ANSPRACHE
ANDACHT TAGESTREFFEN DER SYNODENAUSSCHÜSSE
AM FREITAG, DEN 15.3.2019
IM LICHTHOF DES EVANGELISCHEN OBERKIRCHENRATES

15.03.2019
Liebe Schwestern und Brüder,

Acht Tage hintereinander eine Predigt. Und jedes Mal ist die Kirche voll. Unglaublich. Aber das gibt es. Das gab es zumindest. Vor 497 Jahren. Die erste dieser acht Predigten wurde am Sonntag Invocavit gehalten. Und der Prediger war Martin Luther.

Am vergangenen Sonntag haben wir wieder den Sonntag Invocavit gefeiert. Den ersten Sonntag in der Passionszeit. Er trägt seinen schönen Namen unter Bezugnahme auf den 15. Vers von Psalm 91: Er hat mich angerufen! Wir haben diesen Psalm ja eben miteinander gebetet.

Und viele kennen sicherlich noch den Merkvers, um sich alle sechs Sonntage der Passionszeit in Erinnerung zu rufen: „In Rechter Ordnung Lerne Jesu Passion“! Invocavit. Reminiszere. Oculi. Laetare. Judika. Palmsonntag.

An diesem Sonntag Invocavit des Jahres 1522, damals war das der 9. März, bricht Luther seinen Aufenthalt auf der Wartburg unter Einsatz seines Lebens abrupt ab. In Wittenberg – und nicht nur dort – gerät die Reformation aus dem Ruder. Andreas Bodenstein von Karlstadt, ein Professorenkollege Martin Luthers an der Universität, schüttet gewissermaßen das Kind mit dem Bade aus. Er feiert Gottesdienst ohne Messgewand und in deutscher Sprache. Und jedermann und jedefrau ist eingeladen, das Abendmahl mit Brot und Wein zu feiern. Die Bilder werden aus den Kirchen entfernt und nicht selten einfach kurz und klein geschlagen.

Das meiste, was dieser Professor Karlstadt tut, ist heute für uns völlig normal. Gut evangelisch könnte ich auch sagen. Aber seine Radikalität beim Aiszug aus der vertrauten Kirche, beim Ekklexit - er überfordert die einen. Und geht den anderen nicht weit genug. Die Situation eskaliert. Wie derzeit immer wieder im britischen Unterhaus.

Luther sieht seine Reformbemühungen gefährdet. Und kehrt auf schnellstem Weg nach Wittenberg zurück. Mit einer Predigtreihe fängt er den aus dem Ruder gelaufenen Reformprozess wieder ein. Und die erste Predigt ist eben die vom Sonntag Invocavit.

In ihrem Liedblatt finden sie den Anfang der Druckausgabe der Predigten. Dort heißt es:

Wir sind allesamt zum Tode gefordert. Und keiner wird für den anderen sterben, sondern ein jeder in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen. In die Ohren können wir wohl schreien, aber ein jeglicher muss für sich selber geschickt sein in der Zeit des Todes. Ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir. Hierin muss ein jeder wohl selber die Hauptstücke, die einen Christen betreffen, wohl wissen und gerüstet sein. Das sind die, die ihr Lieben, vor vielen Tagen von mir gehört habt.

Und dann zählt er die Themen seiner Predigten auf: Von den Messen, den Bildern, vom Empfang des Abendmahls in beiderlei Gestalt, von den Speisen bzw. das Fasten derselben, von der Ohrenbeichte etc.

Theologische Katechismuspredigten, öffentlich gehalten, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Was für eine Predigtgabe! Welcher öffentliche Anspruch!

Die Predigtthemen sind eher dezidiert theologischer Natur. Wie ein Kompendium des Glaubens. Wie ein Katechismus. Sie leiten schon vor beinahe 500 Jahren wie mit einem Paukenschlag die Passions- bzw. die Fastenzeit ein.

Ich will Martin Luther heute ein neuntes Predigtthema vorschlagen. Auch ein Thema für eine Fastenpredigt. Ich will es nennen: Macht fasten! Ich kam darauf durch die Lektüre der Vorschläge für die ökumenische Bibellese. Derzeit steht das 1. Buch Samuel im Blick. Genauer das Königtum Sauls. Vor wenigen Tagen ging es darum, wie Israel überhaupt dazu gekommen ist, einen König zu haben. In der Zeit vor dem Königtum gab es charismatische, von Gott beauftragte Leitungspersonen. Von den überlieferten Namen her meist Männer. Aber durchaus einige Frauen darunter. Immerhin. Die bekannteste ist Deborah. Der letzte in dieser Reihe ist Samuel.

Dann heißt es in 1. Samuel 8:

Da versammelten sich alle Ältesten Israels und kamen nach Rama zu Samuel und sprachen zu ihm: Siehe, du bist alt geworden, und deine Söhne wandeln nicht in deinen Wegen. So setze nun einen König über uns, der uns richte, wie ihn alle Völker haben. Das missfiel Samuel, dass sie sagten: Gib uns einen König, der uns richte. Und Samuel betete zu Gott. Gott aber sprach zu Samuel: Gehorche der Stimme des Volks in allem, was sie zu dir sagen; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, dass ich nicht mehr König über sie sein soll.

Israel will sein wie alle anderen Völker. Modern. Mit zeitgemäßer Leitungsstruktur. Ein bisschen säkular. Denn Gott wird den König aussuchen. Aber trotzdem: Gott wird es nicht selber sein.

Samuel ahnt, wohin sich alles entwickeln wird. Und er warnt die Leute vor einer Verlustgeschichte ohne Ende:

Das wird des Königs Recht sein, der über euch herrschen wird:
Eure Söhne wird er nehmen für seinen Wagen und seine Gespanne, und dass sie vor seinem Wagen herlaufen und dass sie Kriegswaffen für ich herstellen und zum Einsatz bringen.
Eure Töchter wird er nehmen, dass sie Salben bereiten, kochen, backen und Dienstleistungen erbringen. Eure besten Äcker und Weinberge, euren Besitz wird er nehmen und seinen Großen geben.
Und eure Knechte und Mägde und eure besten Rinder und eure Esel wird er nehmen und in seinen Dienst stellen.


Weit entfernt sind wir hier von einer Demokratie. Weit entfernt davon, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Aber die Menschen möchte sein wie die anderen. Und sie bekommen einen König wie all die anderen Völker. Den größten und Schönsten. Den, der am meisten Erfolg verspricht. Sie bekommen Saul! Und wir wissen alle, wie jäh er am Ende unter die Räder kommt. Derartige Erfolgsgeschichten sind schon damals von kurzer Dauer.

Mich beunruhigt dieser Text. Und zwar gewaltig. Sein wollen wie die anderen. Das ist die Urgefährdung des Menschen. Auch wenn sie heute in einer etwas anderen Spielart gespielt wird. Aber nicht minder gefährlich: Macht haben im eigenen Land. Vertrauen auf die eigene Nation - wie die anderen. Keine Transferleistungen im europäischen Rahmen für die Schwächeren. Zäune, um den eigenen Wohlstand nicht zu gefährden. Es mit der Wahrheit nicht ganz so genau zu nehmen. Die eigene Macht, die wirtschaftliche zumal, um Gottes Willen nicht teilen.

Wovor würde Samuel uns heute warnen? Vor dem Irrweg, sein zu wollen wie die anderen, da bin ich sicher. Aber ich muss gar nicht Samuel als Kronzeugen aufrufen. Jesus von Nazareth ist mir da noch viel näher. Zumal in der Passionszeit.

Als die Jünger auch einmal sein wollen wie die anderen. Als es darum geht, die Plätze der Ehre und Macht zu verteilen, sogar auch noch für die Zeit jenseits des Lebens hier auf dieser Erde, da antwortet Jesus mit dem schönen Satz:
Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei unter euch Dienerin und Diener; und wer unter euch am ersten Platz stehen will, sei unter euch als Knecht oder Magd.

Machtverzicht also: Ein gutes Thema für die Passions- und Fastenzeit. Und das zentrale Thema für die Kirche. Gerade als gesellschaftlicher Akteur nicht die Machtkarte spielen, sondern die der Solidarität. Als Agentin der Schwächeren auf die Liebe setzen. Worauf denn sonst! Aber auch im eigenen Verhalten der Welt ein Beispiel geben.

Macht fasten also! In diesen Wochen der Passionszeit steht der im Blick, der Macht nicht einfach abgeschafft, nein, der ihr eine neue Bedeutung verschafft hat. Der, dem es immer um die anderen geht. Um deren Möglichkeiten. Um deren heil sein. Der sein Gott-Sein nicht für sich behält wie ein Räuber seine Beute, um Paulus zu zitieren. Sondern stattdessen uns gleich wird. Mensch unter Menschen. Und der gerade darin seine eigene Erfüllung findet, so dass er bis heute unter uns lebendig ist. Auch in der Woche nach Invocavit 2019. Das ist wirklich jeden Tag eine Predigt wert. Und den tätigen Einsatz und eine Synodaltagung dazu. Amen.






























Fürbitten
Macht fasten, Gott, darauf käme es an in diesen Tagen. Nicht sein wollen wie die anderen, die auf Könige, auf Rang und Namen und auf äußere Stärke setzten. Eher auf Samuel hören und seine berechtigte Sorge, wo es hinführt, wenn ich dieses Spiel der Mächtigen mitspiele. In der Welt den Glanz deines Friedens aufleuchten lassen, mehr braucht‘s nicht, mein Gott!

Macht fasten, Gott, darauf käme es an in diesen Tagen. Nicht sein wollen wie die viele andere auch, die sich tummeln auf dem Markt der Sinnstifter. Eher auf Luther hören und darauf, was am Ende wichtig ist, die Hauptstücke des Glaubens im Blick haben, mit dem ich gut leben und getröstet sterben kann. In der Kirche die Wahrheit des Lebens aufleuchten lassen, mehr braucht‘s nicht, mein Gott!

Macht fasten, Gott, darauf käme es an in diesen Tagen. Nicht sein wollen wie anderen, die zu vertuschen versuchen, dass das Leben Spuren an ihnen hinterlässt, weil niemand ohne Blessuren durchs Leben kommt. Eher auf den einen hören, in dem du, Gott, Mensch geworden bist wie jeder und jede von uns allen, verletztlich, bedürftig, angreifbar – und am Ende doch nicht für immer den Mächten des Bösen ausgeliefert. In jedem Menschenleben deine Liebe aufleuchten lassen, die Menschen schön macht, weil dein Bild in ihnen aufleuchtet.

Was es bräuchte in jedem Menschenleben, darum bitten wir dich mit den vertrauten Worten dieses einen:

Vaterunser
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.