Ansprache über Psalm 27,1 zur Ordination von Friedel Goetz im Gottesdienst am 10. September 2017 in der Hafenkirche in Mannheim
Lieber Herr Goetz!
Ganz schön vermessen! Vermessen scheint, was wir uns heute in diesem Gottesdienst vornehmen! Vermessen scheint, was sie sich heute vornehmen – wozu sie heute beauftragt werden mit dieser Ordination! Vermessen erscheint auch, dass ich sie heute im Auftrag unserer ganzen Kirche ordinieren soll!
Vermessen! Wie ich darauf komme? Auf der Vorderseite der Einladung zu ihrer heutigen Ordination ist ihr Gesicht abgebildet. Entstanden, so konnte ich auf der Rückseite lesen, bei einer Kunstaktion. Ich habe das Bild einfach auf mich wirken lassen. Eine gute Aufnahme ihres Gesichtes. In Schwarz-weiß gehalten. Waagrecht und senkrecht laufen Linien durch ihr Gesicht. Senkrecht mittig wird es halbiert. Die von mir als Betrachter aus gesehen rechte Hälfte erscheint eher im Licht, die linke etwas abgedunkelt.
Waagrechte Linien setzen den Konturen ihres Gesichts Grenzen. Beim Haaransatz. Unterhalb des Kinns, des Mundes und der Nase. Zwischen dem halbierten Auge und den Augenbrauen. Wie vermessen schauen sie mir entgegen. So, als habe jemand Maß an ihr Gesicht angelegt und geprüft, ob die Anatomie ihres Gesichtes irgendwelchen Vorgaben entspricht.
Vermessen wurden sie in den letzten Wochen und Monaten immer wieder. Fachlich in einem aufwändigen Theologischen Examen. Und am Ende mit einem Urteil, ausgedrückt in gemessenen Leistungs-Zahlen. Bravouröse Zahlen, wie es der Einladung auch zu entnehmen ist. Sie haben der Vermessung bestens Stand gehalten. Und ihr Examen bestanden. Herzlichen Glückwunsch!
Vermessen in noch viel höherem Maße und oft unbemerkt und nach weichen Kriterien haben viele sie in ihrem Lehrvikariat. Im Gespräch. Im direkten persönlichen Umgang. Auf der Kanzel. In der Schule. Und ich bin sicher: Auch da sind sie mit den unausgesprochenen Mess-Anforderungen sehr gut zu Recht gekommen. Sonst wären heute nicht so viele Menschen doch in allererster Linie Ihretwegen hier.
Ich musste sie nicht vermessen. Gottseidank! Aber natürlich ging mir auch Messwürdiges durch den Kopf bei unserem Gespräch. Wie werden sie dieser Kirche gut tun, lieber Herr Goetz, habe ich gedacht! Auf Menschen wie sie sind wir in der Kirche mehr denn je angewiesen! Menschen, die nicht einfach stromlinienförmig daherkommen. Menschen, die es sich nicht leicht machen mit biographisch einschneidenden Entscheidungen und sich fragen: Genüge ich dem Maß, dass ich selber an mich und mein Leben anlege? Menschen, die sich nicht einfach nur niederlassen wollen, sondern die sich bewegen. Was den Ort betrifft. Die eigenen Profilierungen! Und die eigenen Positionierungen.
Gerade weil sie nicht einfach nur einem Norm-Maß genügen, freut es mich ungemein, dass sie sich auf diesen Weg einlassen, Pfarrer zu werden. Und das, ohne dass sie all die Wege, die vor ihnen liegen, nur annähernd schon hätten vermessen können.
Und auf einmal werden diese Mess-Striche in ihrem Gesicht unsichtbar. Unwichtig auch, weil da ein anderes Licht auf sie fällt. Dieses Licht wird nicht gespeist von einem Mess-Gerät, dass die Feinstrukturen erhellen will. Dieses Licht entspringt einer anderen Quelle. Unter ihrem Gesicht ist auf der Einladung ein Satz aus der Bibel zu lesen. Der erste Vers des 27. Psalms. Für sie als Motto-Vers zu dieser Ordination ausgewählt von ihnen, liebe Frau Ressel, wenn ich das richtig weiß. Da heißt es:
Gott ist mein Licht und mein Heil,
vor wem sollte ich mich fürchten.
Gott ist meines Lebens Kraft,
vor was sollte mir grauen.
Ein Protest-Satz gegen alles Vermessen ist das. Und ein Ermutigungssatz zugleich, Vermessenes zu wagen. Gerade auch als Pfarrer.
Ins Licht gesetzt werden sie durch diesen Satz, lieber Herr Goetz, ins rechte Licht gewissermaßen. Durch den Blick, dem es genügt, zu sehen, dass ich da bin. Durch der Blick, der auf jedes Vermessen verzichtet, weil er von Anfang an die Schönheit voraussetzt. Durch den Blick, der mich geradezu erst schön macht.
Menschen wagen einen solchen Blick – wenn sie sich lieben. Gott wagt diesen Blick, weil Gott, will, dass ich mich nicht klein mache. Sondern darauf vertraue, dass Gottes Licht mich so erscheinen lässt, wie Gott mich gemeint hat.
Lieber Herr Goetz! Wenn sie in diesem Gottesdienst zum Dienst als Pfarrer ordiniert werden, dann sollen sie heute in besonderer Weise in diesem Licht aufleuchten, das in Gott seinen Ursprung hat. Dann sollen sie darauf vertrauen, dass sie Unermessliches in Bewegung bringen können. In Verkündigung und Sakramentsspendung, wie das in der Sprache der Bekenntnisse unserer Kirche heißt. In der Kommunikation der Menschenfreundlichkeit Gottes durch Worte der Zuwendung und durch Gesten, die sagen: Du gehörst dazu. Durch Zeichen und Symbole, die manchmal noch beredter sind als Worte es sein können. Durch ein offenes Ohr und durch einen beherzten Einspruch gegen alles, was Menschen klein macht und sie ihrer Würde beraubt. Manchmal auch durch das Schweigen, das unsinnige Wortfluten vermeidet und einfach mit aushält.
Ja, manchmal mag es vermessen erscheinen, wenn wir das tun - nicht nur als Pfarrerin oder als Pfarrer, sondern einfach in der Freiheit eines Christenmenschen. Es mag vermessen erscheinen, mit anderen Menschen deren Wege auszuloten. Mit ihnen manchmal sogar den Gang übers Wasser zu wagen - wo wir doch selber oftmals nur mit nassen Füßen daher kommen. Aber weil Gott ihr Licht ist, lieber Herr Goetz, nicht erst durch die Ordination, sondern von allem Anfang an – weil Gott uns unsere Furcht nimmt und es uns immer wieder auch gelingen lässt, was wir uns vornehmen – weil Gott uns misst mit einem ganz anderen Maß, wird das Vermessene plötzlich doch zur Möglichkeit.
Da verwandelt sich die Welt – und sei’s nur im unscheinbaren Anfang. Da leuchtet Gerechtigkeit auf und Solidarität. Da fallen Grenzen in sich zusammen und unermesslich Kühnes rückt in Reichweite. Und sie, lieber Herr Goetz, sind als Pfarrer mittendrin. Auf Augenhöhe. Und dennoch mit besonderem Auftrag.
Sie erinnern andere an das Licht, das Gott selber ist. Und es scheint auf und lässt alles mit kleinlichem und ängstlichem Maß Gemessene in sich zusammenfallen. Es braucht solche Menschen, lieber Herr Goetz. Es braucht solche Pfarrerinnen und Pfarrer. Es braucht unermesslich viele Menschen, die anderen zur Schwester und zum Bruder werden. Es braucht sie, weil Gott sie braucht - um der Menschen willen. Und viele Menschen sie brauchen - um Gottes Willen. Überall da, wo sie ihren Dienst als Pfarrer wahrnehmen.
Darum mag es vermessen sein, was wir heute tun – wenn wir selber die Garantie dafür übernehmen müssten. Aber wenn Gott sein Licht darauf scheinen lässt – vor wem sollten sie sich fürchten! Wenn Gott ihnen Kraft zukommen lässt – vor was sollte ihnen grauen! Kein Grund also, dieses Vermessene ihrer Ordination nicht zu feiern! Amen.