REFORMATION IM FLUSS
PREDIGT AM SONNTAG, DEN 4. JUNI 2017 (PFINGSTEN)
AUF DER MS FRANCONIA AUF DER FAHRT
VON WERTHEIM NACH MILTENBERG
04.06.2017
Liebe Gemeinde!
Pfingsten auf dem Wasser. Pfingsten auf dem Main. Wasser ist nicht das Element von Pfingsten. Das Element von Pfingsten ist das Gegenteil. Das Element von Pfingsten ist das Feuer! Das Element von Pfingsten ist der Heilige Geist! Wir haben es eben in der Lesung gehört. Entflammte Menschen. Vom Heilige Geist so sehr ergriffen, dass die Nüchternen daneben sich sicher waren: Da kann nur Alkohol im Spiel sein. Wenn dem Wasser an Pfingsten also Bedeutung zukommt, dann nur als Feuer-Wasser – im wahrsten Sinne des Wortes.
Reformationsgedenken auf dem Wasser. Reformationsgedenken auf dem Main. 500 Jahre nachdem alles angefangen hat. Das Element der Reformation ist nicht das Wasser. Das Element der Reformation ist das Wort. Das Wort, das mir zuspricht: „Du bist Gott recht!“ Das Wort Gottes ins Deutsche übersetzt. Das Wort Gottes, verständlich gemacht in der eigenen Sprache. Das Wort im Sinne der Reformation – es ist zumindest nicht weit entfernt von der Botschaft der Pfingsten: „Ein jeder hörte die Jünger in seiner eigenen Sprache reden.“
Reformation im Fluss! Das ist das Thema der Aktion, zu der auch diese heutige Flussfahrt auf dem Main gehört. Ohne die Flüsse wäre die Reformation nicht zu denken. Auf den Flüssen, auf den Schiffen, die sie befahren, wurden nicht nur Waren transportiert. Auf den Flüssen wurden Gedanken weitergeleitet. Die Flüsse waren die Glasfaser-Kabel-Netze früherer Jahrhunderte. Über die Flüsse konnte sich in Windeseile verbreiten, was das Denken der Menschen bestimmt und prägt.
Kein Wunder, dass die Flüsse sogar einer Konfession zugeordnet wurden. Vater Rhein – lange Zeit gilt er als katholisch. Am Rhein liegen die großen Zentren der katholischen Kirche, bedeutende Bischofsstädte: Köln, Mainz, Trier, Speyer, bis 1821 auch die Bischofsstadt Konstanz.
Die Elbe hielt man dagegen für evangelisch. Auf den Elb-Wiesen vor Wittenberg wurde am vergangenen Sonntag der Evangelische Kirchentag beendet. Von der Frauenkirche in Dresden bis zum Michel in Hamburg säumen prächtige protestantische Sakralbauten ihre Ufer. In Torgau an der Elbe wird 1544 mit der Schlosskirche die erste evangelisch gebaute Kirche eingeweiht. Niemand anders als Martin Luther selber nimmt die Einweihung vor und hält die Festpredigt.
Und der Main, auf dem wir heute fahren? Auf dem wir heute Pfingsten feiern und der Reformation gedenken? Ich denke, der Main ist längst ein ökumenischer Fluss. An seinen Ufern leben Menschen mit verschiedenster Konfession. Evangelisch. Und römisch-katholisch. Dazu Menschen, die einer anderen Religion angehören. Und wer weiß, womöglich viel mehr Menschen ohne religiöses Bekenntnis als wir glauben.
Auf dem Main zwischen Wertheim und Miltenberg feiern wir heute Reformation. Auf dem Main zwischen Wertheim und Miltenberg ist heute die „Reformation im Fluss.“ Im wahrsten Sinn des Wortes. Weil wir auf diesem Fluss fahren. Und sie ist im Fluss, weil die Reformation immer in Bewegung bleibt. Weil sie nie fertig ist ein für alle Mal. Sondern ein Projekt der Veränderung, das auf Dauer gestellt wird. „Ecclesia semper reformanda“ haben die Reformatoren das genannt. Zu deutsch: „Die Kirche muss immer reformiert werden!“ Nicht erst seit 1517. Sondern seit ihren allerersten Anfängen.
Hier liegt auch die Brücke vom Pfingstfest zur Reformation. An Pfingsten – dem Fest des Heiligen Geistes – an Pfingsten feiern wir, dass die Reformation im Fluss ist. Von allem Anfang. An Pfingsten feiern wir, dass Kirche unablässig im Wandel ist. Und dass uns ihre Veränderungen herausfordern. Vielmehr noch, dass es der stete Wandel ist, der unser Leben im Fluss hält. Und es uns als sinnvoll erscheinen lässt. Es ist der stete Zug zur Veränderung und zum Wandel, der uns davor bewahrt, wie einst die Frau von Lot zur Salzsäule zu erstarren.
Im Johannes-Evangelium, ganz am Ende, finden wir einen Bericht, der uns zur Brücke werden kann. Zur Brücke zwischen der Bedeutung von Pfingsten und zur Botschaft der Reformation. Eine Bericht zugleich, in dem beides seine Botschaft entfalten kann: Pfingsten. Und die Reformation!
Ich lese aus Johannes 21:
Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten es nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr!
Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, und zogen das Netz mit den Fischen.
Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.
Hier wird es Pfingsten, liebe Gemeinde! Hier wird es Pfingsten, noch vor den Ereignissen, von denen wir vorhin in der Lesung gehört haben. Hier wird es Pfingsten, weil die Jünger erkennen: „Es ist der Herr!“ Und weil sie die Gegenwart dieses Herrn als real erleben, obwohl er doch zuvor einen grässlichen Tod gestorben ist.
Es ist die Einladung zum Mahl, die den Jüngern die Augen öffnet. Und die mit einem Mal Kirche schafft. Denn Kirche ist da, wo Menschen ihren Herrn erkennen. Und sich von ihm ins Leben einladen lassen.
Dabei trifft der Geist die Jünger nicht einfach ohne ihr Zutun. Damit es Pfingsten werden kann, wird ihnen einiges abverlangt. Zunächst gilt: Pfingsten ist im Fluss! Sie müssen sich aufmachen aufs Wasser. Sie müssen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Sie machen sich ans Werk, obwohl sie die ganze Nacht vergeblich gefischt haben. Obwohl sie eben mit leerem Boot zurückgekehrt sind.
Sie tun das beim zweiten Mal nicht vergeblich. Soviel geht ihnen ins Netz, dass sie es kaum fassen können. Und ihnen leuchtet die pfingstliche Erkenntnis auf: „Es ist der Herr!“ Als sie dann essen, wagt kein ihn zu fragen, wer denn der sei, der sich in der Gemeinschaft des Mahles zu erkennen gibt. Sie wissen alle: Der, dem die Mächtigen eben noch den Garaus gemacht haben, der ist mitten unter ihnen. „Es ist der Herr!“
Was sie bisher zu wissen glaubten – über Gott und über Leben und Tod, hat keinen Bestand mehr. Die Fahrt über den See und das zum Reißen gefüllte Netz lassen keinen Zweifel zu. Auf dem See ist ihnen Gott selber begegnet. Im Wandel der Einsicht gibt Gott sich selber zu erkennen: Pfingsten ist im Fluss.
Genauso wie die Reformation. Die Notwendigkeit des ständigen Wandels der Kirche. Reformation im Fluss – Reformation auf dem Wasser des Sees. Nicht um irgendein besonderes historisches Ereignis geht es. Nicht um die nächtliche Aktion eines einzelnen, der seine Thesen an die Kirchentür nagelt.
Es geht um eine Weise Kirche zu sein. Kirche zu sein mitten im Alltag – wie bei denen, die an ihre Arbeit als Fischer zurückkehren. Kirche zu sein nicht aufgrund organisatorischer Entscheidungen und eigenständiger Initiativen. Kirche zu sein vielmehr in der Offenheit für die unerwartete Begegnung. In der Frage „Habt ihr nichts zu essen?“ den zu entdecken, der von sich sagt: „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben gewinnt: Leben in Fülle!“
Wie ihr alter Glaube zerbricht. Wie die Netze voll werden, wo es nichts zu fangen gibt. Wie sie Zukunft erfahren, wo in der Vergangenheit alle Hoffnungen in sich zusammengestürzt sind. Wie ihnen Gott durch die Finger rinnt und sie die umwerfende Erfahrung machen: „Es ist der Herr!“ – da beginnt die Reformation! Reformation, die einsetzt mit der Fahrt auf dem See, den sie kennen seit Kindheitstagen. Reformation im Fluss! Wahrhaftig also keine neue Erfahrung.
Unser Glaube bleibt im Fluss. Nicht nur heute. Nicht nur an Pfingsten. Und nicht nur im Festjahr 500 Jahre Reformation. Unser Glaube bleibt im Fluss. Weil die Welt um uns herum im Fluss bleibt.
Derzeit ist mehr in Bewegung als wir bisweilen verkraften können. Neue Nationalismen weltweit. Mauern, die doch niemandem nützen. Die Demokratie in Gefahr. Europa ein ums andere Mal verunglimpft. Der Kampf gegen den Klimawandel – angeblich nichts, was wir uns leisten können.
Viele Menschen sind verunsichert. Auch Christinnen und Christen. Aber wir haben eine Perspektive. Wir wissen, dass der Wandel voller Möglichkeiten steckt. Gefährlich wird’s erst, wenn nichts mehr im Fluss ist. Gefährlich wird’s erst, wenn alles stecken bleibt. Und wir festhalten wollen, was ist.
Gott ist von allem Anfang ein Gott im Fluss.
Ein mitziehender Gott bei den Israeliten auf der Flucht nach Ägypten.
Ein Gott, der die Mauern der Missverständnisse und der Sprachlosigkeit in sich zusammenfallen lässt, beim ersten Pfingsten.
Ein Gott, der Bewegung in die erstarrte Kirche bringt, vor 500 Jahren.
Ein Gott, der die engen Grenzen sprengt in unseren Tagen, und uns seine Spuren entdecken lässt, wo wir sie niemals vermutet haben.
Ein Gott, der uns ein ums andere Mal Anteil gibt an der Erfahrung seines Geistes der Liebe – mitten in aller Lieblosigkeit.
Ein Gott, der mich zum pfingstlichen Reden bringt, weil ich mir mit einem Male sicher bin: „Es ist der Herr!“
Es ist gut, dass alles im Fluss ist. Pfingsten! Die Reformation! Die Kirche. Ja - Gott selber ist im Fluss. Und uns gerade darum auch ganz nah! Amen.
Pfingsten auf dem Wasser. Pfingsten auf dem Main. Wasser ist nicht das Element von Pfingsten. Das Element von Pfingsten ist das Gegenteil. Das Element von Pfingsten ist das Feuer! Das Element von Pfingsten ist der Heilige Geist! Wir haben es eben in der Lesung gehört. Entflammte Menschen. Vom Heilige Geist so sehr ergriffen, dass die Nüchternen daneben sich sicher waren: Da kann nur Alkohol im Spiel sein. Wenn dem Wasser an Pfingsten also Bedeutung zukommt, dann nur als Feuer-Wasser – im wahrsten Sinne des Wortes.
Reformationsgedenken auf dem Wasser. Reformationsgedenken auf dem Main. 500 Jahre nachdem alles angefangen hat. Das Element der Reformation ist nicht das Wasser. Das Element der Reformation ist das Wort. Das Wort, das mir zuspricht: „Du bist Gott recht!“ Das Wort Gottes ins Deutsche übersetzt. Das Wort Gottes, verständlich gemacht in der eigenen Sprache. Das Wort im Sinne der Reformation – es ist zumindest nicht weit entfernt von der Botschaft der Pfingsten: „Ein jeder hörte die Jünger in seiner eigenen Sprache reden.“
Reformation im Fluss! Das ist das Thema der Aktion, zu der auch diese heutige Flussfahrt auf dem Main gehört. Ohne die Flüsse wäre die Reformation nicht zu denken. Auf den Flüssen, auf den Schiffen, die sie befahren, wurden nicht nur Waren transportiert. Auf den Flüssen wurden Gedanken weitergeleitet. Die Flüsse waren die Glasfaser-Kabel-Netze früherer Jahrhunderte. Über die Flüsse konnte sich in Windeseile verbreiten, was das Denken der Menschen bestimmt und prägt.
Kein Wunder, dass die Flüsse sogar einer Konfession zugeordnet wurden. Vater Rhein – lange Zeit gilt er als katholisch. Am Rhein liegen die großen Zentren der katholischen Kirche, bedeutende Bischofsstädte: Köln, Mainz, Trier, Speyer, bis 1821 auch die Bischofsstadt Konstanz.
Die Elbe hielt man dagegen für evangelisch. Auf den Elb-Wiesen vor Wittenberg wurde am vergangenen Sonntag der Evangelische Kirchentag beendet. Von der Frauenkirche in Dresden bis zum Michel in Hamburg säumen prächtige protestantische Sakralbauten ihre Ufer. In Torgau an der Elbe wird 1544 mit der Schlosskirche die erste evangelisch gebaute Kirche eingeweiht. Niemand anders als Martin Luther selber nimmt die Einweihung vor und hält die Festpredigt.
Und der Main, auf dem wir heute fahren? Auf dem wir heute Pfingsten feiern und der Reformation gedenken? Ich denke, der Main ist längst ein ökumenischer Fluss. An seinen Ufern leben Menschen mit verschiedenster Konfession. Evangelisch. Und römisch-katholisch. Dazu Menschen, die einer anderen Religion angehören. Und wer weiß, womöglich viel mehr Menschen ohne religiöses Bekenntnis als wir glauben.
Auf dem Main zwischen Wertheim und Miltenberg feiern wir heute Reformation. Auf dem Main zwischen Wertheim und Miltenberg ist heute die „Reformation im Fluss.“ Im wahrsten Sinn des Wortes. Weil wir auf diesem Fluss fahren. Und sie ist im Fluss, weil die Reformation immer in Bewegung bleibt. Weil sie nie fertig ist ein für alle Mal. Sondern ein Projekt der Veränderung, das auf Dauer gestellt wird. „Ecclesia semper reformanda“ haben die Reformatoren das genannt. Zu deutsch: „Die Kirche muss immer reformiert werden!“ Nicht erst seit 1517. Sondern seit ihren allerersten Anfängen.
Hier liegt auch die Brücke vom Pfingstfest zur Reformation. An Pfingsten – dem Fest des Heiligen Geistes – an Pfingsten feiern wir, dass die Reformation im Fluss ist. Von allem Anfang. An Pfingsten feiern wir, dass Kirche unablässig im Wandel ist. Und dass uns ihre Veränderungen herausfordern. Vielmehr noch, dass es der stete Wandel ist, der unser Leben im Fluss hält. Und es uns als sinnvoll erscheinen lässt. Es ist der stete Zug zur Veränderung und zum Wandel, der uns davor bewahrt, wie einst die Frau von Lot zur Salzsäule zu erstarren.
Im Johannes-Evangelium, ganz am Ende, finden wir einen Bericht, der uns zur Brücke werden kann. Zur Brücke zwischen der Bedeutung von Pfingsten und zur Botschaft der Reformation. Eine Bericht zugleich, in dem beides seine Botschaft entfalten kann: Pfingsten. Und die Reformation!
Ich lese aus Johannes 21:
Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten es nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr!
Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, und zogen das Netz mit den Fischen.
Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.
Hier wird es Pfingsten, liebe Gemeinde! Hier wird es Pfingsten, noch vor den Ereignissen, von denen wir vorhin in der Lesung gehört haben. Hier wird es Pfingsten, weil die Jünger erkennen: „Es ist der Herr!“ Und weil sie die Gegenwart dieses Herrn als real erleben, obwohl er doch zuvor einen grässlichen Tod gestorben ist.
Es ist die Einladung zum Mahl, die den Jüngern die Augen öffnet. Und die mit einem Mal Kirche schafft. Denn Kirche ist da, wo Menschen ihren Herrn erkennen. Und sich von ihm ins Leben einladen lassen.
Dabei trifft der Geist die Jünger nicht einfach ohne ihr Zutun. Damit es Pfingsten werden kann, wird ihnen einiges abverlangt. Zunächst gilt: Pfingsten ist im Fluss! Sie müssen sich aufmachen aufs Wasser. Sie müssen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Sie machen sich ans Werk, obwohl sie die ganze Nacht vergeblich gefischt haben. Obwohl sie eben mit leerem Boot zurückgekehrt sind.
Sie tun das beim zweiten Mal nicht vergeblich. Soviel geht ihnen ins Netz, dass sie es kaum fassen können. Und ihnen leuchtet die pfingstliche Erkenntnis auf: „Es ist der Herr!“ Als sie dann essen, wagt kein ihn zu fragen, wer denn der sei, der sich in der Gemeinschaft des Mahles zu erkennen gibt. Sie wissen alle: Der, dem die Mächtigen eben noch den Garaus gemacht haben, der ist mitten unter ihnen. „Es ist der Herr!“
Was sie bisher zu wissen glaubten – über Gott und über Leben und Tod, hat keinen Bestand mehr. Die Fahrt über den See und das zum Reißen gefüllte Netz lassen keinen Zweifel zu. Auf dem See ist ihnen Gott selber begegnet. Im Wandel der Einsicht gibt Gott sich selber zu erkennen: Pfingsten ist im Fluss.
Genauso wie die Reformation. Die Notwendigkeit des ständigen Wandels der Kirche. Reformation im Fluss – Reformation auf dem Wasser des Sees. Nicht um irgendein besonderes historisches Ereignis geht es. Nicht um die nächtliche Aktion eines einzelnen, der seine Thesen an die Kirchentür nagelt.
Es geht um eine Weise Kirche zu sein. Kirche zu sein mitten im Alltag – wie bei denen, die an ihre Arbeit als Fischer zurückkehren. Kirche zu sein nicht aufgrund organisatorischer Entscheidungen und eigenständiger Initiativen. Kirche zu sein vielmehr in der Offenheit für die unerwartete Begegnung. In der Frage „Habt ihr nichts zu essen?“ den zu entdecken, der von sich sagt: „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben gewinnt: Leben in Fülle!“
Wie ihr alter Glaube zerbricht. Wie die Netze voll werden, wo es nichts zu fangen gibt. Wie sie Zukunft erfahren, wo in der Vergangenheit alle Hoffnungen in sich zusammengestürzt sind. Wie ihnen Gott durch die Finger rinnt und sie die umwerfende Erfahrung machen: „Es ist der Herr!“ – da beginnt die Reformation! Reformation, die einsetzt mit der Fahrt auf dem See, den sie kennen seit Kindheitstagen. Reformation im Fluss! Wahrhaftig also keine neue Erfahrung.
Unser Glaube bleibt im Fluss. Nicht nur heute. Nicht nur an Pfingsten. Und nicht nur im Festjahr 500 Jahre Reformation. Unser Glaube bleibt im Fluss. Weil die Welt um uns herum im Fluss bleibt.
Derzeit ist mehr in Bewegung als wir bisweilen verkraften können. Neue Nationalismen weltweit. Mauern, die doch niemandem nützen. Die Demokratie in Gefahr. Europa ein ums andere Mal verunglimpft. Der Kampf gegen den Klimawandel – angeblich nichts, was wir uns leisten können.
Viele Menschen sind verunsichert. Auch Christinnen und Christen. Aber wir haben eine Perspektive. Wir wissen, dass der Wandel voller Möglichkeiten steckt. Gefährlich wird’s erst, wenn nichts mehr im Fluss ist. Gefährlich wird’s erst, wenn alles stecken bleibt. Und wir festhalten wollen, was ist.
Gott ist von allem Anfang ein Gott im Fluss.
Ein mitziehender Gott bei den Israeliten auf der Flucht nach Ägypten.
Ein Gott, der die Mauern der Missverständnisse und der Sprachlosigkeit in sich zusammenfallen lässt, beim ersten Pfingsten.
Ein Gott, der Bewegung in die erstarrte Kirche bringt, vor 500 Jahren.
Ein Gott, der die engen Grenzen sprengt in unseren Tagen, und uns seine Spuren entdecken lässt, wo wir sie niemals vermutet haben.
Ein Gott, der uns ein ums andere Mal Anteil gibt an der Erfahrung seines Geistes der Liebe – mitten in aller Lieblosigkeit.
Ein Gott, der mich zum pfingstlichen Reden bringt, weil ich mir mit einem Male sicher bin: „Es ist der Herr!“
Es ist gut, dass alles im Fluss ist. Pfingsten! Die Reformation! Die Kirche. Ja - Gott selber ist im Fluss. Und uns gerade darum auch ganz nah! Amen.