AUF DEM WEG – GERECHTIGKEIT UND FRIEDEN
PREDIGT ÜBER JESAJA 2,1-5
AM SONNTAG, DEN 2. APRIL 2017 (JUDIKA)
IN DER HAUPTKIRCHE ST. JACOBI IN HAMBURG

02.04.2017
Liebe Gemeinde!

Heute feiern wir den Sonntag Judika. Für mich ist das ein Sonntag mit besonderen biographischen Bezügen. Am Sonntag Judika bin ich, gerade drei Wochen alt, vor 60 Jahren getauft worden. Im Konfirmationsgottesdienst meiner zweitältesten Schwester. Am Sontag Judika wurde ich dann auch selber konfirmiert. 46 Jahren ist das her. Über viele Jahrzehnte war Judika in meinem Heimatdorf im badischen Markgräfler Land südlich von Freiburg der traditionelle Konfirmationssonntag.

An Ostern wurden die 14-Jährigen aus der Schule entlassen. Und bevor sie sich dann aufgemacht haben in die Welt ihrer weiteren Ausbildung sollten sie mit dem Nötigsten ausgestattet sein, um im Leben zurecht zu kommen. Und der Segen Gottes gehörte da einfach dazu.

Inzwischen gibt es immer weniger Gemeinden, die an Judika konfirmieren. Der Sonntag ist frei geworden, um ihn mit einem neuen Leben- oder Glaubensthema zu verbinden. Dass sie das mit dem Friedensthema tun, finde ich ganz großartig.

Wenn wir uns in der Fastenzeit auf das Lebens-Notwendige konzentriere – wenn wir, wie die Konfirmierten früherer Jahrzehnte - nach dem suchen, worauf es ankommt im Leben, da fallen uns Frieden und Gerechtigkeit als Themen fast direkt vor die Füße .

Die Konfirmationen der jungen Menschen auf dem Weg zwischen Kindheit und Jugend hat das Leben der einzelnen im Blick. Die neue Bedeutung des Sonntags Judika bezieht sich auf das Leben und das Überleben des ganzen Planeten.

Und so freue ich mich, dass ich heute an dieser – gewissermaßen - Konfirmation in neuer Gestalt als Gast aus Baden mitwirken kann. Und mit ihnen darüber nachdenken und sie ermutigen kann, wie weitere Schritte möglich sind auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens. Und so ist auch der Sonntag Judika 2017 für mich ein ganz besonderer Sonntag!

„Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende!“ Dieser Aphorismus des irischen Schriftstellers von Oscar Wilde beschreibt die Gegenwart wie mit einem prophetischen Wort.

„Nichts ist gut in Afghanistan!“ Erinnern sie sich noch? Dieser Satz von Margot Käßmann aus ihrer Neujahrspredigt im Jahre 2010 hat damals eine heftige öffentliche Debatte ausgelöst.

Aber tatsächlich ist viel zu wenig gut auch in der Gegenwart. Nicht dass es viele in unserer Gesellschaft nicht gut hätten. Und ich will mich da gar nicht ausnehmen. Und dass es unserem Land im Vergleich zu vielen anderen Ländern doch ganz gut geht, will ich gar nicht bestreiten. Auch wenn es immer mehr Menschen gibt, die davon wenig oder gar nichts abbekommen.

Aber ist wirklich alles gut? Oder zumindest das meiste? Ich weiß nicht so recht. Die abendlichen Nachrichten lehren mich jeden Tag etwas anderes. Die halbe Welt scheint wie aus den Fugen. Und ich nehme das wahr wie auf einer Insel der Seligen.

Despoten, die nach immer mehr Macht gieren und die Demokratie auszuhebeln versuchen. Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Zäune, die die Welt von neuem einzuteilen versuchen. In geschützte Zonen. Und in Gebiete, in denen Menschen bei Schritt und Tritt ihr Leben riskieren.

Nein! Das Ende darf und kann das nicht sein. „Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende!“ Belastende Perspektiven sind das. Worte der Hoffnung, Worte, die von guten Aussichten sprechen, tun gut. Und sicher nicht nur mir.

Der Predigttext nimmt eine gänzlich andere Perspektive ein. Am Ende wird eben alles gut!

Beim Propheten Jesaja finde ich diese Worte. Jesaja spricht vom Ende. Vom guten Ende! Hören sie mit mir auf diese guten Worte. Und stimmen sie danach mit mir gesungen selber in diese Worte ein, indem wir dann die erste Strophe des Liedes „Es wird sein in den letzten Tagen“ singen. Aber vorher Worte des Jesaja:

Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem. Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird Recht sprechen unter den Nationen und Orientierung geben für viele Völker.

1. Es wird sein in den letzten Tagen, so hat es der Prophet gesehn, da wird Gottes Berg überragen alle anderen Berge und Höhn. Und die Völker werden kommen von Ost, West, Süd und Nord, die Gott Fernen und die Frommen, zu fragen nach Gottes Wort. Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!

Heilsame Orte. Die gibt es. Die gibt es in jedem Leben. Orte, zu denen ich eine besondere Verbindung habe. Orte, mit denen ich prägende Erinnerungen verbinde. Orte, an die ich immer wieder gern zurückkehre. Das Elternhaus. Die Hochzeitskirche. Ein Berg. Eine Wanderstrecke. Jeder Mensch hat eigene heilsame Orte.

Jesaja spricht von einem heilsamen Ort für die ganze Menschheit. Und natürlich kann für ihn nur der Tempelberg in Jerusalem dieser Ort sein. Der Tempelberg als heilsamer Ort – was für eine Tragik. Heute ist er der Ort, an dem die verschiedenen Religionen aufeinanderprallen wie kaum irgendwo anders. Und alles Heilsame ist in weite Ferne gerückt.

Der Tempelberg, der Berg Zion in der damaligen Namensgebung - in der Vision des Jesaja wird er zum Kristallisationspunkt für die ganze Welt. Und zum religiösen Zentrum für alle dazu. Nicht nur die dort lebenden Menschen, so Jesaja, suchen dort ihren Gott. Die Vielfalt der Völker zieht es dorthin. Und der Tempelberg wird so zum Ort interreligiöser Begegnung.

Orientierung suchen die Menschen. Sie suchen nach dem rechten Weg. Sie fragen danach, wohin es nach Gottes Willen gehen soll. „Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen!“ Ich finde, das ist eine Mut machende, eine kühne Vision. Religion, nicht als Ursache von Konflikten. Als Anlass, sich von denen abzugrenzen, die anders an Gott glauben. Religion – hier verstanden als Ort der Integration. Als Weg, der am Ende in einen Ziel mündet, zu dem andere sich auf anderen Wegen auch auf den Weg machen.

Wenn es uns heute gelänge, am Tempelberg in Jerusalem dieser Vorstellung einen Ort zu geben, und in den Gebieten hinter der großen Maier dazu, dann wären wir ein gutes Stück weiter auf dem Weg zu mehr Frieden.

Doch die Friedensvision des Jesaja wird noch konkreter. Und sie entwickelt eine Kraft, eine Energie, die nachwirkt – bis heute. Hören sie mit mir also, wie der Text weitergeht. Und singen wir dann gemeinsam die zweite Strophe des Liedes.

Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

2. Es wird sein in den letzten Tagen, so hat es der Prophet geschaut, da wird niemand Waffen mehr tragen, deren Stärke er lange vertraut. Schwerter werden zu Pflugscharen, und Krieg lernt keiner mehr. Gott wird seine Welt bewahren vor Rüstung und Spieß und Speer. Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!

Die eben gehörten und gesungenen Verse haben diesen Text des Jesaja berühmt gemacht. Ein Stück Weltliteratur – ohne Zweifel! Schwerter zu Pflugscharen. In Friedensgebeten und als aufgenähtes Symbol hat dieser Satz Kariere gemacht. Schwerter zu Pflugscharen. Doch so revolutionär wie uns das vorkommt, war das damals gar nicht.

Metall war teuer. Und rar. Die Umwidmung war zuallererst eine ökonomische Notwendigkeit. Und keine politische Aktion. Aber es ist zugleich ein Bild für Rüstungskonversion. Ein Bild für ein anderes Denken. Auch damals schon. Denn Jesaja deutet die Normalität um. Sieht sie als Programm für eine Zeit, in der alles gut ist: „Kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“

Auch den Frieden müssen wir lernen. Eine kleine Geschichte kommt mir dazu in den Sinn. Die Geschichte erzählt der russische Schriftsteller Samuil Marschak. Der hat einmal sechs- bis siebenjährige Kinder beim Spiel beobachtet. "Was spielt ihr?" fragte er sie. "Wir spielen Krieg", antworteten ihm die Kinder. Daraufhin erklärte ihnen der Schriftsteller: "Wie kann man nur Krieg spielen! Ihr solltet lieber Frieden spielen." "Das ist eine gute Idee", sagten die Kinder. Dann Schweigen, Beratung, Tuscheln, wieder Schweigen. Dann trat ein Kind vor und fragte: "Großväterchen, wie spielt man Frieden?"

Den Frieden zu lernen und nicht nur auf militärische Optionen zu setzen - als blauäugig wird eine solche Position heute verunglimpft. Als Denken, das an der Realität vorbeigeht. Manchmal kämen wir eben nicht darum herum, auf die militärische Option zu setzen. Aber der Einsatz muss dann mindestens gerecht sein. Muss bestimmten Kriterien genügen. Der gerechte Krieg als letzte Option, als ultima ratio, darauf haben wir auch in der Kirche gebaut – weil eben noch nicht alles gut ist.

Dabei käme es doch auf etwas ganz anderes an. Auf den gerechten Frieden. Als badische Kirche wissen wir: Waffen, die bei uns produziert werden, machen uns zu Beteiligten. Darum haben wir angefangen, genau dies zu üben: eine Kirche des gerechten Friedens zu werden. Es ist ein Üben auf dem Weg. Ein gemeinsamer Weg, auf dem viele mitgehen. Denn auch die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Baden-Württemberg hat einen Appell zum Frieden verabschiedet, den sich unsere Landessynode in knapp drei Wochen zu eigen machen will.

Es sind noch nicht die Massen, wie in der Vision des Jesaja. Aber es ist ein Perspektivwechsel. Ein verändertes Denken, das schon in der KiTa-Arbeit beginnen muss. Und das am Ende kein kirchliches Arbeitsfeld auslässt. Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden, Streitschlichtungsschulungen, Bildungsarbeit, Pfarrkonvente, Synodaltagungen, und nicht zuletzt unsere Gottesdienste.

Viel schwieriger als es ist, Schwerter zu Pflugscharten umzuschmieden, ist es, Stellen im Stellenplan umzuwidmen. Noch schwieriger, Selbstverständlichkeiten unseres Denkens in Frage zu stellen. Frieden und Gerechtigkeit – sie werden nicht angeordnet. Sie müssen gewagt und geübt werden.

Deshalb endet der Predigttext auch mit einer Aufforderung. Mit der Aufforderung, das Leben in diesem Sinn zu wagen. In jeder Strophe des Liedes ist diese Aufforderung auch der Kehrvers. Da heißt es am Ende:

Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!

3. Kann das Wort von den letzten Tagen aus einer längst vergangnen Zeit uns durch alle Finsternis tragen in die Gottesstadt, leuchtend und weit? Wenn wir heute mutig wagen, auf Jesu Weg zu gehn, werden wir in unsern Tagen den kommenden Frieden sehn. Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn.

Sich selber einzulassen auf die Wege des Friedens und der Gerechtigkeit – das ist das eine. Andere dafür zu gewinnen – das ist das andere. Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn. Andere Menschen zu gewinnen, dafür haben wir in der Kirche einen großen Schatz an Erfahrung. Ja sogar einen großen Vorsprung an Erfahrung. Weil dies nicht nur das Programm des Jesaja gewesen ist und das seiner Zeitgenossen. Sondern auch das unsere – seit den Anfängen des Kirche-Seins: Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn.

Darauf also kommt es an. Bündnispartnerinnen und Bündnispartner zu finden auf diesem Weg. Sich zusammenzutun, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Auf die Erfahrungen der anderen zu setzen, wenn ich mich noch zu unsicher fühle. Auch der Frieden hat schon eine lange Tradition. Jesajas Programm, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden, ist weit mehr als zweieinhalbtausend Jahre alt.

Dieser Sonntag Judika ist eine Gelegenheit, dass wir alle konfirmiert werden, um uns aufzumachen auf den Weg für Frieden und für Gerechtigkeit - damit alles gut wird. Und vielleicht müssen wir nicht einmal bis zum Ende warten. Sondern können schon heute damit anfangen. In Hamburg. In Baden. In der ganzen Ökumene. Und wenn es gut wird, wird das Leben gewinnen. Und das Ende kann dann ruhig noch auf sich warten lassen. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.