„GOTT WIRD NICHT WOHNUNGSLOS IN DER NORDWESTSTADT“
ANSPRACHE IM GOTTESDIENSTMIT ENTWIDMUNG DER PETRUSKIRCHE
AM SONNTAG, DEN 14. SEPTEMBER 2014 (13.S.N.TR.) IN KARLSRUHE

14.09.2014
Bevor es Kirchen gab, war schon Kirche. Und wenn es keine Kirchen mehr gäbe, wird immer noch Kirche sein.

Manchmal liegen Anspruch und Wirklichkeit doch weit auseinander, liebe Gemeinde! Auch beim Blick auf die Bedeutung eines Kirchengebäudes. Spätestens an einem Tag wie dem heutigen wird dies klar.

Da mögen wir Protestantinnen und Protestanten – theologisch richtig - ein ums andere Mal behaupten, die ganze Welt sei doch heilig und ein Ort Gottes. Da mögen wir darauf abheben, dass jeder Ort zu einem Ort der Gottesbegegnung werden kann. Da mögen wir, wie’s weithin leider immer noch Brauch ist, unsere evangelischen Kirchen tagsüber verschlossen halten, weil wir doch keine heiligen Orte weihen. Und keine nötig haben.

Da mögen wir uns zu der Aussage hinreißen lassen, wir Evangelischen täten uns deshalb leichter, auch einmal ein Kirchengebäude aufzugeben – wenn’s zum Schwur kommt, merken wir, dass das alles scheinbar theologisch korrekt gesagt sein mag, aber dass es nicht stimmt. Und dass es dann auch theologisch nicht stimmen kann.

Kirchen sind ausgegrenzte, besondere Orte. Orte, zu denen wir eine herausgehobene, manchmal einzigartige Beziehung aufbauen. Kirche sind Orte, mit denen wir Ereignisse verbinden, die sich eingegraben haben in unsere Lebensgeschichte. Taufe, Konfirmation, Hochzeit, manchmal auch ein Abschiedsgottesdienst, auch wenn wir da meist auf den Friedhof gehen.

Kirchen sind Orte, die öffentlich sichtbar die Möglichkeit der Gottesbegegnung repräsentieren. Orte, die nicht geprägt sind von Schreibtisch, Werkbank und PC. Kennzeichen der Kirche sind Kanzel und Altar, Abendmahlkelch und Taufschale.

Kirche sind nicht einfach per se heilig. Und sie mögen zunächst auch nicht heiliger sein als andere Gebäude einer Stadt. Aber sie sind uns heilig, besser noch: Sie werden uns heilig durch das, was wir mit ihnen verbinden. Durch die Art und Weise, in der sie uns den Blick in den Himmel ermöglichen. Durch die Worte, die anders klingen als das, was wir jeden Tag und überall hören. Durch die Töne, die ganz tief in unser Herz eindringen und uns jedes Menschen nach Hause gehen lassen, die nicht mehr die alten sind.

So profan und weltlich wir von unseren Kirche denken mögen – mit einem Mal wird eine Kirche dann doch zu einem Gotteshaus. Und ist von den anderen Häusern um sie herum deutlich unterschieden.

Ein solches Haus gibt niemand gerne her. Ein solche Haus gibt niemand gerne dran. Ein solches Haus gibt niemand gerne auf. Das ist auch mit dieser Petruskirche nicht anders. Und auch nicht mit der Jakobuskirche. Ausdrücklich sei dies gesagt auch zum Schutz derer, die sich diesem Vorwurf ausgesetzt sehen oder ausgesetzt gesehen haben.

Doch der Ist-Stand der Kirchen ist nie ein für alle mal eingefroren. Ein für alle Mal festgelegt. Am Anfang der Geschichte der Kirche gab’s nur Hauskirchen. Kirche fand statt und Kirche fand Heimat in den Häusern derer, die zu ihr gehörten. Bevor es Kirchen gab, war schon Kirche. Und wenn es keine Kirchen mehr gäbe, wird immer noch Kirche sein.

Immer mehr Kirchen kamen im Lauf der Jahrhunderte hinzu. Und immer andere, größere Kirchen. Kleine Kapellen stehen mir vor Augen. Und große Kathedralen. An den über 1000 Jahre alte St. Michaelis-Dom in Hildesheim denke ich. Oder an die Münsterbauten in Freiburg oder Straßburg. Barackenkirchen nach dem zweiten Weltkrieg kommen mir in den Sinn. Aber auch Wellblechkirchen in Afrika und Asien.

Und gerade in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat der Kirchbau einen großen Aufschwung genommen. Gemeinden wachsen und werden geteilt. Und eine neue Kirche gebaut. Wie hier bei ihnen. Und wenn die abgetrennte Gemeinde wieder zu groß war, wird wieder geteilt. Und wieder eine neuen Kirche gebaut. Die jüngste Kirche in unserer Landeskirche, Maria Magdalena in Freiburg, hat gerade ihren zehnten Geburtstag gefeiert.

Aber durch die ganze Geschichte der Kirche hindurch, gab es immer auch Kirchen, die dieses Status aufgegeben haben. Weil sie umgewidmet wurden. Weil man genügend andere Kirchen hatte – wie etwa nach dem Zusammenschluss von Lutheranern und Reformierten im Jahre 1821 in Baden. Kirchen wurden und werden aufgegeben, weil nicht mehr genügend Menschen da sind, die in dieser Kirche Gottesdienst feiern wollen. Kirchen werden aufgegeben, weil Gemeinden sich diese Kirche nicht mehr leisten können. Neuerdings kommt es in manchen Teilen der Welt – Gott sei’s geklagt – auch wieder in schreckliche Mode, Kirchen anzuzünden. In der Hoffnung, so auch die Kirche aus der Welt zu schaffen.

Kirche und Kirchengebäude – sie hängen auf’s Engste miteinander zusammen. Kein Wunder, dass im Neuen Testament für die Kirche gerne das Bild eines Baus verwendet wird. Kein Wunder, dass auch bei der Grundsteinlegung dieser Petrus-Kirche dieses Bild des Baus in Erinnerung gerufen wird.

Und darum verwundert es auch nicht, dass diese enge Beziehung zwischen Kirche und Kirchengebäude auch in umgekehrter Richtung Sinn macht. Wir gehen in ein Kirchengebäude. Und sagen doch: Wir gehen in die Kirche. Weil jedes Kirchgengebäude eben auch ein steingewordenes Sinnbild der Kirche Jesu Christi ist.

Wenn es Gründe gibt, eine Kirche von ihrer Funktion zu entwidmen, wenn es Gründe gibt, eine Kirche aufzugeben, dann kann diese nicht geräuschlos vor sich gehen. Geräuschlos ginge es nur dann, wenn eine Gemeinde keine Anzeichen von Leben mehr in sich trüge. Wenn eine Kirche aufgegeben wird, muss es Zeichen der Trauer geben. Und Zeichen des Nichtverstehens und der Enttäuschung dazu.

Wenn eine Kirche entwidmet wird, dann kann dies – dann darf dies aber niemals das Ende der Fahnenstange unserer Hoffnungen sein. Bevor es Kirchen gab, war schon Kirche. Und wenn es keine Kirchen mehr gäbe, wird immer noch Kirche sein.

Nicht alles, was Menschen enttäuscht, nicht alles, was Menschen traurig sein lässt, ist deshalb schon von vornherein falsch. Leben ist immer Leben mit Kurskorrekturen. Leben ist immer Leben mit Veränderung. Mit selbst gewählter und fremdbestimmter. Mit klarer Kenntnis dessen, was vor uns liegt. Und mit Aufbrüchen in weithin noch unbekanntes Land.

Es sind doch eher günstige Aussichten, wenn der Neubau einer Kirche die alten Gebäude ersetzt. Dass dies hier so ist, ist auch ein Grund zur Dankbarkeit. Gott wird nicht wohnungslos in der Karlsruher Nordweststadt. Gott gibt seinen Wohnsitz hier vor Ort nicht auf. Nicht einmal dann würde er ihn aufgeben, wenn es hier gar keine Kirche mehr gäbe. Denn bevor es Kirchen gab, war schon Kirche. Und wenn es keine Kirchen mehr gäbe, wird immer noch Kirche sein.

Kein noch so prächtiger Kirchenbau – nicht diese Petruskirche und auch nicht das neue Petrus-Jakobus-Kirchenzentrum – kein Gebäude kann außer Kraft setzen, was Paulus die Korinther damals hat wissen lassen. Und was auch heute für sie alle hier gilt: Der Tempel Gottes – der seid ihr! Zusammengefügt zum Haus Gottes aus lebendigen Steinen. Raum gebend denen, die nach dem fragen, was diesen Bau zusammenhält. Der Tempel Gottes, der seid ihr!

Gut, wenn es Häuser und Kirchen gibt, die zum Abbild werden dieses Haus des Glaubens, das ihr seid. Dieses Hauses der Hoffnung, die andere ansteckt. Und dieses Hauses der Liebe, in dem Menschen zurechtgebracht und neu werden.

Traurig vielleicht und verletzt, aber zugleich doch dankbar lasst uns Abschied nehmen von dieser Petruskirche. Und voller Hoffnung darauf zugehen, dass Neues im Wachsen und Entstehen ist. Und sie in nicht allzu ferner Zukunft eine neue Kirche einweihen können.

Nein, Gott wird nicht heimatlos werden in dieser Nordweststadt. Und nicht heimatlos in dieser Welt. Denn bevor es Kirchen gab, war schon Kirche. Und wenn es keine Kirchen mehr gäbe, wird immer noch Kirche sein. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.