ANSPRACHE IM GOTTESDIENST
MIT KANTATE V DES WO VON J.S. BACH
AM 26. DEZEMBER 2019 (2. WEIHNACHTSTAG)
IN DER STADTKIRCHE IN SCHWETZINGEN

26.12.2019

 Ehre sei Gott in der Höhe (Kantate)

Chor Nr. 43: Ehre sei dir Gott 

Ansprache 1

Wahrhaftig: Glänzende Zeiten, liebe Gemeinde! Glänzende Zeiten in Leipzig, dem wirtschaftlichen Zentrum Kursachsens und in der prachtvollen Hauptstadt, in Dresden. Glänzende Zeiten auch draußen auf den Feldern, vor den Toren von Bethlehem. Glänzende Zeiten, beide Male, weil man sich sicher ist: Gott hat seine Hände im Spiel des Lebens. Gott misch sich ein. Gott gibt sich zu erkennen. Im einen wie im andern Fall.

In Kursachen stehen Kultur und Wirtschaft in höchster Blüte. Seit 1547 steht die Albertiner Linie an der Spitze Sachsens. Der sächsische Kurfürst ist nach dem Kaiser der mächtigste unter den Landesfürsten im Reich. Seit 1694 hat mit August dem Starken ein Exponent dieser Linie mit ausgeprägtem Willen zur Macht die Herrschaft angetreten.

Die Aufklärung öffnet neue Möglichkeiten, die Welt zu sehen und zu verstehen. Die Wirtschaft boomt. Banken sprießen aus dem Boden. Leipzig etabliert sich als Messestadt. Bücher stehen hoch im Kurs. Der Tuchhandel ebenso. Im Jahr 1710 wird zum ersten Mal Porzellan aus Meißen auf einer Messe angeboten. Dresden explodiert geradezu, was die Architektur angeht. Hofkirche und Frauenkirche, der Zwinger und das Lustschloss Pillnitz.

Alles sieht nach einem Goldenen Zeitalter aus. Spürbarer Ausdruck dieser neuen Weltsicht ist das höfische Treiben. Bälle und Feste, Opern und Konzerte – nicht nur das Bürgertum nimmt daran Anteil. Es entsteht so etwas wie ein neuer Mittelstand. Die Zulieferer der Manufakturen genauso wie die Hoflieferanten – sie alle sind sich sicher: August der Starke, so Menschen verachtend er sich gebärden mag: Gott steht auf seiner Seite. Gott lässt ihn nicht im Stich! Anders konnte man sich seinen Erfolg damals nicht erklären.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts steht auch die Kirche hoch im Kurs. Mit ihren Gottesdiensten und deren konzertantem Glanz. 1723 übernimmt Johann Sebastian Bach das Amt des Thomas-Kantors. Bis zur Jahrhundertmitte wird es nicht mehr aufgeben. Bach ist für die Kirchenmusik an allen vier Hauptkirchen verantwortlich. Und für die musikalische Ausbildung der Thomaner dazu.

Sein Glanz rückt auch die herrschenden Eliten in neues Licht. Kirche und Welt – sie gehen ineinander über. 1733 schreibt Bach der Kurfüstin Maria Josepha eine Glückwunschkantate. Ein Jahr später erklingen gleich eine ganze Reihe von Sätzen dieser Glückwunschkantate in den Kantaten des Weihnachtsoratoriums. Allen voran der prächtige Beginn mit „Jauchzet, frohlocket!“. Die Herrscher von Gottes Gnaden stehen im Zenit ihrer Macht.

In der fünften Kantate, die wir heute hören, ist doch auch einiges anders. Erstmalig erklungen ist sie am ersten Sonntag nach Neujahr, also gleich am 2. Januar, damals im Jahr 1735. Ihr Eingangschor ist keine Übernahme aus einem anderen Werk.  Der festliche Gesang zur Ehre Gottes, dem Lobgesang der Engel bei den Hirten nachempfunden – Bach hat ihn eigens für diesen Anlass musikalisch umgesetzt. Die dreimalige Wiederholung des „Ehre sei dir Gott“ – der Anklang an das dreifache „heilig, heilig“ in der Thronsaalvision des Jesaja ist unüberhörbar. 

Hier allerdings: Keine Musik mit Pauken und Trompeten. Dafür eine, die in A-Dur in himmlische Höhen führt. Und die die menschgewordene himmlische Liebe in zwei Liebes-Oboen musizieren lässt.

Wenn die Engel singen, müssen die Fürsten schweigen. Da schont Bach seinen Kurfürsten nicht. Kein Meißner Porzellan im Stall. Die Windeln nicht aus Leipziger Tuch. Kein Taschenbergpalais, wie es August der Starke für seine Mätresse Constantia erbaute. Nein, ein Stall, ein Unterstand ohne vier schützende Wände. Keine Bediensteten, stattdessen eine Wohngemeinschaft mit Ochs und Esel.

Der himmlische Glanz rührt aus der Botschaft. Es sind die Engel, die alles in neues Licht tauchen. Es ist ihr Singen, das Unerhörtes zu Gehör bringt. Für finstere Gesellen wird es Weihnachten. Aber nicht nur für sie. Wirklich, glänzende Zeiten! - Hört, wie es weitergeht mit dieser Geschichte der Weihnacht! 

Evangelium 1 (Kantate)

Rezit. Nr. 44 - Chor/Rezit. Nr. 45 – Chor. Nr. 46 – (Arie Nr. 47)

Ansprache 2

Wahrhaftig, glänzende Zeiten, liebe Gemeinde! In jedem weihnachtlichen Krippenspiel ist das zu spüren. Jetzt kommt Glanz in das bislang triste Spiel. Mächtige Könige und höfisches Treiben, Kronen und fürstliche Geschenke. Kamele in angemessenen Stallungen. Eine Absteige neben Ochs und Esel hätten die drei aus dem Osten nicht einmal ihrem edlen Getier zumuten wollen

Weihnachten – noch einmal ganz anders. Nicht Lukas ist jetzt der weihnachtliche Bote, sondern Matthäus. Matthäus erzählt die Geschichte auf seine Weise. Jungfrauengeburt anstelle der rührenden Geschichte von einem Paar ohne Trauschein. Ein Vater, der es angeblich gar nicht ist und der sich doch aus dem Staub machen will. Kein Kaiser in Rom, sondern der Provinzfürst Herodes. Keine Engelserscheinung vor Hirten, sondern Fremde Sterndeuter aus fernen Landen.

Der Glanz, der diese feine Gesellschaft umgibt, ist geliehener Glanz. Ihr zugesprochen, weil man sich es anders nicht vorstellen kann. Der neue König – er muss die alten doch um ihre Ruhe bringen. Magier nennt die Bibel diese Menschen, die in Wahrheit eher wohlhabende Kaufleute sind. Weise aus dem Morgenland nennen wir sie und haben uns sternenkundige Menschen vorzustellen, die da wohnen, wo die Kultur diejenige Palästinas bei weitem übertrifft. Im Zweistromland. Im Osten. Da, wo heute jahrelanger Krieg so vieles an Kultur unwiederbringlich zerstört hat.

Vermögendes, gebildetes Bürgertum mit weltweiter Vernetzung, das sich aufmacht an jene Orte, wo die einfachen Leute leben. Sei’s drum: Weihnachten geht eben alle an. Nicht ohne Grund lässt Matthäus diese bunten Vertreter aus anderen Welten auf der weihnachtlichen Bühne erscheinen. Im Drama der Weihnacht hat jeder eine Rolle. 

Auch ohne Engel wird es in dieser Weihnacht hell. Dass Gott die Fäden zieht, lässt alle und alles in einem neuen Glanz erscheinen. Im Kind aus einfachen Verhältnissen ist der König der Welt verborgen. Der Stern, den die einen übersehen, weist anderen den Weg dahin, wo das Leben sich lohnt.

Das Licht zieht unaufhaltsam seine Kreise. Bethlehem, im Hinterhof des römischen Reiches gelegen – mit einem Mal ist es „mitnichten die geringste unter den Städten der Provinz Judäa“. Für einen kleinen Moment, als der Stern und der Gang der Dinge stehen bleiben, ist Bethlehem der Mittelpunkt der Welt.

Diese Einsicht spiegelt sich wider in der Musik, die wir hören. Instrumente und Stimmen verbinden sich zu himmlischem Klang. Göttlicher Hofstaat unter irdischen Bedingungen. Die eine Nacht unter unzähligen Nächten – sie wird zu Heiligen Nacht:

Wohl euch, die ihr dies Licht gesehen,
es ist zu eurem Heil geschehen.

So haben wir‘s eben aus dem Mund der Singenden gehört. Nein, weihnachtliche Romantik darf das nicht bleiben. Im Licht der Weihnacht kann ich nicht bleiben, wer ich bin. Wie die Weisen mache auch ich mich auf den Weg. „Schatten lehrt! Licht klärt!“ – Nicht weit von hier, in der Goethestraße hier in Schwetzingen ist dies an einer Hauswand zu lesen. „Schatten lehrt! Licht klärt!“ – das ist die theologische Einsicht dieser fünften Kantate. Das Licht der Weihnacht – es klärt: zum Guten!

Dein Glanz all Finsternis verzehrt,
die trübe Nacht ins Licht verkehrt!

Im Text des Chorals von Georg Weissel, einem Pfarrer und Liederdichter aus Königsberg, hat Bach uns das eben hören lassen. Am Ende tragen wir alle die Krone. Am Ende werden wir alle Königin und König. Am Ende muss nichts mehr bleiben wie es war.

Das Licht der Weihnacht deckt auf, was sonst verborgen bleibt. Es macht hell, wo sonst die Finsternis regiert. Es macht schön, wo ich mir meiner Würde sonst nicht sicher bin. Es lässt Weihnachten wahr werden, wo wir sonst nichts anderes sehen als die unaufhörliche Abfolge belasteter Tage. Wirklich: glänzende Zeiten! – Hört, wie es weitergeht mit dieser Geschichte der Weihnacht! 

Evangelium 2 (Kantate)

Nr. (47) 48-53

Ansprache 3

Wahrhaftig, glänzende Zeiten, liebe Gemeinde! Nur nicht für alle! Der neue König – er muss die alten doch um ihre Ruhe bringen. Was für die einen aus dem Morgenland zutrifft, gilt auch für den anderen. Jetzt bleibt nichts mehr wie es war. Herodes ahnt, dass sich jetzt alles ändert. Er fürchtet um seine Macht. Und er zögert auch nicht, schreckliche Vorkehrungen zu treffen. Menschenleben – für ihn sind die keinen Pfifferling mehr wert.

Wie die königlichen Sterndeuter aus dem Morgenland wird auch Herodes aus der Ruhe gerissen. Nur gänzlich anders. Herodes reagiert so wie viele Machthaber unserer Tage. Er nutzt alle Möglichkeiten, zieht alle Register, um an der Macht zu bleiben. Die Geburt dieses Kindes – er weiß: Für ihn ist sie viel gefährlicher als ein Impeachmentverfahren.

„Da das der König Herodes hörte, erschrak er – und mit ihm das ganze Jerusalem.“

Herodes und die seinen – sie werden wachgerüttelt. Herodes, er ist der König im Schatten der Weihnacht. Und wenn der „Schatten lehrt“, wie die Hausinschrift sagt, dann lehrt er nichts anders als die Einsicht. Herodes hat in diesem Spiel längst verloren. „Herodes first“ – das gilt nicht mehr. Dieses Kind macht alle Letzten zu Ersten. „I will get the Brexit done!“ – für Herodes kommt das schon zu spät. Die Gemeinschaft der von diesem Kind heilsam Infizierten fängt an, weltweit Verbreitung zu finden. Der Ausstieg aus dem Projekt „heilsame Umgestaltung der Welt im Angesicht dieses Kindes“ – er ist nicht mehr möglich. 

„Warum wollt ihr so erschrecken?
Kann meines Jesu Gegenwart
Euch solche Furcht erwecken?“

Wohl schon! Wenn man den Glanz der Weihnacht absichtlich flieht. Hektisches Treiben im Hintergrund setzt ein. Die Geheimdienste werden aktiv. Herodes lässt Nachforschungen anstellen. Die Menschen, die es wissen müssten, werden befragt. Der Focus richtet sich auf Bethlehem. Aber Männer im Trenchcoat und mit Schlapphüten sind nicht das Zeichen der Weihnacht. Der Glanz der Engel – er würde sie nur bloßstellen. 

Bethlehem und das neugeborene Kind – Herodes sind sie im Weg. Der ungleiche Machtkampf – jetzt hat er endgültig begonnen. Augustus und Herodes! August der Starke und seine Nachfolger in unseren Tagen – sie fürchten ein Kind. Weil es nicht auf Macht setzt. Weil es das Licht nicht scheut. Und weil ein Glanz von ihm ausgeht, den Sanktionen nicht zum Verlöschen bringen.

Augustus und August – der Kaiser von Rom und der Kurfürst von Sachsen und König von Polen – Weltkinder sind sie – im wirklichen Sinn des Wortes. Genauso wie Herodes, der die Spielregeln der Welt beherrscht wie kaum ein anderer seiner Zeit. Weltkinder sind sie, damals und heute -  in der Ambivalenz und Doppeldeutigkeit ihrer Möglichkeiten. Zwischen aufgeklärter Fürsorge und despotischer Menschenverachtung. Zwischen demokratischer Mitgestaltungsoption und autokratischer Selbstgefälligkeit.

Das Kind in der Krippe: Es ist die Alternative. Es ist der Platzhalter der so ganz anderen Möglichkeiten zu leben. Es ist der Anziehungspunkt unserer Hoffnung, noch einmal ganz anders leben zu können.

Dieses Kind – es ist der Platzhalter Gottes mitten in unserer Welt. Bachs Weihnachtsoratorium verortet uns diese Botschaft musikalisch ins Herz. Gerade auch in der fünften Kantate. Bescheiden kommt sie daher. Aber höchst durchdacht. Schlicht und traditionell scheinen ihre Texte. Und sie sind dabei doch hochtheologisch. Die Ehre Gottes steht am Anfang. Und nicht erst am Ende. Am Ende steht die Einsicht. Wir sind nicht dazu verurteilt, in finsteren Welten zu leben. Denn:

… sobald ein Gnadenstrahl
in derselben nur wird blinken,
wird es voller Sonnen dünken.

„Schatten lehrt! Licht klärt!“ Was anderes bleibt uns zu hoffen – was anderes als zu wissen als dieses: Am Ende wird alles gut. Was für Aussichten. Wirklich: Glänzende Zeiten. Amen. 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.