es unserem Gott mehr ums Recht haben ginge als darum, das Recht zu wahren – nie wäre sein Rat gewesen, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden.
Mit Pflugscharen kann sich niemand verteidigen. Pflugscharen dienen am Ende der guten Ernte. Eigene Überlegenheit sichern sie nicht.
Ich bin gespannt, was uns die Ausstellung gleich vor Augen führt. Nicht zuletzt werden es Belege der Welt der kleinen Leute sein. Gegenstände und Momentaufnahmen aus der Welt der Menschen, die leben wollten unter ihren Feigenbäumen – um noch einmal das Bild des Textes aufzunehmen. Menschen, die zugleich verführt wurden, dem Götzen der Macht zu opfern, der ihnen einflüstert: Wir werden siegen!
Mögen die Tage des Erinnerns Wege weisen, es mit dem Propheten Micha zu halten. Am Ende der Lesung haben wir gehört, wie Neues beginnen kann und Frieden möglich wird - mitten im Alten. Dort, wo es heißt: „Wir aber gehen unseren Weg im Namen unseres Gottes, für immer und ewig.“ Auf diesem Weg haben wir Zukunft. Für 100 Jahre. Und für alle Zeit, die Gott diesem Planeten und der Menschheit noch schenkt. Amen.
„Man übt nicht mehr für den Krieg!“ So haben wir es eben in der Lesung aus Micha 4 gehört. Dass man nicht mehr für den Krieg übt - zwischen Deutschland und Frankreich ist dieser Wunsch Wirklichkeit geworden – Gottseidank! Und das schon über Jahrzehnte. Das ist allemal Grund, dankbar zu sein.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich. Bei den allermeisten ist es eine indirekte Erinnerung. Zeitzeugen müssten mehr als hundert Jahre alt sein. Und das Erinnern wäre meist müde und schwer. Meine Erinnerung an den Großen Krieg speist sich aus den Berichten von Zeitzeugen. Dem Erzählen meines einen Großvaters. Und dem Kriegstagebuch des anderen. Von letzterem kenne ich nur sein Tagebuch. Ihn selber habe ich nie kennengelernt. Das Tagebuch der Jahre 1914 bis 1918 ist neben Einträgern voll von Gedichten. Und nicht wenige davon schließen mit der festen Überzeugung. Wir werden siegen! Was für eine betrogene, irre geleitete Generation.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich. Zwei Gemeinden erinnern sich, wie Menschen für den Krieg nicht nur geübt haben. Nein – sie erinnern sich daran, wie der Krieg zwischen ihren beiden Ländern zur schmerzlichen Realität gehört hat. Vor 100 Jahren. Und über Jahrhunderte davor. Aber auch noch vor 75 Jahren, als der zweite Weltkrieg begonnen hat.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich. Sie erinnern sich in diesen Tagen besonders an die Zeit vor 100 Jahren. Zwei Gemeinden, die damals noch gar nichts miteinander zu tun gehabt haben. Schließlich wurde die Partnerschaft erst im Jahre 1967 geschlossen. Was für ein Segen, dass es solche Partnerschaften gibt. Und Menschen, die sie mit großem Einsatz am Leben halten.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich, wie es war vor 100 Jahren. Das ist allein schon ein Grund zur Dankbarkeit. Und zum Aufatmen. Dass sich zwei Gemeinden dieses Erinnern zur Aufgabe machen, ist im Grund einem geographischen Zufall geschuldet. Dem Zufall, dass eine der beiden Gemeinden, Sézanne, genau in jener Landschaft liegt, wo sich die großen schweren Kämpfe im September des ersten Jahres des Großen Krieges zugetragen haben.
Zwei Gemeinden, Malsch und Sézanne, erinnern sich. Sie tun dies weder aus Nostalgie noch aus der Sehnsucht nach alten, längst vergangenen Tagen. Sie tun dies in der Übernahme von Verantwortung. Ohne Erinnerung, ohne den Blick zurück, bleibt alle Zukunft unvollendet. Ohne Erinnerung bleiben Opfer und Täter ewig bei ihrem So-Sein, bei ihrer Rolle behaftet. Ohne Erinnerung wäre schon vor 50 Jahren der Neuanfang auch zwischen Deutschland und Frankreich im Elysee-Vertrag nicht möglich gewesen.
Mit ihrem Erinnern geben sich dem Zufall ihrer Verbindung in ihrer Gemeindepartnerschaft einen Sinn. Mit ihrer Ausstellung geben sie vielen beinahe schon namenlos Gewordenen im Erinnern wieder ein Gesicht. Auch mit diesem Gottesdienst erinnern sie sich. Und sie tun das im Bewusstsein, dass menschliches Handeln sich abspielt im Raum zwischen Schuldigwerden und Vergeben. Dass es sich allemal abspielt im Angesicht Gottes. Und dass nur so ein Neuanfang möglich war. Und möglich ist.
Dass ein Neuanfang möglich ist, das ist die kühnste Hoffnung aller Menschen – seit allem Anfang. Dass ein Neuanfang möglich ist, davon handelt auch die kühne Zukunftshoffnung des Propheten Micha aus dem 8. Jahrhundert vor Christus. Wir haben sie als Lesung gehört. Es ist zugleich die die Hoffnung seines noch weit berühmteren Zeitgenossen, des Propheten Jesaja. Denn dieser vermittelt diese Hoffnung mit eben denselben Worten.
So groß die Hoffnung damals war, so klein war der Glaube, sie ließe sich einlösen. „Am Ende der Tage“ erst würde geschehen, wovon Micha und Jesaja träumen. Die Völker machen sich auf den Weg. Aber sie ziehen nicht in den Krieg. Sie ziehen zum Haus Gottes. Sie ziehen nicht aus, um zu lernen, wie man Krieg führt. Sie ziehen, um von Gott zu lernen. Gott wird den Menschen zu ihrem Recht verhelfen. Gott wird Orientierung geben. Gott wird seiner Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Nicht irgendwann bald. Nein, am Ende der Tage. Zu klein ist der Glaube, dies könnte schon bald geschehen.
Das Bild dieser fernen und so ganz anderen Zukunft ist konkret. Und längst auch zum wirkmächtigen Bild der Gegenwart geworden. Lanzen werden umgeschmiedet zu Winzermessern. Schwerter werden umgeschmiedet zu Pflugscharen. „Schwerter zu Pflugscharen“! Allein schon mit diesem Motto ist es gelungen, ein Regime in Unruhe zu stürzen. Und es am Ende dann auch vom Sockel der Macht zu stoßen.
„Schwerter zu Pflugscharen!“ Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wird dieser biblische Satz zum Slogan der Friedensbewegung in der ehemaligen DDR. Als Aufkleber auf Taschen, aufgenäht auf Jacken entfaltet er eine Wirkung, die den Mächtigen ihre Sicherheit raubt. Sie bekommen diesen Satz nicht unter Kontrolle. Er breitet sich aus auch im Westen. Und er wird zum Hoffnungszeichen – nicht erst zur Hoffnung auf das Ende der Tage, sondern zum Neubeginn – mitten im Alten! Mitten im Hier und jetzt.
Manchmal sind unsere Hoffnungen zu zögerlich und zu klein. Manchmal ist unser Glaube zu ängstlich. Wenn wir die Neuwerdung der Welt erst am Ende der Tage erwarten, bleibt für die Gegenwart doch kaum etwas zu hoffen übrig. Der Wandel, von dem diejenigen geträumt haben, die sich Schwerter zu Pflugscharen als Motto ausgewählt haben, er hat die Wirklichkeit schon in der Gegenwart verändert.
Der neue Anfang zwischen den Menschen in Deutschland und Frankreich – er hat zu einem Miteinander, einer Völkerfreundschaft geführt, von der unsere Vorfahren nicht einmal zu träumen gewagt haben. Das Ende der Tage – es beginnt also mitten in unserem Leben. Und wir alle sind mit einem Mal Zeitgenosse und Zeitgenossin.
Die beiden Propheten des 8.Jahrhunderts vor Christus - sie können sich diese radikale Neuwerdung nicht anders vorstellen, als dass Gott mit ihm Spiel ist. Für sie ist der heilige Berg Jerusalems, der Zion, der Zielpunkt ihrer Friedensgedanken. Heute hat der Zion diese Friedenssehnsucht selber nötiger als die meisten Regionen dieser Welt. Nach wie vor ist der Status von Jerusalem einer der großen Streitpunkte auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten.
Doch der Ort, um den sich alle streiten – hier wird er zum Kristallisationspunkt der Hoffnung auf Frieden. Die Menschen machen sich dorthin auf den Weg. Sie suchen Worte, die Richtung geben und Sinn stiften. Sie suchen nach Recht in einer Welt, in der sich so vieles um den eigenen Vorteil dreht. Sie träumen davon, ruhig und entspannt unterm Feigenbaum zu sitzen. Vorsorge für die eigene Sicherheit, Arbeit, um genug zu haben – sie scheinen dann nicht mehr nötig.
Am Ende der Zeit erst können wir darauf hoffen – vielleicht in der Fülle der Sehnsucht nach Gottes neuer Welt. Doch im Kleinen ist diese neue Welt längst unter uns im Wachsen begriffen. Und Orte, an denen wir spüren: Gottes große Zukunft ist schon im Werden – wir finden sie immer neu unter uns. Wir müssen sie nur wachsam wahrnehmen.
Hundert Jahre sind vergangen, seit der Große Krieg soviel an Hoffnung nutzlos verschleudert und verbrannt hat. Hundert Jahre, seit ein kleiner Anfang - das Attentat auf den Thronfolger - am Ende die halbe Welt in einen grausamen Krieg gestürzt hat.
In diesen Tagen sind wir Zeuginnen und Zeugen, wie wenig wir eigentlich dazu gelernt haben. Politisches Unrecht, wie der Versuch, die Krim aus der Ukraine herauszulösen, hat längst eine Spirale der Eskalation in Gang gesetzt. Diplomatie scheint von gestern, wenn der andere nicht mitmacht. Macht stößt auf Gegenmacht. Die Szenarien der Drohung sind aufgestellt. Die Dynamik der Sanktionen nimmt – so scheint es – unaufhaltsam ihren Lauf.
So oder so ähnlich haben Entwicklungen angefangen, die sich am Ende nicht mehr steuern ließen. Ein ums andere Mal. Militärische Versuche, dem guten Recht zum Durchbruch zu verhelfen – mehr als einmal waren am Ende Wahrheit und Recht auf allen Seiten die ersten Verlierer. Nein, die Welt ist nicht schwarz-weiß. Und der Friede muss gewagt werden. Erzwingen lässt er sich nicht. Weder mit Sanktionen. Noch mit Bataillonen. Und wieder einmal wünsche ich mir, Micha, der Prophet behielte Recht. Und wir würden wirklich aufhören, für den Krieg zu üben.
Der Text des Micha scheut die mutige Analyse nicht. „Denn alle Völker gehen ihren Weg“ so hören wir. „Jedes Volk ruft den Namen seines Gottes an; wir aber gehen unseren Weg im Namen unseres Gottes!“ Die Götter, die die Menschen anrufen haben unterschiedliche Namen. Sie heißen Einfluss und Macht. Sie heißen Rohstoffe und Märkte. Sie heißen freier Zugang zum Mittelmeer und Vorrang für die Menschen der eigenen Nation.
„Wir aber setzen unsere Schritte im Namen im Namen unseres Gottes.“ Wenn unser Gott sich mit Kleinglauben zufrieden gäbe, wäre die alte Feindschaft nie zerbrochen. Wenn unser Gott uns Vergeltung verordnete – als Menschen in Malsch und Sézanne würden sie diesen gemeinsamen Weg nie gegangen sein. Wenn es unserem Gott mehr ums Recht haben ginge als darum, das Recht zu wahren – nie wäre sein Rat gewesen, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden.
Mit Pflugscharen kann sich niemand verteidigen. Pflugscharen dienen am Ende der guten Ernte. Eigene Überlegenheit sichern sie nicht.
Ich bin gespannt, was uns die Ausstellung gleich vor Augen führt. Nicht zuletzt werden es Belege der Welt der kleinen Leute sein. Gegenstände und Momentaufnahmen aus der Welt der Menschen, die leben wollten unter ihren Feigenbäumen – um noch einmal das Bild des Textes aufzunehmen. Menschen, die zugleich verführt wurden, dem Götzen der Macht zu opfern, der ihnen einflüstert: Wir werden siegen!
Mögen die Tage des Erinnerns Wege weisen, es mit dem Propheten Micha zu halten. Am Ende der Lesung haben wir gehört, wie Neues beginnen kann und Frieden möglich wird - mitten im Alten. Dort, wo es heißt: „Wir aber gehen unseren Weg im Namen unseres Gottes, für immer und ewig.“ Auf diesem Weg haben wir Zukunft. Für 100 Jahre. Und für alle Zeit, die Gott diesem Planeten und der Menschheit noch schenkt. Amen.