PREDIGT ÜBER DEUTERONOMIUM 5,1-9A
IM RAHMEN DER SOMMERLICHEN PREDIGTREIHE „BILD UND GLAUBE“
IM GOTTESDIENST AM SONNTAG, DEN 6. SEPTEMBER 2015 (14. SONNTAG NACH TRINITATIS)
IN DER HEILIGGEISTKIRCHE IN HEIDELBERG

06.09.2015
1. Du schufst den Menschen, schufst die Welt,
dem Leben gabst du Raum.
Das Anfangsdunkel ward erhellt
durch deinen Schöpfungstraum.

2. Der Mensch, so sprachst du, der sei mir
ein Ebenbild, mir gleich.
So tragen diese Würde wir,
sind in ihr schön und reich.


Liebe Gemeinde!

Wir brauchen neue Bilderstürmer! Bilder habe ich vor Augen, die mir Tag und Nacht nicht aus dem Kopf gehen. Bilder, die mich manchmal fast vom Glauben abfallen lassen. Der abgestellte Transporter in Österreich, irgendwo an einem Straßenrand. Später werden in seinem Laderaum dann 71 Menschen tot geborgen. Die Flüchtlinge vor dem Bahnhof in Budapest, die man sich dort erst vom Leib halten will. Und die dann mit Macht weiter drängen. Und dann das Bild, das um die Welt gegangen ist: Der dreijährige Alan Kurdi aus Kobane, der kleine Kurdenjunge aus Syrien, der tot ans Ufer gespült wurde.

Das sind die Bilder, über die wir reden müssen in diesen Tagen. Und über den Glauben, der den einen durch die Finger rinnt und aus dem die anderen ihre Überlebens-Energie beziehen. Wo ist Gott? frage ich mich angesichts dieser Bilder. Tot ans Ufer gespült. In einem unschuldigen Kind.

Diese Bilder gilt es zu stürmen. Deshalb brauchen wir neue Bilderstürmer! Diesen Bildern gilt es ein Ende zu machen. Vielmehr noch der bösen Realität, die hinter diesen Bildern ihre böse Fratze verbirgt. Um Bilder und Bilderverbote soll’s heute in der Tat gehen. Und um die Bilderstürme, die diesen schrecklichen Bildern den Garaus machen sollen.

Der Geschichte der Religionen, zumindest der monotheistischen - sie ist eine Geschichte der Bilderstürme. Der verhinderten und der tatsächlich durchgeführten. Die biblische Begründung dieser Bilderstürme ist ein Abschnitt des Zehnwortes, der Zehn Gebote. Und damit sind wir schon mitten drin im Thema.

Wir brauchen neue Bilderstürmer! Schließlich haben wir den Predigttext eben als Lesung gehört. Mittendrin der Kernsatz: „Du sollst dir kein Bildnis machen!“ In der Version des Buches Exodus, des zweiten Mosebuches, die sie am vergangenen Sonntag gehört haben, ist das ein eigenes Gebot. Das zweite. Die reformierte Tradition des Protestantismus hat sich dieser Lesart angeschlossen.

Wir finden die Zehn Gebote aber auch im fünften Buch Mose. Daraus haben sie vorhin die heutige Lesung gehört. In dieser Variante ist das Bilderverbot Teil des ersten Gebots. Wie in der lutherischen und der römisch-katholischen Tradition.

So oder so: Diese Aufforderung, dieses Bilderverbot, führt mitten in den Kern des Gottesglaubens. Mitten ins Zentrum der Religionen, die einen einzigen Gott verehren. Das Bilderverbot führt mitten hinein in die Frage nach Gott im Judentum, im Christentum und im Islam.

Das hängt mit der zentralen Bedeutung des Bilderverbots zusammen. Und der Art und Weise, wie Menschen es erfüllt oder es zu umgehen versucht haben. Nicht selten haben sich am Bilderverbot die Geister geschieden. „Was ist so schlimm am Bilderverbot?“ Jan Assmann fragt so in einem bemerkenswerten Vortrag. Vorher singen wir drei weitere Strophen, die Strophen 3 bis 5:

3. An Bilder hast du nie gedacht
durch die man dich erkennt.
Im Zehnwort setzt du voller Macht
der Bilderflut ein End.

4. „Schafft keine Götzen euch aus Holz,
aus Stein und aus Metall.
Begrenzt den eig’nen Schöpferstolz
in eurem Wirken all.

5. Ihr schafft mit eurer Fantasie
ein neues Himmelsheer.
Doch reden diese Götter nie
in Dank, Lob und Beschwer.“


„Was also ist so schlimm am Bilderverbot?“ Und weiter gefragt: Warum lässt manche das zögern, wenn ich sage: Wir brauchen neue Bilderstürmer! Als erste Antwort fällt mir vor allem eine ein. Das Bilderverbot ist fast immer mit Gewalt durchgesetzt worden. Deshalb brauchen wir einen neuen Typus von Bilderstürmern. Im 16 Jahrhundert, als Hitzköpfe der neuen evangelischen Lehre Bilder und Altäre kurz und klein geschlagen haben.

Aber die Gewalt der Umsetzung des Bilderverbots ist nicht auf das Christentum beschränkt. Der heftigste Ausbruch der Gewalt gegen Bilder ist gerade 8 Monate her. Da sind in Paris zwölf Menschen in der Redaktion einer Satirezeitschrift gestorben. Als Grund geben die Attentäter die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen an. Wer Mohammed darstellt, vergeht sich am Verbot, Allah irgendwie bildlich darzustellen. Das Bilderverbot, gefährlich, lebensgefährlich missverstanden.

Das Judentum hat es in gewisser Weise leichter. Es hat sich weitgehend sehr strikt an das Bilderverbot gehalten. Nicht einmal den Namen Gottes, des Ganz-Anderen, darf man aussprechen. Geschweige denn, Gott bildlich darstellen. Moderne jüdische Theologie ist da zwar etwas großzügiger. Aber ultra-orthodoxe Fanatiker haben erst im Juni dieses Jahres die Kapelle in Tabgha durch einen Brandanschlag schwer beschädigt. Gerade die Bild-Mosaiken mit der Darstellung der Brotvermehrung haben diese Kapelle berühmt gemacht.

Kein Zweifel also: Das Bilderverbot ist kein akademisches Thema. Es ist angesiedelt mitten in der Bedeutsamkeit des Ein-Gott-Glaubens. Deshalb brauchen wir neue Bilderstürmer!

Was also hat es auf sich mit diesem Satz, mit dieser Aufforderung: Du sollst dir kein Bildnis machen? Egal ob dieser Satz das erste Gebot nur erläutert. Oder ob er als eigenes Gebot verstanden werden will.

Nicht um Bilder an sich geht es. Kaum jemand hat ernsthaft die bildende Kunst an sich verbieten wollen. Es geht um das Bildnis Gottes. Du sollst dir kein „pessel“ machen, heißt es im hebräischen Original. „Pessel“ – das spielt auf den Vorgang der Herstellung an. Ein „pessel“ ist ein Machwerk. Aus Holz geschnitzt. Aber es gibt auch andere derartige Machwerke. Aus Stein gehauen. Oder aus Metall gegossen.

Nicht um irgendein Machwerk geht es also, sondern um eines, dem göttliche Verehrung zukommt. Wer das Bild eines Gottes herstellt, so dachte man, stellt einen neuen Gott her. Und damit einen Konkurrenzgott zum einen Gott. Wer ein solches „Machwerk“ herstellt, macht Gott Konkurrenz. Stellt einen Götzen her.

Ob also das Bilderverbot als ein eigenes Gebot verstanden wird wie im Buch Exodus. Oder ob es eine Konkretisierung des ersten Gebots darstellt wie im fünften Buch Mose, und das „pessel“ nur ein Bild der eigenen Gottheit sein will, das ist letztlich unerheblich. Beide Male, so ist die magische Vorstellung, tritt eine neue Gottheit auf den Plan. Und im Sinne des Glaubens an den einen Gott ist das ein Frevel. Ist das Grund zum Handeln.

Der Klassiker unter den Geschichten, die genau diese Sicht bestätigen, das ist die Erzählung vom Goldenen Kalb. Die Rückkehr des Mose lässt auf sich warten. Aber ohne Mose ist die Verbindung zu Gott nicht möglich. Mose ist der Gottes-Kommunikator. Da stellen die Menschen ein Tier aus Gold her. Im strengen Sinn kein „pessel“, kein Schnitzwerk, sondern eine „massekhah“, ein aus Metall gegossenes Bild.

Und dann bestätigt sich, was diese Aufforderung im Umfeld des ersten Gebotes unterstellt. Die Menschen umringen ihr Machwerk und singen: „Das ist dein Gott, der dich aus Ägypten befreit hat!“ Wer ein Gottesbild herstellt, dient einem Götzen. Darum brauchten die Menschen schon damals Mose als ihren Bilderstürmer.

Natürlich braucht die Gottesbegegnung ein Medium. Noch einmal Jan Assmann: „Wort, nicht Bild; Hören, nicht Schauen: das sind die Medien der Gottesverehrung und Gotteserkenntnis.“ Anders gesagt: Der haptisch erfahrbare, der im Greifen zugängliche Gott, steht immer in der Gefahr, ein Götze zu werden. Dies ist der Grund, warum im Christentum das Wort und der Klang in so hohem Ansehen stehen - trotz der Bildergesellschaft, in der wir leben.

Dennoch kann Gott am Ende nicht gänzlich in der Vergeistigung entschwinden. Die drei großen ein-gott-gläubigen Religionen sind ganz unterschiedlich mit dem Verbot umgegangen. Das Judentum hat in der Thora, in den lebensdienlichen Weisungen Gottes, einen Weg gefunden, diese Kluft zu überschreiten. Das Christentum tut dies im Bekenntnis zu dem einen, aus dessen Angesicht den Menschen Gottes Wirklichkeit entgegenleuchtet. Im Islam kommt dem Propheten diese Brückenfunktion zu.

Die ganz konkrete Frage nach dem Umgang mit Bildern hatte sich dadurch aber vor allem für das Christentum und den Islam nicht wirklich geklärt. Obwohl der Koran gar kein explizites Bilderverbot enthält, hat der Glaube an den Alleinzigen relativ früh zur Ablehnung von Bildern geführt. Allah entzieht sich jeder Form der Darstellbarkeit. Die religiöse Ästhetik findet im Islam deshalb einen anderen Ort der Verwirklichung: in der Kalligraphie, der kunstvollen Schönschrift, und in kunstvollen Ornamenten an den Gebäuden. In jeder Moschee lässt sich wir das bestaunen.

Das Christentum hat eine wechselvolle Geschichte des Umgangs mit dem Verbot, Gott bildlich darzustellen. Bilderstürme gibt es im 8. wie im 16. Jahrhundert. Und bei vielen Kirchen reicht meist schon ein kurzer Blick, um festzustellen, ob es sich um eine reformierte oder eine lutherische Kirche handelt – je nachdem, ob Bilder vorhanden sind oder nicht.

Heute zeigt sich, was den Bereich der Kunst angeht, die Situation eher entspannt. Der magische Glaube, das Kunstwerk könne die Rolle einer Gottheit einnehmen, ist längst entzaubert.

Ende gut, alles gut? Also doch kein Bedarf an neuen Bilderstürmern? Ist das Bilderverbot womöglich also nur noch das Problem eines unaufgeklärten Islam? Und irgendwelcher fundamentalistischer christlicher Randgruppen? Mitnichten! Der Ort der Auseinandersetzung hat sich nur verlagert. Es ist nicht mehr die bildliche Darstellung Gottes, die an die Stelle Gottes selber tritt. Aber an Gottes-Dubletten, an Pseudogottheiten, an Lückenfüllern, die den Ort besetzen, den die Gottesstürme freigemacht haben – daran besteht kein Mangel. Im Gegenteil. Darum brauchen wir neue Bilderstürmer.

Einen Schlüssel bietet hier ein Satz Martin Luthers aus seinem Großen Katechismus. Viele werden diesen Satz auch kennen: „Woran du nun dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“ Die Antworten sind so vielfältig wie die Menschen selber.

Trotzdem: Die Antworten auf die Frage, wo Gottes Gott-Sein in Gefahr geraten könnte, haben ein gewisses Gefälle. Immer dann, wenn der Mensch in Gefahr gerät, sich gottgleich zu gebärden. Immer dann, wenn der Mensch sich auf etwas gründet, dessen Bestand er selber garantieren muss. Immer dann, wenn der Mensch auf seiner Suche nach dem transzendenten Gegenüber nur nach sich selber Ausschau hält – immer dann bekommt Gott womöglich Konkurrenz.

Jede Konkretisierung steht hier in der Gefahr, dass sie aufs Glatteis führt. Oder dass man als nörglerischer Kulturpessimist endet. Alles, was der menschliche Verstand ersinnt, ist zunächst neutral. Ich könnte auch sagen ist zunächst gut. Aber Neutralität ist nie ein Dauerzustand. Kein Menschenleben spielt sich nur auf der Tribüne ab. Irgendwann geht’s immer auch ums Bekennen.

Darum will ich mich wagen. Und doch zwei Beispiele nennen. Zwei Orte, die zumindest den Sockel für ein Gottesbild, für einen Götzen bieten können. Zum einen: Dias ganze immer unübersichtlicher werdende WorldWideWeb! Keine Sorge: Da tummle ich mich sehr wohl auch. Und bei der Vorbereitung dieses Gottesdienstes haben Internet und Mailverkehr eine beträchtliche Rolle gespielt. Aber das macht die Sache ja nicht schon von vornherein besser.

Beim Freiburger Neurobiologen Joachim Bauer – und der ist gewiss kein Kulturpessimist – habe ich in seinem neuesten Buch erst vor wenigen Tagen den Satz gelesen: „Das Internet spiegelt zumindest teilweise den Wunsch nach Erlösung von der Realität wider.“ Nur was virtuell ist, ist wirklich. Das weltweite Netz bietet Raum für viele Kommunikationspriester. Aber am Ende befreit es längst nicht immer und längst nicht alle aus der ägyptischen Sklaverei. Womöglich führt es noch viel weiter in sie hinein. Worauf du dich verlässt, das ist in Wahrheit dein Gott!

Das zweite Beispiel hat noch einmal mit dem Anfang meiner Predigt zu tun. Es hat zu tun mit dem Scherbenhaufen, vor dem Europa in diesen Tagen steht. Ein Land will nur Christen aufnehmen. Das andere will nur den Transit erlauben. Das dritte sagt, wir können uns die Unterbringung von Flüchtlingen gar nicht leisten. Das vierte kann nicht für deren Sicherheit garantieren. Das fünfte hat lieber Flüchtlinge aus der Ukraine. Das sechste baut einen Zaun und das siebte schließt den Tunnel. Im achten schließlich werden nachts die Häuser angezündet.

Europa hat größte Anstrengungen unternommen, den Euro zu retten. Europa – eher eine Gemeinschaft der Euro-Gläubigen als eine Wertegemeinschaft für Humanität. Worauf du dich verlässt, das ist in Wahrheit dein Gott! Auch deshalb brauchen wir neue Bilderstürmer!

Wir singen die Strophen 6 bis 8:

6. Die falschen Bilder reißt du ein,
bleibst doch nicht spurenlos.
Der Mensch allein soll Bild dir sein.
Das ehrt ihn, macht ihn groß.

7. Du bist in mancherlei Gestalt
Gott nicht für uns allein.
Vor keinen Grenzen machst du halt,
lässt dich auf Vielfalt ein.

8. In vielen Sprachen rühmt man dich,
mit Namen ohne Zahl.
Dass du im Schwang’ bist, zeiget sich
von neuem jedes Mal.


Bilder, Ideen, Überzeugungen, Ängste, Fanatismen – der Glaube an den einen Gott, der drei Religionen eint, er erträgt diesen Abfall nicht auf Dauer. Kein Bild führt uns diesen einen Gott glaubwürdiger vor Augen als der Mensch. Der bedürftige, der verletzliche, der hoffende, der vertrauensvolle, der zugewandte, der über sich hinaus wachsende Mensch. Wenn wir ihm ins Angesicht sehen, sehen wir Gott selber in die Augen.

Als Angehörige der drei Religionen, die an einen Gott glauben, kommen wir nicht voneinander los. Und eint nicht nur der Glaube an diesen einen Gott. Und bindet nicht nur der gemeinsame Bezug auf die Stammeltern aller Glaubenden, auf Abraham und Sarah aneinander. Uns beflügelt die Hoffnung, dass wir geeint sein könnten in einer gemeinsamen Ethik, einer Ethik, die Gott und Mensch gleichermaßen davor bewahrt, in die begrenzte Einsicht unserer Bilder zu fallen.

Gott ist Gott. Und der Mensch ein Mensch. Ein Du sind wir einander und ein Gegenüber. Dies ins Leben zu ziehen, in ein menschliches Miteinander über alle Grenzen hinweg und in ein zuversichtliches Gottvertrauen – dass entzieht allen falschen Bildern den Boden. Es verleiht unserem Glauben den nötigen Atem. Und gibt uns den genügend Spielraum zum Leben. Und macht die Bilderstürmer am Ende arbeitslos. Amen.

Jetzt singen wir noch die beiden letzten Strophen:

9. Als Gott, der ohne Bild geglaubt,
bleibst fremd du uns und nah,
hast Wunder uns zu tun erlaubt,
die vorher niemand sah.

10. Am Ende erst kommt dann ans Licht
dein’ Schönheit unverhüllt,
wenn sich ohn’ Bild in freier Sicht
was wir geglaubt, erfüllt.


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.