1919 - Ansprache Andacht bei der Landessynode am 13.4.2019

13.04.2019
(mit eigenem Text zu "Komm, bau ein Haus" -T.S.)

Liebe Synodalgemeinde,
liebe Schwestern und Brüder!

Altes und Neues ins Rechte Verhältnis zu setzen – darum soll‘s gehen in dieser Andacht. Knapp Entfaltet an drei Beispielen.

Zunächst das Thema Bauen – Bauen mit einem gänzlich neuen Programm. Darum geht es nicht nur im endzeitlichen Sinn. Dann, wenn Jerusalem zum Symbol der neuen Welt Gottes wird.

Bauen - mit einem gänzlich neuen Programm, das ist das Sinnbild einer Reform, die keineswegs singulär ist in der Geschichte der Menschhheit. Und wir müssen dazu keineswegs 2000 Jahre oder gar mehr zurückgehen.

„Licht – Luft – Öffnung“ – das ist auf drei Begriffe reduziert das Programm einer fulminanten Erneuerungsbewegung. „Einfach, schön und erschwinglich“ sollte sein, was sich in seinem Entstehen dieser Erneuerungsbewegung verdankt. In der Verbindung von Kunst und Handwerk, von Tauglichkeit für möglichst viele und ästhetischer Form. Es geht um das Bauhaus. Gestern auf den Tag genau vor einem Jahr – am 12. April 1919, also genau vor 100 Jahren - ist es von Walter Gropius in Weimar gegründet worden.
Die Auswirkungen dieser Reformbewegung auf viele Bereiche unseres Lebens sind bis heute unübersehbar, auch wenn wir es oft nicht einmal merken. Bei Alltagsartikeln wie Möbeln oder Lampen, Geschirr oder Textilien, vor allem aber auch in seiner prägnanten Bauhaus-Architektur.

Dabei wagt das Bauhaus einen Neuanfang ohne allem Alten einfach den Abschied zu geben. Das Bauhaus weiß, wo es seine Wurzeln hat, Es setzt aber auf neue Formen, um sich weiter zu entwickeln. Vor allem aber entflieht das Bauhaus der Gefahr, nur von den Möglichkeiten einer kleinen Gruppe von Menschen als Auftraggeber abhängig zu sein, die sich mehr leisten können als die meisten ihrer Mitmenschen.

Irgendwie kommt mir das Bauhaus vor wie eine Umsetzung des allgemeinen Priestertums in die Gestalt säkularer Kunstfertigkeit und Architektur. Manchmal gehen Aufbrüche nicht einfach durch eine unmerkliche Bewegung des Wandels vor sich. Manchmal ist ein Neuanfang nötig, der abrupt vor sich geht. Der auch einiges an Ballast abwirft.

Dieses Neue bricht sich ein ums andere Mal in der Geschichte Bahn, auch im Mut, Entwicklungen, die verkrustet sind, auf den Prüfstand zu stellen und einen Neuanfang zu wagen.
Nein, sie müssen heute in unseren letzten Beratungen dieser Tage nicht gleich so etwas Großes wie das Bauhaus aus der Taufe heben. Aber den Blick dahin zu richten, wo womöglich ein Kurswechsel ansteht oder gar ein Neubeginn: Der lohnt sich. Auch bei den Entscheidungen, die wir als Synode zu treffen haben. Auch die Kirche, gerade die Kirche, unterliegt einem permanenten Wandel – was ihre äußeren Rahmenbedingungen angeht, aber auch im Blick auf unser theologisches Bemühen, Gott recht wahrzunehmen und unser Leben und unsere Welt in Gottes Sinn zu gestalten.

Lied: Komm, bau ein Haus

Komm, bau ein Haus, das uns beschützt, pflanz einen Baum, der Schatten wirft, und beschreibe den Himmel, der uns blüht, und beschreibe den Himmel, der uns blüht.
1. Lad viele Menschen ein ins Haus, biet ihnen Schutz in unserem Haus, lass sie dort sicher wohnen, wo keine Ängste sie bedroh‘n, lass sie dort sicher wohnen, wo der Himmel blüht. – Komm, bau ein Haus ..
Komm, bau ein Haus, das uns beschützt …
2. Komm, wohn mit mir in diesem Haus, begieß mit mir den Lebensbaum, dann wird die Freude wachsen, weil unser Leben Kreise zieht, dann wird die Freude wachsen, wo der Himmel blüht. – Komm, bau ein Haus …



Neues wagen – auch in unserem theologischen Bemühen. Auch hier lohnt sich der Blick genau 100 Jahre zurück. Ein unbekannter Pfarrer in einer Arbeitergemeinde im Basler Umland hebt an, die theologische Welt aus den Angeln zu heben. Er engagiert sich politisch, unterstützt die Gründung von Gewerkschaften, scheut nicht zurück vor dem Konflikt mit einzelnen Unternehmern in seiner Gemeinde.

Die Theologie, die er in seinem Studium noch aufgesogen hat, sieht er bloßgestellt, vor allem, als er die Unterschrift prägender theologischer Lehrer unter einem Manifest der 93 Intellektuellen entdeckt. Sie machen Stimmung für Deutschlands Rolle im 1. Weltkrieg. Bald unterschreiben 3000 Menschen eine Erklärung der Hochschullehrer im Deutschen Reich.

Eine Theologie, die hier nicht zum rechten Wort findet, wird ihrer Aufgabe nicht gerecht. Und dieser schweizer Pfarrer liest den Römerbrief des Paulus noch einmal neu. Will die Theologie gewissermaßen vom Kopf auf die Füße stellen. Lenkt den Blick von den Bemühungen des Menschen hin zur Selbstoffenbarung Gottes. Das Reich Gottes ist nicht das Ziel unseres politischen Einsatzes. Im reich Gottes lässt Gott selber seine neue Zeit unter uns anbrechen.

Sie alle wissen ja längst, um wen es geht. Um Karl Barth, etwas mehr als 50 Jahre tot. Aber nicht zuletzt in seiner Römerbriefauslegung lebendig.


Lied: Komm, bau ein Haus

Komm, bau ein Haus, das uns beschützt, pflanz einen Baum, der Schatten wirft, und beschreibe den Himmel, der uns blüht, und beschreibe den Himmel, der uns blüht.

3. Vertrau auf Gott in diesem Haus, bau nicht darauf, wie’s immer war. Lass dir dort frei erzählen, wie Gott sich uns ganz anders zeigt, lass dir dort frei erzählen, wo der Himmel blüht. - Komm, bau ein Haus …

4. Erkenntnis reicht allein nicht aus, gewiss zu sein, dass Gott uns nah. Lass Gott sich offenbaren, wie Christus ist sein Lebenswort, lass Gott sich offenbaren, wo der Himmel blüht. – Komm, bau ein Haus …

Bleibt ein letzter Neuanfang des Jahres 1919. Die erste demokratische Verfassung in Deutschland, die auch wirklich umgesetzt worden ist. Anders als die der Paulskirche aus der Mitte des vorausgehenden Jahrhunderts.

Ein wirklicher Neuanfang. Und wie beim Bauhaus kommt Weimar ins Spiel. Denn beschlossen wurde die neuen Verfassung im Weimarer Nationaltheater, daher auch der Name Weimarer Republik für die knapp eineinhalb Jahrzehnte. Kopiert auch von vielen Kirchen, die nach dem Wegfall der bischöflichen Amtsgewalt beim Landesherrn einen Kirchenpräsidenten einsetzten. Zunächst auch in Baden. Einige Landeskirchen haben dieses Amt bis heute.

Das Grundgesetz wäre ohne die Weimarer Reichsverfassung nicht denkbar. Einige Artikel, gerade auch die Kirchen betreffend, stehen bis heute in Geltung. Weimar war ein fulminanter Neuanfang. Und die Zeit vor 100 Jahren überhaupt eine Wendezeit beinahe ohne Analogie: in Kunst und Architektur, in Theologie und Kirche, in der Grundlegung des Gemeinwesens.

100 Jahre sind eigentlich keine lange Zeit. Und die Nachwirkungen dieser Entwicklungen sind quicklebendig. Bis hierher in die Tagung unserer Landessynode. Den Neuanfang wagen, im Wissen, dass wir Teil eines Weges sind durch die Zeit – vom Alte würdigen und wertschätzen, was seine Zeit hatte, aber dann auch mutig loslassen und den Neuem den Weg bereiten – das war die Aufgabe vor 100 Jahren. Das ist unsere Aufgabe – und unsere Chance! - auch heute. In Kirche und Welt. Amen.

Lied: Komm, bau ein Haus

Komm, bau ein Haus, das uns beschützt, pflanz einen Baum, der Schatten wirft, und beschreibe den Himmel, der uns blüht, und beschreibe den Himmel, der uns blüht.

5. Dich schützt das Recht in deinem Haus, ein Recht, das auch den andern gilt. Sie sollen sicher leben, wo Angst nicht ihre Kreise stört, sie sollen da sicher leben, wo der Himmel blüht. - Komm, bau ein Haus …
6. Der Lebensraum ist längst gewährt, der uns Entfaltung möglich macht. Gott wird den Mut uns schenken, der Grenzen zum Verschwinden bringt, Gott wird mit Mut uns beschenken, wo der Himmel blüht. - Komm, bau ein Haus …


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.