Ansprache im Gottesdienst zu Beginn der Vollversammlung der ACK Freiburg

19.11.2020

 Liebe Schwestern und Brüder!

Dankbar bin ich, heute Abend in diesem Gottesdienst die Predigt halten zu dürfen. In Verbundenheit mit der ACK Freiburg, deren Vorsitzender ich ja einmal war. In der Verbundenheit der ACK Baden-Württemberg, deren Vorsitz ich im Moment innehabe, mit der Orts-ACK in Freiburg. Aber auch in der Verbundenheit mit Inge Faessler und Jo Dennig. Inge Faessler habe ich während meiner Zeit als Dekan in Freiburg in ihrer Zuverlässigkeit und ACK-Verbundenheit schätzen gelernt. Wir haben ihrer im Rahmen der letzten Delegiertenversammlung der ACK-Baden-Württemberg gedacht. Mit Jo Dennig war ich seit meiner Schulzeit verbunden, habe ich doch zusammen mit ihrem Sohn Abitur gemacht. Ich war schon damals immer wieder im Hause Dennig zu Gast.

Ein Text wurde mir für diesen Gottesdienst zugespielt, der scheinbar ganz harmlos daherkommt – und der es doch wahrhaftig in sich hat. Ihm will ich in den kommenden Minuten nachspüren. Ich bitte Gott, dass er uns allen dazu seinen Geist sende und unseren Geist kläre und erneuere.

„Aus der Ferne liebt sich‘s leichter!“ In meiner Kindheit, liebe Schwestern und Brüder, habe ich diesen Satz aus Schillers Drama „Wallensteins Tod“ immer wieder zu hören bekommen. Wenn die Nähe im großen Geschwisterkreis mal wieder zu konfliktreich geworden war. Bei der Liebe kommt‘s also nicht nur auf die Intensität an. Sondern auch auf die Entfernung. Nähe und Distanz bestimmen über die Art und Weise unserer Liebe ganz entscheidend mit.

Ob sich’s aus der Ferne tatsächlich immer leichter liebt – daran mögen wir heute gut und gern unsere Fragezeichen anbringen. In Corona-Zeiten haben wir zur Ferne derzeit oft gar keine Alternative. Wenn der Besuch im Pflegeheim nur einmal in der Woche erlaubt ist. Wenn der Besuch im Krankenhaus gleich ganz ausfallen muss. Wenn Großeltern ihre Enkel nicht sehen sollen – und umgekehrt. Beides gleichermaßen schmerzliche Erfahrungen.

Die Lesung aus den Abschiedsreden Jesu, die wir eben gehört haben, sind liebesvoll, ja beinahe möchte ich sagen liebestoll. Fast ein bisschen zuviel der Liebe! Gleich neunmal kommt dieses Wort in diesen wenigen Versen vor. Die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn. Die Liebe zwischen dem Sohn und den Jüngern. Die Liebe der Jünger untereinander. Um Freundesliebe geht’s hier vor allem Dabei habe ich gedacht, die Feindesliebe sei das, was wir aus jüdischer Tradition auch als Christenmenschen ins Leben zu ziehen versuchen.

Geht’s auch eine Nummer kleiner? Vielleicht hat sich der eine oder die andere beim Hören dasselbe eben auch gefragt. Fast verwirrend, was die Liebe da alles leisten soll. Und dann noch verpackt in ein Gebot: „Liebt euch doch endlich untereinander!“ Das ist doch euer Auftrag!

Gegen Ende habe ich mich mit diesem Text dann doch wieder versöhnt. Spätestens dann nämlich, als ich plötzlich meinen Ordinationsspruch entdeckt habe: Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Vor acht Tagen, am 11.11. war das genau 30 Jahre her, dass ich in meiner Heimatkirche in Wolfenweiler meinen Ordinationsgottesdienst feiern konnte und mit dieses Bibelwort zugesprochen worden ist.

Als ein Leben als Narr oder als Närrin um Christi willen habe ich das Leben eines Christen oder einer Christin damals beschrieben. Und Närrinnen und Narren Christi – das sind für mich Menschen, die keine Angst haben, ihre Liebe zu den Menschen öffentlich zu machen. Und die gerade deshalb oft wie aus der Welt gefallen wirken. Närrisch eben. Wie der Narr Franziskus aus Assissi. Närrisch, wie dieser Jesus aus Nazareth, der keine Mühe hatte, mit seiner Menschenliebe Grenzen zu überschreiten. Grenzen der Konvention. Soziale Grenzen, die Arme und Kranke aus dem Leben herauskatapultierten. Religiöse Grenzen aber auch! Die einen gehörten eben dazu. Die anderen sollten draußen bleiben. Dagegen hat er unüberhörbar Widerspruch angemeldet. Ein ums andere Mal.

Dazu passt dieser zentrale Vers dann doch, indem sich die Botschaft dieses Textes in knappster Form wiederfindet: Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe.  

Ich glaube, es ist der Liebesbegriff in unsren Köpfen, der diesen Text so befremdlich daherkommen lässt. Es geht nicht um kitschige Form von Liebe, die irgendwie wie vom Himmel fällt. Die ewig dauert. Und die langmütig und freundlich jeden Konflikt wegliebt.

Die Liebe, von der Jesus im Johannes-Evangelium spricht, macht Mühe und Arbeit. Sie fällt den Jüngern nicht einfach in den Schoß. Sie ist auch Jesus nicht einfach in den Schoß gefallen. Sondern hat ihn am Ende auch vor dem Tod nicht verschont. Nicht umsonst sagt uns der Jesus dieses Bibeltextes: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“

Jetzt wird der Text mit einem Mal zum Schwarzbrot-Evangelium. Heftig zum Kauen, schwer zu verdauen – und doch eine Kost, die unseren Hunger nach Nahrhaftem im Leben kraftvoll stillt. Nicht einfach in der puren Nachahmung des Vorbilds, das Jesus uns hinterlassen hat. Aber eben genau darin, dass wir uns diese Gottesliebe etwas kosten lassen. Dass wir dieser Liebe Priorität einräumen in unserem Leben. Und gerade so ansteckend leben. Aber ansteckend aus Liebe zum Leben – und eben in ganz anderer Weise als dieses Virus.

Ansteckend den eigenen Glauben leben – das überbrückt dann diesen Abstand doch ein wenig leichter – auch den, der derzeit vielen so zu schaffen macht. Gott verzichtet auf den Abstand zu uns Menschen verzichtet – damit auch wir den Abstand untereinander liebevoll überbrücken können. „Viel Kälte ist unter den Menschen, weil wir uns nicht so herzlich geben, wie wir sind!“ Mutter Theresa hat diesen Satz einmal gesagt. Vielleicht müssen wir auch sagen: Weil wir nicht so heftig lieben, wie wir können. Wenn wir dann doch nicht so genau hinschauen, was an Europas Außengrenzen passiert. Wenn wir uns von den spürbaren Folgen der Klimaerwärmung nicht beunruhigen lassen. Auch nicht von den Berichten über Armut und Gewalt, die Menschen tagtäglich ihre Würde nimmt.

Und am Ende entdecken wir womöglich, dass der Satz ganz am Anfang ganz so falsch gar nicht ist: Aus der Ferne liebt sich’s vielleicht nicht einfach leichter. Aber unmöglich ist es jedenfalls nicht, die Ferne als relative Nähe zu verstehen. Weil Gott diese Nähe für uns zur Möglichkeit der Liebe macht. Der Liebe zu Gott. Und der Liebe zu unseren Mitmenschen.

Darin sind wir miteinander verbunden. Gerade auch in der Gemeinschaft der Kirchen. Hier in der der ACK. Und in den Kirchen weltweit. Ohne die Liebe wären wir nichts.

Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.