PREDIGT ÜBER KOLOSSER 4,2-6
IM GOTTESDIENST ZUR VERLEIHUNG DES GRÜNEN GOCKELS
AM SONNTAG, DEN 6. MAI 2018
( ROGATE)
IN DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN SPECHBACH

06.05.2018
Liebe Gemeinde! Mit dem Feiern kann man nie früh genug anfangen. Zumindest lässt das ihr Gottesdienstbeginn um 9 Uhr vermuten. Sie haben heute tatsächlich Grund zum Feiern: ihre Zertifizierung als Grüne-Gockel-Gemeinde. Und sie sind dabei in guter Gesellschaft. In einer Gesellschaft, zu der immer mehr gehören wollen. Darüber freue ich mich mit ihnen. Und ich gratuliere ihnen von Herzen.

Eine Gemeinde, die sich auf den Weg macht, eine Gemeinde mit dem Grünen Gockel zu werden, bringt zum Ausdruck, dass sie ernst machen will mit dem Auftrag, die Schöpfung zu bewahren. Manchmal kommt es mir so vor, als dass wir als Kirche hier immer noch viel zu vorsichtig agieren. Und viel zu leise. So als wüssten wir nicht, ob dieser Einsatz wirklich zu unserem Kerngeschäft gehört. Als ob wir ein schlechtes Gewissen haben müssten, dass wir uns als Kirche einsetzen für die Welt, in der wir leben.

Was bedeutet denn dieser Weg, den sie als Gemeinde bisher gegangen sind und dessen erfolgreichen Abschluss - oder dessen erstes großes Etappenziel - sie heute feiern? Ist das eine Zutat? Oder liegt das im Kernbereich dessen, was wir als Kirche tun sollen - ja tun müssen?

Wann ist die Kirche denn überhaupt bei ihrer Sache? Worauf kommt es in der Kirche entscheidend an? Was sind ihre Themen? Was ist der Kern ihrer Botschaft? Wozu will sie die Menschen verlocken?

Es gibt unterschiedliche Wege, diese Frage zu beantworten. Und je nachdem, wem ich diese Frage stelle, würde ich auch ganz unterschiedliche Antworten erhalten. Von einem Politiker. Von einer Theologieprofessorin an der Heidelberger Universität. Von einem Oberkirchenrat. Von ihrer Dekanin. Oder ihrer Pfarrerin. Oder von ihnen hier als Gemeinde in der Kirche in Spechbach.

Ganz Unterschiedliches würde ich zu hören bekommen. Auf die Bibel kommt es an, würden die einen sagen. Auf die Bekenntnisgrundlagen. Auf das Wort Gottes - so würden andere antworten. Das rechte Verhalten ist ganz wichtig, würde dritte sagen. Die rechte Ethik. Gelebte Mitmenschlichkeit und Geschwisterlichkeit ist uns wichtig. Und der Einsatz für mehr Gerechtigkeit. Für Frieden. Und eben für die Bewahrung der Schöpfung.

Ich will mit Ihnen auf die Antwort eines der ganz Großen der Kirche schauen. Auf den Kronzeugen der Anfangszeit der Kirche. Auf Paulus. Auf den, mit dem die Kirche sich aufgemacht hat auf den Weg in die Welt.

Warum, so denke ich, warum laden wir Paulus nicht einfach einmal ein in ihre Begleitgruppe Grüner Gockel, in ihr Umwelt-Team. Fragen sie ihn doch einfach selber. "Lieber Paulus, wir wollen unser Umweltengagement verbessern. Aber wir wollen das ganz bewusst als Kirche tun. Ist das überhaupt unsere Aufgabe? Worauf kommt es da für uns an?"

Und ich stelle mir vor, Paulus, hätte eine Briefrolle aus seiner Tasche herausgezogen - nein, wenn er heute käme, sicher sein Tablet, und er hätte gesagt: "Ich habe gerade einen Brief geschrieben. Da geht es genau um diese Frage, da geht es darum, worauf es ankommt in der Kirche. Ich lese euch den Schluss meines Briefes einmal vor."

Wir wissen nicht ganz genau, ob Paulus diesen Brief wirklich selber geschrieben hat. Oder ob er von einem seiner Schüler stammt. Aber ich stelle mir jetzt einfach vor, Paulus hätte genau jene Verse vorgelesen, die heute als Predigttext vorgeschlagen sind, die Anfangsverse aus dem vierten Kapitel des Briefes an die Gemeinde in Kolossae, einer Stadt im westlichen Teil der heutigen Türkei gelegen. Oder vielleicht doch an sie als Gemeinde hier Spechbach.

Und dann beginnt Paulus laut vorzulesen:

Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll.

Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus. Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.


Ich vermute, in ihrem Umwelt-Team oder im Kirchengemeinderat wäre Stille eingetreten. Irgendwann hätte einer oder eine sich dann ein Herz gefasst. "Lieber Paulus, das klingt ja ganz gut. Aber was machen wir jetzt damit? Wo geht es hier um die Kirche? Wo um unser Umweltmanagement?"

Und Paulus, modern wie er ist, hätte um einen Beamer gebeten. "Ich habe mir fast gedacht, dass ihr mich so fragen würdet. Deshalb habe ich eine kleine Präsentation vorbereitet", fährt er fort. "In vier knappen Sätzen möchte ich euch erklären, warum ihr in diesem Brief eine Antwort findet auf eure Fragen."

Paulus ruft die erste Folie auf. "Beten und Reden" steht jetzt groß an der Wand. "Das ist das Wichtigste! Und eigentlich geht es bei beidem um dasselbe. Nur ist die Richtung jeweils unterschiedlich. Beten heißt, darauf verzichten, die Welt selber retten zu wollen. Beten heißt, bei allem, was ihr tut, am Ende von einem anderen das Gelingen erhoffen. Beten heißt, voll Vertrauen mit Gott rechnen im Leben. Für euch selber. Und für andere.

Aber bevor ihr das jetzt falsch versteht. Es geht nicht darum, dass ihr euch aus der Welt zurückzieht. Und die Welt ihrem Schicksal überlasst. Ihr müsst eure Überzeugungen mit anderen teilen. Kommunizieren nennt ihr das heute. Ich hab es hier einfach einmal "Reden" genannt. Kraftvoll sollt ihr reden. Mit überzeugenden Worten und mit Salz gewürzt!

"Beten und Reden" - da ist alles Wesentliche im Leben im Blick. Eure ganz persönlichen Sorgen. Die Sorge um die vielen Entwicklungen in der Welt, die uns in Unruhe halten. Aber auch die Fürsorge für die Welt überhaupt. Für die ganze Schöpfung."

Paulus ist nicht zu stoppen. Eine Frau fasst sich ein Herz, um ihn zu unterbrechen. "Aber vom Reden ist die Welt noch niemals besser geworden!", entgegen sie ihm. "Und von unserem Beten, da muss doch eine verändernde Kraft ausgehen."

"Du hast recht", sagt Paulus. Jetzt wirft er eine zweite Folie an die Wand. Wieder nur drei Worte: "Verwandeln und Handeln" können die Menschen jetzt lesen. "Natürlich muss sich etwas ändern!", sagt Paulus. Mit unserem Beten hat dieses Verwandeln schon begonnen. Und in unserem Handeln setzt sich das fort. Hände in den Schoß, das reicht nicht. Gott hat uns schließlich auch unseren Verstand geschenkt. Unsere Phantasie. Unsere Widerstandskraft, wenn uns das Gefühl beschleicht, wir befinden uns auf dem falschen Weg.

Aber wir müssen unsere Zeit sinnvoll ausnutzen. Ihr sprecht gerne von Zeitfenstern. Ich habe lieber vom Kairos gesprochen. Vom rechten Zeitpunkt, den Gott mir schenkt. Kauft die Zeit aus, habe ich immer wieder gesagt. Greift ein, ehe es zu spät ist. Wenn ihr euch eure Welt anschaut, versteht ihr, was ich meine. Ihr redet von Frieden. Aber es werden immer mehr Waffen verkauft. Ihr wollt die Schöpfung bewahren. Aber in den letzten 30 Jahren sind 80 Prozent eurer Singvögel verschwunden. Und eure Bienen sterben in großer Zahl."

Ich habe euch noch eine Folie mitgebracht." An der Wand erscheint: "Bewahren und Sparen". "Jetzt wird es aber richtig politisch", sagt ein Kirchengemeinderat. "Jetzt redest du auch noch vom Sparen. Ich kann es nicht mehr hören!" "Das kann ich gut verstehen", entgegnet Paulus. "Aber ganz ohne Sparen kommt auch ihr nicht aus. Aber ihr dürft bei Sparen ohnedies nicht nur ans Geld denken. Ursprünglich bedeutet Sparen einfach schonen oder verschonen. Insofern ist Gott der wichtigste Sparer überhaupt. Ein ums andere Mal hat Gott die Welt verschont."

"So kommt mir das aber nicht vor!" Eine hochbetagte Frau widerspricht. "Ich habe nicht den Eindruck, dass Gott mich in meinem Leben geschont hat. Flucht. Verlust des Arbeitsplatzes. Die Kinder weggezogen. Mein Mann jetzt auch schon einige Jahre tot." Paulus hört gut zu. "Du hast es nicht leicht gehabt im Leben! Aber es ist nicht Gott, der für das alles verantwortlich ist. Gott hat den Menschen eine große Freiheit eingeräumt. Und gerade wir Menschen ersparen uns fast nichts.

Aber darin, dass du in dem allem bewahrt worden bist, kannst du doch spüren: Gott gibt die Welt nicht aus der Hand. Gott bewahrt sie, mitten in aller Schonungslosigkeit, mit der wir mit der Welt umgehen." "Und miteinander umgehen", ergänzt die ältere Frau.

Jetzt mischt sich ein Mann aus dem Umwelt-Team ins Gespräch ein. "Zur Kirche hast du jetzt noch gar nichts gesagt", sagt er. "Und zum Grünen Gockel auch nicht." "Nur Geduld", entgegnet Paulus. Ich habe ja auch noch eine vierte Folie." Und er wirft noch einmal drei Worte an die Wand.

"Krähen und Säen". "Reden allein reicht manchmal nicht aus. Diese Erfahrung habt ihr doch alle schon gemacht. Die Kirche hat sich nicht ohne Grund den Hahn als ihr Symbol ausgewählt. Fast von Anfang an. Der Hahn erinnert uns an unsere Verantwortung. Wie schon bei Petrus in der Nacht auf den ersten Karfreitag. Wenn der Hahn kräht, wissen wir, was die Stunde geschlagen hat.

Ihr habt es heute mit einem grünen Hahn, dem Grünen Gockel. Der soll euch an Eure Verantwortung für die Schöpfung erinnern. An den sorgsamen Umgang mit Stoffen, die der Umwelt nicht guttun. An unnützes Verschleudern von Energie. An die Fürsorge für Pflanzen und Tiere. Und an die Verantwortung dafür, dass auch eure Kinder noch gut und gerne in dieser Welt leben können. Nachhaltigkeit nennt ihr das gerne.

Aber ihr habt auch an eure Vorbildfunktion für andere. Für die Gesellschaft, in der ihr lebt. Für sie seid ihr tatsächlich so etwas wie ein grüner Hahn. Ein grüner Gockel. Ihr kräht eure Fürsorge und eure Verantwortung mutig in die Welt hinaus. Aber denkt daran, ihr seid nicht der einzige grüne Gockel. Die gibt es nicht nur in der Kirche. Die gibt es auch bei denen, die "draußen sind", wie ich das in meinem Brief geschrieben habe.

Krähen, Zeichen setzen, unüberhörbar mahnen, das ist das eine. Das andere ist das Säen. Und ehrlich gesagt, manchmal auch das Mähen. Es braucht beides. Einmal gehts ums Mut machen. Das andere Mal ums Grenzen setzen."

"Und was hat das jetzt mit der Kirche zu tun?" Der Mann aus der Gruppe Grüner Gockel hakt nach. Paulus zögert keinen Augenblick: "Die Kirche, das ist der Ort, an dem Menschen all das tun, worüber wir gesprochen haben.

Beten und Reden.
Verwandeln und Handeln.
Bewahren und Sparen.
Krähen und Säen - und manchmal auch Mähen.


Wo das geschieht, in Gottes Namen und um der Menschen willen, da ist Kirche!

Einen gibt es, der hat das vorgelebt. Der, von dem ich in meinen Briefen immer schreibe. Der, der mir selber ein Licht hat aufgehen lassen. Damals vor Damaskus. Der mir immer wieder Türen geöffnet hat, wie ich es in meinem Brief geschrieben habe. Der Christus Gottes. Mit diesen vier Sätzen lässt sich sein Leben ganz wunderbar beschreiben.

Aber er blieb nicht allein mit diesem Programm. Viele habe sich auf ihn eingelassen. Viele haben den Hahn krähen hören. Und haben daraufhin selber gekräht. Sind selber zum Hahn geworden für andere. Zum grünen Gockel in Umweltfragen. Zum weißen Gockel in Friedensfragen. Zum roten Gockel beim Thema der weltweiten Gerechtigkeit. Zum bunten Gockel in Fragen des Gesprächs mit Menschen, die einer anderen Religion angehören. Oder die den Kontakt zu irgendeiner Form des Gottesglaubens längst verloren haben.

Wichtig ist, dass wir nicht einfach stumm bleiben. Wichtig ist, dass wir gehört werden. Wichtig ist, dass wir uns für andere einsetzen. Kirche ist nur dann wirklich Kirche, wenn sie für andere da ist. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal gesagt. Und ich finde, er hat recht. Aber jetzt habe ich schon lange genug geredet." Und wie gekommen ist, so ist Paulus mit einem Mal wieder verschwunden.

Die Mitglieder der Grüne-Gockel-Gruppe brauchen eine ganze Weile, um zu begreifen, was gerade geschehen ist. Und vielleicht geht es ihnen hier in der Kirche ganz ähnlich. Aber Paulus hat uns geholfen, etwas mehr davon zu verstehen, was Kirche wirklich ist. Bei unserem Kirche-Sein, da kommt tatsächlich alles zusammen:

Beten und Reden.
Verwandeln und Handeln.
Bewahren und Sparen.
Krähen und Säen


Wir singen und feiern, wir reden und hören, wir beten und handeln - aber immer so, dass wir Salz der Erde sind. Und Licht der Welt. Dass wir gehört und gesehen werden. Der Grüne Gockel, der gehört zu unserem Kirche-Sein dazu. Genauso wie der Kirchenchor, der Kindergarten, die Sozialstation und der Einsatz für die Flüchtlinge. Genauso wie das Beten, das dem heutigen Sonntag Rogate seinen Namen gegeben hat.

Darum dürfen wir Gottes gute Schöpfung heute in ganz besonderer Weise ins Gebet nehmen. Und mit einem kräftigen grünen Hahnenschrei auch andere daran erinnern. Ich bin sicher: Gott wird es an seinem Segen nicht fehlen lassen. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.