ANSPRACHE ÜBER GALATER 6,2
IM GOTTESDIENST MIT EINWEIHUNG DES GEMEINDEHAUSES
AM SONNTAG, DEN 19. JUNI 2016
IN WIESLOCH

19.06.2016
Liebe Gemeinde! Ich spiele leidenschaftlich gerne Schach. Leider nicht so oft, wie ich es gerne würde. Dazu dauert ein Spiel meist einfach zu lang.

An meine Lust am Schachspielen wurde ich ein ums andere Mal erinnern im Vorfeld dieser Einweihung. Warum? Ganz einfach! In vielen Kontakten, auch in schriftlichen Unterlagen tauchte im Blick auf dieses neue Gemeindehaus immer wieder das Kürzel F5 auf. F5?! Die meisten von ihnen wissen: Das ist keine Adresse aus den Mannheimer Quadraten. Das steht für die Anschrift dieses Hauses hier n- mitten in Wiesloch: Friedrichstraße 5.

Aber wenn ich als Schachspiele F5 höre, dann entsteht vor meinen Augen das Bild eines Schachbretts. F5 – das ist ein weißes Feld ziemlich im Zentrum eines Schachbretts. „Mit einem Springer auf f5 gewinnt sich die Partie oft von ganz allein!“ In einem Lehrbuch für das königliche Spiel steht dieser Satz. Und von Herzen wünsche ich ihnen, dass es mit einem Gemeindehaus auf F5 ähnlich ist. Von diesem Feld aus entwickelt sich die Gemeindearbeit zwar nicht von allein. Aber doch erfolgreich. Wer könnte heute Zweifel daran haben!

Mit diesem Gottesdienst geht nicht der Bau zu Ende. Da wird sicher noch das eine andere auftauchen, das noch fertiggestellt, das noch verbessert oder optimiert werden muss. Das ist beim Bauen ziemlich normal.

In diesem Gottesdienst geht es um etwas anderes. Mit diesem Gottesdienst wird alles, was künftig in diesem Haus geschieht, unter Gottes Segen gestellt. Mit diesem Gottesdienst wird dieses Haus zu einem besonderen Ort – einem Ort, an dem Gemeinde ihre Gaben entfaltet und sich als Gemeinde Gottes öffentlich macht, Es wir zu einem Ort, an dem sie anderen in Gastfreundschaft offene Türen bietet.

Was ist das nun für ein Haus – dieses Gemeindehaus? Sie könnten einfach sagen: Der Gemeindehaus-Neubau ist ein Ersatzbau für das alte, abgerissene Gebäude. Mit einer zeitgemäßeren Architektur. Und mit schönerer und moderner Gestaltung. Es wäre also eine Art architektonisches Gebäudelifting. So etwas ist nichts Ehrenrühriges. Und manchmal eben nötig. Wie beim Wechsel der Garderobe.

Doch warum braucht eine Gemeinde überhaupt ein solche Haus – ein Gemeindehaus? In der 2000-jährigen Geschichte der Kirche ist das Gemeindehaus eine relativ späte Erfindung. Die ersten Gemeindehäuser werden im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gebaut. Im Grunde ist das immer eine pragmatische Entscheidung. Sie brauchen als Gemeinde einen Ort, wo all das stattfindet, was im Wohnzimmer der Gemeindeglieder keinen Ort hat, der groß genug ist. Dann wäre das Gemeindehaus also so etwas wie das gemeindliche Wohnzimmer. In dem trifft man sich, zufällig oder verabredet. Ehe man sich dann wieder in die eigenen vier Wände zurückzieht.

Manchmal haben Gemeindehäuser tatsächlich auch so etwas Wohnzimmerartiges. Wenn man über die Jahre all das dort ablädt, was man zu Hause ausrangiert. Vom überflüssig geworden Side-Board bis zum zu hoch gewachsenen Gummibaum oder zur Efeu-Tute. Davon möchte ich Ihnen allerdings eher abraten. Ein Gemeindehaus ist ein Ort eigener Prägung. Er ist weder Kirche noch Wohnzimmer. Ein Ort, an dem viele ein Dach und vier Wände finden. Aber zugleich ein fremder Ort, für den ich mitverantwortlich bin. Das mir aber nicht gehört. Und wo ich nicht meine mir eigenen, meine individuellen ästhetischen Ansprüche umsetzen kann.

Sie könnten Ihren Gemeindehaus-Neubau auch verstehen als eine Art kirchliches Vereinsheim. Und das wäre wie all das andere, was ich eben genannt habe, nicht einfach nur falsch und daneben. Von allem mag etwas auf das Gemeindehaus zutreffen. Aber es beschreibt seine Funktion nicht ausreichend. Nicht groß genug. Ich könnte auch sagen: All das beschreibt das Gemeindehaus nicht aus dem Blickwinkel heraus, dass sich hier Gemeinde Jesu Christi trifft. Und dass hier Gemeinde Jesu Christi einen Heim-Ort hat.

Das Gemeindehaus ist der Ort, an dem Gemeinde sich inmitten aller routinierten Geschäftigkeit trifft. Das Haus gemeindlicher Alltäglichkeit. Die Herberge auf dem Weg. Aber auf dem Weg zu dem, was wir nach Gottes Willen erst sein sollen.

Ein schönes theologisches Programm für ein Gemeindehaus bietet der Wochenspruch für die heute beginnende Woche. Einer der ganz bekannten Sprühe der Bibel. Aus dem Galaterbrief: Einer trage des anderen Last, dann werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

In der Kirche, im Gottesdienst, da geht es darum, dass wir unsere Lasten ablegen. Dass wir sie abgenommen bekommen. Im Gemeindehaus - da nehmen wir einander die Lasten ab. Da üben wir uns im gemeinsamen Lasten-Tragen. Nicht nur für das übliche Tragen der Gemeindehaus-Tische gilt das. Und für die hoffentlich gut stapelbaren Stühle. Das ist ja in einem Gemeindehaus immer von größter Wichtigkeit. Hier sind die Hausmeister dann so etwa wie die Manager des Lasten-Tragens.

Es geht aber noch – und vor allem - um viel mehr. Es geht um die Lasten, die wir Menschen jeden Tag mit uns herumschleppen. Hier nehmen wir uns tatsächlich gegenseitig Lasten ab, wenn wir in der Kantorei oder im Kirchenchor miteinander singen. Wenn wir uns in den diversen Gruppen und Kreisen gegenseitig zuhören. Und aufeinander Acht haben. Wenn wir in Informationsveranstaltungen auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam machen. Wenn wir in der Sitzung des Ältestenkreises über Möglichkeiten des innergemeindlichen Lastenausgleichs beraten. Wenn wir im Pfarrbüro Menschen mit den nötigsten Kontakten und Informationen versorgt werden.

Ein Gemeindehaus ist ein Übungsort des Glaubens – in der Vielfalt seiner Formen und Ausgestaltungen. Und Managerin und Manager des Lastenausgleichs sind war dann alle – miteinander und füreinander. Ein Gemeindehaus ist eine Herberge auf Zeit – für die, die zur Gemeinde gehören. Und für die, die wir als Gäste willkommen heißen.

Dass sie mit diesem Haus auf F5 platziert sind – also ganz zentral da, von wo aus ein Spiel gewinnen werden kann – das ist ein gewaltiger Standortvorteil. Das Haus des Lastenausgleichs – öffentlich sichtbar in der Stadt. Gut, dass sie nicht wie beim Schachspiel irgend jemanden Matt setzen müssen. Sondern dass sie den Matten und Müden einen Ort der Unterbrechung aller Belastung bieten. Weil wir uns die Lasten gegenseitig abnehmen. Weil ein Gemeindehaus auf seine Weise auch ein Gotteshaus ist. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.