Ansprache zur Entwidmung der Jakobuskirche Karlsruhe

26.02.2017
Liebe Gemeinde!
Unser Glaube braucht Orte der Verwurzelung. Er braucht kirchliche Orte. Mit diesem Satz wurden die beiden Lesungen eben eingeleitet. Diese Jakobus-Kirche ist ein solcher Ort der Verwurzelung. Sie ist ein kirchlicher Ort bis in die Gegenwart.

Kann man einen solchen Ort aufgeben? Wenn in diesem Gottesdienst und mit diesem Gottesdienst eben dies geschieht, ist das eigentlich schon eine Antwort auf diese Frage. Es ist eine Möglichkeit. Aber eine, die nur schweren Herzen Wirklichkeit wird. Eine Möglichkeit, die schmerzt.

Neben vertrauten Menschen sind vertraute Orte für uns von zentraler Bedeutung. Das gilt schon ab der Geburt – der Geburtsort begleitet uns in Pass und Personalausweis das ganze Leben hindurch. Das gilt auch am Ende des Lebens. Für Angehörige ist es wichtig, einen Ort zu haben, an dem Sie ihre Verstorbenen betrauern – an dem sie mit ihnen vertrauensvoll Zwiesprache halten können.

Ein Menschenleben lässt sich als Verknüpfung unserer Verbundenheit mit Orten darstellen. Wohnorte, Orte der Arbeit, Orte der Hochzeit, der Geburt der Kinder, deren Tauf- und Konfirmationsorte.

Viele Menschen haben darüber hinaus auch noch ihre eigenen Kraftorte. Orte, an die sie immer wieder gern zurückkehren, weil sie dort gestärkt werden.

Gerade dann, wenn Menschen neu anfangen, sind Orte von großer Bedeutung. Orte, die es uns erlauben, heimisch zu werden. Gerade auch kirchliche Orte. Mit Menschen, die man dort immer wieder treffen kann. Mit Gottesdiensten in vertrauter Liturgie und mit vertrauten Liedern. Mit den seit Jahrhunderten vertrauten Texten, die Menschen Orientierung schenken. Und die Menschen zum Neuanfang ermutigen, mitten im Leben. Auch uns heute Vormittag.

Ein solcher Text ist auch der, der von dem großen Ortswechsel Jakobs erzählt. Zumindest dem Namen nach der große Urahn all derer, die den Namen Jakobus tragen. Auch des Namensgebers ihrer Kirche. Jakobus ist schließlich nur die Übersetzung des Namens Jakob ins Lateinische.

Der Ortswechsel Jakobs geschieht nicht freiwillig. Jakob ist auf der Flucht. Auf der Flucht vor seinem Bruder, den er schändlich betrogen hat. Über 20 Jahre wird er einen Ortswechsel vollziehen müssen. Und wird am neuen Ort um bittere Erfahrungen nicht herumkommen.

Aber das Schöne ist: Gott macht alle diese Ortwechsel mit. Gott ist mehr als Menschen es je sein können, einer, der mitzieht. Gott ist ein Nomaden-Gott. Und er war es im wahrsten Sinne des Wortes von Anfang an, als er die großen Väter und Mütter im Glauben auf ihren unsteten Wegen begleitet: Mose und Mirjam, Abraham und Sarah, Isaak und Rebekka, Jakob mit Lea und Rahel. Gott ist ein unbehauster und mitziehender Gott, der mit einem Zelt zufrieden ist – solange bis Salomon ihn im Tempel dingfest gemacht hat. Noch David muss sich von Gott die Frage gefallen lassen: Habe ich dich je gebeten, mir ein Haus zu bauen? Gott macht alle Ortswechel der Menschen mit.

Jakob, so haben wir es in der Lesung gehört – auch Jakob ist auf dem Weg von einem Ort zum anderen. Und der Ort, an dem er nächtens sein Haupt hinlegt, wird in besonderen Weise zum Ort einer Gottesbegegnung im Traum. Jakob ist von allen guten Geistern verlassen, als er seinen Bruder Esau betrügt. Gott-verlassen ist er nicht. Und da es der Herr den Seinen nicht selten im Schlaf gibt, sieht Jakob im Traum den Himmel offen. Und er sieht Engel herab und hinaussteigen. „Wahrhaftig, Gott ist auch an diesem Ort!“, sagt Jakob. „Und ich wusste es nicht. Hier ist die Pforte des Himmels.“

Es gibt keine gott-verlassenen Orte. Weil Gott der Sicherheit schützender Mauern nicht bedarf. Warum aber haben wir dann Kirchen? Warum tun uns diese vertrauten Orte so gut? Die Antwort steckt bereits in der Frage. Wir Menschen sind es, die diese Orte nötig haben. Und Gott ist sich nicht zu schade, sich auch an diese festen Orte zu binden.

Kirchen bieten unserem Glauben ein schützendes Dach und ein bergende Heimstatt. Gott lässt sich in ihnen finden. In den Menschen, die mich spüren lassen: Ich gehöre dazu! In den Worten, die mir sagen: Du bist Gott recht! In den Liedern, mit denen wir singen: Unser Leben sei ein Fest! In den Früchten der Erde, als Brot und Wein, damit wir spüren: Gott will, dass wir genug zum Leben haben!

Und weil uns diese Orte wichtig sind, lässt Gott uns ein ums andere Mal an einem solchen Ort Heimat finden. Geistliche und irdische Heimat zugleich. Aber „weil Leben wandern heißt!“ – das werden wir gleich singen - „weil Leben wandern heißt!“ können wir auch aufbrechen. Können wir auch aus einer Kirche aufbrechen und uns auf einen neuen Weg aufmachen.

Heimweh wird bleiben. Zumindest zunächst. Heimweh nach den vertrauten Räumen, die wir hergeben müssen. Aber andere werden an diesem Ort Heimat finden. Und dieser Ort wird ein kirchlicher Ort bleiben. Allein das ist auch schon ein Geschenk.

Aber als Gemeinde brechen sie auf aus ihrer Jakobuskirche – wie schon ihre Mitgeschwister vor zweieinhalb Jahren aus der Petruskirche. Nicht ins Dunkle und Ungewisse brechen sie auf. „Das Land ist hell und weit“ heißt es weiter in dem Lied. Und „hell und weit“ wird ihre neue kirchliche Heimat, an der sie in wenigen Monaten ankommen. Und auch dort den Himmel offen stehen sehen – auch wenn sie sich das noch gar nicht so richtig vorstellen können. „Wahrhaftig, Gott wohnt auch an jenem neuen Ort – und wir wussten es nicht!“

Unser Glaube braucht Orte der Verwurzelung. Unser Glaube braucht – auch! – kirchliche Orte. Verwurzelung – das geht nicht über Nacht. Verwurzelung braucht Zeit. Aber sie fangen nicht bei einem Ur-Anfang an. Sie bringen ihre vertrauten Geschichten mit. Sie treffen auf die vertrauten Gesichter der anderen.

Viel leichter haben Sie’s wie einst Jakob, der um sein Leben fürchten musste. Viel leichter als viele Christinnen und Christen weltweit an anderen Orten, die jeden Tag um ihr Leben fürchten müssen und deren Kirchen brenne oder in Trümmern liegen.

Viel leichter haben Sie’s, den Ort zu finden, an dem ihre Glaube Wurzeln schlagen kann. „Der Tempel Gottes, das seid ihr!“ Paulus scheibt das nach Korinth. Eine Gemeinde mit vielen Tempeln – aber damals noch ohne eine einzige Kirche. Ein Wohnzimmer in den Häusern der Vermögenden – mehr Heimstatt gab es noch nicht. „Das Haus Gottes – das seid Ihr!“ Dieses Haus, das wir selber sind - es kann weder verkauft noch abgerissen werden.

Dieses Haus Gottes, das wir selber sind – es ist unterwegs durch die Jahrhunderte und Jahrtausende. Unterwegs sind sie an den Ort des neuen Kirchenzentrums. Und wohin auch immer sonst. Das neue Jerusalem am Ende der Pilgerfahrt der Kirche durch die Zeit lässt noch auf sich warten. Vorerst haben wir mit dem Frieden im heutigen Jerusalem noch genug zu schaffen.

Ich lade sie ein, weiterzugehen auf diesem ganz besonderen Jakobusweg, Ich lade sie ein, immer und immer wieder die Erfahrung zu machen: „Wahrhaftig! Gott ist an dieser Stätte. Und ich wusste es nicht. Hier ist de Pforte des Himmels!“

Gut dass wir es heute eigentlich doch wissen, dass Gott an unseren Orten Wohnung nimmt. Gut, dass wir eingeladen sind an Gottes Tisch. Heute. Und immer wieder neu. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.