PREDIGT
ZUR KANTATE BWV 147 „HERZ UND MUND UND TAT UND LEBEN“
AM SONNTAG, DEN 3. FEBRUAR 2019 (5. SONNTAG VOR DER PASSIONSZEIT)
IN DER STADT-KIRCHE IN KARLSRUHE
03.02.2019
Liebe Gemeinde!
„Als ich etwa acht Jahre alt war, hörte ich im Hause eines Freundes zum erstenmal die Klavierbearbeitung von Myra Hess des Chorals „Wohl mir, dass ich Jesum habe“ aus der Kantate BWV 147. Da ich bis dahin mit der kargen Kost von hundertfünfzig Psalmen und neunundzwanzig Kirchenliedern aufgewachsen war, machte ich dabei eine der einschneidensten Erfahrungen meines Lebens. Ich konnte es kaum fassen, dass es so etwas Wunderbares gab.
Da mir die Melodie ständig entglitt, wollte ich sie immer wieder hören. Zum Glück prägte sie sich schließlich, nachdem ich bei demselben Freund eine 45er Schallplatte mit Pierre Palla an der Orgel mehrfach angehört hatte, so fest in mein Gedächtnis ein, dass sie mir auf Abruf zur Verfügung stand und ich sie auf der Straße nachpfeifen konnte.
Hier liegt der Ursprung meiner Liebe zur klassischen Musik. Ich fand (und finde) die Melodie so schön, dass sie zum Maßstab für mich wurde. Alles, was ich später hörte, wurde daran gemessen.“
Der so schreibt, wurde später selber ein ganz passabler Musiker und Organist - aber mehr noch ein hinreißend schreibender Schriftsteller. Und ganz persönlich auch zu einem, dessen Bücher in meiner privaten Bestsellerliste ganz oben stehen. Aber immer wieder auch in den Listen der meistverkauften Bücher. Es ist der niederländische Schriftsteller Maarten `t Hart. Sein Büchlein „Bach und ich“ zeugt von unglaublicher Kenntnis, mehr noch von einer großen Bewunderung und Hingabe, ja Liebe, wenn es um Johann Sebastian Bach und seine Musik geht.
Die Liebe zu dieser Choralmelodie, die wir nachher ja noch mit einem anderen Vers des Chorals von Martin Jahn hören werden, teilt Maarten `t Hart mit vielen anderen. Für ihn aber ist sie ein Psychopharmakon allerersten Ranges. Denn er schließt seine Liebeserklärung mit den Worten: „Wenn ich im trüben Nieselregen durch die Straßen ging, brauchte ich nur die Triolenketten leise zu pfeifen, und dann wusste ich wieder: Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“
Eine Begegnung, die ein Leben verändert. Für immer. Ein Achtjähriger, den eine Melodie aus seinem bisherigen Leben herausreißt. Ihn zum Summen, zum Pfeifen und zum Singen bringt. Selbst dann noch, als er mit der rigiden religiösen Welt seiner Kindheit bricht. Und bestenfalls noch atheistisch an Gott glaubt.
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung!“ schreibt Martin Buber in seinem Buch „Ich und du“. Ja wirklich: Leben ist Begegnung. Begegnung, die zum Singen bringt. Diesseits und jenseits der Grenzen religiöser Welten. „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“
Die Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ bestätigt diese grundlegende Lebenseinsicht. Und das gleich in mehrfacher Weise. Die vier Personen, um die es geht, sind in ihrer Beziehungsvielfalt und Beziehungsdichte nicht verbundener und vernetzter zu denken.
Die Weihnachtszeit des Kirchenjahres ist mit dem gestrigen 2. Februar noch nicht einmal einen Tag zu Ende - und vier entscheidende weihnachtliche Protagonisten tauchen nun schon wieder auf: Elisabeth und Maria. Johannes und Jesus. Und überall, wo sie aufeinandertreffen, ist Begegnung im Spiel. Nicht irgendeine Firm von Begegnung. Nein, intensivste, lebensverändernde Begegnung: „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“
Die erste Textfassung der Kantate aus dem Jahr 1716, aus Bachs Weimarer Zeit, hat Johannes den Täufer im Blick. Es ist eine Kantate für den Advent. Das Libretto stammt von Bachs Weimarer Juristenfreund Salomon Franck. Schon ungeboren, im Bauch seiner Mutter erkennt Johannes den, der später sein Leben entscheidend bestimmen und prägen wird. Die ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums beschreiben diese Beziehung intensiv und einfühlsam. In Parallelität und Unterscheidung.
Bei beiden, bei Johannes und bei Jesus, wird die Geburt von einem Engel angekündigt. Beide Male kommt ein Elternteil zum weltbewegenden Singen. Zacharias und Maria. Mit dem Benedictus und dem Magnificat, wie wir diese beiden Liedern aus der lateinischen Tradition heraus nennen. Beide, Johannes und Jesus, stehen in einer besonderen Gottesbeziehung. Beide ziehen mit Anhängerinnen und Anhängern im Gefolge durch die Landschaft um Jerusalem.
Und doch bringt Lukas die Bedeutung der beiden in ein Verhältnis der geklärten Zuordnung. Der eine, Johannes, wird zum Wegbereiter des anderen.
„Ihn zieht der Liebe Band
bereits in seiner Mutter Leibe.
Er wird bewegt. Er hüpft und springet.“
Wir können es im Rezitativ gleich auch mit den springenden Noten fast leibhaftig nachvollziehen.
Sieben Jahre später holt Bach diese Johannes-Kantate noch einmal hervor. Schreibt sie um, ergänzt sie und ersetzt die Choräle. Im Kirchenjahr wird das Fest der Heimsuchung Marias gefeiert, am 2. Juli, dieses Mal in Leipzig. Wieder steht eine Begegnung im Mittelpunkt. Eine weltverändernde Begegnung. Eine Begegnung, nach der nichts mehr bleibt wie es war.
Maria und Elisabeth. Wunderbar dargestellt wird diese Begegnung in einem Glasfenster der Kirche der Versöhnung im burgundischen Taizé. Groß, in kräftigem Rot gehalten, sind die beiden Frauen zu sehen, Cousinen, wie die Tradition sagt. Und im Leib der einen wie der anderen der beiden Frauen, sieht man, stehend, wie zum Aufbruch, zum Tanz bereit, die noch ungeborenen Kinder: den einen, der zum Vorläufer des anderen wird: Johannes! Und den anderen auch: Jesus!
Es ist also gleich eine doppelte Begegnung. Die zwischen den beiden Frauen. Und die zwischen Maria und dem noch ungeborenen Kind der anderen. Für dieses Kind bleibt nichts mehr wie es war. Aber genauso für Elisabeth. Aus der verwandtschaftlichen Beziehung wird eine, die sich an ganz anderen Kriterien ausrichtet.
Elisabeth spürt den besonderen Auftrag der anderen.
Wie geschieht mir,
dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?
Gesegnet bist du unter den Frauen,
und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!
Das Kind der Elisabeth bringt die Freude durch Bewegung zum Ausdruck. Und Maria selber beginnt zu singen. Das Lied, das die Welt vom Kopf auf die Füße stellt. Ihr Loblied, das den Reichen das Ende, den Armen aber Zukunft ansagt.
Verstockung kann Gewaltige verblenden,
bis sie des Höchsten Arm von Stuhle stößt.
Wir haben diesen Anklang an das Magnificat eben schon im Rezitativ gehört. Innigste Begegnung zwischen den beiden Frauen. Innigste Begegnung zwischen dem Kind und seiner Mutter. Und dem Kind und dieser anderen Frau, der Maria. Begegnung eben. Lebensverändernde Begegnung! „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“ Kein Wunder, dass es auch hier nicht ohne Singen abgeht. Kein Lied fürchten ungerechte Machthaber so sehr, wie das Magnificat der Maria!
Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Wir wissen: Nicht nur Elisabeth wird schwanger. Der Geburt des Kindes der Elisabeth folgt die Geburt des Kindes der Maria. Die beiden Kinder werden erwachsen. In Rivalität und Konkurrenz. In Beziehung und neu gefundenen Rollen. Und der eine, Jesus, geboren in Bethlehem und aufgewachsen in Nazareth, wird zum Kristallisationspunkt gelingender Begegnung. Und sinnvollen Lebens. Nicht einmal sein Tod macht dem Singen ein Ende. Und sein bewahrtes Leben für immer schafft ungehörten, unerhörten Jubel.
Der Tod ist verschlungen in den Sieg des Lebens.
Auch Paulus, der Dichter und Sänger dieser Zeilen, lebt in seinem Wirken von Begegnung. Von der entscheidenden Begegnung vor den Toren der Stadt Damaskus. Hier hat er seine lebensverändernde Begegnung mit diesem einen. Alles wirkliche Leben ist eben auch für Paulus: Begegnung! Und so kommt auch Paulus zum Singen. Immer wieder:
Freut euch! Und noch einmal freut euch.
Oder eben auch mit Worten, die ihm vertraut sind:
Gott hat diesen Jesus erhöht.
Darum sollen alle bekennen und singen,
dass er der Herr ist!“
In einem seiner Briefe nach Korinth wird uns ein Danklied überliefert. Aller Dank entspringt in gelingende Begegnung. Und Paulus lebt von der Begegnung mit diesem Kind der Maria. Diese Verse aus dem 1. Korintherbrief sind heute der vorgeschlagene Predigttext:
Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, dass ihr durch ihn in allen Stücken reich gemacht seid, in allem Wort und in aller Erkenntnis. Denn die Predigt von Christus ist unter euch kräftig geworden, sodass ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus. Der wird euch auch fest machen bis ans Ende, dass ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesus Christus. Denn Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.
Wieder geht es um: Begegnung! Und für Paulus führt an diesem Kind der Maria kein Weg ins wirkliche Leben vorbei. Alles wirkliche Leben ist auch für ihn Begegnung. Begegnung mit dem, vom dem diese beiden Strophen am Ende der beiden Teile der Kantate singen. Begegnung mit diesem einen. Begegnung auf dem Weg von Weihnachten nach Ostern. „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“ Diese Begegnung, die ein Leben verändert. Und die auch im Gewand des vom Leben Gezeichneten, unsere Schönheit aufleuchten lässt.
Wer Gefüchteten begegnet, - über lange, gefahrvolle Wege hierhergekommen und plötzlich ganz nah - hat diese Erfahrung längst gemacht. Es ist Begegnung, die Leben ermöglicht.
Wer Sprachlosigkeit der Beziehung durch den Versuch des Neuanfangs ein Ende bereitet, hat diese Erfahrung längst gemacht. Es ist Begegnung, die Leben ermöglicht.
Wer sich nicht nur auf virtuellen Beziehungswegen bewegt, wer dem anderen Menschen ins Angesicht schauen kann, hat diese Erfahrung längst gemacht: Es ist die Begegnung, die Beziehung schafft. Es ist Begegnung, die Leben ermöglicht.
Das Singen dieser Kantate. Heute. Und vor 20 Jahren. Das Singen all der Kantaten durch die Jahre hindurch bei den Kantatenwochenenden in Bad Herrenalb. Das Singen der Bach‘schen Kantaten in Weimar und in Leipzig. Mit dieser besonderen Choralmelodie, die sich ins Herz gräbt. Weitergesungen, gespielt, getanzt, verjazzt – all das hat Begegnung geschaffen und ermöglicht. All das schafft Begegnung immer wieder aufs Neue.
Zwischen Singenden und Musizierenden. Zwischen Mensch und Mensch. Zwischen Mensch und Gott. Zwischen uns. Und dem einen, in dem Gott geworden ist wie einer von uns.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung. „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“ Das lässt uns hören. Das lässt uns glauben. Das lässt uns singen. Amen.
„Als ich etwa acht Jahre alt war, hörte ich im Hause eines Freundes zum erstenmal die Klavierbearbeitung von Myra Hess des Chorals „Wohl mir, dass ich Jesum habe“ aus der Kantate BWV 147. Da ich bis dahin mit der kargen Kost von hundertfünfzig Psalmen und neunundzwanzig Kirchenliedern aufgewachsen war, machte ich dabei eine der einschneidensten Erfahrungen meines Lebens. Ich konnte es kaum fassen, dass es so etwas Wunderbares gab.
Da mir die Melodie ständig entglitt, wollte ich sie immer wieder hören. Zum Glück prägte sie sich schließlich, nachdem ich bei demselben Freund eine 45er Schallplatte mit Pierre Palla an der Orgel mehrfach angehört hatte, so fest in mein Gedächtnis ein, dass sie mir auf Abruf zur Verfügung stand und ich sie auf der Straße nachpfeifen konnte.
Hier liegt der Ursprung meiner Liebe zur klassischen Musik. Ich fand (und finde) die Melodie so schön, dass sie zum Maßstab für mich wurde. Alles, was ich später hörte, wurde daran gemessen.“
Der so schreibt, wurde später selber ein ganz passabler Musiker und Organist - aber mehr noch ein hinreißend schreibender Schriftsteller. Und ganz persönlich auch zu einem, dessen Bücher in meiner privaten Bestsellerliste ganz oben stehen. Aber immer wieder auch in den Listen der meistverkauften Bücher. Es ist der niederländische Schriftsteller Maarten `t Hart. Sein Büchlein „Bach und ich“ zeugt von unglaublicher Kenntnis, mehr noch von einer großen Bewunderung und Hingabe, ja Liebe, wenn es um Johann Sebastian Bach und seine Musik geht.
Die Liebe zu dieser Choralmelodie, die wir nachher ja noch mit einem anderen Vers des Chorals von Martin Jahn hören werden, teilt Maarten `t Hart mit vielen anderen. Für ihn aber ist sie ein Psychopharmakon allerersten Ranges. Denn er schließt seine Liebeserklärung mit den Worten: „Wenn ich im trüben Nieselregen durch die Straßen ging, brauchte ich nur die Triolenketten leise zu pfeifen, und dann wusste ich wieder: Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“
Eine Begegnung, die ein Leben verändert. Für immer. Ein Achtjähriger, den eine Melodie aus seinem bisherigen Leben herausreißt. Ihn zum Summen, zum Pfeifen und zum Singen bringt. Selbst dann noch, als er mit der rigiden religiösen Welt seiner Kindheit bricht. Und bestenfalls noch atheistisch an Gott glaubt.
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung!“ schreibt Martin Buber in seinem Buch „Ich und du“. Ja wirklich: Leben ist Begegnung. Begegnung, die zum Singen bringt. Diesseits und jenseits der Grenzen religiöser Welten. „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“
Die Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ bestätigt diese grundlegende Lebenseinsicht. Und das gleich in mehrfacher Weise. Die vier Personen, um die es geht, sind in ihrer Beziehungsvielfalt und Beziehungsdichte nicht verbundener und vernetzter zu denken.
Die Weihnachtszeit des Kirchenjahres ist mit dem gestrigen 2. Februar noch nicht einmal einen Tag zu Ende - und vier entscheidende weihnachtliche Protagonisten tauchen nun schon wieder auf: Elisabeth und Maria. Johannes und Jesus. Und überall, wo sie aufeinandertreffen, ist Begegnung im Spiel. Nicht irgendeine Firm von Begegnung. Nein, intensivste, lebensverändernde Begegnung: „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“
Die erste Textfassung der Kantate aus dem Jahr 1716, aus Bachs Weimarer Zeit, hat Johannes den Täufer im Blick. Es ist eine Kantate für den Advent. Das Libretto stammt von Bachs Weimarer Juristenfreund Salomon Franck. Schon ungeboren, im Bauch seiner Mutter erkennt Johannes den, der später sein Leben entscheidend bestimmen und prägen wird. Die ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums beschreiben diese Beziehung intensiv und einfühlsam. In Parallelität und Unterscheidung.
Bei beiden, bei Johannes und bei Jesus, wird die Geburt von einem Engel angekündigt. Beide Male kommt ein Elternteil zum weltbewegenden Singen. Zacharias und Maria. Mit dem Benedictus und dem Magnificat, wie wir diese beiden Liedern aus der lateinischen Tradition heraus nennen. Beide, Johannes und Jesus, stehen in einer besonderen Gottesbeziehung. Beide ziehen mit Anhängerinnen und Anhängern im Gefolge durch die Landschaft um Jerusalem.
Und doch bringt Lukas die Bedeutung der beiden in ein Verhältnis der geklärten Zuordnung. Der eine, Johannes, wird zum Wegbereiter des anderen.
„Ihn zieht der Liebe Band
bereits in seiner Mutter Leibe.
Er wird bewegt. Er hüpft und springet.“
Wir können es im Rezitativ gleich auch mit den springenden Noten fast leibhaftig nachvollziehen.
Sieben Jahre später holt Bach diese Johannes-Kantate noch einmal hervor. Schreibt sie um, ergänzt sie und ersetzt die Choräle. Im Kirchenjahr wird das Fest der Heimsuchung Marias gefeiert, am 2. Juli, dieses Mal in Leipzig. Wieder steht eine Begegnung im Mittelpunkt. Eine weltverändernde Begegnung. Eine Begegnung, nach der nichts mehr bleibt wie es war.
Maria und Elisabeth. Wunderbar dargestellt wird diese Begegnung in einem Glasfenster der Kirche der Versöhnung im burgundischen Taizé. Groß, in kräftigem Rot gehalten, sind die beiden Frauen zu sehen, Cousinen, wie die Tradition sagt. Und im Leib der einen wie der anderen der beiden Frauen, sieht man, stehend, wie zum Aufbruch, zum Tanz bereit, die noch ungeborenen Kinder: den einen, der zum Vorläufer des anderen wird: Johannes! Und den anderen auch: Jesus!
Es ist also gleich eine doppelte Begegnung. Die zwischen den beiden Frauen. Und die zwischen Maria und dem noch ungeborenen Kind der anderen. Für dieses Kind bleibt nichts mehr wie es war. Aber genauso für Elisabeth. Aus der verwandtschaftlichen Beziehung wird eine, die sich an ganz anderen Kriterien ausrichtet.
Elisabeth spürt den besonderen Auftrag der anderen.
Wie geschieht mir,
dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?
Gesegnet bist du unter den Frauen,
und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!
Das Kind der Elisabeth bringt die Freude durch Bewegung zum Ausdruck. Und Maria selber beginnt zu singen. Das Lied, das die Welt vom Kopf auf die Füße stellt. Ihr Loblied, das den Reichen das Ende, den Armen aber Zukunft ansagt.
Verstockung kann Gewaltige verblenden,
bis sie des Höchsten Arm von Stuhle stößt.
Wir haben diesen Anklang an das Magnificat eben schon im Rezitativ gehört. Innigste Begegnung zwischen den beiden Frauen. Innigste Begegnung zwischen dem Kind und seiner Mutter. Und dem Kind und dieser anderen Frau, der Maria. Begegnung eben. Lebensverändernde Begegnung! „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“ Kein Wunder, dass es auch hier nicht ohne Singen abgeht. Kein Lied fürchten ungerechte Machthaber so sehr, wie das Magnificat der Maria!
Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Wir wissen: Nicht nur Elisabeth wird schwanger. Der Geburt des Kindes der Elisabeth folgt die Geburt des Kindes der Maria. Die beiden Kinder werden erwachsen. In Rivalität und Konkurrenz. In Beziehung und neu gefundenen Rollen. Und der eine, Jesus, geboren in Bethlehem und aufgewachsen in Nazareth, wird zum Kristallisationspunkt gelingender Begegnung. Und sinnvollen Lebens. Nicht einmal sein Tod macht dem Singen ein Ende. Und sein bewahrtes Leben für immer schafft ungehörten, unerhörten Jubel.
Der Tod ist verschlungen in den Sieg des Lebens.
Auch Paulus, der Dichter und Sänger dieser Zeilen, lebt in seinem Wirken von Begegnung. Von der entscheidenden Begegnung vor den Toren der Stadt Damaskus. Hier hat er seine lebensverändernde Begegnung mit diesem einen. Alles wirkliche Leben ist eben auch für Paulus: Begegnung! Und so kommt auch Paulus zum Singen. Immer wieder:
Freut euch! Und noch einmal freut euch.
Oder eben auch mit Worten, die ihm vertraut sind:
Gott hat diesen Jesus erhöht.
Darum sollen alle bekennen und singen,
dass er der Herr ist!“
In einem seiner Briefe nach Korinth wird uns ein Danklied überliefert. Aller Dank entspringt in gelingende Begegnung. Und Paulus lebt von der Begegnung mit diesem Kind der Maria. Diese Verse aus dem 1. Korintherbrief sind heute der vorgeschlagene Predigttext:
Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, dass ihr durch ihn in allen Stücken reich gemacht seid, in allem Wort und in aller Erkenntnis. Denn die Predigt von Christus ist unter euch kräftig geworden, sodass ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus. Der wird euch auch fest machen bis ans Ende, dass ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesus Christus. Denn Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.
Wieder geht es um: Begegnung! Und für Paulus führt an diesem Kind der Maria kein Weg ins wirkliche Leben vorbei. Alles wirkliche Leben ist auch für ihn Begegnung. Begegnung mit dem, vom dem diese beiden Strophen am Ende der beiden Teile der Kantate singen. Begegnung mit diesem einen. Begegnung auf dem Weg von Weihnachten nach Ostern. „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“ Diese Begegnung, die ein Leben verändert. Und die auch im Gewand des vom Leben Gezeichneten, unsere Schönheit aufleuchten lässt.
Wer Gefüchteten begegnet, - über lange, gefahrvolle Wege hierhergekommen und plötzlich ganz nah - hat diese Erfahrung längst gemacht. Es ist Begegnung, die Leben ermöglicht.
Wer Sprachlosigkeit der Beziehung durch den Versuch des Neuanfangs ein Ende bereitet, hat diese Erfahrung längst gemacht. Es ist Begegnung, die Leben ermöglicht.
Wer sich nicht nur auf virtuellen Beziehungswegen bewegt, wer dem anderen Menschen ins Angesicht schauen kann, hat diese Erfahrung längst gemacht: Es ist die Begegnung, die Beziehung schafft. Es ist Begegnung, die Leben ermöglicht.
Das Singen dieser Kantate. Heute. Und vor 20 Jahren. Das Singen all der Kantaten durch die Jahre hindurch bei den Kantatenwochenenden in Bad Herrenalb. Das Singen der Bach‘schen Kantaten in Weimar und in Leipzig. Mit dieser besonderen Choralmelodie, die sich ins Herz gräbt. Weitergesungen, gespielt, getanzt, verjazzt – all das hat Begegnung geschaffen und ermöglicht. All das schafft Begegnung immer wieder aufs Neue.
Zwischen Singenden und Musizierenden. Zwischen Mensch und Mensch. Zwischen Mensch und Gott. Zwischen uns. Und dem einen, in dem Gott geworden ist wie einer von uns.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung. „Das ist es, darum geht es, das ist das Schönste, was es gibt.“ Das lässt uns hören. Das lässt uns glauben. Das lässt uns singen. Amen.