ZUKUNFT DER KIRCHE
PREDIGT IM @HOME GOTTESDIENST
AM SONNTAG, DEN 25. MÄRZ 2018 (PALMSONNTAG)
IM HEBEL-HAUS IN GRABEN-NEUDORF

25.03.2018
Liebe Freundinnen und Freude des @ Home Gottesdienstes,
liebe Suchende und Zweifelnde,
liebe Schwestern und Brüder!

Für mich ist dieser Gottesdienst ein kleines Abendteuer. So ganz genau wusste ich nicht, worauf ich mich einlasse, als ich gefragt worden bin, ob ich hier einmal predige. Aber im Leben ist man vor Überraschungen nie sicher. Also habe ich mich hierher gewagt. Und will jetzt auch predigen zum abgesprochenen Thema Zukunft der Kirche. Es ist also ein Thema, dem eine Art geistliche Neugier zugrunde liegt. Und ein großes Interesse an der Kirche der Zukunft.

Dabei soll der wichtigste Satz der Predigt gleich am Anfang der Predigt stehen. Der lautet: Um die Zukunft der Kirche muss uns nicht bange sein! Als Kirche Jesu Christi hat sie einen anderen Herrn als die Herren dieser Welt, die kommen und gehen. Ihr Wachsen und Gedeihen, ihre Krisen und ihre immer wieder aufscheinende Machtlosigkeit mögen abhängig sein von den zeitlichen Umständen, von den jeweiligen Rahmenbedingungen, auch von alle unserem Bemühen, Kirche auf ihrem Weg in die Zukunft mitgestalten.

Aber Kirche ist nie ohne die Zusage Siehe, ich bin bei Euch alle Tage, bis an der Welt Ende - das ist übrigens mein Konfirmationsspruch. Insofern geschieht alles Handeln in der Kirche und alles Nachdenken über die Kirche in einer Klammer, vor der als Vorzeichen die Zusage steht, dass die Kirche Zukunft hat. Bleibende Zukunft.

Die Kirche hat aber auch Vergangenheit. Sie hat nicht nur Zukunft. Sie hat auch Vergangenheit. Sie hat auch eine Herkunft. Damit will ich einsetzen. Und mit auch diesen besonderen Sonntag im Kirchenjahr beziehen. Wir haben heute Palmsonntag. Es ist der Sonntag, an dem wir uns an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnern. Der Sonntag, mit dem die Karwoche beginnt.

Und so lade ich sie ein, mit mir eine Reise zu unternehmen. Gedanklich zumindest. Und wir stellen uns an den Rand der staubigen Straße, die nach Jerusalem führt. Und warten mit vielen, vielen anderen, was sich da wohl bald ereignet. Anspannung liegt in der Luft. Irgend etwas kündigt sich an. Anspannung, wie ich sie vor weniger als einem Jahr in Jerusalem selber gespürt habe. Schnell haben wir damals die Altstadt durch das Damaskustor wieder verlassen. Die Bombe, die vier Menschen den Tod brachte, explodierte dann am darauffolgenden Morgen.

Auch vor 2000 Jahren: Anspannung! Von Ruhe keine Spur. Massen in Bewegung!

Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

Die Menge singt. Und in dieser Situation auf der Zufahrtsstraße nach Jerusalem damals kommen mir die Kirchenlieder der Gegenwart in den Sinn. Genauer gesagt sind es zwei unterschiedliche Liedtypen, die in mir aufsteigen.

Der eine Typ hat als Grundtöne eine Vertrauensmelodie. Sie sagt: Uns muss um die Kirche nicht bange sein. Das ist der Cantus firmus. Die tragende, festliche Melodie, mit der Gott sich in der Welt vernehmbar macht.

In diese freudigen Töne mischen sich andere. Und ich höre andere Melodien. Töne der Sorge, dass andere Botschaften der Botschaft der Kirche den Rang ablaufen. Töne der Klage, dass wir immer weniger werden. Und anstatt die Klänge des Himmels hörbar zu machen, kommt mir in meinem inneren Ohr ein ums andere Mal diese Symphonie des Niedergangs in die Quere. Die Kirche - so will sie mich glauben - ist eine Institution in Abwicklung!

Zwei ganz unterschiedliche Melodien sind das. Und während ich der Gruppe um Jesus und die Jünger entgegensehe, die immer näher kommt, sinne ich dieser klagenden Melodie nach. Ich kenne die Strophen dieser Lieder nur zu gut.

Die erste Strophe handelt davon, dass wir immer weniger werden. Dass die Kirche gesellschaftliche immer weniger mehr gehört wird. Dass andere ihr den Rang ablaufen. Hosianna singen die Menschen!

Das Lied hat weitere Strophen. Die traditionellen Lebensformen der Menschen lösen sich. Menschen leben immer weniger in den überkommenen und vertrauten Lebensformen zusammen. Ihre Werte lösen sich, so lautet die Klage, immer mehr auf. Hosianna singen die Menschen!

Auch die Vorstellung darüber, wie eine Kirche aussieht und wie ein Gottesdienst gestaltet werden muss, sind ins Wanken geraten. Die einen lieben Gottesdienste wie diesen @ Home Gottesdienst. Andere vermissen ihre vertrauten Formen. Und so wird manchmal mehr geklagt als gefeiert. Hosianna singen die Menschen!

Eine weitere, letzte Strophe des Klageliedes beschäftigt sich mit unseren innerkirchlichen Debatten bei. Wie viele Kirchen werden wir auf Dauer halten können? Bleibt das Pfarrhaus im Dorf? Müssen wir unser Gemeindehaus verkaufen? Vielleicht auch: Wird es auch künftig noch genügend Pfarrer und Pfarrerinnen oder andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben? Hosianna singen die Menschen noch immer!

Und während der Jubel der Menge um mich herum immer mehr an Lautstärke zunimmt, wird mir klar:

Auch wenn die eben gehörten Strophen schon auch Wichtiges zu sagen haben, bleibt doch zuallererst festzuhalten: Unsere Kirche hat sich so, wie wir sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten erlebt und gestaltet haben, dennoch als erfreulich stabil erwiesen. Wir dürfen also ruhig Lieder der Dankbarkeit singen.

Trotzdem sind Selbstverständlichkeiten ins Wanken geraten. Oder sie drohen gleich ganz wegzubrechen. Und darum stellt sich die Frage nach der Zukunft der Kirche heute vielfach noch einmal ganz neu. Und während mein Blick über die Silhouette von Jerusalem schweift, frage ich mich, was denn mit Kirche gemeint ist.

Da tut sich etwas, ganz in meiner Nähe. Ob der, der jetzt nach Jerusalem kommt, sich Gedanken über die Kirche gemacht hat?

Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.

Zunächst steht der Ausdruck Kirche für das Kirchengebäude. Ich gehe in die Kirche, sagen wir, und meinen dann das konkrete Kirchengebäude vor Ort, in dem wir zusammen mit anderen Gottesdienst feiern. Dabei haben wir eine ziemlich genaue, fest im Unterbewusstsein abgespeicherte Vorstellung darüber, wie eine Kirche auszusehen hat: mit einem Kirchenschiff und mit einem Turm was das Äußere angeht, mit Altar, Kanzel und Bänken im Inneren.

Wenn wir heute in einem Saal Gottesdienst feiern und nicht in der Kirche - ist das dann dennoch Kirche? Wenn ich als Prälat jedes Jahr eine Kirche entwidme und außer Dienst stelle, geht die Kirche daran zu Grunde? Die Zukunft der Kirche ist darauf angewiesen, dass wir Orte der Begegnung und des gottesdienstlichen Feierns haben.

Keine Frage, auf den Bänken und zwischen den Stühlen, da kann ich diesen Jesus finden - wie damals auf dem Esel.

Wenn ich von Kirche rede, meint das aber auch ein zweites, geht es mit durch den Kopf. Mit Kirche umschreibe ich auch das Beziehungssystem, an das ich mich als Kirchenmitglied einbringe, im Grunde all das, worüber die WebSite oder der Gemeindebrief berichtet: Gottesdienste, Gruppen und Kreise, Jungschar und Kirchenchor, Flüchtlingsarbeit oder Vesperkirche, Kindergarten, Sozialstation, Ü 60 und andere Initiativen. Er oder sie ist in der Kirche engagiert - so fassen wir diese Bedeutung von Kirche zusammen.

Die Zukunft dieser Art von Kirche hängt schon entscheidend davon ab, dass es Menschen vor Ort gibt, die zu ihrer Kirchlichkeit stehen und die bereit sind, die nötige Zeit aufzubringen.

Keine Frage: Wo Menschen sich einbringen in ihre Kirche, ob zwei oder drei oder ein paar mehr, da ist der unter ihnen, der jetzt auf seinem Esel immer näher kommt.

Doch mit diesen beiden Antworten ist es noch nicht genug. Kirche, das ist auch die Organisation mir ihren Regeln und ihren Ämtern. Durch 2000 Jahre hindurch hat sich Kirchen eine klare Struktur gegeben. In der Jerusalemer Gemeinde sind sieben Personen zu Diakonen ernannt worden. Paulus hat in seinen Gemeinden Älteste eingesetzt. In der Apostelgeschichte können wir das nachlesen. Und in den Briefen an Timotheus und Titus werden schon eine ganze Reihe weiterer Ämter genannt.

Keine Frage: Diese Menschen, die in der Kirche ein Amt innehaben, sie sind selber die Esel, die ihren Herrn in die Welt tragen. Vom früheren Bischof von Recife in Brasilien, Dom Helder Camara, stammt das kurze Gebet: Lass mich dein Esel sein, o Gott!

Es gibt noch eine vierte Antwort auf die Frage, was denn Kirche ist. In dieser Antwort geht es um die Kirche als die Gemeinschaft der Glaubenden. Hier ist jetzt nicht eine konkret verfasste Kirche gemeint wie sie uns vertraut ist. Hier ist die Kirche in dem Sinn im Blick, wie wir sie im dritten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses bekennen: Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen usw.- Die meisten werden diese Formulierung kennen.

Wichtig ist: Das kleine Wörtchen an im ersten Satz bezieht sich nicht auf die Kirche. Ich glaube an den Heiligen Geist, aber dann eben: Ich glaube die christliche Kirche! Wir glauben nicht an die Kirche. Vielmehr glauben wir, dass es eine Kirche gibt, die Gegenstand, aber nicht Zielpunkt unseres Glaubens ist.

Wenn wir so von der Kirche reden, dann sprechen wir von etwas, das all unserem Verwalten und Gestalten von Kirche vorausgeht. Dass es eine weltweite Kirche Jesu Christi gibt, die sich in vielen konkreten vorfindlichen, großen und kleinen Kirchen widerspiegelt, liegt nicht in unserem Handeln begründet. Diese geglaubte Kirche Jesu Christi ist weder ein von uns gegründeter Verein noch eine durch den Staat garantierte Körperschaft. Sie verdankt sich dem schöpferischen Wirken Gottes im Heiligen Geist.

Natürlich ist diese geglaubte Kirche im eigentlichen Sinn eine unsichtbare Kirche, weil wir letztlich nicht wissen, wer nach Gottes Willen zu ihr gehört. Raum und Gegenstand unseres Gestaltens ist allein die real wahrzunehmende und mit Zahlen zu beschreibende sichtbare Kirche. Sie hat für die Zugehörigkeit überprüfbare Regeln geschaffen hat. Dabei ist das Kriterium der Taufe mit Wasser ein zentrales und notwendiges, aber im Blick auf die Ökumene nicht immer hinreichendes Kriterium. So ist für manche die erlebte und datierbare Bekehrung ein weiteres Kriterium, für andere - und schon in der Apostelgeschichte so beschrieben - die Taufe mit dem Heiligen Geist. Diese geglaubte Kirche ist unseren Mitgliedschaftskriterien und unseren Grenzziehungen entzogen.

Wir sind für die irdisch-sichtbare Kirche verantwortlich, müssen in dieser leben und glauben. Dürfen diese Kirche mit gestalten. Wir müssen uns dabei aber der Begrenztheit unserer Aufgabe und unserer Möglichkeiten bewusst sein. Denn wir müssen diese beiden Wirklichkeiten von Kirche, die sichtbare und die unsichtbare, voneinander unterscheiden, ohne dass wir sie trennen können.

Dabei mag es große oder kleine Kirchen geben, weltweit verbreitete oder regional begrenzte, auch gut oder schlecht organisierte und geleitete - aber es sind allemal Kirchen im Wirkungsfeld des Heiligen Geistes - oder sie hätten aufgehört, Kirche zu sein.

Diese Feststellung ist die größte denkbare Entlastung für uns alle. Für alle, die sich in ihrer Kirche beheimatet fühlen und sich in ihr engagieren. Die sichtbare und konkret erlebbare Kirche ist kein perfekter - fast wäre ich geneigt in theologischer Sprache zu sagen - sündloser Raum, sondern ein Raum, in dem Menschen im Wissen um ihre eigenen Begrenztheit ihr Vertrauen auf Gott setzen und das nach außen auch kommunizieren.

Kein Zweifel, denke ich, Gott liebt die Esel und nicht die protzigen Kutschen. Und er liebt diejenigen, die sich mit einem Esel begnügen. Und die damit zufrieden sind.

Und dann sehe ich den Esel vor mir, das Füllen gleich daneben. Und ein Satz des Propheten Sacharja geht mir durch den Kopf:

Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.

Und wie ich diese beiden Esel nebeneinander sehe, denke ich daran, dass ich auch zwei Typen der geglaubten Kirche unterschieden muss. Die eine Kirche, das ist die, in die die behauptete oder die gelebte klare Unterscheidung und Trennung der Kirche von der Welt gelebt wird. Diese Kirche ist eine Gemeinschaft ohne Flecken und Runzeln, wie es im Epheserbrief (5,27) heißt. Wer einigermaßen schuldlos durchs Leben kommen will, so denken manche, der hält sich aus den Niederungen der politischen und ökonomischen Lebenswelten fern. Er steht nicht an der Straße, wenn der Mann auf dem Esel einzieht. Sondern bringt sich zu Hause vor der Welt in Sicherheit.

Das andere Extrem ist die Vorstellung, dass sich die Kirche allmählich in die Welt hinein auflöst und überflüssig wird. Wie das Salz, das wir Christen für die Welt sein sollen. Ist das Salz erste einmal im Essen, löst es sich auf. Es ist dann nur noch zu schmecken. Es ist die Position des Kulturoptimismus oder des Vertrauens in die verändernde Kraft eines politischen Konzeptes. Die Kirche wäre dann, biblisch gesprochen, entweder Salz oder so etwas wie ein kleiner Sauerteig, der den ganzen Teig durchsäuert und verwandelt.

Ich möchte Kirche heute noch einmal ganz anders definieren und einen dritten Esel mitlaufen lassen. Kirche, so glaube ich, ist die exemplarische Vorwegnahme der Welt wie sie nach Gottes Willen sein soll. Unter dieser Annahme heißt die Übernahme von Verantwortung für die Zukunft der Kirche, diese Vorwegnahme der Zukunft immer neu zu konkretisieren. Dies kann sowohl räumlich als auch zeitlich verstanden werden.

Räumliche Vorwegnahme hieße dann: Die Kirche ist, in aller Vorläufigkeit, der Ort dieser Vorwegnahme - überall da, wo mitten im Leben in der glaubenden Erinnerung an Jesus Christus Gott selber als gegenwärtig gefeiert wird.
Zeitliche Vorwegnahme hieße: Gott selbst kommt uns aus der Ewigkeit entgegen in die Zeit. In die Geschichten unseres Lebens bricht die Wirklichkeit Gottes ein. In der Kirche ist dann tatsächlich schon erschienen, was wir sein werden.

Jetzt bricht die Menge in Jubel aus!
Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.

Und während die Menschen ihre Kleider hinwerfen, werfe ich meine dazu. Und bei jedem Stück geht mir durch den Kopf, dass Kirche helfen will, die Welt Gottes in unsere Gegenwart hineinzuziehen - so wie der Mann auf dem Esel den Weg in die Stadt nimmt.

Wie soll Kirche sein frage ich mich? Was für Kleider passen ihr, wenn sie gut in der Zukunft ankommen will?

Anwaltlich soll sie sein und fürsorglich, indem sie für andere Partei ergreift und eintritt.
Begleitend soll sie sein, indem sie Menschen in schwierigen Situationen nicht alleine lässt.
Diakonisch soll sie sein, indem sie Menschen in ihrer Zerbrechlichkeit und in ihrer Mangelhaftigkeit die Fülle des Lebens erahnen und kosten lässt.
Prophetisch soll sie sein, indem sie mutig die Konsequenzen ansagt, die unserer Verhalten nach sich ziehen kann.
Politisch soll sie sein, indem sie der Welt zu mehr Gerechtigkeit verhelfen will.
Kritisch soll sie sein, indem sie danach fragt, wie sie sich von der Welt unterscheidet, ohne den Weltbezug zu verlieren.
Geistlich soll sie sein, indem sie ihr Handeln und ihr Entscheiden immer zugleich als geistgewirkt versteht.
In gewisser Hinsicht soll sie auch himmlisch sein, indem sie bruchstückhaft vorwegnimmt, was wir mit dem Himmel als dem Ort der Wirklichkeit Gottes meinen.

Frei von den Moden ihrer Zeit war Kirche nie, denke ich. Wie diese Kleider, über die der Esel hinwegläuft, sichtbares Zeichen ihrer Zeit sind. Auch die Kirche hatte immer Anteil an den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen um sie herum. Und sie hat auf Veränderungen immer reagiert. Meistens freilich mit einem Moment der Verzögerung.

Unsere vertraute Form der Kirche, die Kirchengemeinde, entsteht erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. An die Bildung von Regionen, wie das derzeit geschieht, hat damals kaum jemand gedacht. Der Aufbruch der Ökumene war damals kaum vorstellbar. Die ACK - die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, die es in vielen Orten gibt - ist eine Erfindung der letzten 40 Jahre.

Dieser ständige Veränderungsprozess in den Kirchen stand freilich immer in einem Spannungsverhältnis zu den an Bewahrung interessierten Kräften. Und natürlich enthielt er immer auch die Frage nach dem, was bei allen Veränderungen nicht zur Disposition steht. Hier muss jede Generation von neuem ihre eigene Antwort geben.

Und mit diesen Gedanken folge ich dem Zug der beiden Esel und dem Reiter im Namen Gottes. Ich frage mich: kennst du diesen Mann auf dem Esel wirklich. Und finde mich mit dieser Frage plötzlich in guter Gesellschaft wieder.

Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.

Ich schaue den Leuten nach und spüre Zukunft ist angesagt. Damals in Jerusalem. Und Heute hier in Graben. Darum will ich jetzt auch mit ihnen in die Zukunft aufbrechen. Ich betätige mich dazu als kirchlicher Trendforscher. Aber Vorsicht: Ich beschreibe nicht meine Wunschkirche. Ich beschreibe vermutete Trends und Entwicklungen also nicht danach, ob ich sie für wünschenswert halte oder eher nicht. Vielmehr nehme ich an, dass es so kommen könnte.

Ich schaue, welchen Weg die Menschen nehmen, um in die Heilige Stadt zu kommen. Und ich nehme die steinernen Wegweiser am Rande der Straße genauer in den Blick. Und schon ist die Richtung klar. Für die Zukunft der Kirche heißt das:

Trend 1: Eine neue ökumenische Landkarte ist im Entstehen
Um uns herum entstehen neue kirchliche Bündnisse. Die alten Schubladen von links und rechts, sozial und evangelikal, von konservativ und zeitgemäß kommen aus der Mode. Gottseidank

Dazu kommt: Längst nicht alle gehören noch von der Wiege bis zur Bahre einer Kirche an. Es gibt zunehmen mehr Menschen, die bedienen sich längst auch anderer geistlicher Angebote. Auf dem Weg in die Kirche der Zukunft müssen wir lernen: Die Bereitschaft zur religiösen Grenzüberschreitung, innerkirchlich und nach außen wird zunehmen. Ja, sie tut das längst.
Trend 2: Exemplarische Strukturen lösen flächendeckende ab
Zu dem Modell der Ortsgemeinde kommen andere Formen von Kirche dazu: Kirche an anderen Orten, Zielgruppengemeinden, Personalgemeinden, Schwerpunktgemeinden, Internetgemeinden etc. Auf dem Weg in die Zukunft der Kirche müssen wir lernen, neu zu definieren, wie wir Kirche und Gemeinde in der Zukunft verstehen und zu beschreiben.

Trend 3: Kirchen werden auf längere Sicht viel stärker als heute ehrenamtlich getragen
Es werden zunehmend Menschen benötigt, um pastorale Aufgaben zu übernehmen. Pfarrerinnen und Pfarrer, Gemeindediakoninnen und Gemeindediakone und andere in der Kirche arbeitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden deshalb nicht weniger wichtig. Ihre Rolle wird sich teilweise ändern. Auf sie werden große Herausforderungen in der Verantwortung für die Begleitung von ehrenamtlich Mitarbeitenden zukommen. Diese müssen theologisch und pädagogisch ausgebildet und fortgebildet werden. Auf dem Weg in die Zukunft der Kirche müssen wir lernen, das Modell von hauptamtlicher und ehrenamtlicher Arbeit in der Kirche neu zu beschreiben und auszubalancieren.

Trend 4: Vertraute Formen kirchlicher Arbeit werden sich ändern.
Nut zwei Beispiele: Es wird womöglich Formen verschiedener Abstufungen in der Zugehörigkeit zur Kirche geben: Vollmitglieder, Sympathisanten, Gäste etc. Dies stellt die zentrale Bedeutung der Taufe nicht in Frage. Es beschreibt eher Wege, die in unterschiedlicher Weise auf die Taufe zuzugehen.

Weiteres könnte sich ändern. Räume werden nicht nur als Eigentum oder in ständiger Anmietung genutzt. Bestimmte Räume werden nur auf Zeit oder nur zu den Zeiten angemietet, zu denen sie benötigt werden. Auf dem Weg in die Zukunft der Kirche müssen wir von neuem lernen, Menschen für die Kirche zu gewinnen und zum Glauben zu verlocken. Dabei muss manchmal auch Altvertrautes über Bord geworfen werden.

Trend 5 : Kirche und Glauben bleiben gefragt
Der Bedarf an Glauben und an Orientierung in einer nüchternen und von materialistischen Werten bestimmten Welt wird nicht abnehmen. Im Gegenteil. Zu welchem Anteil dabei die Kirchen in Anspruch genommen und nachgefragt werden, hängt von ihrer Glaubwürdigkeit ab. Und ich bin auch sicher: Das Gespräch mit anderen Religionen wird unverzichtbarer Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses werden.

Dabei werden sich theologische Grundmuster ändern. Die einen gehen von einer zunehmenden Bedeutung charismatischer Formen des Christseins aus. Weltweit ist das unbestritten. Andere sprechen davon, dass den mystischen Formen des Glaubens die Zukunft gehört. Auch daran mag viel Richtiges sein. Aber auch dies wird nicht alle in gleichem Maße betreffen. Auf dem Weg in die Zukunft der Kirche werden wir lernen müssen, dass es keinen Königsweg in die Zukunft gibt. Auch in Zukunft wird es verschiedene Weisen des Kirche-Seins nebeneinander geben.

Wünsche

Die Trends sind beschrieben. Und die Gruppe mit dem Esel und den vielen Menschen ist in Jerusalem angekommen. Unerhört ist, was dann geschieht:

Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb hinaus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus heißen; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.
Vorsicht also, denke ich! Nicht dass die Kirche der Zukunft den aus den Augen verliert, um den es geht. Den, der einen Esel einer Sänfte vorzieht. Den, den sie doch Herrn der Kirche bekennt. Die Menschen wissen nicht recht, was sie von dem halten sollen, was sich da vor ihren Augen abgespielt hat. Wer ist der? fragen sie sich.

Da steht plötzlich ein Engel an meiner Seite. Wünsch dir was!, sagt er. Aber nicht für dich. Sondern für die Kirche. Heute hast du gesehen, wie alles begonnen hat. Und in den kommenden Tagen wirst du noch viel mehr sehen. Trauriges und Wunderbares. Und am Ende ist nichts mehr wie es war. Also, wünsche dir was für deine Kirche in 2000 Jahren! Du hast drei Wünsche frei!

Ich denke nach - und sage dem Engel mutig meine drei Wünsche.

Mein erster Wunsch ist, sage ich, dass die Kirchen von neuem lernen, der Schöpferkraft Gottes zu vertrauen. Denn Gottes Schöpfung ist im Werden. Das bedeutet: Sie mögen sich noch weitaus stärker als bisher zu Kirchen entwickeln, die nicht ängstlich ihre Defizite beklagen, sondern ihre Stärken öffentlich macht und zugunsten der Menschen einsetzt.
Ich wünsche mir, dass wir in noch viel stärkerem Maße von dem Gebrauch machen, was Martin Luther die Freiheit eines Christenmenschen genannt hat.

Mein zweiter Wunsch ist, dass die Kirchen von neuem lernen, dem Wirken des auferstandenen Christus zu vertrauen. In seiner Nachfolge mögen sich die Kirchen insbesondere den Menschen verpflichtet fühlen, die Jesus Christus ganz besonders im Blick hatte. Menschen, die auf das stellvertretende Handeln anderer angewiesen sind. Menschen unter Bedrohung. Menschen in Ängsten. Menschen in Verhältnissen der Armut und des Hungers. Menschen, die den unterschiedlichsten Formen der Unterdrückung ausgesetzt sind.
Ich wünsche mir, dass die Kirche gerade in der Form der Verkündigung durch diakonisches Handeln in besonderer Weise als glaubwürdig wahrgenommen. Kirche muss diakonische Kirche bleiben.

Mein dritter Wunsch ist, dass die Kirchen von neuem lernen, dem Wirken des Heiligen Geistes zu vertrauen. Das bedeutet: Sie mögen nichts von ihrem dreifachen Auftrag zur Disposition stellen: dem Auftrag der tröstenden Zuwendung zu den einzelnen in Gottesdienst und Verkündigung; dem Auftrag, sich in für gerechtere Strukturen in dieser Welt einzusetzen und Menschen in Not zu unterstützen; dem Auftrag, die Botschaft von der Freiheit auch in Bildungsprogrammen Gestalt annehmen zu lassen. Ich wünsche mir, dass wir im Vertrauen auf diesen Geist Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden lernen. Und uns nicht davor drücken, Verantwortung zu übernehmen. Und uns vor allem nicht aus der Welt zurückziehen

Nicht schlecht gewünscht!, sagt der Engel. Es lieg auch an dir, ob deine drei Wünsche Wirklichkeit werden. Und denk daran, dass es dabei nur auf zwei Dinge ankommt: Auf das Beten und auf das Tun des Gerechten! Wenn du mehr dazu wissen willst, kannst du dich bei Dietrich Bonhoeffer dazu kundig machen. Von ihm stammt dieser Satz!

Der Engel an meiner Seite ist verschwunden. Und ich bin plötzlich nicht mehr in Jerusalem. Ich bin hier, mitten in der Welt Ende März 2018. Mir wird klar: Dieser heutige Tag ist der erste auf dem Weg in die Zukunft der Kirche. Wie die Kirche der Zukunft wirklich aussieht, kann ich nicht wissen. Aber ich bin sicher, dass die Kirche Zukunft hat. Weil die Zukunft der Kirche Jesu Christi nicht in meiner Hand liegt. Und ich die Zukunft der Kirche nicht garantieren muss. Das ist die Sache Gottes. Darauf kann ich vertrauen. Darauf können wir alle vertrauen. Gottseidank. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.