PREDIGT ÜBER MARKUS 4,26-29
SONNTAG, 19. FEBRUAR 2017 (SEXAGESIMAE)
IN DER MELANCHTHONKIRCHE IN MANNHEIM

19.02.2017
Liebe Gemeinde!

Da reist eine Visitationskommission drei Tage durch die ganze kirchliche Welt in Mannheim. Sie macht besuche, tagt zusammen mit dem Stadtkirchenrat und der Stadtsynode. Sie schaut genau hin und macht spannende Entdeckungen. Sie berät mit den Leitungsverantwortlichen im Stadtkirchenrat weitreichende Ziele für die nächsten Jahre. Sie will mithelfen, die Evangelische Kirche in Mannheim weiter zu entwickeln. Viel an Kräften und an Energie wird investiert. - Doch das Reich Gottes, das kommt ganz von selbst!

Da gerät die Welt immer mehr aus den Fugen. Da versucht einer, die Welt mit kleinen Tweets von 140 Zeichen zu beherrschen und zu verändern. Da wirbt der andere – wie gestern in Oberhausen - für eine Verfassung, in der alle Macht vom Präsidenten ausgeübt wird. Da versuchen die einen gegenzuhalten, indem sie der Kraft der Vernunft und der Macht richterlicher Entscheidungen vertrauen. Andere hoffen, Europa könne sich doch irgendwie zu einem Gegenmodell entwickeln, indem sie der Demokratie, den Errungenschaften des Rechtsstaats und den Medien vertrauen. Viel an Kräften und an Energie wird investiert. - Doch das Reich Gottes, das kommt ganz von selbst!

Da geraten Menschen in persönliche Krisen. Vertrautes und Bewährtes steht auf dem Spiel. Krankheit, Trennung, Verlust des Arbeitsplatzes. Und irgendwie robben sich die meisten zurück ins Leben. Gezeichnet. Aber am Ende dann doch wieder irgendwie zuversichtlich. Viel an Kräften und an Energie wird investiert. - Doch das Reich Gottes, das kommt ganz von selbst!

Das Reich Gottes kommt. Ganz von selbst! Und ich weiß nicht wie. Wie ich dazu komme? Hören sie auf den Predigttext für diesen Sonntag „Sexagesimae“. Er steht beim Evangelisten Markus im 4. Kapitel und dort in den Versen 26 bis 29. Da heißt es;

Und Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
Was waren das noch für Zeiten, liebe Gemeinde, in denen es ausgereicht hat, einfach den Samen auf das Land zu streuen. Und dann alles seinem natürlichen Gang zu überlassen. Was würde ein Landwirt heute diesem Jesus alles zu erzählen und zu zeigen haben. Ich bin selber in einer ländlich geprägten Welt aufgewachsen. Und ich hätte schon als Kind dieser Schilderung landwirtschaftlicher Arbeit aus eigener Anschauung wiedersprechen können.

Mit dem Aussäen allein ist es doch nicht getan. Böden sind hochsensible, empfindliche ökologische Systeme. Sie wollen gepflegt und gehegt und sie müssen bearbeitet werden müssen. Das ganze Jahr hindurch. Dass da einer zwischen Saat und Ernte einfach sorglos abwartet, schläft und wieder aufsteht und einfach nur zuschaut, wie alles wächst – das gibt es schlicht nicht-

Ein weiteres gäbe es einzuwenden. Der Text könnte, fehlgedeutet als schlichte Handlungsanweisung, einfach zur Untätigkeit verleiteten. Nach dem Motto: Mach dir keine Sorgen. Und mach dir schon gar keine Arbeit. Der liebe Gott wird’s schon richten. Das steht doch sogar in der Bibel.

Aber da wäre dieser Text ganz schön missverstanden. Deshalb möchte ich nun noch einen anderen Zugang wählen. Der Predigttext ist ein Gleichnis. Genauer gesagt: ein Reich-Gottes-Gleichnis. In den Evangelien sind uns eine ganze Reihe solcher Reich-Gottes-Gleichnisse überliefert.

Vom kleinen Senfkorn erzählt Jesus, der unscheinbaren Pflanze, die zu überraschender Größe heranwächst, und die am Ende die meisten anderen Pflanzen an Größe übertrifft. Von der kleinen Menge Sauerteig erzählt er, die einen ganzen Teig zu durchsäuern vermag. Kurz vor dem Predigttext, im selber Kapitel Markus 4, wird dann schon einmal vom Säen berichtet. Vom Samen, der unter die Dornen fällt und erstickt. Oder auf den Weg und zertreten wird.

Im Gleichnis des Predigttextes geht es allerdings gar nicht um den Samen oder den Sauerteig. Es geht um den Vorgang des Wachsens selber. Das unterscheidet dieses Gleichnis von all den anderen. Macht es zu einem besonderen Gleichnis. Oder besser noch: einem Gegen-Gleichnis!

Es geht nicht um den fachgerechten Umgang mit landwirtschaftlicher Nutzfläche. Es geht schon gar nicht um das Hände-in-den-Schoß-legen. Es geht darum, dass wir immer wieder neu das Staunen lernen, wenn da einfach etwas wächst. Unserem Zutun im Grunde entzogen. Wie ein Wunder. Und so ganz anders als sonst im Leben, wo so vieles von unserem Planen und Entscheiden abhängt.
Noch einmal ist Vorsicht geboten. Wir haben heute durchaus Einsicht auch in den Vorgang des Wachsens. Wir Menschen wissen ziemlich genau, wie Leben entsteht. Wir greifen in Zelllaufbahnen ein. Wir züchten neue Pflanzenarten. Und machen nicht einmal vor dem menschlichen Leben halt. Ob das immer gut ist, vor allem ob uns das immer gut bekommt, dazu möchte ich an dieser Stelle gar nichts sagen. Auch die Erkenntnisse der Wissenschaft sind nicht einfach immer vom Teufel. Sie entspringen auch dem Gebrauch unseres Verstandes. Und der ist schließlich auch eine Gottesgabe.

Aber auch diese scheinbar erklärbare Welt kommt ohne Wunder nicht aus. Jenseits des Erklärbaren bleibt allemal Raum für das Staunen. Wir wissen, wie etwas vor sich geht. Wir können es aber nicht machen. Sondern nehmen staunend wahr, was sich jenseits des Machbaren ereignet.

Deshalb möchte uns der Predigttext in ganz besonderer Weise das Staunen lehren. Er führt uns eine Haltung vor Augen, die sich fundamental von dem unterscheidet, wie wir Leben oft machen. Und in der Hand halten wollen.

Deshalb habe ich auch von einem Gegen-Gleichnis gesprochen. Einem Gleichnis, das unserer Art zu leben ein Gegen-Bild vor Augen führt. Solche Gegen-Bilder haben wir nötig. Solche Gegen-Bilder tun uns gut.

Wenn alles wieder einmal über einen Kamm geschoren werden soll – wenn scheinbare Zauber-Lösungen angeboten werden, dann sehne ich mich nach einem heilsamen Gegenbild. Dann möchte ich das Lob der Vielfalt möglicher Lösungen singen.

Wenn alles wieder einmal ganz schnell gehen soll. Wenn die Propheten einer besseren Zukunft wieder einmal unnötig Druck machen und auf vorschnelle Zustimmung drängen, dann sehne ich mich nach einem heilsamen Gegenbild. Dann möchte ich das Lob des gemächlichen Fortschritts singen.

Wenn die Formeln und Lösungen parat liegen, wenn manche vorschnell wissen, wohin sich alles entwickeln soll, dann sehne ich mich nach einem heilsamen Gegenbild. Dann plädiere ich für den Mut zur Unschärfe und zum Noch-Nicht-Wissen.

Wenn zu viele den Möglichkeiten des Machens vertrauen, dann sehne ich mich nach einem heilsamen Gegenbild. Dann möchte ich mir das Gleichnis von der Saat, die ganz von selbst wächst, in Erinnerung rufen lassen.

Das gibt es wirklich – dass da etwas im Wachsen ist. Ohne unser Zutun. Einfach so. Und das gilt wahrhaftig längst nicht nur im Bereich des Wachstums in der Natur. Dieses Wunder ereignet sich auch noch in anderer Weise. Wenn aus einer kleinen Idee eine große Bewegung wird. Weil ich Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden habe. Auf diese Weise sind die meisten der großen Veränderungen entstanden. Und beileibe nicht nur in der Kirche.

Dieses Wunder hat sich in ganz großem Maß ereignet. Vor 2000 Jahren. Als Gegen-Bild zum mächtigen römischen Reich mit seinen Statthaltern und seinem mächtigen Kaiser. Ein kleiner Kreis entmutigter galiläischer Fischer wird zum Ausgangspunkt einer Bewegung, die bis heute in der Welt lebendig ist. Da wurde etwas gesät. Da hat Gott einen Samen in den Lauf der Geschichte gelegt – und daraus entwickelt sich ganz Großes.

Dieses Wunder hat sich auch vor 500 Jahren ereignet. Als Gegenbild zu den mächtigen Päpsten und dem großen Kaiser, in dessen Reich die Sonne nie unterging. Ein kleiner Mönch in der wittenbergischen Provinz mach eine großartige Entdeckung, die die Fragen und Wunden seines Lebens heilt. Und eine Bewegung entsteht, die halb Europa elektrisiert und deren Auswirkungen uns in diesem Jahr ein ums andere Mal feiern und gedenken lässt.

Dieses Wunder ereignet sich bis heute. Und es ereignet sich auch in Mannheim. Es ereignet sich auch hier in der Neckarstadt. Aus Veränderungen schöpft unsere Kirche neue Kraft. In Mannheim und anderswo. Und aus der Kraft des Glaubens erwachsen neue Lösungen. Und ein Gegen-Bild beginnt aufzuleuchten. Ein Gegenbild zu einer Kirche des Weiter-so und der ängstlichen Sorge, das Neue würde uns womöglich den Verlust von Vertrautheit Heimat bedeuten.

Gott schenkt uns Mut und Phantasie. Gott ermuntert uns zu neuen Aufbrüchen. Wir sorgen und planen. Wir geben Liebgewordenes auf und wissen noch gar nicht, ob wir da Neue auch wieder lieb gewinnen. Aber mit einem Mal wächst da etwas. Nicht aus dem ängstlichen Abwarten, sondern aus dem mutigen Aufbruch in Neues. Die Saat geht auf. Aber ich weiß nicht wie.

Wie das geschieht, bleibt ein Geheimnis. Unser Glaube wie unser Staunen wachsen wie die Saat. Und nicht selten gibt es der Herr den Seinen sogar im Schlaf.

Gottes Reich ist im Werden. Gottes Reich ist im Wachsen – mitten in dieser Welt. Mitten in unserer Zeit. Mitten unter uns.

Wenn das keine gute Nachricht ist. Wenn das kein Grund ist, zuversichtlich zu bleiben. Gottes Gegenbilder nähren unsern Glauben. Sogar dann, wenn alles dafür spricht, dass sich nichts ändert. Gott lässt sein Reich wachsen. Er lässt es sich ausbreiten – ohne unser Zutun. Aber nicht ohne, dass es uns zugute kommt.

Wir bleiben manchmal allzu ungeduldig zurück. Wollen das Reich Gottes herbeireden. Beschleunigen. Wollen ernten, wo wir gar nicht gesät haben. Ich will ihnen dazu eine kleine Geschichte erzählen. Vielleicht kennen sie sie auch schon. Aber das macht nichts. Es ist die Geschichte eines überraschenden Gegenbildes. Eine Geschichte, in des es um die Gabe des Wachsen-Lassens geht, die manchmal doch unsere Geduld sehr strapaziert.

Da betritt ein Mensch einen Laden. Hinter der Theke steht ein Engel. Ungeduldig fragte der Mensch den Engel: „Was verkaufen Sie hier?“ Der Engel antwortet freundlich: „Alles, was Sie wollen.“ Da beginnt der Mensch aufzuzählen: „Dann hätte ich gern das Ende aller Kriege in der Welt, eine gerechtere Verteilung der Güter dieser Welt, mehr Gemeinschaft und Liebe in der Kirche, mehr Menschlichkeit, eine bessere Welt überhaupt … „
Da fällt ihm der Engel ins Wort: „Entschuldigen Sie, Sie haben mich falsch verstanden. Wir verkaufen hier keine reifen Früchte, wir verkaufen hier nur die Samen.“


Darum geht es also: Nicht gleich schon paradiesische Zustände vorwegnehmen. Sondern darauf zu vertrauen, dass Gott den Samen wachsen lässt, den wir in die Erde legen.

Den Samen des kleinen Einsatzes für unsere Mitmenschen. Den Samen des kleinen Widerstands gegen alle Mächte des Bösen. Den Samen unseres manchmal kleinen Glaubens, der immer wieder ins Wanken gerät.

Die Zeit der Ernte wird sicher kommen. Aber zuvor lässt Gott noch vieles wachsen. Zuvor lässt Gott noch vieles Kleine groß werden. Zuvor werden wir uns im Stauen üben, wie Gottes Reich immer wieder aufblitzt – auch in unserem Leben. Ehe am Ende Unrecht und Gewalt tatsächlich an ihr Ende kommen. Weil wirklich geworden ist, was wir jetzt erst wachsen und reifen sehen.

Heute gilt: Gottes Reich ist im Wachsen. Gottes Reich ist im Werden. Das ist erst einmal genug. Mehr braucht’s nicht für heute. Das lasst uns feiern. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.