PREDIGT ÜBER EPHESER 2,17-22
IM GOTTESDIENST AM SONNTAG, DEN 5. JUNI 2016 (2. S.N.TR.)
ZUM 500. BESTEHEN DER EVANG. KIRCHE IN WÜRM

05.06.2016
Liebe Gemeinde!

I.
Sie haben heute Grund zum Feiern! Während alle Welt nach vorne schaut - auf das Jahr 2017 und auf die großen Feierlichkeiten 500 Jahre Reformation – feiern sie schon heute. Gewissermaßen am Vorabend des großen Reformations-Jubiläumsjahres. 500 Jahre evangelische Kirche in Würm! Dazu will auch ich ihnen von Herzen gratulieren. Auch im Namen unserer badischen Landeskirche. Ich bin gerne zu ihnen gekommen, um dieses Fest des 500. Geburtstages ihrer Kirche mit ihnen zu feiern.

I.1
Was feiern wir, wenn wir die 500 Jahre dieser wunderschönen Kirche feiern? Natürlich zunächst einmal 500 Jahre Geschichte eines außerordentlichen Baudenkmals. Im Jahre 1516 als noch kleineres Gebäude begonnen und der heiligen Jungfrau, also Maria geweiht. Über die Jahrhunderte ein ums andere Mal renoviert, umgebaut und erweitert. 1760. Und 1965 wieder. Eine Kirche haben sie hier mit einer besonderen Geschichte des Kirchenraumes. Der Grablegen. Des Platzes für die Orgel. Des Turmes. Des Kirchhofes.

In der Baugeschichte dieser Kirche spiegelt sich immer auch die Geschichte der Gemeinde wieder, die um diese Kirche und mit dieser Kirche lebt. Mit ihrem Wachsen und Schrumpfen. Mit den Erfahrungen von Krieg und Frieden. Von Außeneinwirkung. Und vom eigenverantwortlichen Handeln. Dabei ist die eigene kleine Geschichte zugleich immer eingebunden in die Geschichte des Ortes. Und in die Geschichte der Kirchengemeinde, zu der sie gehört.

Im Rückblick erweist sich diese Geschichte immer auch als Geschichte zwischen Wunsch und Realität. Zwischen Herausforderung und Kompromiss. Das gilt hoffentlich auch für die aktuellen Gebäudedebatten, die sie derzeit beschäftigen. Umso schöner, dass in diesen Tagen, wie mir Pfarrer Ziegler mitgeteilt hat, auch die Teilrenovierungsarbeiten im Gemeindehaus zum Abschluss kommen.

Geschichte, auch die Geschichte einer Kirche, stellt immer eine Bewegung dar. Eine Bewegung im Auf und Ab. Zwischen Krise und Erfolg. Aber der tragende Grund – ich könnte auch sagen der Auftrag, der mit dieser Kirche verbunden ist – bleibt dabei immer gleich. Eine Kirche – diese, ihre Kirche! – war und ist zuallererst ein Ort, an dem Gemeinde Gottesdienst feiert. Ein Ort, an dem gesungen und gebetet, gepredigt und auf die guten Gottes Lebensworte Gottes gehört wird. In Wort und Musik. Im Gottesdienst am Sonntagvormittag. Bei Taufen und Trauungen. Bei Konfirmationen. Und sicher immer wieder auch wenn es gilt, von lieben Menschen Abschied zu nehmen.

I.2
Gottesdienst feiern – aus unterschiedlichen Anlässen. Und in sich wandelnden Formen. In Zweifel und Gewissheit. Nichts anderes tun wir auch an diesem heutigen Sonntagvormittag. Am 5. Juni 2016. Dem 2. Sonntag nach dem Trinitatisfest. Wir feiern Gottesdienst. Wir stärken uns in der Gemeinschaft. Wir ziehen die Worte der Bibel in unser aktuelles Leben.

Heute sind das Worte aus dem 2. Kapitel des Epheserbriefes, die Verse 17-22. Sie bilden so etwas wie eine Programmschrift für ihr heutiges Jubiläumsfest. Sie beschreiben, warum sie diese Kirche haben. Und wofür sie sie brauchen.

Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.

Alle! In einem Geist! Mitbürger der Heiligen. Und Gottes Hausgenossen. Das sind die Schlüsselbegriffe dieses Textes, den wir eben gehört haben. Das Ende der großen Unterscheidung – das ist sein Thema. Das Ende der Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Weisen, an Gott zu glauben. Das Ende der Unterscheidung von innen und außen, von nah und fern.

II.1
Versetzen sie sich einmal mit mir zurück in das letzte Viertel des ersten Jahrhunderts. Nach Kleinasien. In der heutigen Türkei gelegen. Kirchen gibt es noch lange nicht. Paulus missioniert zunächst meist im Umfeld der örtlichen Synagoge. Dort kann man die Sprache des Paulus am besten verstehen. Paulus spricht von Gott und vom Messias, vom Gesetz und von der Botschaft der Propheten. Die Menschen, die zur Synagoge gehören, haben eine klare Vorstellung, worum es Paulus geht. Auch wenn er die alten Worte in einen neuen Zusammenhang stellt. Und immer wieder von diesem auferstandenen Christus spricht. Die einen wenden sich ab. Andere lassen sich gewinnen.

Immer mehr sucht Paulus den Kontakt zu denen, die nicht zur Synagoge gehen. Zu denen, die in den vielen anderen Religionen des römischen Reiches beheimatet sind. Sie muss er noch einmal ganz anders auf diesen Glauben an den einen Gott ansprechen. So, dass auch sie verstehen, worum es ihm geht.

II.2
Der Einsatz von Paulus und von anderen, weniger bekannten Missionaren bleibt nicht ohne Erfolg. Die Zahl der Christinnen und Christen wächst schnell. Und irgendwann sucht die neue Bewegung dann auch nach festeren Strukturen. Paulus ist zu diesem Zeitpunkt längst schon den Märtyrertod gestorben. Ihn kann man nicht mehr fragen. Aber die Menschen suchen weiter nach Klarheit. Sie ordnen sich zu und ordnen sich ein. „Aha, Jüdin bist Du gewesen vorher.“ „Und Du hast der ägyptischen Isis geopfert? Oder der Diana? Welcher Religion hast du vorher angehört?“ Fragen bei der im Alltag Begegnung – so ähnlich wie wir wür beim Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst. Fast modern hören sich diese Fragen an!

Das Zusammenwachsen der bunten Mischung von Menschen mit unterschiedlichen religiösen Erfahrungen geht nicht ohne Konflikte vor sich. Wie sollte es auch! Das ist heute nicht anders. Die alten Religionen und die neue Religion, von der Paulus spricht – sie reiben sich aneinander. Plötzlich treten Spannungen auf. Jetzt gilt es zu klären, was gelten soll und was nicht. Jetzt gilt es klare Verantwortlichkeiten festzulegen. Jetzt erinnern sich die Menschen an Paulus. Was hätte er in dieser Situation gesagt? Wie hätte er auf diese Spannungen reagiert? Hatte er nicht genau zu zu jenen Fragen Stellung bezogen, die die Menschen jetzt verunsichern?

II.3
Da schreibt schließlich einer, dessen Namen wir nicht kennen, einen klärenden Brief. Im Namen – oder besser noch – im Sinne des Paulus. Und darum leitet er den Brief ein mit den Worten: Paulus, ein Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, an die Gläubigen in Christus Jesus. (1,1) So beginnt der Brief. So kann die enge Anbindung an Paulus deutlich werden.

Der Brief schlägt ein. Immer wieder wird er abgeschrieben. Von Gemeinde zu Gemeinde wird er weitergegeben. Das Exemplar der Gemeinde in Ephesus ist uns erhalten. Dieser Stadt war Paulus besonders verbunden. Hier hatte er sich in heftigen Konflikten bewährt. Hier war er über längere Zeit im Gefängnis. Einige seiner uns in der Bibel überlieferten Briefe hat er sogar dort im Gefängnis geschrieben. In diese Reihe, so denkt man, würde der neu geschriebene Brief sich gut einordnen lassen.

Eine ganze Reihe von Themen bindet dieser Paulus-Brief zusammen. Es geht vor allem um Verhaltensregeln für die unterschiedlichen Gruppen in der Gemeinde. Doch Sein eigentliches Thema, das sind die Spannungen zwischen den Christenmenschen unterschiedlicher Herkunft.

Hatte Paulus nicht gesagt: „In Christus sind alle Unterschiede aufgehoben. Hier gilt nicht mehr: Jude oder Grieche. Sklave oder Freier. Mann oder Frau. Jetzt seid ihr eins in Christus!“ (Galater 3,28) Kein Wunder, dass der Briefschreiber im Namen des Paulus genau darauf abhebt. Er wählt nur etwas andere Worte. Er formuliert: „Christus hat die Trennmauer abgerissen, die euch als Juden und als Griechen getrennt hat. Jetzt gehört ihr zusammen. Jetzt herrscht Frieden zwischen euch! Gott-nahe und Gott-ferne Christus-Gläubige – das gibt es nicht. Wenn ihr an diesen Christus glaubt, dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen euch – zumindest im Glauben. Was immer ihr vorher geglaubt habt – jetzt seid ihr eins!“

Zur Verdeutlichung fällt dem Schreiber noch ein Gedanke des Paulus ein. Hatte der nicht nach Korinth geschrieben: „Ihr seid der Tempel Gottes!“ Dieses Bild lässt sich doch ausbauen. „Ihr seid jetzt ein heiliger Tempel!“, scheibt der Schreiber des Epheserbriefes. „Eine heilige Wohnung Gottes!“ Als Bausteine mögen die Menschen unterschiedlich sein. Aber als Gemeinde gehören sie zusammen. Bilden sie ein großes Ganzes. Einen Tempel im Geist eben. Weil man andere Tempel oder gar Kirchen noch gar nicht hat. Eineinhalb Tausend Jahre sollte es schließlich noch dauern, bis auch hier in Würm eine Kirche gebaut wird. Aber Kirche – als Gemeinschaft derer, die nach Gott fragen, die an Gott glauben - die gibt es schon viel länger.

Und wo sich das Bild des heiligen Hauses so schön bewährt, fügt der Schreiber gleich noch einen Gedanken ein. Einen, den er bei Paulus so noch nicht hat finden können. Aber der doch sicher in seinem Sinne ist: Dieses Haus braucht doch einen festen Grund. Dieser feste Grund, dieses Fundament, das sind zum einen die Propheten. Sie sind wichtig als Zeugen für den Glauben des Gottesvolkes. Hier werden die Christen an ihre jüdischen Wurzeln erinnert.

Die anderen Zeugen, die Zeugen der Botschaft Christi vom hereinbrechenden Reich Gottes, das sind die Apostel. Das sind die, die aus eigener Anschauung für das bürgen, was alle Späteren nur noch vom Erzählen und vom Hörensagen kennen. Die Apostel, die haben diesen Jesus noch gekannt. Sie sind mit ihm durchs Land gezogen. Ihnen ist er begegnet. Und nicht zuletzt eben auch dem Paulus.

Die Propheten und die Apostel – sie bilden schon im Fundament jene Einheit ab, die eigentlich in der ganzen Gemeinde gilt. Eine Einheit, die die Christen aus dem Judentum und die aus den anderen Religionen untrennbar miteinander verbindet. Es braucht eine Klammer, damit diese neugewonnene Einheit hält. Und nicht alle schon bald wieder auseinander berstet. Diese Einheit – dafür steht Christus. Er ist der Stein, der alles zusammenhält. Der „Eckstein“, wie es im Brief heißt.

Die neue Einheit ist eine ganz besondere. Eine ganz besonders tiefe. Kein Zweckbündnis. Sondern eine Einheit aus Glauben. Dem Glauben an diesen Christus. Eine gemeinsame Bürgerschaft Gottes. Und darum kommt dem Briefschreiber im Namen des Paulus noch ein weit schöneres Bild in den Sinn.

Das ist eigentlich der wichtigste Satz des Briefes überhaupt. Schöner hätte es auch Paulus selber nicht schreiben können: „Wer zur Gemeinde gehört, gehört zu Gott. Weil die Grenzen gefallen sind, seid ihr alle Gott ganz nah!“ Im Epheserbrief liest sich das so: „Ihr seid jetzt keine Gäste und Fremdlinge mehr, ihr seid jetzt Mitbürgerinnen und Mitbürger im Gemeinwesen Gottes. Mehr noch: Ihr seid Gottes Hausgenossen!“

III.
Darauf also kommt es an. Aus einzelnen Menschen, die glauben, ein Ganzes zu schaffen. Die Gemeinde als ein großes Gemeinwesen verstehen lernen, in dem alle zusammenwirken. In dem jeder und jede Platz hat. Wenn jeder Mensch, der an Gott glaubt, bei sich bleibt, ist das, wie wenn man die Steine irgendwo vereinzelt herumliegen lässt. Die Steine müssen verbunden werden. Aufeinandergeschichtet. So bilden sie ein Haus. Einen Tempel. So entsteht Kirche! Auch hier in Würm!

III.1
Das Wohnrecht im Haus Gottes bleibt niemandem vorenthalten. Damals nicht, als man im Namen des Paulus einen Brief der Einheit verfasst. Heute auch nicht. Wo noch viele vor der Tür stehen oder im Meer ertrinken, weil die, die in Sicherheit leben, sie gerne draußen halten. Nach den Toten im Mittelmeer, nach denen wird Gott uns dereinst einmal fragen. Da bin ich ganz sicher.

Mit der Kirche als Gemeinschaft der nach Gott Fragenden ist es nicht anders wie mit der Kirche, deren 500. Geburtstag wir heute feiern. Wie unterschiedlich die Menschen auch gewesen sein mögen, die hier im Lauf der Jahrhunderte miteinander gelebt und Gottesdienst gefeiert haben - dem Kirchengebäude haben die An- und Umbauten nicht geschadet. Mit der Kirche und der Gemeinschaft, in der wir hier leben, ist es auch nicht viel anders.

Die Gemeinschaft von alt und neu, von drinnen und draußen – das Ende all unserer großen Unterscheidungen - genau das macht Kirche ja aus! Dass alles zusammenpasst, dazu können wir mithelfen. Zusammen mit vielen anderen. Aber wir müssen es nicht bewerkstelligen. Wir sind nicht dafür verantwortlich. Der Geist des Tempels, der ihn zu einem heiligen Ort werden lässt, der kommt aus Gott selber. Der Eckstein, der die Kirche zusammenhält, das ist Christus. Es bleibt spannend, wie Gott dann alles zusammenfügt.

III.2
Ich muss die Steine nicht passend machen. Und sie auch nicht. Darum bleibt uns nur der staunende Dank. Und die Bereitschaft, unseren Beitrag zum Ganzen zu leisten. So entsteht Kirche. Nein, besser noch: So ist Kirche! Mit mir. Mit dir. Mit all den anderen. Vor 2000 Jahren und vor 500 Jahren. Und heute immer noch.

Wo das möglich ist, da kann nur Gott am Werk sein. Da fallen alle Unterscheidungen in sich zusammen. Wenn das Kirche ist, will ich gerne dazugehören. Und nach links schauen und nach rechts, wer da noch alles dazugehört. Und dabei sitzt. Und dabei feststellen, dass da noch Platz ist. Und wir weiter fröhlich und unbesorgt Menschen einladen können. Von innen und von außen. Weil Gott zusammenhält, was wir mit unseren Kräften nicht zusammenhalten können.

Wenn das Kirche ist, dann lasst uns das auch feiern. In Dankbarkeit für die 500 Jahre dieser Kirche. Und im Vertrauen, dass sie auch morgen Menschen Heimat bieten will. Und wird.

Wenn das kein Grund ist, um zu feiern! Amen.


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.