PREDIGT ÜBER JOHANNES 12,20-26
SONNTAG, DEN 15. MÄRZ 2015 (LÄTARE)
STIFTSKIRCHE MOSBACH

15.03.2015
Liebe Gemeinde!

Es war damals gar nicht so anders als heute. Es gab Menschen genug, die keineswegs ihr ganzes Leben nur auf der eigenen Scholle zugebracht haben. Unzählige Menschen waren unterwegs, oft über Monate oder Jahre. Beschwerlich zu Fuß. Oder gefährlich mit dem Schiff. Paulus etwa, der große Theologe aus der Anfangszeit der Kirche – ihn können wir in Kleinasien treffen, der heutigen Türkei. Dann in Damaskus oder Jerusalem. Später auch in Griechenland und in Rom. Und selbst Spanien nennt er als Reiseziel.

Aus Griechenland haben sich Menschen aufgemacht, um im Tempel von Jerusalem zu beten. Davon wird gleich im heutigen Predigttext zu hören sein. Religiöser Tourismus – und das vor 2000 Jahren!

Es war damals gar nicht so anders als heute. Was zählte, das waren heilige Orte und bekannte Persönlichkeiten. Was die Menschen anlockt, auch heute, das sind prominente Orte und prominente Personen.

Ein Konzert irgendeiner Musikgröße irgendwo in Deutschland - von den Rolling Stones über Herbert Grönemeyer zu Helene Fischer – und Tausende machen sich auf den Weg. Der Dalai Lama in der Lüneburger Heide. Und der Platz kann die Menschen nicht fassen. Auch das war vor 2000 Jahren ähnlich. Laubhüttenfest im Tempel in Jerusalem. Der Wunderrabbi Jesus mit seinem Gefolge mitten unter den Pilgern. Das hat auch damals Tausende angelockt. Prominentenkult – darum geht’s auch im Predigttext. Auch das schon vor 2000 Jahren.

Es war damals nicht anders als heute. Wer Zugang haben will zu einem der religiösen Zugpferde, braucht Beziehungen. Ranzukommen auch an diesen Jesus, das geht gar nicht so einfach. Und wie sich Politiker heute etwa an den Netzwerker Roland Berger und seine Agentur wenden, so ähnlich haben es Menschen damals auch schon versucht. Die Netzwerker und die Beziehungslobbyisten – sie steuern den Zugang zu den Mächtigen.

Und auf gleiche Weise wie das gang und gäbe ist, machen sich Neugierige und Sympathisanten an diesen Jesus ran. Wenn wohl auch ohne Erfolg, wie sie gleich hören werden.

Warum es heute also gar nicht so viel anders ist als damals, davon legt der heutige Predigttext Zeugnis ab. Jetzt habe ich sie genügend auf die Folter gespannt. Und darum können sie jetzt hören, wie das damals auch schon zugegangen war. – Ich lese Verse aus Johannes 12 – das ist der erste Teil des heutigen Predigttextes.

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter.

Lobby-Arbeit zugunsten dieser neugierigen, weit her gereisten Griechen ist das, liebe Gemeinde! „Wir wollen Jesus sehen!“, sagen sie zu Philippus, der wohl einen Zugang zu ihm kennt – und vor allem mit einem Kontakt hat, der diesen Zugang vermitteln kann: Andreas. Philippus und Andreas – die Türöffner. Sie schauen, was sich machen lässt.

Es gibt Politiker, die lassen sich in Wahlkampfzeiten dafür bezahlen, dass Menschen sich mit ihnen treffen können. So lassen sich die Kosten wieder einspielen. Jesus spielt dieses Spiel nicht mit. Wundern muss uns das nicht, liebe Gemeinde. Er war schon damals anders. Und findet heute hoffentlich genügend Menschen, die sich dem auch verweigern.

Jesus geht noch einen Schritt weiter. Er spielt dieses Spiel nicht nur nicht mit. Er weist auch den Promi-Status weit von sich. Kein letztes Genießen des Blitzlichtgewitters. Kein Kokettieren mit seinem Selbstverständnis als etwas Besonderes.

Wie Jesus sich tatsächlich selber versteht, davon hören sie jetzt in der Fortsetzung des Predigttextes aus Johannes 12:

Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

Ganz verständlich ist das nicht, was Jesus diesen zwei Türöffnern als Antwort gibt. Kein Zweifel, Jesus deutet hier seine Rolle und seine Zukunft. Aber er tut das mit Worten, bei denen man zweimal hinhören muss. Genauer gesagt mit drei Sätzen, auf die ich jetzt nacheinander einen Blick werfen will.

Zunächst spricht Jesus vom Weizenkorn. Fast poetisch tut er das. Mit einem Bild, das die Menschen verstehen. Es entstammt ihrer alltäglichen Welt. Aber in dem so harmlos daherkommende Bild geht es um Leben und Tod.

Der Vorgang des Säens und des Wachsens – Jesus deutet ihn als Tod und Auferstehung. Wer in die Erde gelegt wird, ist an seinem Ende angelangt. Wir kennen diese Erfahrung vom Gang über den Friedhof. Aber dieses Ende ist kein Garaus. Es ist das Ende der Gegenwart. Aber nicht das Ende der Zukunft. Da steht noch etwas aus. Da steht noch etwas Größeres aus. Genauer noch: Die Zukunft, das entscheidend Neue ist geradezu darauf angewiesen, dass vorher etwas zu Ende geht.

Am Beispiel eines Weizenkorns versucht Jesus das klarzumachen. Das Korn verschwindet in der Erde. Aus und vorbei. Und doch wächst daraus nach einiger Zeit ein Weizen-Halm. Mit einer neuen Ähre, die viele neuen Weizenkörner in sich trägt. 35 Weizenkören trägt eine Ähre im Durchschnitt. Das heißt doch: Das Neue überbietet das Alte! Um ein Vielfaches.

Der zweite Satz spricht nicht mehr in einem Bild. Und er ist in seiner Klarheit ohne Poesie. Nüchtern spricht er vom Leben. Sachlich. Und nicht ohne Zumutung. Wer sein Leben liebt, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt geringachtet, der wird's durchbringen – gegen allen Widerstand.

Einer dieser schroffen Nachfolgesätze Jesu ist das. Wir kennen auch andere: Wer nicht seinen Vater und seine Mutter hasst, der kann nicht mein Jünger sein. Wer erst meint, seine Angelegenheiten noch ordnen zu müssen, kann mir nicht nachfolgen. Und hier eben: Wer sein Leben nicht drangibt, dem bleibt die Fülle des Lebens verschlossen.

Jesus wird das zuallererst selber zu seinem Programm machen. Den eigenen Vorteil zurückstellen – und anderen Möglichkeiten eröffnen. Mit dem eigenen Leben eintreten – für andere. Wer so handelt, dem geht es nicht darum, das Leben zu hassen. Es geht vielmehr um die Einsicht: Unser Leben ist Leben in Beziehung. Und in diesen Beziehungen hängen die Lebensmöglichkeiten zusammen.

Ich kann nie nur mein Leben in den Mittelpunkt rücken. Wenn ich die Beziehungen ausblende, in denen ich lebe, dann kommt mein Lebensgefüge aus der Balance. Wie bei einem Mobile ist das. Wenn ein Teil zu schwer wird oder zu leicht, geht die Balance verloren.

In den vielen Debatten um den Beginn und das Ende des Lebens, die wir derzeit führen, geht es genau darum. Es reicht nicht zu sagen: Ich entscheide für mich. Basta! Ich entscheide immer auch in Beziehung zu anderen Menschen. Und da kann ich manchmal gewinnen, wenn ich darauf verzichten, nur für mich zu entscheiden. Mein Selbstbestimmungsrecht einzufordern.

Das Leben Jesu, sein Eintreten für Kranke und Schwache, sein Tod, aber auch die Erfahrung, dass dieser Tod nicht das Ende ist - – für mich lässt sich das alles am besten verstehen, wenn ich mir dieses Beziehungsgefüge, dieses Lebens-Mobile vorstelle. Jesus gibt sein Leben dran, damit das Leben der anderen in Beziehung bleibt. Kein leichter Gedanke.

Sein Leben dran geben – das beginnt nicht mit dem Tod. Das beginnt damit, dass ich mich nicht absolut setze. Das beginnt damit, dass ich meine Interessen in Beziehung setze zu den Interessen der anderen, die mit mir leben. Das beginnt damit, dass ich anderes Leben zulasse. Ihnen Raum zum Leben gebe.

Es gab und des gibt genügend Menschen, die das können. Gottseidank! Und das sind allemal Menschen, die uns imponieren. Wir müssen nicht nur Albert Schweizer denken, der seine akademische Karriere dran gibt. Und dessen Leben vielfältig Frucht bringt. Auch nicht nur an Dietrich Bonhoeffer, dessen Tod sich demnächst zum 70. Mal jährt. Und der die Wahrung der kirchlichen Überlebensinteressen zurückstellt zugunsten der Hoffnung, dass wahres Menschsein möglich bleibt – egal wie widrig die Lebensbedingungen auch sein mögen.

Viele, viele Ungenannte gibt es, die vieles dran geben, und die vielfache Ernte ermöglichen. Auch wenn sie selber davon oft am wenigsten haben.

All diese Menschen deuten als Person den dritten Satz Jesu: Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. So zu leben, das ist Nachfolge. Nachfolge Jesu. So zu leben, das ist Dienst. Dienst ist auch einer dieser Vokabeln, die heute aus der Mode gekommen sind. Wir sprechen eher von Dienstleistungen.

Zwischen Dienst und Dienstleistung besteht allerdings ein Unterschied. Die Dienstleistung ist eine Ware. Eine Ware, die verkauft wird. Die Dienstleistung kostet Geld. Dienst – im eigentlichen Sinn, zumindest im Sinne des Predigttextes – Dienst ist etwas Uneigennütziges. Dienst – das meint dieses Drangeben des Blicks, der nur mir selber gilt. Dieses mich nicht ständig um mich selber drehen. Dieses Ausbalancieren von Beziehungen. Von Wahrhaftigkeit und berechtigten Interessen.

Jesus legt dieses Programm offen. Gegenüber Philipppus und Andreas, den beiden, die den kontaktsuchenden Griechen den Zugang zu ihm eröffnen wollen. Ob die Begegnung dann tatsächlich stattfindet. Ob diese Worte Jesu eine Zusage sind oder eine Absage, davon erfahren wir nichts.

Wir müssen es auch nicht erfahren. Denn Jesus gibt tatsächlich eine Antwort. Der Weg mit mir in Kontakt zu kommen, das ist der Weg der Nachfolge. Der Weg, zu mir in Kontakt zu kommen, das ist der Weg. dem Leben zu dienen. Und sei’s am Ende dadurch, dass man das eigene Leben dran gibt.

Der Jesus des Johannes-Evangeliums wählt hier einen eigenartigen Begriff. Indem Jesus sich drangibt, wird er verherrlicht. Die anderen Evangelisten sind hier viel zurückhaltender. Nicht ohne Grund. Nicht die Gewalt wird verherrlicht. Und nicht der Tod. Verherrlichen meint hier, im Einklang mit dem Willen Gottes stehen. Eine gefährliche Gratwanderung ist das. Und keine Deutung, der wir vorschnell und vollmundig zustimmen.

Ich frage mich schon, ob die promisüchtigen Religionstouristen das verstanden haben? Weil ich mich frage, ob wir das immer richtig verstehen – ob ich das richtig verstehe, liebe Gemeinde. Wie gut, dass ich nicht allein unterwegs bin auf diesem Weg der Nachfolge. Wie gut, dass wir in Beziehungen leben. Gerade auch der Kirche.

Wer in Beziehung lebt, nimmt Anteil aneinander. Ums rechte Anteilnehmen, darum geht’s auch in einer Bezirksvisitation. Dieser Gottesdienst steht ja am Ende der Bezirksvisitation. Wie alle anderen Gottesdienste im Bezirk auch.

• Visitation meint einen Dienst der rechten Erinnerung. Der Erinnerung an diese klärenden Worte Jesu.
• Visitation meint, einen Dienst der rechten Deutung Der Deutung der Bedeutung der Person Jesu und der Möglichkeiten der Nachfolge unter den Bedingungen der Gegenwart. Auch im Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit
• Visitation meint einen Dienst der rechten Beziehungs-Fürsorge. Gestalten von Beziehung in der rechten Balance. Der Beziehung zwischen der Landeskirche und dem Kirchenbezirk in seinen vielfältigen Gemeinden und Angeboten. Der Beziehungen zwischen den Menschen untereinander. Und der Beziehung zwischen Menschen und Gott.

Darum ist es gut, dass wir mitten in der Passionszeit den Sonntag Laetare feiern. Laetare heißt: Freut euch! Freut euch, dass das Weizenkorn unserer Nachfolge nicht in der Erde verfault und verrottet. Freut euch, dass unser Einsatz Früchte trägt. Freut euch. Und singt. Denn das Größte kommt erst noch. Für Philippus und Andreas. Für die herbeigereisten Griechen. Für uns alle.

Ich bin gespannt, was da noch alles auf uns zukommt. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.